Magazinrundschau

Die Nachtigallen der Türkei

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
12.09.2023. Bei Eurozine setzt der Schriftsteller Kaya Genc keine Hoffnung mehr in die türkische Opposition: Sie ist genauso machohaft und machtbesessen wie Erdogan, meint er. Die London Review lernt in der Courtauld Gallery einige einfallsreiche Kunstfälscher kennen. La vie des idees empfiehlt die Lektüre Gramscis - schon um den Rechtsextremen begegnen zu können. Der New Yorker lernt von Ross Douthat, dass eine zu enge Verbindung mit dem Staat nicht nur Religionen schwächt, sondern auch Ideologien.

Eurozine (Österreich), 12.09.2023

Bei den Wahlen in der Türkei gehörte der Autor Kaya Genç zu den Optimisten, erzählt er. Vielleicht war diesmal die Zeit gekommen für eine "Wiedergeburt der parlamentarischen Demokratie, eine Rückkehr zu Menschenrechten, und vor allem einen festen Abschied von Recep Tayyip Erdoğan und seinen Speichelleckern". Im Nachhinein ist für ihn klar: der Wahlkampf der Oppositionspartei CHP war ausschließlich von "Machthunger" und "Rachegelüsten" angetrieben, nicht von ernsthaften politischen oder moralischen Prinzipien - und das führte ihre Niederlage herbei. In seinem Buch "The Lion and the Nightingale" beschreibt der Autor, wie tief das Narrativ von Stärke und Macht, immer verbunden mit einer bestimmten Vorstellung von Männlichkeit, in der türkischen Gesellschaft verwurzelt ist: Die "Löwen" definieren sich "als herrschende Klasse, die sich als Meister betrachtet und Menschen aus allen Bereichen dazu aufrufen, sich ihr anzuschließen und sich von den 'Verlierern' zu trennen. Und dann sind da noch die Nachtigallen der Türkei: Intellektuelle, Dissidenten, Künstler und all die unabhängigen Köpfe, die die Machtstrukturen durch Gesang, Poesie und Komik untergraben und denen oft Armut oder Gefängnis drohen...Doch als ich ein Vorwort für die Taschenbuchausgabe schrieb, fiel mir auf, dass die diesjährigen Wahlen nicht zwischen Löwen und Nachtigallen stattfanden. Sie waren ein Kampf zwischen einem großen brüllenden Löwen und einer Legion von aufstrebenden Löwen, die versuchten, noch lauter zu brüllen." Die größte Angst der Opposition ist es, so Genc, "als schwach, degeneriert oder abweichend angesehen zu werden. Sie wollen die Norm repräsentieren, und die normative Identität, für die sie eintreten, ist diejenige, die in den 1920er Jahren propagiert wurde: die des säkularen, heterosexuellen, hart arbeitenden Bürgers, der sein Leben der Republik widmet. Doch der Normativismus ist ein Kampf, den die Opposition nicht gewinnen kann. Erdoğan hat seine Rivalen bereits als 'LGBTQI-Liebhaber' gebrandmarkt. Seine Regierung betrachtet jeden, der sich ihrem Patriarchalismus, dem ausbeuterischen Kapitalismus und den Ressentiments gegenüber 'den Anderen' widersetzt, als schwach, weich und zur Ausrottung bestimmt."
Archiv: Eurozine

