Vom Nachttisch geräumt

Furcht und Zittern

Von Arno Widmann
15.02.2016. In seinen Briefen empfiehlt Blaise Pascal, das Heilige im Alltäglichen zu suchen und auch ein paar Höllenstrafen nicht zu vergessen.
Im Berliner Verlag Matthes & Seitz ist der erste Band einer Ausgabe von Briefen Blaise Pascals (1623 - 1663) erschienen. Es sind 22, mit Anmerkungen des Herausgebers versehene Schreiben unterschiedlicher Länge und sehr unterschiedlicher Wichtigkeit. Der Mensch begehrt, was er nicht hat. Was er hat, schätzt er gering. Am 5. November 1648 schreiben Blaise Pascal und seine jüngere Schwester in einem langen Brief an die ältere Schwester, die nach Pascals Tod seine "Pensées" herausgeben wird:

"Aus diesem Grund soll man sich nie weigern, heilige Dinge zu lesen oder anzuhören, so alltäglich und bekannt sie auch sein mögen; denn unser Gedächtnis ist, wie auch die Lehren, die es bewahrt, ohne den Geist, der sie beleben soll, nur ein unbeseelter und jüdischer Körper. Es kommt sehr oft vor, dass Gott sich solch äußerlicher Mittel bedient, um diese Lehren verständlich zu machen und um der Eitelkeit der Menschen noch weniger Raum zu geben, wenn sie die Gnade auf diese Weise in sich aufnehmen. Darum bringen ein Buch und eine Predigt, so alltäglich sie auch sein mögen, jenem, der sich ihnen mit größerer Bereitschaft widmet, weitaus mehr Nutzen als die Vortrefflichkeit der erhabensten Reden, die gewöhnlich eher dem Vergnügen als der Unterweisung dienen; und manchmal sieht man, dass jene, die ihnen auf angemessene Weise zuhören, selbst wenn sie unwissend und stumpfsinnig sind, allein vom Namen Gottes und von den Worten, die sie mit der Hölle bedrohen, angerührt werden, selbst wenn dies das einzige ist, was sie davon verstehen, und sie es ebenso gut schon vorher gewusst hatten."

Zu dem "jüdischen Körper" vermerkt der Kommentar: "Die Differenz zwischen Evangelium und jüdischem Gesetz ist hermeneutisch die von Innen und Außen, Geist und Gedächtnis, Leben und Tod." War "der unbeseelte, der jüdische Körper" eine stehende Redensart? In einem bestimmten Milieu? Nachdem Millionen Juden getötet wurden, stellt man sich doch die Frage, ob in bestimmten Kreisen des christlichen Europa Juden als so etwas betrachtet wurden wie lebende Tote. Der Hinweis auf die Antithese von Gesetz und Evangelium klärt uns nicht über die Herkunft der Formulierung auf.

Die Drohung mit den Höllenstrafen, die Pascal hier als eine Hilfe für Dummköpfe darstellt, ist doch auch der Inhalt der berühmten Pascalschen Wette. Unser Verstand sagt uns nicht, ob es einen Gott gibt oder nicht. Also müssen wir uns entscheiden und entweder auf seine Existenz oder auf seine Nichtexistenz setzen. Da ist es, meint Pascal, allemal klüger an ihn zu glauben, als nicht an ihn zu glauben. Falls es ihn nämlich geben sollte, landet, wer nicht an ihn glaubt, in der Hölle, während der Gläubige in den Himmel aufgenommen wird. Eine ganz rationale Abwägung also, aber eine, die mit einem rächenden, strafenden Gott rechnet.

Das ist der Pascalsche Gott. Es ist der Gott eines Fanatikers, eines Menschen, der nicht daran glauben kann, dass er auch als Ungläubiger gnädig aufgenommen wird. Es ist ein Gott, das macht der Brief deutlich, der Angst und Schrecken fördert und von den Gläubigen verlangt, ihren Verstand wegzusperren, sowie es um göttliche Dinge geht. Da kann man noch so intensiv nachdenken über Luftdruck und Vakuum, kann sich noch so raffinierte Experimente zur Messung ausdenken - das tat Pascal 1648 -, das ist alles nichts, wenn es ums Seelenheil geht. Der Mensch mag nach Gottes Bild geschaffen sein, sein Verstand offenbar nicht.

Blaise Pascal: Briefe I - Die private Korrespondenz, hrsg. und mit Anmerkungen von Eduard Zwierlein, übersetzt von Ulrich Kunzmann, Matthes & Seitz, Berlin 2015, 202 Seiten, 19,90 Euro. Buch bestellen bei buecher.de.