Jean-Pierre Salgas
bespricht Kora Vérons große
Biografie über einen Klassiker des Postkolonialismus und Miterfinder der Idee der "Négritude": "
Aimé Césaire - Configurations". Dabei stellt er auch das inzwischen berühmte
Holocaust-Zitat Césaires in den Kontext, das hier mal in aller Ausführlichkeit wiedergegeben wird. Es ist ein Urdokument jener Opferkonkurrenz, die spätere Diskurse über den Holocaust vergiftet - Césaire behauptet, der Holocaust würde nur als besonders schlimmes Verbrechen wahrgenommen, weil er ein Verbrechen
von Weißen an Weißen sei. Weniger bekannt ist in der deutschen Debatte, dass Césaire damit quasi die
offizielle Position der Kommunistischen Partei vertrat, deren Abgeordneter er war. Ganz liest sich das Zitat über den Nationalsozialismus so: "Ja, es würde sich lohnen, das Vorgehen Hitlers und des Hitlerismus präzise im Detail zu studieren und dem sehr vornehmen, sehr humanistischen, sehr christlichen Bourgeois des 20. Jahrhunderts zu offenbaren, dass er
einen Hitler in sich trägt, von dem er nichts weiß, dass Hitler in ihm wohnt, dass Hitler sein Dämon ist, dass es
nur unlogisch ist, wenn er ihn schmäht, und dass, was er Hitler nicht verzeiht, nicht das Verbrechen an sich ist, das Verbrechen gegen den Menschen, die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern dass dieses Verbrechen gegen den
weißen Mann verübt wurde, dass der weiße Mann erniedrigt wurde, und dass er auf Europa die
kolonialistischen Verfahren angewandt hat, die bisher nur auf die Araber in Algerien, die Kulis in Indien und die Neger in Afrika angewandt wurden." Dieses Zitat, so Salgas, stand in einer Broschüre, für die der KP-Grande
Jacques Duclos das Vorwort schrieb. Erst 1956 wandte sich Césaire, wie so viele, vom Stalinismus ab.
Frankreich gedachte am Wochenende des
17. Oktober 1961. An diesem Datum hat die Pariser Polizei ein Massaker an
demonstrierenden Algeriern angerichtet. Polizeichef war der schon in der Vichy-Zeit berüchtigte Kollaborateur
Maurice Papon. Pierre Benetti und Pierre Tenne
unterhalten sich mit
Jim House, Autor eines neu aufgelegten Buchs zu diesen Geschehnissen. Auch in Algerien wurde des Massakers erst spät gedacht, weil die französische Sektion des FLN, die die niedergeschlagene Demo an diesem Tag organisiert hatte, nach der Unabhängigkeit internen Purifizierungen zum Opfer fiel: "Es ist wichtig zu verstehen, dass sich die ehemaligen Akteure der Französischen Föderation des FLN in der algerischen Gesellschaft
marginalisiert und ausgeschlossen fühlen. Zugleich kehrten viele Algerier nach der Unabhängigkeit zurück, blieben in Frankreich oder wechselten hin und her. Heute gilt der 17. Oktober 1961 in den Medien als eines der Schlüsseldaten des Krieges; dieser Status wurde jedoch erst spät erlangt und geht auf die politischen Debatten in Frankreich zwischen 1980 und 2000 zurück. Der Stellenwert der algerischen Einwanderung im Kampf um die Unabhängigkeit wurde allmählich besser anerkannt, und damit auch der 17. Oktober 1961."