Magazinrundschau

Die verschwundenen Penisse

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
07.11.2023. Der New Yorker kommt einem Menschenhändler aus Eritrea auf die Spur - was der Justiz leider nicht gelingt. In der LRB erzählt John Lanchester eine Rise-and-Fall-Geschichte aus der Welt der Kryptowährungen. Hlidaci pes berichtet, wie der neue rechtspopulistische Ministerpräsident der Slowakei, Robert Fico, ihm nicht genehme Presse ausschaltet. Der New Statesman erinnert daran, dass die Hamas schon immer Teil des militanten Islamismus war. Variety prophezeit einen Kollaps des Marvel-Systems. New Lines bestaunt in Nigeria das Phänomen "Koro".

New Yorker (USA), 06.11.2023

Den Schwierigkeiten, den Strippenziehern des Menschenhandels beizukommen, widmet sich Ed Caesar im New Yorker: Der Eritreer Kidane, ein ehemaliger Obst- und Gemüsehändler, den alle nur unter diesem Vornamen kennen, hat wohl Millionen Dollar damit verdient, Flüchtlinge auszubeuten, zu foltern und ihre Familien um Geld zu erpressen. Die Justiz ist damit überfordert: Der internationale Strafgerichtshof hat bislang keine Anklage gegen am Menschenhandel Beteiligte in Libyen erhoben. Bei einer Gerichtsverhandlung in Addis Abbeba gelang es ihm, mit Hilfe von Bestechung zu entfliehen. Das Ausmaß der Brutalität des Menschenhandels, der von Kidane und seinen Helfern praktiziert wird, verschlägt einem den Atem. "Nachdem der Arabische Frühling 2011 zu einer Revolution in Libyen geführt hatte, begann Kidane in diesem Land zu arbeiten - unter anderem in Misrata, einer Stadt am Mittelmeer, in der viele Migranten landeten, bevor sie das Meer überquerten. Bis 2014 hatte er genug Geld und Macht erlangt, um sich in der kriminellen Nahrungskette nach oben zu arbeiten. Er begann, in einer anderen Küstenstadt, Sabratha, ein Lager zu betreiben, in dem viele Migranten festgehalten und erpresst wurden, bis die Überfahrt für sie gebucht war. ... Kidane und die Wachen hielten die Migranten in einem Zustand ständiger Angst. Alle paar Tage wurden Menschen aus der Menge herausgezogen und aufgefordert, ein Familienmitglied auf einem Mobiltelefon anzurufen. Nachdem der Migrant seine Notlage geschildert hatte, wurde er brutal misshandelt, während seine Entführer das Familienmitglied um die Tausende von Dollar baten, die es kosten würde, ihn freizukaufen. Eine gängige Foltermethode bestand darin, das Fleisch der Gefangenen mit geschmolzenem Plastik zu versengen. ... Viele Migranten verbrachten Monate unter Kidanes Kontrolle. Ein Äthiopier, den ich traf, Seleshi Girma, verbrachte mehr als drei Jahre in dem Lager - seine Familie war bitterarm und brauchte so lange, um das Lösegeld zusammenzukratzen. Fast alle, mit denen ich über Kidane sprach, glaubten, dass er ein sadistisches Vergnügen an den Schlägen hatte. Sicherlich fügte er seinen Opfern mehr Schmerzen zu, als nötig war, und peitschte sie oft mit Gummischläuchen aus. Ein weibliches Opfer sagte gegenüber Le Monde, dass sie während ihrer sechsmonatigen Gefangenschaft wiederholt von Kidane vergewaltigt worden sei. Sie nannte ihn eine 'Hyäne, die beim Anblick von Blut erregt wird'. Die Migranten erinnern sich an von Kidane organisierte Fußballspiele, bei denen Spieler, die eine Torchance verpatzten, erschossen wurden. Die Siegermannschaft erhielt eine Migrantin zur Vergewaltigung."

Außerdem: Adam Gopnik porträtiert den amerikanischen Bürgerrechtler Bayard Rustin. Rivka Galchen sah die Netflix-Doku "Life on our Planet". Michael Schulman bespricht Ridley Scotts "Napoleon".
Archiv: New Yorker

