Magazinrundschau

Republik der Buchstaben

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
16.01.2024. Eurozine erzählt am Beispiel einer chinesischen Dissidentin, wie man einen Menschen zu einem "freien Gefangenen" macht. Elet es Irodalom fragt sich, wie eine Demokratie ohne Demokraten funktionieren soll. Der New Yorker würde sich nicht wundern, wenn Benjamin Netanjahu auch in zwei Jahren noch regiert. La vie des idees erzählt, wie Emile Zola half, die Literatur in Europa zu institutionalisieren. Auch Martin Luther King wusste, dass systemischer Rassismus nicht mit Farbenblindheit verschwindet, erklärt Quillette. Der Guardian erzählt, wer heute einen Bauernhof kauft.

Eurozine (Österreich), 15.01.2024

Die tschechische Schriftstellerin und Journalistin Radka Denemarková, die aufgrund ihres Kontaktes zu chinesischen Dissidenten seit 2017 nicht mehr nach China einreisen darf, schildert in ihrem Essay das Schicksal einer jungen Chinesin, die sich in offenen Briefen, den tschechischen Widerstandskämpfer Václav Havel zitierend, gegen ihre Regierung wendete. Die Methoden Chinas gegen Dissidenten vorzugehen, sind dieselben, die man in der Tschechoslowakei in der Ära der Normalisierung anwendete, erklärt Denemarková. In diesem Fall, indem man die junge Frau zu einer "freien Gefangenen" machte, so wie man es damals auch mit Havel versuchte: "Die Ermittler der Zentralen Kommission für Disziplinaraufsicht der Kommunistischen Partei Chinas haben unvorstellbare Befugnisse. Sie sind so allmächtig wie die Tschekisten in Stalins UdSSR, die ihre eigenen Feindeslisten aufstellten…Niemand wagt es, Fragen zu stellen. Die junge Frau suchte keine globale politische Konfrontation. Ihr Kampf war ein privater Versuch, nicht im Kompromiss zu ertrinken. Jetzt gibt es kein Zurück mehr - auch nicht zu sinnlosen, verdeckten Diskussionen darüber, was geopfert werden muss, um etwas zu erhalten. Während sie im Gefängnis auf ihren Prozess wartete, wurde sie von der Universität verwiesen. Das Haus ihrer Eltern wurde durchwühlt: Persönliche Gegenstände, darunter das Klavier der Familie, Computer, Mobiltelefone, Lehrbücher und Notizen für ihre Dissertation über die Funktion der Schilddrüse wurden beschlagnahmt; es wurden keine Beweise für unrechtmäßiges Verhalten gefunden. Ihr Geld wurde beschlagnahmt und ihre Bankkonten geschlossen. Ihre Eltern zeigten sich reumütig. Sie distanzierten sich von ihrer Tochter. Jeder, der sie finanziell oder verbal unterstützte, riskierte das gleiche Schicksal. Die junge Chinesin stand allein da, belastet von der Freiheit, belastet von ihrer Vision von einem würdigen, lebenswerten Leben. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Das Gute beginnt in der Regel mit einem hoffnungslosen Unterfangen. Sie schrieb einen Brief wie Havel. Er befreite sie innerlich und katapultierte sie in die geistige Autonomie. Dann erlebte sie die paradoxe Verzweiflung der neuen Entlassung in die Absurdität des Lebens als freie Gefangene. Was für eine Art von Freiheit ist das? Sie wird von allen ausgeschlossen, offiziell als Feind gebrandmarkt."
Archiv: Eurozine

