
Der deutsch-israelische Künstler
Eran Schaerf reagiert im
Merkur-Blog auf das
Anti-Antisemitismus-Heft der
Texte zur Kunst vom September und macht sich - mal polemisch, mal assoziativ - Gedanken über Fragen der Erinnerungskultur und des
Israelboykotts: "Es ist Corona-Zeit. Der zivile Flugverkehr in Israel ist weitgehend lahmgelegt, aber in einem Flughafen herrscht reger Verkehr. Beladen mit militärischer Ausrüstung 'Made in Israel' fliegen Flugzeuge des Typs
Iljuschin-76 der Cargo-Gesellschaft Silkway nach
Aserbaidschan. Die Waffen werden von Aserbaidschan gegen die armenische Enklave Bergkarabach eingesetzt. Mit der Offensive Aserbaidschans - auch gegen zivile Ziele - ist der Bergkarabach-Konflikt erneut ausgebrochen. Corona sagte ich schon. Die israelische Wirtschaft ist im Tief, ein schlechter Zeitpunkt, um Geschäfte zu unterlassen. Aserbaidschan auf eine Unterlassung des Waffenhandels mit Israel anzusprechen, könnte jemand an Judenboykott erinnern. Tut auch niemand. Ich muss Franz anrufen,
Franz Werfel, der 'Die vierzig Tage des Musa Dagh' über den Völkermord an den Armeniern geschrieben hat. Ich muss ihn erst einmal damit updaten, dass 'der Staat der Shoah-Überlebenden' den Völkermord an den Armeniern durch das Osmanische Reich nicht anerkennt. Dann würde ich ihn fragen, ob er… 'als Jude, oder was?', würde er mich unterbrechen …ob er denkt, dass die 'jüdische Erfahrung der Shoah' israelische Juden auf die Idee bringen sollte, dass ihre Waffenlieferungen die armenische Erfahrung des Genozid
empathielos vernachlässigen. Aber ich rufe Franz nicht an. Womöglich würde er mir noch sagen, dass die Toten nur fiktive Geschichten erzählen können und Fiktion ist Kunst und als Künstler wäre ich der BDS-Nähe verdächtig und könnte meinen Job verlieren. Das wäre ja nicht so schlimm, doch
Selbstboykott ist hier nicht das Thema." Mehr zu den Ruder- und Rückrudermeisterschaften der
Texte zur Kunst in der Antisemitismusfrage
hier.
Im Heft
schreibt zudem
Aleida Assmann einmal mehr über den Streit um
Achille Mbembe und die BDS-Resolution des Bundestags, aber auch über die
erweiterte Antisemitismus-Definition, die die Bundesregierung von der International Holocaust Remembrance Alliance übernommen hat, und zwar in einer Fassung, die auch Kritik an Israel mit einschließen kann, wie Assmann moniert: "Insgesamt hat die Verlagerung des Schwerpunkts der Antisemitismus-Bekämpfung durch BDS und IHRA dazu geführt, dass das Bedrohungspotential inzwischen weniger im rechtsradikalen Spektrum als im Milieu von linken und liberalen Intellektuellen gesucht wird." Assmann antwortet in dem Artikel auch auf einen
Essay von Perlentaucher Thierry Chervel zur Mbembe-Debatte.
Mit dem in jeder Hinsicht an Selbstbetrug grenzenden
Humboldt-Forum wird der Historiker
Jürgen Große nicht so bald seinen Frieden
machen, wie er in einem Rückblick auf dreißig Jahre Rekonstruktionsdebatte deutlich werden lässt: "Nähert man sich dem Schlossbau von Osten, dann stößt man auf andere, wohl ähnlich
ungewollte Macht-Kultur-Ambivalenzen. 'Humboldt Forum' ist dort
in prekärer Orthografie zu lesen. Doch ausgerechnet die östliche, angeblich zu Stadt und Bürgerschaft 'geöffnete' Fassade huldigt mit ihren schießschartenartigen Fenstern dem italienischen razionalismo. Dieser typische Stil der faschistischen Epoche kontrastiert dem wilhelminischen Neubarock des Berliner Doms, der nördlich anschließt. Funktionalität
moderner Machtstaatlichkeit neben flügelschlagendem Engelsvolk! Schweift der Blick weiter südwärts, ergibt sich baustilistisch ein harmonischer Effekt. Dort nämlich zeichnen sich die Umrisse des einheitsdeutschen Außenministeriums ab. Einer der Hausherren hatte die gewaltstaatliche Vergangenheit des Amts erforschen lassen. Dessen steinerne Hülle jedoch zeigt eines der klarsten
Bekenntnisse zu Albert Speer, die im neuen Berlin entstanden sind."