Vom Nachttisch geräumt

Lügenpresse

Von Arno Widmann
27.02.2017. So geladen war er noch nie: Honoré de Balzac über "Edelfedern, Phrasendrescher und Schmierfinken".
Ein sehr schönes Bändchen, das mir wunderbar in der Hand liegt. Sein Titel: "Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken" - Die schrägen Typen der Journaille". Es handelt sich um eine Zusammenstellung von Texten, die zwischen 1834 und 1843 entstanden. Autor ist Honoré de Balzac. Also einer, der sich bestens auskannte in dem von ihm beschriebenen Panoptikum. Nicht zuletzt darum, weil er selbst bei dieser oder jener Gelegenheit mal zu dieser, mal zu jener der von ihm mit beredter Gehässigkeit beschriebenen Arten gehörte. Am Beginn steht seine 1843 erschienene "Monografie der  Pariser Presse", der hervorragende Übersetzer und Herausgeber des Bandes, der Literaturredakteur des Bayerischen Rundfunks, Rudolf von Bitter ersetzte das Wort "Monografie" mit Typenlehre.

Falsch, aber doch ganz richtig. Denn Balzac geht es um eine soziale Naturgeschichte, eine, so sagt er selbst im Text, "Typenlehre". Dazu gehören eine Reihe von "Grundsätzen", die im Text dick hervorgehoben werden. Zum Beispiel: "Man richtet die Presse zugrunde, wie man eine Gesellschaft zugrunde richtet: indem man ihr alle Freiheit lässt" oder "Jede Zeitung, die ihre Abonnentenzahl nicht steigert, wie hoch diese auch sei, befindet sich im Niedergang", "Erst draufhauen, dann klären", "Das Verleumden und Diffamieren steht nicht unter Strafe."

Mal möchte man nicken, mal eine Protestnote schicken. Also immer interessant. Aber natürlich auch schrecklich überholt. Die Presse war damals - man sehe den zuletzt zitierten Grundsatz -, was heute die sozialen Medien sind. Balzac lebte von ihr, nicht nur, dass er für sie schrieb, er bezog auch einen Großteil des Stoffs seiner Romane aus ihr. Er wusste sehr genau, was er an ihr hatte und konnte darum auch deutlich sagen, was er an ihr vermisste: "Zu ihrer Schande ist die Presse nur frei im Umgang mit den Schwachen und Vereinzelten". Die "Vereinzelten"! Wie schön, dass er an sie gedacht hat. Aber die Vereinzelten sind doch sein Metier, ruft mir der Balzac-Leser zu. Ja, das stimmt. Das gehört zur Größe Balzacs. Zu ihr gehört sogar, dass er den Vereinzelten, der in jedem von uns steckt, zu zeigen in der Lage ist.


Foto: http://glaner.eklablog.com/breve-histoire-de-la-presse-a117618486

Aber er schreibt hier keinen Roman über die "Lilie im Tal" oder das "Haus Nucingen", sondern ein Pamphlet, eine Hetzschrift gegen Chefredakteure, Meinungsmacher - "der Abonnent honoriert dieses Ich meine was, was du dann auch meinst mit zwölf oder fünfzehn Franc pro Quartal" - , vor allem aber gegen die Kritiker, die sich breit machen und den wirklichen Autoren die Plätze wegnehmen. Man liest das heute - gerade als Perlentaucher - amüsiert. Der Autor Balzac wirft den Kritikern vor, von den Autoren zu leben, sich aber über sie zu erheben. Inzwischen sind wir mindestens eine Stufe weiter. Jetzt beschweren sich die Kritiker, dass ihre Kritik zusammengefasst und anderen Kritiken an die Seite gestellt wird. Die Vermittler rebellieren gegen die Vermittler der Vermittler. Ganz wie einst die Autoren sich gegen die Vermittler glaubten wehren zu müssen, wehren zu können.

Es macht den Reiz dieses Buches aus, uns einen Zerrspiegel hinzuhalten, in dem wir erst vergeblich nach uns suchen, um uns dann, haben wir uns erst einmal an ihn gewöhnt, immer deutlicher zu erkennen. Dazu trägt auch der Abdruck einer zeitgenössischen Erwiderung bei. Gabriel-Jules Janin (1804-1874), einer der großen Theaterkritiker und Feuilletonisten der Epoche antwortete Balzac: "Auf wen ist Monsieur de Balzac denn so böse? So geladen war er noch nie, und so rot und so zornig…" Am Ende seiner  eloquenten Retourkutsche weist er darauf hin, dass Balzac für sich sehr wohl das Recht in Anspruch nimmt, beleidigend zu sein. Also nicht nur in der Presse, sondern auch bei ihm heißt es: "Das Verleumden und Diffamieren steht nicht unter Strafe".

Verleumden und Diffamieren tun immer nur die anderen. Man selbst dagegen hat den Mut zur Wahrheit. Das ausführliche Nachwort von Rudolf von Bitter, ein Namens- und ein Zeitschriftenverzeichnis erleichtern die Lektüre. Nein. Ohne sie bliebe vieles ganz unverständlich. Balzacs Bosheit erschließt sich erst, wenn  man weiß, wen er meint. Wer süchtig geworden ist, der wird Rudolf von Bitters Website aufrufen und dort die Stellen nachlesen, die in der Buchausgabe weggelassen wurden, um der leichteren Lesbarkeit willen. Balzac raste vor Wut. Demonstrativ natürlich. Aber dazu gehört auch, dass man auf Nebenstraßen alles umfährt und das genießt, statt dem Argument zu folgen. Manchmal trat er, schon Marx wies darauf hin, so ernst für die monarchische Ordnung ein, dass man das heute - in republikanischen Zeiten - als politisch unkorrekt qualifizieren wird. Auch davon ist manches weggelassen worden. Diese Stellen - sie summieren sich zu 14 Seiten -  findet man hier.

1000 Dank für dieses Buch.

Honoré de Balzac: Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken - Die schrägen Typen der Journaille, aus dem Französischen von Rudolf von Bitter, Manesse Verlag, Zürich 2016, 320 Seiten, 19,95 Euro.