London Review of Books (UK), 07.09.2023

Rosemary Hill besucht die Ausstellung "Art and Artifice: Fakes from the Collection" in der Courtauld Gallery und macht sich Gedanken über die Geschichte der Kunstfälschung. Dabei begegnet sie jeder Menge eigenwilliger Charaktere, wie etwa dem Niederländer Han van Meegeren: "Van Meegeren's Karriere zeigt vortrefflich, auf welch gewunden Pfaden diese Künstler der Kunstfälschung oft unterwegs waren. Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Kollaborateur angeklagt, weil er einen Vermeer an Hermann Göring verkauft hatte, wurde aber freigesprochen, nachdem er ausgeführt hatte, dass es sich um eine Fälschung gehandelt und er den Verkauf nur getätigt habe, um Hollands echtes kulturelles Erbe zu beschützen. Daraufhin wurde er zu einer Art Nationalheld, weil es ihm gelungen war, den deutschen Minister übers Ohr zu hauen. Mehr Schwierigkeiten bereitete es ihm, zu erklären, warum eines seiner Bücher in der Reichskanzlei gefunden wurde, und zwar mit folgender Widmung: 'Für meinen geliebten Führer, von H. van Meegeren, Laren, Nordholland, 1942'. Mit erstaunlicher Frechheit behauptete van Meegeren, dass es sich bei der Widmung um eine Fälschung handele; hier und da wurde ihm sogar geglaubt." Eher selten haben Fälscher finanzielle Motive, so Hill: "Fälscher haben zumeist andere, kompliziertere Gründe, manche hoffen fast schon darauf, enttarnt zu werden. Ein besonders schamloses Beispiel aus den 1890ern ist Icilio Federico Joni. Eine in die Ausstellung aufgenommene sepiafarbene Porträtfotografie zeigt ihn als einnehmenden Mann, in Wams und Kniehose. Joni führte die Gothic-Mode seiner Zeit zum logischen Endpunkt mit seiner 'frühitalienischen' religiösen Malerei. Eines seiner Werke, ein recht glaubwürdig anmutendes kleines Triptych, ist in der Ausstellung enthalten. Fälscher haben oft etwas von Exhibitionisten. In gewisser Weise sind sie selbst ihre elaboriertesten Kreationen."

Seating Female Nude, Fälschung im Stil Auguste Rodins, The Courtauld London (Samuel Courtauld Trust)


HVG (Ungarn), 10.09.2023

Der Film "Magyarázat mindenre" (Explanation for everything) des Regisseurs Gábor Reisz gewann gerade bei den Filmfestspielen von Venedig den Preis der Sektion Orizzonti. Reisz spricht im Interview mit Dóra Matalin über die politische Situation in Ungarn, die seinen Film inspirierte: "Ich war schon immer daran interessiert, Filme zu machen, die die Gegenwart Ungarns widerspiegeln. Es begann mich zu stören, dass wir auf den unterschiedlichsten kulturellen Plattformen, im Theater oder in der Literatur, bereit sind, die aktuelle Politik zu kritisieren, nur der Film tut so, als gäbe es dieses Thema nicht. … Politik ist in unseren Filmen ein Tabu geworden, nicht nur in den letzten 13 Jahren, sondern auch schon davor (...) Es gibt viele andere Länder mit einer gespaltenen politischen Landschaft, aber in Ungarn hat der Hass ein solches Ausmaß erreicht, dass wir nicht einmal versuchen, einander zu verstehen. Stattdessen sprechen wir nur unsere eigene Wahrheit immer lauter aus. Es gibt keine wirkliche Kommunikation, wir drehen nur an der Lautstärke herum."
Archiv: HVG

Deník Referendum (Tschechien), 11.09.2023

Der Ukrainekrieg hat auch große Auswirkungen auf die Russistik an den Universitäten. Jitka Komendová unterhält sich darüber mit dem tschechischen, in Zürich lehrenden Russisten Tomáš Glanc, nach dessen Worten der russische Angriffskrieg nicht nur die Gegenwart und Zukunft, sondern auch die Vergangenheit des Fachgebiets verändere. "Es mag fragwürdig oder übertrieben klingen, aber ich denke, dass die Slawistik des letzten Dreivierteljahrhunderts zumindest einen indirekten Anteil an dem Gesamtkontext hat, der nicht rechtzeitig und nicht entschieden genug auf die verschiedensten Warnsignale reagiert hat. Erst als es zu spät war, haben wir uns zu fragen begonnen, wie es zur Herausbildung dieser 'russischen Welt' kommen konnte, in deren Namen die russische Armee heute bombardiert und mordet." Glanc berichtet auch über die russische Soft Power, die über die Jahre mit Organisationen wie Russki Mir, finanziellen Förderungen oder der Verleihung von Medaillen durch Putin versucht hat, Einfluss auf akademische Institutionen zu nehmen. Ein Boykott russischer Kultur oder Wissenschaften kann nach Glanc' Ansicht allerdings nicht flächendeckend geschehen, sondern muss von Fall zu Fall betrachtet werden. "Wenn der Export / Import für einige Zeit aussetzt, entstehen keine irreparablen Schäden, und es wird wenigstens mehr Menschen bewusst, wie ernst die Situation ist. Das bedeutet natürlich noch nicht - zumindest, wie ich es sehe -, dass man jemandem verbieten sollte, Tschaikowski zu spielen oder die Literatur russischer Klassiker herauszugeben. Ich vermute, da lässt sich keine allgemeine Regel formulieren, was man darf und was nicht."

