Essay

Bis zum bitteren Ende durchklagen

23.11.2009. Das Google Book Settlement schließt deutsche Werke nun aus. Aber Unterzeichner des Heidelberger Appells sind immer noch nicht zufrieden und plädieren jetzt für eine Klage gegen Bibliotheken, die mit Google kooperieren. Eine Erwiderung auf Burkhard Hess.
Katerstimmung - so lässt sich die Reaktion der Buchbranche auf die kürzlich in New York vorgestellte überarbeitete Fassung des Google Book Settlement vielleicht am besten beschreiben. Von dem gerichtlichen Vergleich, mit dem in den USA Autoren und Verleger ihre Streitigkeiten über die Google Buchsuche beilegen wollen, werden an die 95 Prozent aller deutschen Bücher nicht mehr betroffen sein. Game over. Deutschland spielt bei der Digitalisierung des literarischen Erbes vorerst nicht mehr mit.

So hat es der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gewollt, so hat es der Verband Deutscher Schriftsteller gewollt, und so hat es die Verwertungsgesellschaft Wort gewollt. Mehr als alle anderen aber haben es die Unterzeichner des sogenannten Heidelberger Appells  gewollt, die vor allem die Verfügungsgewalt des Autors über sein Werk in Gefahr sahen.

Seither wird allerorten fieberhaft darüber nachgedacht, wie man denn nun um Gottes willen wieder mit Google ins Geschäft kommen soll, ohne gezwungen zu sein, unvorteilhafte Partnerverträge mit dem Suchmaschinengiganten zu unterzeichnen. Umso mehr, je deutlicher sich herauskristallisiert, dass das von Börsenverein und Schriftstellerverband jahrelang als "deutsche Branchenlösung" hochgehaltene Digitalisierungsportal Libreka wohl eher dazu angetan ist, die Mitgliederschaft des Börsenvereins zu spalten, als sich zur Konkurrenz für Google zu mausern.

Gegenüber der EU ist die Sache vermutlich auch ein bisschen peinlich, nachdem Medienkommissarin Viviane Reding gerade erst wieder dafür getrommelt hatte, dass doch bitte dringend die europäische Digitalbibliothek Europeana mit frischem Stoff versorgt werden solle, den man jetzt nicht zur Hand hat. Diensteifrig hat sich sogleich die VG Wort erboten, es könne doch auch sie "digitale Nutzungen von vergriffenen Werken" lizensieren, sogar mit Zustimmung der Rechteinhaber. Nur blöd, dass es dafür noch kein richtiges Verfahren gibt - die Einrichtung eines entsprechenden Portals steckt noch in der Planungsphase -, von eigenen Scans ganz zu schweigen. Auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat rasch versprochen, "eine pragmatische Lösung für die vergriffenen und verwaisten Werke zu finden, die das Urheberrecht im Kern wahrt, aber zugleich auch mit Kompromissen verbunden sein wird." Mathias Schindler feixte daraufhin im Wikimedia Blog: "Wir lernen also, dass sich der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum ersten Mal für die Entkriminalisierung des 'Raubkopierens' einsetzt."

Doch noch immer leistet ein kleines gallisches Dorf erbitterten Widerstand: die Heidelberger Appellanten. Ihnen geht der Sieg über Google noch nicht weit genug. So konnte man es letzte Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachlesen. Der Autor des Artikels, Burkhard Hess, arbeitet als Juraprofessor an der Universität Heidelberg und hat den Heidelberger Appell als einer der ersten unterschrieben.

Dass deutsche Bücher nun aus dem gerichtlichen Vergleich herausfallen, "klingt auf den ersten Blick seriös", meint Hess. Aber was passiert dann mit den Digitalisaten? "Wird Google die Daten der bereits eingescannten rund drei Millionen Bücher nichtamerikanischer Autoren vernichten? Bleiben diese Bücher als 'digitale Geiseln' weiterhin in Googles Datenbanken? Oder werden diese Daten sogar weiterhin im Rahmen der Google Book Search vorgehalten - freilich nur Lesern, die sich über (Proxy-)Server in den Vereinigten Staaten Zugriff verschaffen? Das weiß niemand, und Google schweigt."

Die Heidelberger Appellanten neigen von jeher dazu, von Dingen, die sie selbst nicht wissen, umstandslos zu behaupten, es wisse sie niemand und Google verschweige sie. (Der Austausch zwischen Unterzeichner Gunther Nickel und Appell-Kritiker Matthias Spielkamp im Perlentaucher spricht in dieser Hinsicht Bände.) Aus dem Munde eines Juristen wie Burkhard Hess verwundert solche Unkenntnis allerdings: Natürlich werden diese Daten im Rahmen der Google Buchsuche auch in den USA nicht zugänglich gemacht - es sei denn im Rahmen einer Anzeige von bibliografischen Daten und Snippets als Ergebnis einer Volltextsuche. Von dieser Form der Nutzung meint Google von jeher, sie falle unter "fair use", also unter eine Ausnahmeregelung des amerikanischen Urheberrechts. Ein Buch zu scannen, um es für eine Volltextsuche zu erschließen, sei schließlich eine Art der Nutzung, die den Verkauf des Buches im Buchladen nicht beeinträchtige. Den Prozess, den US-amerikanische Autoren und Verleger deshalb gegen die Suchmaschine angestrengt hatten, hätte Google nach Meinung vieler vermutlich gewonnen. Letztlich fürchteten dies wohl auch die Kläger - und einigten sich lieber mit Google auf jenen Vergleich, der als Google Settlement bekannt geworden ist.