Elet es Irodalom (Ungarn), 12.01.2024

Der Publizist János Széky denkt über die Verantwortung der Demokraten in einer Demokratie nach und über das Fehlen von Demokraten in Ungarn. Die Antwort auf die Frage, warum die Ungarn eine Aushöhlung ihrer Demokratie durch Orban zugelassen haben, "liegt meines Erachtens darin, dass uns die Instrumente fehlten und fehlen, um Schurkerei, Verrat und politische Verleumdung zu erkennen. Ein zu großer Teil der politischen Öffentlichkeit weiß nicht, wie eine Demokratie aussieht, also kann es keine Demokratie geben. Abstrakter ausgedrückt: Timothy Snyders Buch über Tyrannei zeigt den Irrglauben auf, dass die Institutionen der Freiheit sich automatisch selbst verteidigen, sowie das falsche Vertrauen, dass die Kräfte, die die Freiheit beseitigen wollen, sich an die Spielregeln halten. Mitnichten! Die Institutionen der Freiheit, wie freie und faire Wahlen, Gewaltenteilung, eine freie Presse und die Organisation der Zivilgesellschaft, müssen mit ständiger Anstrengung, Wachsamkeit und Bewusstsein verteidigt werden. Von diesem Bewusstsein und dieser Anstrengung ist in Ungarn wenig zu spüren. Vielleicht schwächt der Durchbruch von allerlei Populismen zusammen mit der Entwicklung der Informationstechnologie die Position der Freiheit in der ganzen Welt auf fatale Weise. Aber 'wir Ungarn', um die vom ersten Mann des Landes so geliebte Wortbildung zu verwenden, geben bereits ein Beispiel."

New Yorker (USA), 22.01.2024

Wie geht es mit Israel weiter, fragt sich David Remnick, der seit dem 7. Oktober mehrfach in das Land gereist ist und mit vielen Parlamentariern, Intellektuellen und Militärs über die Hamas, mögliche Lösungen des Gazakonflikts und vor allem über Regierungsoberhaupt Benjamin Netanjahu gesprochen hat, der seit 2009 fast durchgängig an der Macht ist. Auch, wenn die Zustimmung zu ihm in der Bevölkerung schwindet, sollte man ihn nicht vorzeitig abschreiben, erfährt Remnick: "Wenn der Krieg einen Gang runterschaltet und weniger dynamische Ebene erreicht, werden tausende Reservisten, die in den Protesten zur Justizreform aktiv waren und jetzt in Gaza kämpfen, an Demonstrationen gegen die Regierung teilnehmen. 'Sie werden nach Hause kommen, duschen und dann auf die Straßen gehen', vermutet der frühere Ministerpräsident Yair Lapid. 'Es sind gute, hart kämpfende Israelis, die aber höllisch wütend sind auf Netanjahu und die Bande an Verrückten, mit der er sich umgibt.' Fast alle meine Quellen fügen hinzu, dass es, auch wenn Netanjahu in handfesten politischen Schwierigkeiten steckt und ein Misstrauensvotum oder Neuwahlen schon diesen Sommer befürchten muss, unklug wäre, nicht mit ihm zu rechnen. (…) Seine Listigkeit, wenn es darum geht, Koalitionen und Bündnisse zu bilden, ist in der israelischen Politik unerreicht und hat nur noch neue Höhen erreicht, als er seine Prinzipien über Bord geworfen und sich mit Leuten wie Ben-Gvir und Smotrich verbündet hat." Auch mit amerikanischen Beratern hat Remnick gesprochen, so zum Beispiel mit Aaron David Miller: "'Der politische Narzissmus, der Netanjahus Karriere insbesondere im letzten Jahrzehnt ausmachte, ist beeindruckend. Die Schwierigkeiten, mit denen Israel konfrontiert ist, sind unvorstellbar, und trotzdem fügt der Regierungschef jeder Entscheidung eine Fußnote an: Was bedeutet das für meine politische Karriere und meine Freiheit?'"

Weitere Artikel: E. Tammy Kim schickt eine Reportage über den Versuch in Oregon, Drogen zu entkriminalisieren. Leslie Jamison erzählt, wie sie sich nach der Geburt ihres Kindes von ihrem Mann entfremdete. Louis Menand überlegt mit David Bellos und Alexandre Montagu, ob AI der Tod des Copyrights ist. Rivka Galchen liest Marion Gibsons Buch über Hexenverfolgung. James Wood bespricht Hisham Matars Roman "My Friends". Carrie Battan sah Jacqueline Novaks Netflix-Komödie "Get on Your Knees" über die erforderlichen Fertigkeiten für einen Blowjob. Und Inkoo Kang amüsiert sich mit neuen Folgen der HBO-Serie über "True Detective" Jodie Foster.
Archiv: New Yorker