London Review of Books (UK), 06.11.2023

Der britische Autor John Lanchester erzählt, entlang zweier aktueller Buchveröffentlichungen, eine Rise-and-Fall-Geschichte aus der Welt der Kryptowährungen. Wobei Sam Bankman-Fried, der bis Anfang 2021 als Business-Wunderkind galt und derzeit in New York wegen Betrugsdelikten vor Gericht steht, sich wohl gar nicht so sehr für Krypto interessiert. Die Triebfeder hinter seinen Aktivitäten heißt stattdessen "Effective Altruism", eine Bewegung, die dem Versuch verpflichtet ist, Wohltätigkeit probabilistisch zu maximieren: "Der Gedanke funktioniert wie folgt: Wenn Du Medizin studierst und in einem Entwicklungsland als Arzt arbeitest, dann rettest Du Leben, stimmt; aber der Unterschied, den Deine Handlungen in der Welt bewirken, ergibt sich lediglich aus der Differenz zwischen den Leben, die Du rettest und den Leben, die ein anderer Arzt rettet, der statt Deiner dieselbe Arbeit ausgeführt hätte. Wenn Du andererseits für eine Bank arbeitest und all Dein Geld spendest, dann besteht der Unterschied, den Du bewirkst, aus all dem Geld, das Du weggibst und den Leben, die damit gerettet werden - man kann schließlich davon ausgehen, dass der Bankier, der den Job an Deiner Stelle übernommen hätte, sein Geld nicht gespendet hätte." Um schnell an viel Geld zu kommen, gründet Sam Bankman-Fried also eine Krypto-Börse - die schnell enorm erfolgreich wird und noch schneller, mutmaßlich auch aufgrund windiger Geschäftspraktiken des Gründers, Pleite geht. Was nun ist von diesem Typen zu halten? Sympathie empfindet Lanchester nicht für ihn. Stattdessen schreibt er über die "innere Leere" eines Mannes, der vor zweienhalb Jahren Multimilliardär war und nun möglicherweise den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen wird: "Er hat keinen moralischen Kompass außer dem, den er sich von den effektiven Altruisten geborgt hat. Viele Menschen borgen sich ihren moralischen Kompass von einer Religion, aber alle Religionen haben einen Platz für Empathie, auch wenn sie diese oft nur selektiv einsetzen. Effektiver Altruismus hat keinen Platz für Empathie und Sam Bankman-Fried hat auch keinen."

Hlidaci pes (Tschechien), 02.11.2023

Nach dem Antritt der neuen slowakischen Regierung unter dem rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Robert Fico übertrifft die sich abzeichnende Medienpolitik bereits jetzt die "wildesten Erwartungen", wie Vojtěch Berger berichtet. Der stellvertretende Parteivorsitzende von Smer, Ľuboš Blaha, hatte schon während der Wahlkampagne angekündigt, die Partei werde, wenn sie an die Macht komme, mit NGOs und den Medien "aufräumen". Und Ficos Beraterchef Erik Kaliňák wolle dem Premier vorschlagen, auf Auslandsreisen keine "sogenannt seriösen Mainstream-Medien" mehr mitzunehmen. Als neuer Chef des Medienausschusses des slowakischen Parlaments figuriert ferner Roman Michelko, ehemaliger Kommentator des russischen Nachrichtenportals Sputnik sowie der Verschwörungsplattform Zem a Vek. Die neue Kulturministerin ist ausgerechnet Martina Šimkovičová, eine ehemalige Fernsehmoderatorin, die seit einigen Jahren zusammen mit (dem Neuabgeordneten) Petr Kotlár den Youtube-Kanal TV Slovan betreibt, in dem regelmäßig Vertreter der extremen Rechten oder auch Kreml-Anhänger zu Wort kommen; in den Interviewthemen oder Ansichten der Moderatoren sei es häufig um Kritik an den Coronamaßnahmen, am Impfen sowie an den Mainstream-Medien gegangen, wie Berger berichtet. Kotlár habe auch angekündigt, er wolle in der Politik Aufklärung über die sogenannten Chemtrails betreiben. Fico selbst will offensichtlich auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTVS an den Kragen, der nun in Fernsehen und Hörfunk gespalten und mit neuen Chefposten besetzt werden soll. Einen ersten Eindruck vom neuen Medienumgang, so Vojtěch Berger, konnte man kürzlich auf der Pressekonferenz der Slowakischen Nationalpartei SNS gewinnen, wo der Pförtner keine Journalisten der investigativen Zeitung Denník N, der Tageszeitung SME oder des Portals Aktuality.sk mehr einließ, während Betreiber verschiedener Youtube-Kanäle oder Internetsendungen wie das tschechische Raptor TV hineindurften. In dem radikalen Setzen auf sogenannte "Alternativmedien", darunter eindeutig prorussische, sieht Vojtěch Berger auch im Vergleich mit Ficos früheren Regierungen und seinem Kampf gegen Journalisten noch einmal eine deutliche Verschiebung. "Die Slowakei tritt so in eine völlig neue politisch-mediale Realität ein, die (nach den wilden Neunzigerjahren unter Mečiar, Ficos Angriffen auf die Medien und zuletzt sogar dem Mord an dem Journalisten Kuciar) einmal mehr zeigen muss, wie viel der freie Journalismus dort noch aushalten wird."
Archiv: Hlidaci pes