So viel zum Zugriff auf die digitalisierten Bücher. Was die Vorhaltung der Scans als, wie Hess schreibt, "digitale Geiseln", anbelangt, gilt dasselbe: Insofern das Scannen nicht zum Zwecke der Zugänglichmachung geschieht, sondern zur Ermöglichung einer Volltextsuche, ist es Googles Auffassung zufolge ein technischer Vorgang, der ebenfalls unter "fair use" fällt - schließlich beeinträchtigt er die Interessen des Urhebers bei der Vermarktung seines Werkes nicht. So würde in den USA vermutlich auch ein Richter entscheiden.

Auch das Scannen selbst kann man Google also nicht so leicht verbieten. Auf die Idee ist man in Deutschland bereits 2006 gekommen. Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG) hat zu diesem Zwecke eigens eine Einstweilige Verfügung gegen Google beantragt - und dann, als es ernst werden sollte, klein beigegeben und den Antrag zurückgezogen (mehr hier) Eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen, weigerte Google sich. Einer dpa-Meldung zufolge hat der Börsenverein, der das Verfahren finanzierte, damals 100.000 Euro in den Sand gesetzt. Warum? Weil absehbar war, dass das Gericht sich für nicht zuständig erklärt hätte. Insofern das Scannen in den USA stattfand, hätte man Google dort verklagen müssen. Und dort hätte nicht das deutsche Urheberrecht gegolten, in dem es tatsächlich keine Schrankenregelung gibt, die das Einscannen zu kommerziellen Zwecken erlauben würde, sondern das US-amerikanische Fair-use-Prinzip.

Daran hat sich bis heute nichts geändert, aber anscheinend gehört diese Vorgeschichte in Heidelberger Kreisen ebenfalls zu den Dingen, die niemand weiß. "Es ist höchste Zeit, den Einscannvorgang gerichtlich zu stoppen", schreibt Burkhard Hess in seinem Artikel. Am besten in den USA, mit einer "Parallelklage", denn dann könne man "über den 'opt-out'-Mechanismus der Sammelklage" Google "im Namen aller ausländischen Autoren" dazu zwingen, "das Einscannen zu unterlassen". Burkhard Hess stellt sich also vor, dass zunächst "alle ausländischen Autoren" eine "class" im Sinne des US-amerikanischen Prozessrechts bilden, also ein kongruente Gruppe mit einheitlichen Interessen, welche dann eine Sammelklage gegen Google anstrengt, um gegen eine Nutzung ihrer Werke durch Google zu protestieren, die aller Wahrscheinlichkeit nach in den USA als völlig legal, nämlich als "fair use" bewertet würde - ein Terminus, der in Hess? ganzem Artikel überhaupt nicht vorkommt.

Und nicht nur Google soll verklagt werden, sondern auch "die Bibliotheken, die Google Zugang zu ihren Depots eröffnen". Und es soll "Schadensersatz gefordert werden, um den Mediengiganten an den Verhandlungstisch zu bekommen." Als wäre in den USA nicht genau das geschehen und als hätten nicht genau diese Verhandlungen zu eben jenem von Hess kritisierten Settlement geführt, in dem auch ein Schadensersatz ausdrücklich vorgesehen ist.

Man kann die Auslassungen des Heidelberger Juristen nur so verstehen, dass die gerichtliche Einigung, die in den USA erzielt wurde, ihm grundsätzlich nicht passt - die Autoren und Verleger hätten nicht nachgeben, sondern bis zum bitteren Ende durchklagen sollen. Da sie aber offenbar eingeknickt sind, muss man Google nun eben noch mal verklagen, "im Namen aller ausländischen Autoren", und dann geht alles von vorne los. Und diesmal gibt es kein Settlement, keinen gerichtlichen Vergleich, sondern ein letztinstanzliches Urteil, das sagt: Scannen ist kein fair use.

Oder so ähnlich. So ganz genau weiß Hess vermutlich selbst nicht, wie er sich das vorstellt, aber eines steht fest: Bislang ist lediglich ein "Etappenerfolg" errungen worden, das bittere Ende steht Google erst noch bevor. "Erwägenswert ist auch eine Klage in Deutschland, die es Google untersagt, unautorisiert Bücher einzuscannen, um sie auf dem deutschen Markt vorzuhalten." Was unter "auf dem deutschen Markt vorhalten" verstanden werden soll, ist auch nicht ganz deutlich. Google macht in Deutschland ohne Zustimmung der Rechteinhaber ohnehin keine urheberrechtlich geschützten Bücher zugänglich, und das Scannen geschützter Werke findet ausschließlich in den USA statt. Egal, meint Hess: "Auf den Ort der Digitalisierung oder des Vorhaltens kann es angesichts der globalen Wirkung des Internets nicht ankommen." Dass genau daran seinerzeit die Wissenschaftliche Buchgesellschaft gescheitert ist - geschenkt.

Aber man soll niemanden an seinem Glück hindern. Fragt sich nur, wer denn jetzt die Sammelklage im Namen "aller ausländischen Autoren" in den USA einreichen soll. Auch da hat Hess eine tolle Idee: "Hier sind die Autorenverbände und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gefragt." Na, immer noch besser als die VG Wort. Die hat schon genug von dem Geld, das sie eigentlich treuhänderisch für ihre Autoren verwalten soll, für ihren Abwehrkampf gegen das Google Settlement verpulvert.

Traurig an diesem Artikel ist nicht in erster Linie, dass die FAZ ihn druckt. Die druckt immer alles, was gegen Googles Digitalisierungsprogramm geht (das war mal anders, wie man hier nachlesen kann). Sondern dass die Unterzeichner des Heidelberger Appells noch immer nicht verstanden haben, vor welchen Karren sie sich haben spannen lassen. Wie immer, wenn vom Recht des Urhebers die Rede ist, geht es in Wirklichkeit nämlich bloß um Verteilungskämpfe der Verwerterindustrien.

Ilja Braun