Magazinrundschau - Archiv

Telerama

71 Presseschau-Absätze - Seite 3 von 8

Magazinrundschau vom 17.03.2015 - Telerama

Für den Historiker Pierre-Jean Luizard ist der IS deshalb auf dem Vormarsch, weil die Völker des Nahen Ostens sich nicht länger der postkolonialen Ordnung beugen wollen, erklärt er in einem Gespräch. In seinem jüngsten Buch "Le Piège Daech" kommt er zu dem Schluss, dass die betreffenden Staaten keine Zukunft hätten und der Westen seine diplomatischen und militärischen Strategien überdenken und sich politisch engagieren müsse, um der IS-Falle zu entgehen. So habe sich die schiitische irakische Armee in Mossul als Besatzungsmacht aufgeführt. "Es war eine Phantomarmee, die, bevor sie verschwand, die Stadt lokalen Clans überließ, die die Korruption ins Unermessliche trieben. Als der IS einige dieser Korrupten enthauptet und gekreuzigt hatte, konnte die Bevökerung feststellen, dass die Lebensmittelknappheit verschwunden war. Die Märkte wurden wieder beliefert, die Preise halbierten sich ... Die Passivität der Bevölkerung Mossuls hat sich schnell in einen Beitritt zu einem Staat islamischen Rechts verwandelt, der einen Unrechtsstaat ersetzte. Ich rechtfertige die Islamisten nicht, aber wenn man einen Gegner zu verteufelt, bringt man sich darum, seinen Erfolg zu verstehen."

Magazinrundschau vom 10.03.2015 - Telerama

Historiker sollten viel undisziplinierter sein, meint der Mittelalter-Historiker Patrick Boucheron in einem Gespräch über die heutigen Anforderungen seines Fachs. Dazu gehört für ihn unbedingt, es auch in der heutigen Gesellschaft wahrnehmbar zu machen: "Sich für die republikanischen Werte wie den Laizismus oder die Meinungsfreiheit einzusetzen, wird zwar als Dringlichkeit empfunden. Doch um sie an der Schule wirksam zu verfechten, das heißt, sich gegen diejenigen zu rüsten, die sie in Frage stellen, ist es besser, in der Kritik dieser Werte geschult zu sein. Beispielsweise zu verstehen, dass das Erbe der Aufklärung eher eine ganze Sammlung an Problemen als an Gewissheiten darstellt, dass die Pressefreiheit im 18. Jahrhundert sofort in Spannung zu der Notwendigkeit gedacht wurde, den öffentlichen Raum gegen Verleumdung zu schützen. Kritisieren bedeutet nicht verwerfen. Sondern die Geschichte unseres Glaubenssockels zu Tage zu fördern und daran zu erinnern, dass diese Glaubensgrundsätze soziale Konstruktionen sind und immer auch komplex und widersprüchlich. Das hindert nicht daran, sie anschließend zu verteidigen, eher im Gegenteil."

Magazinrundschau vom 03.03.2015 - Telerama

Es gibt nicht die eine richtige Art und Weise, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu denken, erklärt die Politikwissenschaftlerin Camille Froidevaux-Metterie in einem Gespräch über ihren Essay "La Révolution du féminin". Darin vertritt sie die provokante These, der Feminismus habe die Frauen wirklichkeitsfremd werden lassen. In der westlichen Welt sei es obsolet geworden, weiterhin von einer Dominanz der Männer zu sprechen: "Nun bleiben laut der zeitgenössischen feministischen Theorie die Frauen aber dominierte Subjekte. Sie hat den Kampf sogar auf alle Herrschaftsbeziehungen ausgeweitet, indem sie Geschlecht, Klasse und Rasse miteinander verknüpft: Frauen sind demnach eingeschlossen in ein gigantisches Kollektiv, das alle Unterdrückten zusammenfasst. Dadurch hat der Feminismus seinen anfänglichen Gegenstand aus dem Blick verloren. Er bringt mit einem verwunderlichen Taschenspielertrick das weibliche Subjekt selbst zum Verschwinden..."