Meduza (Lettland), 12.01.2024

Im Meduza-Gespräch mit Eilish Hart spricht der ehemalige belarussische Präsidentschaftskandidat Andrei Sannikov über die Notwendigkeit, zuerst Lukaschenko loszuwerden, um an Putin heranzukommen. "Ich befürchte sehr, dass Belarus zu einem Druckmittel wird. Und was Swetlana Tichanowskaja betrifft, so ist sie leider nicht die starke Führungspersönlichkeit, die sich dem entschlossen entgegenstellen würde. Deshalb müssen wir uns darauf konzentrieren, unsere Unabhängigkeit zu bewahren und nicht zuzulassen, dass unser Land als Druckmittel bei, sagen wir, 'unter dem Tisch'- oder 'auf dem Tisch'-Vereinbarungen benutzt wird. Aber es ist wichtig, Belarus in die Sicherheitsverhandlungen einzubeziehen. Ohne ein demokratisches Belarus kann man die Sicherheitsgarantien für die Ukraine vergessen, denn unser Land wird immer ein Sprungbrett für Russland sein. Nach einer kurzen Pause wird sich Russland wieder für eine noch umfassendere Intervention in Europa mobilisieren und sich dabei nicht auf die Ukraine beschränken. Ich denke, es ist richtig, dass der Sieg der Ukraine Belarus der Freiheit näher bringen wird, und wahrscheinlich wird das Regime fallen. Mein Vorschlag, den ich gerade mit unseren Freunden im Ausland bespreche, ist, mit Belarus zu beginnen: Helfen Sie uns, Lukaschenkos Regime loszuwerden, und es wird einfacher sein, mit Putin zu verhandeln."
Archiv: Meduza
Stichwörter: Belarus

La vie des idees (Frankreich), 15.01.2024

Die Zola-Experten Aurélie Barjonet und Timo Kehren decken im Gespräch mit Ivan Jablonka eine nicht so bekannte Seite des französischen Romanciers auf. Dieser war nämlich nicht zuletzt auch ein Marketingstratege: " Émile Zola, der von seiner Feder leben wollte und früher Werbeleiter bei Hachette war, erkannte schnell die Bedeutung dieses internationalen Marktes, der ihm auch die Möglichkeit bot, Nachahmer zu finden und - was noch wichtiger war - zur Institutionalisierung der Literatur in vielen Ländern beizutragen. Mit seinen Übersetzungen wollte er nicht nur Geld verdienen, sondern auch eine gewöhnliche Leserschaft erreichen, nicht nur die Elite, die ihn in sehr vielen Ländern auf Französisch lesen konnte… Während Zola keine Fremdsprache sprach, verwaltete er ab 1881 seine Rechte im Ausland allein, obwohl er befreundete Schriftsteller hatte, die ihm halfen, wie George Moore (der die Herausgabe seiner Werke auf Englisch förderte), Ivan Turgeniev (der unter anderem dafür sorgte, dass 'Au Bonheur des Dames' an eine russische Zeitschrift verkauft wurde), Ivan Franko (der seine Werke selbst ins Ukrainische oder Polnische übersetzte) oder Clarín (der Travail ins Spanische übersetzte). Er hatte sogar 'Agenten' wie Ernst Ziegler für die deutschsprachige Welt. Dieser internationale Erfolg ist den Literaturwissenschaftlern zwar bekannt, insbesondere seit der Veröffentlichung von Zolas Korrespondenz und des 'Dictionnaire des naturalismes' (herausgegeben von Colette Becker und Pierre-Jean Dufief im Jahr 2017), doch man tut sich noch schwer damit, sich ein konkretes Bild von der Verbreitung von Zolas Werk zu machen. Kurzum, während die naturalistische Bewegung oft als antiliterarisch angesehen wird, insbesondere weil sie mit den vorherrschenden Ästhetiken brach, knüpfte sie in Wirklichkeit - durch die literarische und kulturelle Zirkulation, die sie hervorrief - an das wiedergeborene Ideal der Republik der Buchstaben an."

