Vom Nachttisch geräumt

Helden wie auf der Leinwand

Von Arno Widmann
27.02.2017. So sehen Sieger aus: Burt Glinns Fotos aus den Morgenstunden der kubanischen Revolution 1959.
Am 1. Januar 1959 sammelte der kubanische Diktator Fulgenicio Batista (1901 - 1973) seine Siebensachen und floh in die Dominikanische Republik. Die Revolutionäre um Fidel Castro übernahmen nun auch in Havanna die Macht. Der amerikanische Fotograf Burt Glinn (1925 - 2008) war von den Morgenstunden des ersten Tages an dabei. Seine Aufnahmen gingen um die Welt. Sie beflügelten auch die Quintaner der Frankfurter Musterschule. Die teilten sich nun in ihren Pausenprügeleien in Batistas und Castristas. Wenn ich mich recht erinnere, waren das Entscheidungen für eine Pause. In der nächsten konnte man schon das Lager gewechselt haben.

Der Verlag Midas Collection in Zürich hat Glinns Fotos - er arbeitete damals für die Agentur "Magnum" - in einem großformatigen Bildband zusammengestellt. Kaum ein Foto, auf dem nicht mindestens ein junger Mann - manchmal auch eine junge Frau - mit einem Gewehr oder einem Revolver oder auch beidem zu sehen ist. Der Sieg der "Castristas" war der Sieg eines Aufstandes von Bewaffneten gegen die deutlich besser ausgerüsteten Repressionsapparate des Diktators Battista. Auf diesen Fotos aber haben einzig die Männer und Frauen um Castro Waffen. Dass sie sie haben, dass nur sie sie haben, belegt ihren Sieg.



Die Fotos aber lügen. Es waren nicht Castros Waffen, die Battista in die Flucht trieben. Er glaubte gehen zu müssen, weil er niemanden mehr sah, auf den er sich verlassen konnte. Seine gegen Castros Aufständische eingesetzten Truppen weigerten sich, auf die zu schießen oder liefen gar über. Castros Waffen hatten eine entscheidende Rolle gespielt. Sie demonstrierten die Entschlossenheit der Kämpfer. Sie belegten, dass ihnen der Sturz des Tyrannen wichtiger war als das eigene Leben. Aber am Ende waren es nicht die Gewehre der Guerrilla gewesen, die Batista entthront hatten, sondern es waren der Mut und die Entschlossenheit Tausender Mitglieder des Apparates gewesen, die Battista die Gefolgschaft gekündigt hatten.

Die Bilder der mit Gewehren bewaffneten jungen Männer aus Kuba animierten weltweit junge Männer, es ihnen nachzutun. Die Frage des bewaffneten Aufstands wurde wieder einmal aktuell. Die kommunistische Partei Kubas war strikt gegen dergleichen gewesen. "Abenteurertum" war noch die freundlichste Kritik. Moskau und Peking gerieten sich über die Alternative "bewaffneter Aufstand" - "parlamentarischer Weg" in die Haare. Jedenfalls taten sie so, als ginge es in ihrem Kampf um die Führungsposition im "antiimperialistischen Kampf" wesentlich darum. Ganz am Rand diskutierten auch wir Quintaner darüber - ohne zu ahnen, wie virulent diese Frage zehn Jahre später in unseren eigenen Leben in der Bundesrepublik Deutschland werden würde.


Alle Fotos von Burt Glinn, aus dem vorgestellten Band

Burt Glinns Aufnahmen sind ein nicht unwichtiger Baustein in der Legende von der kubanischen Revolution. Man kann sie heute nicht anschauen ohne Ekel. Das Machogehabe dieser mit ihren Gewehren schwänzelnden Kerle wäre lächerlich, wüsste man nicht, dass genau so über ein halbes Jahrhundert lang Kuba regiert wurde.  Gleich auf Seite 14 sieht man einen von sich selbst trunkenen Castro eine verzückte Rede halten. Auf Seite 149 sieht er, sein Maschinengewehr geschultert, die linke Hand in die Hüfte gestemmt, einem ihn interviewenden Reporter herausfordernd ins Gesicht. Der 32-jährige markiert den starken Mann wie er ihn aus dem Kino kennt. Ich habe gesagt: Die Bilder lügen. Das stimmt. Wahr ist aber auch, dass sie es auch nicht tun. Sie zeigen nämlich überdeutlich, wer sich da gerade einen Staat unter den Nagel gerissen hatte. Oder doch dabei war, es zu tun. Es waren diese Fotos, die das Bild, das die Welt sich von der kubanischen Revolution machte, prägten. Ja, auch das, das sie sich von sich selbst machte. Aber nur wenige sahen diese ahnungslosen, aber sich umso wichtiger gebärdenden Kerle. Die meisten - wenigstens meiner Generation - nahmen nur eine Message mit: So sehen Sieger aus. Und siegen wollten wir auch. Eine fatale - für viele - tödliche Entwicklung.

Burt Glinn: KUBA 1959 - Szenen einer Revolution, Übersetzung: Claudia Koch, Midas Collection, Zürich 2016, 192 Seiten, 8 Farb- und 98 s/w Fotos, 59 Euro