Magazinrundschau vom 24.02.2015 - Telerama

Der Islam werde verkannt, sowohl von den Muslimen selbst als auch von anderen, erklärt der französische Rapper, Autor und Filmemacher Abd Al Malik im Gespräch mit Juliette Bénabent und Fabienne Pascaud. Malik hat einen Monat nach den Pariser Attentaten jetzt eine "Bittschrift" mit dem Titel "Place de la République, pour une spiritualité laïque" vorgelegt, die im gleichen Verlag wie einst Stephane Hessels "Indignez-vous" erschien. Der Islam dürfe nicht länger Quelle von Missverständnissen sein und die Republik solle sich um alle ihre Kinder kümmern. Sein Plädoyer: "Wir brauchen Pädagogik, Sendungen, die entschlüsseln und bilden statt Konflikte zu schüren. An öffentlichen Schulen sollten alle Religionen unterrichtet und in die französische Alltagskultur integriert werden. Warum nicht die Texte der großen Persönlichkeiten des Islam lesen? … Den Islam als Spiritualität neu zu würdigen, ist das beste Mittel, um den Fundamentalismus zu bekämpfen."

Magazinrundschau vom 10.02.2015 - Telerama

In zwei Artikeln geht Telerama dem Thema Laizismus nach. Unter der Überschrift "Von 1905 bis Nach-Charlie - Laizismus außer Rand und Band" plädiert Julitte Cerf für ein neuerliches Nachdenken über den Begriff. Das Gesetz von 1905, das Gläubigen und allen anderen ein friedliches Zusammenleben ermöglichen sollte, habe sich eindeutig in die andere Richtung entwickelt. "Inzwischen ist das Gegenteil der Fall: Obwohl der Laizismus in seinem Kern die Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben schützen sollte, dient er heute der Kontrolle beziehungsweise dem Verbot. Man ist von einem rechtsstaatlichen Prinzip - einer Verteidigung der Freiheit mit dazugehörigen Rechten und Pflichten - zu einer Durchsetzung von Werten übergegangen - einer Vorstellung des Guten, einer Daseinsform. "Damit beschneidet man die Religion im Namen dessen, was ihr ihre Freiheit zusicherte", fasst es der Jurist [Vincent Valentin] zusammen."

Im zweiten Text beschäftigt sich Lucas Armati in seiner Reportage mit der "Unbestimmtheit" des Begriffs in Tunesien; die Verfassung von 2014 schreibe zwar den zivilen Charakter des tunesischen Staates fest, der gleichzeitig jedoch auch angehalten ist, "das Heilige zu schützen" - eine riskante Zweideutigkeit.

Magazinrundschau vom 03.02.2015 - Telerama

Emmanuelle Skyvington unterhält sich mit Abdel Merah, dem Bruder von Mohamed Merah, der vor drei Jahren in Toulouse sieben Menschen ermordete. Abdel Merah geht darin auf die fundamentale Rolle ein, die Erziehung, Schule und Zuhause spielen, damit aus harmlosen Jungs keine "Gotteswahnsinnigen" werden. "Man muss allen immer und immer wieder die republikanischen Werte des Teilens und des Zusammenlebens nahebringen. Wenn man feststellt, dass ein Familienmitglied einer radikalen Doktrin anhängt, sollte man keine Angst davor haben, das auszusprechen. Die Tatsache, auf einem Nährboden des Hasses und der Ablehnung anderer aufgewachsen zu sein - so wie ich - entschuldigt nicht, abzugleiten und ganz gewiss keine Terrorakte. Auch nicht, wenn man wie die Brüder Kouachi elternlos groß wurde. Denen, die meinen Bruder gelegentlich idealisieren, sage ich: Aber schaut euch an, was aus ihm geworden ist! Er hat sich indoktrinieren lassen für eine Sache, die weder Hand noch Fuß hat, er hat Leben zerstört und ist tot! Und immer wieder sage ich ihnen: Bleibt Herren eures Hirns!"

Magazinrundschau vom 27.01.2015 - Telerama

Vincent Remy unterhält sich mit dem Philosophen Abdennour Bidar, der bereits im Oktober einen offenen Brief an die islamische Welt geschrieben hat. Darin plädiert erfür Selbstkritik und Reformen. Bidar hält einen humanistischen Islam, der die Menschrechte respektiert, für möglich. Auf die Frage, ob es in Frankreich etwas zu viel soziologische als philosophische Anstrengungen zum Thema gebe, antwortet er: "Zu viel einer differenzialistischen Anthropologie. Sie zwingt zu Relativierungen und macht uns unfähig, das Universelle zu sehen. Diese Universalität habe ich doch nicht erfunden. Ich habe in der westlichen Ideengeschichte und in meiner islamischen Kultur - Geschichte, Philosophie, Theologie - nach konkreten Hinterlassenschaften gesucht, die uns behilflich sind, Denkfiguren des Universellen zu bilden. Wir müssen diesen schädlichen Skeptizismus aufgeben, der uns gegenseitig gettoisiert."