Quillette (USA), 15.01.2024

Der vor 95 Jahren ermordete schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King war überzeugt, dass ein Mensch nicht nach seiner Hautfarbe beurteilt werden sollte, sondern nach seinem Charakter. Er hoffte, die Welt würde mit der Zeit und durch moralische Überzeugungskraft farbenblind werden. So gesehen scheint klar, dass er heute ein Gegner der Critical Race Theorie wäre, für die die Hervorhebung der Hautfarbe entscheidend ist, um "systemischen Rassismus" zu bekämpfen, richtig? Ganz so einfach ist es nicht, meint John R. Wood Jr. in einem Essay für Quillette. King erkannte schnell die Schwachstellen seiner These: "Obwohl die Aufhebung der Rassentrennung in Schulen und öffentlichen Unterkünften sowie die Garantie des Wahlrechts wichtige Errungenschaften waren, kamen diese Verbesserungen ausschließlich den schwarzen Amerikanern im Süden zugute, wo Jim Crow herrschte. Die Probleme leistungsschwacher Schulen, der Polizeigewalt und vor allem der Armut, unter der schwarze Stadtteile wie Harlem, Chicago und Watts litten, blieben von diesen politischen Errungenschaften unangetastet. Die wirtschaftliche Gleichstellung erwies sich als besonders schwer zu erreichen. Diejenigen Verbündeten in der Regierung und unter prominenten weißen Amerikanern, die die Bürgerrechtsbewegung unterstützt hatten, als ihr Schwerpunkt auf den bürgerlichen Freiheiten lag, erwiesen sich als weniger loyal, sobald sich der Schwerpunkt auf die Wirtschaft verlagerte. ... In einer Rede auf der Jahrestagung der Rabbinical Assembly im Jahr 1968 kritisierte Dr. King die frühere Tendenz der Bürgerrechtsbewegung - und vielleicht lag darin auch eine implizite Selbstkritik -, über Integration allein in 'ästhetischen oder romantischen Begriffen' zu sprechen. Eine solche Herangehensweise, so reflektierte Dr. King, 'endete damit, dass man einer immer noch überwiegend weißen Machtstruktur lediglich Farbe hinzufügte'. Bemerkenswerterweise befürwortet Dr. King in dieser Rede zum Teil die Art von strategischer Segregation, die von der aufkommenden Black-Power-Bewegung als Mittel für eine sinnvollere Integration, 'bei der die Macht geteilt wird', in vollem Umfang übernommen werden sollte. Dr. King beschreibt die Segregation in bestimmten Fällen als 'eine vorübergehende Zwischenstation auf dem Weg zu einer wirklich integrierten Gesellschaft'. Eine solche Segregation war gewiss nicht das Endziel; das machte Dr. King deutlich. Dennoch war er gegenüber traditionellen Ansätzen zur Aufhebung der Rassentrennung misstrauisch geworden, nachdem er Schulen und Lehrervereinigungen erlebt hatte, in denen 'der Neger ohne Macht integriert ist' - in denen schwarze Lehrer und Gemeindeleiter die herausragenden Positionen und den Einfluss verloren, die sie in ihren zuvor segregierten Einrichtungen genossen hatten."
Archiv: Quillette

