Vom Nachttisch geräumt

Lob der Globalisierung

Von Arno Widmann
15.02.2016. Rühmt Gott, die Natur und den Fortschritt, der ihm Sabas Bohnen beschert: Gottfried August Bürger in seinen Briefen.
Am 12. September 1772 schickte Gottfried August Bürger (1747 - 1792) seinem Freund Heinrich Christian Boie (1744 - 1806) ein Gedicht. Es war für Boies Göttinger Musenalmanach gedacht und es sollte der literarischen Öffentlichkeit zeigen, das er seinen Job als Amtmann keineswegs verloren hatte, sich vielmehr physisch und psychisch bester Gesundheit erfreute. Das Gedicht hat siebzehn Strophen. Bürger schrieb sie alle an einem Tag. Sie sind vierversig und die Verse eins und zwei reimen sich und dann reimen sich drei und vier und so geht das lustig nach Luthers "Vom Himmel hoch, da komm ich her" vom Lobpreis Gottes über Eigenlob zurück zum Gotteslob. Es klingt so:

"Allgütiger, mein PreisGesang
Frolocke Dir Aeonenlang!
Dein Nahme sey gebenedeyt,
Von nun an bis in Ewigkeit!
O Gott! An meiner Mira Brust
Durchschauert mich die fromme Lust;
Den Du erschufst, der Traube Safft
Giebt meinem Psalme Schwung und Krafft…"

So hüpft das noch 15 Strophen munter weiter. Unaufhaltsam - ist man versucht zu sagen. Locker, aber fast unerträglich. Selbst für jemanden, der wie ich von seiner kindlichen Liebe zu Bürgers schauerromantischem Gedicht "Lenore", das 1773 entstand, niemals hat ablassen wollen. Dennoch lohnen sich die Seiten mit und über das "Psalm" betitelte Gedicht. Bürger legt seinem Freund das Werk zur Kritik vor und der spart nicht mit ihr. Es ist eine sehr detaillierte Auseinandersetzung, auf die Bürger dann auch noch antwortet. Man kann zuschauen bei einem Gespräch übers rechte Dichten. Boies Kritik beginnt schon bei der Überschrift. "Lobgesang" sollte es heißen, nicht "Psalm", der verlange einen "höheren Schwung". Aber bei der ersten Lektüre, schreibt Boie, sei er berauscht gewesen, habe das Gedicht gleich auswendig gekonnt. Dann aber habe er sich noch einmal drangesetzt und es seien eine Reihe Zweifel aufgekommen. Nicht an den von mir zitierten ersten Strophen. Sondern kurz danach:

"Die Tenne zollt mir ihre Gift,
Mir zinset Garten, Forst und Trifft;
Von ihrer süßen Fülle gab
Mir oft die edle Kelter ab.
Auf Rebenbergen, fern und nah,
Am hohen Kap, zu Mallaga,
Zu Hochheim, Cypern und Burgund
Troff Nectar schon für meinen Mund.
Auch mir führt unter Tausenden
Das reiche Schiff aus Indien
Gewürz und edle Specerey
Und Saba's Bohnen mit herbey.-"

Boie schreibt dazu: "'Von ihrer süßen Fülle - - Kelter ab' scheint mir sehr schleppend, so wie ich, trotz des vollen schönen Tones, nie die folgende Strophe in einem so erhabenen Stücke laßen würde: von Einer Seite angesehen scheint sie selbst erhaben, aber ich fürchte es ist nur Schein. Recht bedacht ist mir der Ton munter und lachend, und etwas an das comische gränzend; in einem Liede an Bacchus wäre sie sehr herrlich; wie wenn Sie etwas von der Stärke dieser Strophe den letzten Zeilen der vorigen zu geben suchten? Saba's Bohnen findet Cramer comisch: ich nicht so wie mir die ganze Strophe gefällt; die Enumeration und zu detaillirte Bestimmung mißfällt mir nur an der vorigen, nicht der Gedanke."

Ich bin der Ausgabe dieses Briefwechsels gefolgt und habe die Orthografie belassen wie sie war. Es ist gut, nicht immer sofort Bescheid zu wissen. Kleine Stolpersteine erhöhen die Aufmerksamkeit. Die Ausgabe lässt freilich keinen Zweifel unaufgelöst. Die Herausgeber Ulrich Joost und Udo Wargenau sowie ihre Helfershelfer Bernd Achenbach, Joachim Ehrhardt, Hans-Joachim Heerde. William A. Little, Helmut Scherer, Manfred von Stosch und der verstorbene Heinrich Tuitje haben ganze Arbeit geleistet. Eine so großartige Arbeit, dass sie hier alle einmal genannt seien. Wenn auch mit der verblüfften Frage, wie es möglich ist, dass ein reiner Männerbund so Vollkommenes hat leisten können? In diesem Jahrtausend?


Auch nicht viel größer: Bürgers Gelliehausen heute

Das "Gift" gleich in der ersten Zeile des zweiten Zitats heißt so viel wie Geschenk. Wir kennen es aus dem Englischen und aus unserer "Mitgift". Boie geht mit keinem Wort auf etwas ein, das für mich dann doch den Hauptreiz des Gedichts ausmacht: die Globalisierung. Von 1772 bis 1784 war Gottfried August Bürger Amtmann in Gelliehausen - 12 Kilometer südöstlich von Göttingen. Dort entstand das Gedicht. Das Dorf hat heute 446 Einwohner. Bürgers Amtshaus steht noch heute. Dem Amtmann in dem winzigen Dorf, das ist jedenfalls der Eindruck des Lesers dieses Gedichts, stehen alle Herrlichkeiten der Welt zur Verfügung. Sabas Bohnen mag komisch klingen, aber doch nicht komischer als dieser weltumspannende Konsumrausch es überhaupt ist. Dass die Schätze der Königin von Saba 1772 nicht mehr allein dem König Salomo, sondern auch einem Bürger zur Verfügung stehen - das ist der Fortschritt!

Das Lob der Globalisierung kommt als ein Gotteslob daher. Die Welt ist eine, weil der eine Gott sie geschaffen hat. Alles interagiert miteinander, weil in allem er ist. Die Menschen vollziehen nur nach, was Gott schon getan hat. Das ist etwas ungenau formuliert. In Wahrheit ist der Mensch auch nur eines der Organe Gottes. Es macht den Reiz dieser Epoche aus, dass die Zeitgenossen mal Natur statt Gott sagten und dann wieder umswitchten auf Gott. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Philosophie und Dichtung jener Zeit auch heute noch so faszinierend ist. Sie sind pathetisch und mehrdeutig zugleich. Hoher Ton und Skepsis, Begeisterung und Ironie verschmelzen.

Gottfried August Bürger: Briefwechsel - Band 1 1760 -1776, Wallstein Verlag, Göttingen 2015, 1008 Seiten, 69 Euro.