Magazinrundschau vom 20.01.2015 - Telerama

Mit einem offenen Brief an ihre Schüler reagiert die Literaturlehrerin eines Pariser Lycées auf die Ereignisse letzter Woche in Paris. Fanny Capel versucht darin, ihnen Werkzeuge zur Verteidigung der Werte der Aufklärung - "sich Zeit lassen, beobachten, vergleichen, lösen, kritisieren, sich äußern" - an die Hand zu geben. Jeder spreche im Namen des Koran, aber wer habe ihn schon ganz gelesen? "Wer kann sich anmaßen zu behaupten, ihn in seiner Gänze zu beherrschen, obwohl sich häufig selbst Gelehrte, die ihn ihr ganzes Leben lang Punkt für Punkt durchgegangen sind, über die Bedeutung bestimmter Passagen uneinig sind (das Gleiche gilt natürlich für alle religiösen Texte)? Wer kann sich anmaßen, den Propheten zu "rächen", als könne sich der Prophet (ganz zu schweigen Gott selbst!) nicht selbst verteidigen? Findet ihr das nicht unglaublich überheblich von diesen angeblichen "Gläubigen", die zur Waffe greifen, um ihm Namen ihres Gottes zu töten?"
Stichwörter: Frankreich, Islam

Magazinrundschau vom 23.12.2014 - Telerama

Das politische System Frankreichs lässt Antisemitismus nicht passieren, meint der französische Soziologe Michel Wieviorka. Trotz aufblühender Vorurteile, die sich übers Internet verbreiteten, und zunehmender Gewaltakte ist für ihn dennoch der entscheidende Punkt: "Heutzutage verkörpert sich Antisemitismus nicht in einer politischen Macht. Randfiguren wie Alain Soral ou Dieudonné haben in der Gesellschaft zwar ein gewisses Gewicht, doch die Republik wehrt sich. Vor fünfzehn, zwanzig Jahren verhielt der Front National sich in seiner Aufstiegsphase als Vektor dieses Gedankenguts. Heute muss er, um seinen Durchbruch fortzusetzen, diese Auffassungen abwerfen, zumindest offiziell, weil unser politisches System undurchlässig gegenüber Antisemitismus ist. Der Staat, ich wiederhole es noch einmal, bekämpft ihn unerbittlich."

Magazinrundschau vom 02.12.2014 - Telerama

Der Radio France International-Reporter David Thomson analysiert für Télérama einige Videos der IS-Miliz, um ihren Kommunikationsstrategien auf die Spur zu kommen. Da ist zum Beispiel der Fall des britischen Fotojournalisten John Cantlie, der zu den Geiseln der Miliz gehört und nun als eine Art Fernsehreporter eingesetzt wird. "Schon das Erscheinungsbild Cantlies ist angelegt, um Verwirrung zu stiften. Er hat die an Guantanamo erinnernde orange Gefangenenkluft abgelegt. Diese Kluft trug er noch in der Videoserie "Lend Me Your Ears", in der er sein Verhalten so erklärte: "Ich weiß, was ihr sagt. Er ist gefangen, man zwingt, ihn das zu tun, er hat eine Pistole an der Schläfe. Ja, es ist wahr, ich bin ein Gefangener, meine Regierung hat mich im Stich gelassen, ich habe nichts mehr zu verlieren." Aber nun ist er schwarz gekleidet (die Lieblingsfarbe der Dschihadisten), und er trägt die Sunna, einen sprießenden Kinnbart, während der Schnurrbart rasiert wird. Der IS sät Zweifel: Cantlie schwebt in Todesgefahr, aber er spricht ganz natürlich, so dass der Zuschauer sich fragt, ob er wirklich unter Zwang handelt. Mag sein, dass das eine List seinerseits ist, um seine Haut zu retten. Der IS fängt an mit ihm zu sympathisieren, so dass es heikel wird, ihn hinzurichten."