Desk Russie (Frankreich), 13.01.2024

Jean-Pierre Chevènement ist wahrlich kein Politiker, den man in Deutschland kennen müsste. Er hatte seine große Zeit als Minister unter Mitterrand und vertrat jene eigenartige Mischung aus doktrinärem französischen Nationalismus und betonlinker Ideologie, die heute zum Beispiel auch seinen Konkurrenten Jean-Luc Mélenchon auszeichnet (bei dem noch ein tief sitzender Antisemitismus hinzukommt). Vincent Laloy porträtiert Chevènement in seiner Reihe über den russischen Einfluss in Frankreich nicht so sehr um seiner selbst willen, denn seine Zukunft hat der bald 85-Jährige hinter sich, aber weil er jüngere Politiker beeinflusst hat. Es ist dieselbe Mischung aus Amerikahass und süßlicher Russophilie, die in Deutschland auch viele Sozialdemokraten auszeichnet. Hinzu kommt ein Element, das die Deutschen in ihrer von ihren einstigen Wirtschaftserfolgen vernebelten Arroganz oft übersehen haben: Chevènements Hass auf Deutschland. "Es ist verblüffend zu lesen, was er 1980 über die damals unmögliche Wiedervereinigung Deutschlands vorbrachte, die laut seinem Orakel 'eine viel gefährlichere Bedrohung für Frankreich wäre als die einer sowjetischen Aggression'. Im selben Jahr mahnte er auf dem Parteitag der Sozialistischen Partei die Blockfreiheit Frankreichs an, kurzum, er schlug sich auf die Seite sowjetischer Bestrebungen: 'Die UdSSR spielt eine Rolle als Gegengewicht zu den USA, wie sie es auch gegenüber Deutschland gespielt hat.' Er hasste Deutschland so sehr, dass er in einer Debatte mit Außenminister Joschka Fischer am 21. Mai 2000 festhielt, Deutschland habe sich 'noch nicht von der Entgleisung, die der Nationalsozialismus in seiner Geschichte war, erholt'."
Archiv: Desk Russie

Guardian (UK), 15.01.2024

Bella Bathurst besucht gemeinsam mit Heather Wildham eine Reihe britischer Bauernfamilien. Wildham arbeitet als Beraterin und versucht gemeinsam mit den Betroffenen verfahrene Situationen im Landwirtschaftsbetrieben wieder einzurenken. Viele Bauern denken derzeit darüber nach, ihren Hof zu verkaufen, insbesondere die Suche nach Nachfolgern gestaltet sich oft als schwierig. Insgesamt jedoch ist das Bild vielschichtig: "20-25 Prozent aller Verkäufe britischer Höfe werden von der Savills-Agentur abgewickelt. Die Firma und auch ihre Kontrahenten beharren darauf, dass sich weder die Anzahl der Höfe auf dem Markt, noch die Gesamtfläche an Agrarland, die zum Verkauf angeboten wird, signifikant verändert haben. Die einzige Veränderung, so Savills, besteht darin, wer die Käufer sind. Früher wurde mindestens jeder zweite Hof von Bauer zu Bauer verkauft. Heute jedoch werden Bauern, die einst Interesse gezeigt haben würden, in einigen Regionen von Leuten 'von außen' um ein Vielfaches überboten. Die Höfe nahe der Schottischen Grenze, die derzeit auf dem Markt sind, werden vermutlich von Firmen und Investoren gekauft werden, die Land erwerben, um es zwecks Karbonhandel mit Bäumen zu bepflanzen, von Hobbybauern, die ihr Geld anderswo verdient haben und sich nun selbst verwicklichen wollen, von Privatleuten, die das wilde Moor lieben, von Spekulanten, die auf Baugenehmigungen für Wohnhäuser oder Windturbinen hoffen. Wenn große Gebiete auf den Markt kommen, schlagen oft Leute zu, die Land als eine Art Geldanlage verstehen: Forstbetriebe, Baubranche, Sportveranstalter, Käufer, die dem Land nie näher kommen werden als mittels eines mit einer Drohne aufgenommenen Verkaufsvideos. Kaum jemand von diesen Leuten wird das Land landwirtschaftlich nutzen. Wenn überhaupt, werden sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit andere Leute anstellen, um die Arbeit zu verrichten."
Archiv: Guardian
Stichwörter: Landwirtschaft