New Statesman (UK), 11.09.2023

Anlässlich des G20-Gipfels in Brasilien analysiert Shruti Kapila sowohl die gegenwärtige geopolitische Stellung als auch die innenpolitischen Dynamiken Indiens. Die Spannungen zwischen China und dem Westen spielen Premierminister Narendra Modi derzeit in die Hände. Aber das kann sich schnell ändern, meint Kapila. Und die Probleme im Inneren wird Modi sowieso nicht los: "Die internationale Presse nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, die Heuchelei, wenn nicht die Inkonsistenz zu benennen, die darin besteht, der Einheit der Welt das Wort zu reden, während Indien selbst nach neun Jahren Modi-Herrschaft immer gespaltener erscheint. Die Rückschritte in Sachen Demokratisierung, die Unterdrückung der muslimischen Minderheit sowohl durch alltägliche, als auch durch außerordentliche Gewalt, die Erosion der einst stabilen und freien Medienlandschaft: All das zeigt, dass Indien nicht länger als ein Beispiel für eine funktionierende multikulturelle Demokratie taugt. Kritiker des Modi-Regimes werden mit der ganzen Härte der Staatsmacht bekämpft, seien es Wissenschaftler, Filmstars oder Spitzensportler. Anführer und Anhänger der Oppositionsparteien werden in Rechtsstreitigkeiten verwickelt, in denen es etwa um Diffamierung oder Korruption geht. Der Staatsapparat tut alles dafür, politischen Widerstand zum Schweigen zu bringen. Um sein negatives Image auf der globalen Bühne aufzupolieren, bemühen Modi und seine Getreuen die Rhetorik der Dekolonialisierung und zivilisatorische Grandezza in Indiens Version der brodelnden Kulturkämpfe."
Archiv: New Statesman

Elet es Irodalom (Ungarn), 08.09.2023

In neu aufgelegten Geschichtsbüchern für die Klasse 11 in Russland wird die Revolution von 1956 in Ungarn als "durch westliche Länder entfachten, faschistischen Aufstand" beschrieben (mehr hier). Das ansonsten kämpferische ungarische Außenministerium, das bei wesentlich unbedeutenderen Angelegenheiten bevorzugt Botschafter westlicher Länder einbestellt, schweigt bisher. Nach geraumer Zeit verkündete der Staatssekretär für bilaterale Angelegenheiten in einem Eintrag auf einer Social Media Seite, dass Ungarn über die Revolution von 1956 nicht diskutiert. Das ist ein Fehler, meint der ehemalige Staatssekretär im Energie- und Verkehrsministerium Lajos Csepi: "Es wäre ratsam, eine realistische Position herauszuarbeiten, die für beide Seiten akzeptabel ist. Andernfalls besteht die ernstliche Gefahr, dass russische Schulkinder die Doktrinen des derzeit kursierenden Geschichtsbuchs übernehmen und die Motive der ungarischen Revolution von '56 für den Rest ihres Lebens falsch einschätzen. Allein diese Möglichkeit sollte die ungarischen Diplomaten, die für das Image unseres Landes verantwortlich sind, in Schrecken versetzen (...) Wenn es keine Debatte gibt, wird die russische Seite davon ausgehen, dass ihre Ansichten - d.h. die des derzeit verwendeten Lehrbuchs - ohne Vorbehalt akzeptiert werden. Für die ungarische Seite wäre dies kaum eine diplomatische Meisterleistung. Auch wenn eine Änderung ausgeschlossen ist, könnte sich eine gründliche Diskussion lohnen. Die Voraussetzungen dafür sind sicherlich gegeben, denn unser Außen- und Handelsminister ist ja zu Recht stolz auf die herzliche Freundschaft, die er mit seinem russischen Amtskollegen entwickelt hat."