La regle du jeu (Frankreich), 06.11.2023

Zu Beginn der zwanziger Jahre ist der Schriftsteller Joseph Roth glühender Sozialist, so sehr, dass er einige Artikel mit dem Pseudonym "Roter Joseph" unterzeichnet, erinnert uns der Autor und Essayist Alexandre Lacroix. Aber Roth ist auch einer der ersten, der die Katastrophe heraufziehen sieht, "vor Hannah Arendt oder den leuchtenden Analysen des Politologen Franz Neumann" begreift er, welche Gefahr Europa und ihm selbst durch das Erstarken der Nationalsozialisten droht. Je mehr sich nun die politische Situation zuspitzt, so zeigt Lacroix, vollzieht Roth einen radikalen Wandel in seiner politischen Haltung. Er zeigt, wie Roth zwischen dem Republikanismus Frankreichs und dem Vielvölkerstaat des Habsburgerreichs nach Modellen sucht, die die gewisse Katastrophe abwenden können: "Je mehr sich der Zerfall der Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland als unausweichlich herausstellten, desto mehr neigte Roth dazu, den kaiserlichen Katholizismus als 'Kraft' zu sehen - zu phantasieren? - Der Katholizismus der ehemaligen Donaumonarchie war die einzige Macht, die die 'schwarze Pest' abwehren konnte." Roth, so zeigt Lacroix, wird sich selbst nun als "konservativer Monarchist" bezeichnen und die Rückkehr zur Habsburger Monarchie als "einzigen Ausweg" begreifen: "Im Oktober 1933 vertraute er Zweig seine Hoffnung an, die sterblichen Überreste Karls I. nach Österreich zu überführen und gleichzeitig seinen Sohn und Erben Otto auf österreichischen Boden zu bringen, wobei er auf die Unterstützung von Dollfuß setzte, den er für 'bereit, aber noch nicht verkündet hielt, die Monarchie anzuerkennen'. Die Ermordung von Dollfuss im Jahr 1934 weckt bei den Legitimisten falsche Hoffnungen: Schuschnigg weigert sich, Otto erneut zu holen. Es kam jedoch zu einem gewissen Wiedererstarken der Habsburger, das die Nazi-Organisationen verärgerte. Roth schlug daraufhin mit größter Ernsthaftigkeit die einzige rettende Lösung vor: den jungen Otto von Habsburg zum Kaiser zu proklamieren."
Archiv: La regle du jeu

New Statesman (UK), 06.11.2023

Die militante islamistische Bewegung ist intern zutiefst verstritten, weiß Shiraz Maher. Auf eines können sich jedoch alle Bewegungen und Fraktionen, von Al-Quaeda über die Hizbollah bis zum IS, einigen - auf ihre Feindschaft mit Israel. Auch die Hamas war von Anfang an in die Geschichte des militanten Islamismus integriert: "Die palästinensische Frage hat schon lange eine wichtige Stelle in der Vorstellungswelt der jihadistischen Bewegung. Die erste Intifada begann nur wenige Monate, nachdem Michail Gorbatschow verkündet hatte, dass sich die Sowjetunion aus Afghanistan zurückziehen wird, was einem überraschenden Sieg für die Mudschahidin gleichkam. Viele der arabischen Kämpfer, die nach Afghanistan gereist waren, um sich dem Kampf anzuschließen, waren von dem charismatischen palästinensischen Gelehrten Abdullah Azzam angeführt worden, der seine Aufmerksamkeit anschließend wieder dem Israel-Palästina-Konflikt zuwandte. Eine ausführliche Studie des Politikwissenschaftlers Thomas Hegghammer (Oxford), hat gezeigt, dass es nicht ganz weit hergeholt ist zu behaupten, dass diese legendäre Figur der modernen Dschihad-Bewegung dem militärische Flügel der Hamas, den Izz al-Din al-Qassam-Brigaden, dabei geholfen hatte, ihre Taktiken zu entwickeln. (...) Auch für Osama bin Laden war Palästina eine Obsession. 1996 veröffentlichte er eine Fatwa, die 'den Amerikanern, die zwei heilige Stätten besetzen', den Krieg erklärte. Das bezog sich auf die beiden heiligsten Stätten des Islams in Saudi Arabien. Eine weitere Fatwa, veröffentlicht zwei Jahre später, verkündete 'eine weltweite islamische Front für einen Jihad gegen Juden und Kreuzfahrer.' Zusammengenommen geben diese beiden Fatwas Aufschluss über die zutiefst verschwörungsideologische Weltsicht der Jihadisten, derzufolge Israel die Vorhut eines umfassenderen jüdisch-christlichen Plans ist, die muslimische Welt zu unterwerfen und zu kontrollieren."
Archiv: New Statesman