HVG (Ungarn), 11.01.2024

Der Dramatiker und Dramaturg István Tasnádi unterhält sich mit Zsuzsa Mátraházy u.a. über die Nutzung des kleinen Vorsprungs des Theaters gegenüber der künstlichen Intelligenz: "Die Menschen sind nicht darauf angewiesen ins Theater gehen, wenn sie etwas erleben wollen. Sie können sich alle möglichen Inhalte auf allen möglichen Plattformen ansehen, darunter auch viel spektakulärere, wendungsreichere Sachen. Noch dazu können sie diese Aktivität unterbrechen und zwischendurch ausgehen. Das Theater ist in dieser Hinsicht ein unangenehmer Ort, denn man muss sein Zuhause verlassen und während des Spiels an einem Ort sitzen bleiben. Aber wenn Sie schon diese Unannehmlichkeit auf sich nehmen, erwarten Sie zumindest, dass Sie von den Leuten auf der Bühne ernst genommen werden. Und dass sie einen unterhaltsamen, dramatischen, verschlungenen, theatralischen Abend erleben, der zusammenfasst und zu analysieren versucht, was auch das Publikum belastet, beunruhigt oder in ein Dilemma bringt. Das Theater ist die letzte lebende Kunstform, die wohl noch etwas länger nicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden kann. In dieser Zeit sollten wir so vernünftig sein, im gemeinsamen Raum Geschichten zu erzählen, die alle interessieren und berühren. Deshalb ist es wichtig, dass die freien Theater atmen können."
Archiv: HVG

Unherd (UK), 15.01.2024

Unherd präsentiert Oleksij Arestowytsch, den ehemaligen Sprecher von Wolodimir Selenski, als dessen möglichen Herausforderer. Im Gespräch mit Freddie Sayers kritisiert Arestowytsch seinen einstigen Chef deutlich. Er sieht Putin in einer wesentlich besseren Position als nach seiner schwachen Offensive zu Beginn des Kriegs - Erfolg habe Putin besonders mit seinem Werben um den "globalen Süden". Oleksij Arestowytsch schlägt für die Ukraine eine andere Strategie vor: "Für mich besteht einer der Hauptfehler von Präsident Selenski darin, mit einem emotionalen Argument an den Westen zu appellieren. Wir werden diese Politik ändern müssen. Wir müssen einen Taschenrechner zwischen uns und den kollektiven Westen stellen und anfangen zu denken: Wie sehen die wirklichen Profitberechnungen aus? Für die Vereinigten Staaten geht es vor allem um die Titan- und Lithiumindustrie, an der sie in der Ukraine sehr interessiert waren, aber davon sehe ich nichts. Wir müssen anfangen, für den Westen interessant zu sein, nicht nur in Bezug auf Werte, Ideen und Demokratie, sondern auch in Bezug auf materiellen Gewinn. Was könnte der Westen von einer Partnerschaft zwischen der Ukraine und dem Westen gewinnen? Ich meine Industrie. Ich meine Landwirtschaft. Wir müssen ausrechnen, was wir tun können, um für den gesamten Westen einen echten Gewinn zu erzielen. Es ist nicht nur der Westen - es gibt Staaten in Osteuropa wie Polen, die Tschechische Republik und Rumänien, die genau verstehen, was diese russische Invasion bedeutet. Sie haben die gleiche Geschichte und das gleiche Verständnis wie die Ukraine. Wir kooperieren in Bezug auf Produktion oder militärische Ausrüstung nicht genug mit diesen nahen Nachbarn."
Archiv: Unherd

Projekt (Russland), 20.12.2023

Wladimir Putin umgibt sich gerne mit klugen Köpfen - so suggerieren es Kreml-nahe Medien. In einer investigativen Recherche deckt das russische Investigativmagazin Projekt auf, dass es hierbei nicht mit rechten Dingen zugeht: die meisten Experten werden vom Kreml bezahlt. Und der Westen spielt bei den seit 2004 jährlich stattfindenden Treffen des vom Moskauer Institut für Internationale Beziehungen gegründeten Valdai-Clubs auch noch mit. "Mit dem Beginn von Putins dritter Amtszeit im Jahr 2012 begann sich der Valdai-Club dramatisch zu verändern. Es war offensichtlich, dass Putin nicht mehr an geselligem Beisammensein interessiert war, und sei es nur zur Show. 'In den ersten Jahren wurden 40-50 Personen eingeladen, aber mit der Zeit wurde die Zahl der Teilnehmer immer größer, und Putin schien mehr daran interessiert zu sein, von der Bühne aus zu sprechen als zu diskutieren', erinnert sich Daniel Treisman, Professor an der University of California, Los Angeles, als Gast des Valdai-Clubs. Diese Langeweile gipfelte in einer regelrechten Show bei dem Treffen des Valdai-Clubs 2013. In der Vergangenheit hatten die Gäste zunächst an mehrtägigen Diskussionen teilgenommen, die mit einem privaten Treffen mit Putin endeten. Dieses Mal wurde das Treffen gleich im Fernsehen übertragen, und alle Teilnehmer des Forums, etwa 250 Personen, waren eingeladen, darunter sogar Vertreter der russischen Opposition wie Wladimir Ryschkow. Ryschkow stellte auf Anregung von Putin selbst (der Präsident nannte ihn 'Wolodja') eine Frage zum Schicksal der in den Fall des Bolotnaja-Platzes verwickelten Personen. Der Präsident versprach vor laufender Kamera, eine Amnestie zu erwägen, die genau drei Monate später gewährt wurde. Seitdem hat es keine geschlossenen Sitzungen mit Experten mehr gegeben, und der Valdai-Klub ist eher zu einer weiteren Pressekonferenz des Präsidenten geworden."
Archiv: Projekt
Stichwörter: Putin, Wladimir, Valdai Club

