Vom Nachttisch geräumt

Erst im Theater sieht man, was wirklich ist

Von Arno Widmann
22.01.2020. Satan als jugend- licher Held: Johann Heinrich Füssli bediente den Hunger nach Theaterbildern.
Johann Heinrich Füssli, geboren 1741 in Zürich, gestorben 1825 in Putney bei London, so heißt es ganz richtig bei Wikipedia "ein schweizerisch-englischer Maler und Publizist". Mit anderen Worten: Wer ihn nur als Maler kennt, der kennt ihn nicht. Sein berühmtestes Gemälde, das in verschiedenen Varianten erhaltene "Der Nachtmahr", zeigt eine junge Frau wie geschändet auf einem Bett liegend, während ihr ein Alb auf dem Bauch sitzt und ein Pferd aus dem Hintergrund hervortretend die Szene betrachtet. Es gibt, sagt die Erläuterung, keine Theaterszene, keine genau passende literarische Vorlage für die abgebildete Situation. Wer genau hinschaut, der wird sich wundern über die schlechte Laune des Inkubus. Ob das darauf schließen lässt, dass das Bild humoristisch gemeint war, wie es im Katalog heißt, weiß ich nicht. Denn: Gehört schlechte Laune nicht zum Schrecken dazu? Der Katalog gehört zur Ausstellung: "Füssli. Drama und Theater", die vom 20. Oktober 2018 bis zum 10. Februar 2019 im Kunstmuseum Basel zu sehen war.

Shakespeare und Milton waren Füsslis literarische Helden. Oder wurden es übermächtig, als er merkte, wie stark die Nachfrage nach Szenen aus deren Stoffen war. Nicht nur das: Es gab einen Hunger nach Theaterbildern. Nach Gemälden, die Szenen, die man aus dem Theater kannte, in dramatischer Bühnenbeleuchtung festhielten oder auch erst kreierten. Füssli war im theaterverrückten London genau der richtige Mann am richtigen Ort. Allerdings herrschte noch Zensur. Es gab immer noch nur zwei öffentliche Bühnen. Es entstanden damals Galerien, die Theaterbilder ausstellten. Der Maler sollte nicht die Wirklichkeit darstellen, sondern die Theaterszene. Besser noch: Szenen, die in dieser Intensität und Konzentration kein Theater bieten konnte. Der Schrecken, der zum Erhabenen gehört, sollte auch von der Leinwand aus den Besucher anspringen. Satan ist bei Füssli kein Greis mit Hinkefuß, sondern ein jugendlicher Held.

Aber der wahre Schrecken liegt in uns selbst. Füssli soll gesagt haben: "Was, so frage ich, könnte ihnen einen größeren Schrecken einflössen, als wenn sie eines Abends nach Hause kommen und sich an ihrem eigenen Tisch sitzend… anträfen?" Sich selbst zu begegnen - das ist das Ende. Der Verdopplung der eigenen Existenz zu begegnen ist der Beginn ihrer Vernichtung. Man sieht auf Füsslis Bilder mit anderen Augen. Das ist eine Moderne, mit der wir erst später rechneten. Karl Heinz Bohrer hat uns die Romantik bereits als Schreckenskammer, als Versuch plötzlicher Überwältigung geschildert. Hier sieht man es und man begreift, wie reflektiert, wie vielfach dieser Gedanke gebrochen wurde, bevor er auf der Leinwand auftraf.

Fuseli. Drama and Theatre, hrsg. von Eva Reifert, Prestel Verlag, München 2018, 95 farbige und 29 s/w Abbildungen, in englischer Sprache, 240 Seiten, 49 Euro.