New York Magazine (USA), 06.09.2023

Rotten Tomatoes bleibt ein heikler Fall für die Filmindustrie. Was mal als praktische Idee in den späten Neunzigern begann - warum nicht Filmkritiken namhafter Publikationen bündeln und auswerten? -, hat sich längst als zentraler Player entwickelt, wenn es um das Wohl und Wehe von Filmen an den Kinokassen geht. Entsprechend hoch sind die Begehrlichkeiten von Studios und Verleihern, den "Rotten Score" (also das metrische Mittel aller Kritiken) mit allerlei Tricks nach oben zu treiben - ob nun mit finanziellen Zuwendungen für Kritiker einerseits oder durch ein taktisches Spiel mit Pressevorführungen andererseits, schreibt Lane Brown in einer großen Gesamtdarstellung aller Problemlagen, die der Rotten Score so mit sich bringt. Zugleich gehen Filmkritiker als einzelne Stimmen und erstzunehmende Instanzen immer weiter unter, wenn am Ende nur noch der Mittelwert aller Kritiken zählt, um ein Ticket zu lösen oder nicht. Und an noch etwas sollte man sich bei den Bewertungen von Rotten Tomatoes erinnern, meint Brown: "Die Mathematik dahinter stinkt. Die Werte werden berechnet, indem jede Kritik als entweder positiv oder negativ eingestuft wird. Die Anzahl der positiven wird dann durch die Gesamtzahl geteilt. Das ist die ganze Formel. Jede Kritik trägt dasselbe Gewicht, ob sie nun in einer großen Zeitung steht oder in einem Substack mit einem Dutzend Abonnenten. Wenn eine Kritik zwischen positiv und negativ pendelt, dann ist das halt Pech. 'Wenn ich ein paar Besprechungen meiner eigenen Filme lese und der Kritiker schreibt, dass ich nicht so richtig was bringe, aber, Junge, ist das vielleicht interessant, auf welche Weise ich etwas nicht bringe', erzählt Paul Schrader, der früher selbst Kritiker war, 'dann ist das für mich eine gute Besprechung, aber auf Rotten Tomatoes gilt das als negativ.'"

Prospect (UK), 01.10.2023

Der Syrienkrieg ist irgendwie vorbei. Lizzie Porter zieht eine nüchterne und um so deprimierendere Bilanz. Der Westen hat kein Interesse mehr an Syrien, konstatiert sie. Russland unterstützt die Annäherung der arabischen Liga an den blutigen Diktator Baschar al-Assad. Den Ländern der Liga geht es unter anderem darum, den Strom der Drogen (vor allem Captagon) aufzuhalten, mit dem sie in ihrer sonnigen Trübsal von Syrien aus überschwemmt werden. "Beamte aus dem Nahen Osten, die mit dem Prozess der Wiedereingliederung Syriens vertraut sind, sagen, dass es zwecklos gewesen wäre, Forderungen an Präsident Assad und seine Regierung zu stellen. Vielmehr habe man sich auf die Vorteile konzentriert, 'die es hat, wenn sie wieder dabei und nicht mehr draußen sind', so ein hoher Beamter der irakischen Regierung, die sich für eine Normalisierung der Beziehungen zu ihrem Nachbarn eingesetzt hat." Für die sechs Millionen Flüchtlinge, die das Land verlassen haben und die sieben Millionen internen Flüchtlinge ist das keine gute Nachricht, so Porter: "Für viele Flüchtlinge, einschließlich derer, die die Erdbeben in der Türkei überlebt haben, ist eine Rückkehr in ihre Heimat in Syrien einfach nicht sicher. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die arabische Diplomatie, die russische Präsenz im Mittelmeer oder die zerrüttete Regierungsführung daran etwas ändern werden. Viele würden lieber wegbleiben, als in einem Syrien zu leben, das ihnen weder Sicherheit noch Brot auf dem Tisch garantiert." Und es haben längst noch nicht alle Syrer das Land verlassen!
Archiv: Prospect
Stichwörter: Syrienkrieg, Syrien