The Verge (USA), 08.01.2024

Wer im Netz stattfinden (und also auch: im Netz Geld verdienen) will, muss von Google gefunden und vor allem auf prominenten Plätzen bei Suchanfragen ausgespielt werden. Auch deshalb ist SEO - Suchmaschinenoptimierung, um für Google möglichst attraktiv zu werden - seit vielen Jahren ein Berufszweig für sich. Blöd nur, dass Google seine Rankingmethoden immer wieder umschmeißt - trotz allen Beteuerungen des Konzerns, man solle Informationen im Netz für Menschen und nicht für Suchmaschinenalgorithmen schreiben, um gut gelistet zu werden, führt dies in regelmäßigen Abständen zu neuen Moden im Netz, schreibt Richard Parry. Aufwändige Websitengestaltungen etwa fielen einem Algorithmus-Update zum Opfer, das vor allem einen schlanken Fuß zwecks Usability bevorzugt. Die Art und Weise, wie Wissen im Netz aufbereitet und präsentiert wird, wird dadurch zumindest indirekt von Google vorgegeben. "Im Dezember 2022 aktualisierte Google seine Metriken zur Qualitätsbemessung des Inhalts, den es bei Suchanfragen ausspielt. Zuvor hielt die Firma nach Expertise, Autorität und Vertrauenswürdigkeit Ausschau - nun aber sagt sie, dass sie Erfahrung als Wert ihrem Ratingsystem hinzugefügt hat. ... Erfahrung unter Beweis zu stellen, soll dem Publikum nach Google-Standards aufweisen, dass die Person, die den Inhalt produziert hat, in irgendeiner Hinsicht eine Teilhabe am besprochenen Themenkomplex aufweist. ... Versuche, 'Erfahrung' zu beweisen, stechen rasch ins Auge: Auf CNET weisen Autorenprofile Unterpunkte auf, die ganz buchstäblich mit 'Expertise' und 'Credentials' überschrieben sind. Zuvor begann die New York Times damit, einigen Geschichten erweiterte Autorenzeilen beizufügen. Eine vor kurzem veröffentlichte Recherche über Kanye Wests Geschäfte mit Adidas wird so eingeordnet: 'Für diesen Artikel reiste Megan Twohey nach Portland und Los Angeles, interviewte aktuelle und frühere Angestellte von Adidas und Kanye West und gelangte an Hunderte bislang unveröffentlichter interner Dokumente.' Die Times erzählten Nieman Lab zwar, dass diese Veränderung nicht von Googles Update motiviert war, aber es ist einfach genau dieses Signal von Vertrauenswürdigkeit, das Google mag. Das Problem dabei ist natürlich, dass sich jeder ein Autorenprofil aufsetzen kann, in dem er Jahre von Fachkenntnis verspricht - aber zu schreiben, dass man ein Experte ist, macht es noch nicht wahr. Im November wurde Sports Illustrated dabei ertappt, dass sie Artikel veröffentlichten, die von KI-generierten Autoren stammen, komplett mit spezifischer biografischer Information und was sie so in ihrer Freizeit gerne tun."
Archiv: The Verge