La vie des idees (Frankreich), 06.09.2023

In diesen Zeiten könnte es nicht schaden, mal wieder Gramsci zu lesen. Nicht so sehr, weil Linke Hoffnungen aus seinen Schriften ziehen könnten - die klassische Linke, die sich auf Gramsci bezog, ist verschwunden - , sondern weil Rechtsextreme es tun und von Gramscis Strategien lernen. Yohann Douet bespricht Romain Descendres und Jean-Claude Zancarinis "L'Œuvre-vie d'Antonio Gramsci", eine Art Werkbiografie, in der Gramscis Schriften ausführlich neu studiert werden. Es geht natürlich unter anderem um den Begriff der Hegemonie, den die Rechten so gern benutzen, und den hohen Stellenwert, den Gramsci der "Kultur" gab. Ein wichtiger Punkt ist auch Gramscis Opposition gegen Stalins katastrophale Politik der "Klasse gegen Klasse": "In diesem Zusammenhang wird auch Gramscis berühmte These erwähnt, dass es in Ländern mit einer komplexen Gesellschaftsstruktur (insbesondere mit einer entwickelten Zivilgesellschaft) wichtig sei, den politischen Kampf in Analogie zum 'Stellungskrieg' (langer Kampf um Hegemonie) und nicht zum 'Bewegungskrieg' (oder Frontalangriff) zu denken." Damit hätte sich Gramsci gegen die Ideen der Kommunistischen Internationale gestellt. Durch den Kampf um eine einer verfassungsgebende Versammlung seien mehr Menschen für eine neue Hegemonie zu gewinnen, "als es die Perspektive der sozialistischen Revolution (die jedoch das Endziel blieb) vermochte".
Stichwörter: Gramsci, Antonio

New Yorker (USA), 11.09.2023

Ross Douthat, nicht unumstrittener Kolumnist der New York Times, steht zwischen den zunehmend verhärteten Fronten von Konservatismus und Liberalismus, zeigt Isaac Chotiner in seinem Porträt eines Mannes, der sich selbst zwar eigentlich konservativ nennt, aber immer am Austausch mit und dem Verständnis von anderen Meinungen interessiert ist - auch wenn es sich dabei um Verschwörungstheorien handelt. "'Ich glaube, viele Menschen im Umkreis des New Yorkers oder der New York Times haben während der Trump-Zeit beschlossen, dass sie gar nicht wissen wollen, woher all diese Ideen überhaupt kommen. Es hat ihnen gereicht, dass sie schlecht waren. Ich glaube, man sollte sich schon bemühen herauszufinden, woher diese Theorien kommen.' Douthat wurde immer lebhafter; er lächelte breit und wedelte mit der rechten Hand in der Luft, um seine Aussagen zu unterstreichen. 'Was der Liberalismus - der Eliteliberalismus, wie auch immer Sie ihn nennen - nicht hat, ist eine Theorie der Überzeugungskraft.' Er hielt erneut inne. 'Deshalb bin ich vielleicht doch ein Liberaler, weil ich mich für diese Theorien der Überzeugungskraft interessiere.'" Laut Chotiner diskutiert Douthat lieber, warum eine Idee nicht funktionieren kann, als darüber, ob sie fehlgeleitet ist. "Zuvor hat er mir bereits erzählt, dass es 'ironischerweise die Bedeutung des Glaubens schwächen kann, wenn Kirche und Staat zu sehr miteinander verflochten sind, weil Religion von den Menschen so als korrupt oder zu involviert in die schmutzige Tag-für-Tag-Realität der Welt wahrgenommen wird'. Douthat überträgt diesen Pragmatismus manchmal auf seine Kritik an der Linken. 'Ich denke, es ist wichtig, dass die Leser des New Yorker erkennen, dass es sich hier um eine Aussage über Glaubenssysteme im Allgemeinen handelt, die nicht nur auf das katholische Christentum zutrifft', so Douthat, einen früheren Kommentar weiter ausführend. 'Wenn man an die Ansichten denkt, die mit Antirassismus und Wokeness und so weiter verbunden sind, zeigen sich die Grenzen dessen, was eine elitäre Form der Progressivität in der Breite der Bevölkerung erreichen kann, ohne einen Backlash vom Typus Ron DeSantis zu provozieren. Überzeugungskraft und Konsens sind sehr wichtig für Religion, für Politik, für Ideologie.'"

Weitere Artikel: Julian Lucas liest Mohamed Mbougar Sarrs Roman "Die geheimste Erinnerung der Menschen". Jennifer Egan erzählt von Obdachlosigkeit in New York und wie man ihr entkommt. Judith Thurman stellt die Homer-Übersetzerin Emily Wilson vor. Jill Lepore bespricht Walter Isaacsons Musk-Biografie. Carrie Battan hört Europop von Romy.
Archiv: New Yorker