HVG (Ungarn), 02.11.2023

Die aus Siebenbürgen stammende junge Regisseurin Katalin Moldvai denkt im Interview mit Lin Dóra Mata über das Auswandern nach: "Länderwechsel ist ein ewiges osteuropäisches Problem. In Rumänien fehlen fünf Millionen Menschen, ebenso viele sind in den Westen gegangen, um dort zu arbeiten. Ähnliche Prozesse finden auch in Ungarn statt. Ich bin auch in einem Dilemma, wo ich denn weitermachen soll. Wenn man schon einmal das Land gewechselt hat, hat man eine ungefähre Vorstellung davon, was einen erwartet. Wenn ich jetzt gehen würde, wäre das kein so großer Schock wie damals, als ich Rumänien verließ. Ich bin rumänischer und ungarischer Staatsbürger, also könnte ich es mit dem dortigen Filmfördersystem versuchen. Sie entscheiden in Rumänien über Filmprojekte nach anderen Kriterien als in Ungarn."
Archiv: HVG

Variety (USA), 01.11.2023

Seit Jahren sagen vom monotonen Superheldenkino unserer Gegenwart ermüdete Kritiker einen Kollaps des Marvel-Systems voraus. Und tatsächlich befindet sich das seit den Nullerjahren von einem sagenhaften Erfolg verwöhnte, zum Disney-Konzern gehörende Franchise derzeit in einer handfesten Krise, schreibt Tatiana Siegel in einem detaillierten Longread. Diese Krise hat vor allem auch damit zu tun, dass der zuletzt von Kinofilmen und TV-Serien für die nächste Palette an Produktionen als neuer Superschurke aufgebaute Schauspieler Jonathan Majors gerade wegen häuslicher Gewalt vor Gericht steht, aber auch mit einer Reihe von enttäuschenden Performances an den Kinokassen, einer zum Werbeboost von Disney+ künstlich herbeigeführten Überproduktion an Serien und mit einem von vielen diagnostizierten Qualitätsabfall in der Produktion. "Marvels gesamtes Videoeffekte-Geschwader kämpft darum, mit dem konstant anhaltenden Strom an Produktionen mitzuhalten. Als im vergangenen Februar bei der Weltpremiere von 'Quantumania' der Abspann lief, gingen angesichts der räudigen CGI Schockwellen durch das Regency Village Theatre in Westwood. 'In mindestens zehn Szenen wurden die VFX in letzter Sekunde hinzugefügt und sie waren unscharf', sagt ein alteingesessener Filmhändler. ... Der verschobene Starttermin für 'The Marvels' setzte das 'Ant-Man'-Sequel unter enormen Druck: Der Plan für die Postproduktion verlor viereinhalb Monate. Die Marvelfilme sind zwar bekannt dafür, dass an ihnen bis zuletzt gearbeitet wird, zumal angesichts dessen, dass Produzent Kevin Feige in der Lage ist, 'die Landebahn aufzuschäumen und das Flugzeug sicher zu landen', wie ein Manager mit Einblick in die Firma sagt. Aber eine Bauruine dieses Ausmaßes war bislang einzigartig, wie auch die vernichtenden Kritiken feststellten, als der mit 200 Millionen Dollar budgetierte Tentpole-Film elf Tage nach seiner Premiere in den Kinos anlief. Die Kritiker waren nicht die einzigen mit verhagelter Laune. Da sie den Hals gestrichen voll haben von 14-stündigen Arbeitstagen und keinen Überstunden, sprachen sich die VFX-Arbeiter von Marvel im September einstimmig dafür aus, sich gewerkschaftlich zu organisieren und lösten damit einen branchenweiten Trend aus."
Archiv: Variety

New Lines Magazine (USA), 07.11.2023

Kingsley Charles widmet sich dem kuriosen Phänomen 'koro', der Angst vor dem Verlust des eigenen Penisses - diese verbreitet sich gerade in Windeseile in Nigeria, nachdem im September diesen Jahres ein Mann einen anderen bezichtigte, seinen Penis entwendet zu haben: "Verzweifelt weinend zeigte der Mann auf einen anderen Mann, dem er vorwarf, ihm während eines Händedrucks die Genitalien entrissen zu haben. Es kam zum Tumult. Ein wütender Mob stürzte sich mit Fäusten auf den Beschuldigten und forderte ihn auf, das Organ des anderen zurückzugeben. Kaum war die Polizei am Tatort eingetroffen, bestätigte der weinende Mann, dass sein Penis wieder da sei." Was wie ein völlig verrückter Einzelfall klingt, wird gerade zum tatsächlichen Problem: "In den sozialen Medien tauchen immer wieder Berichte über geschrumpfte Penisse in verschiedenen Bundesstaaten des Landes auf. In Calabar, wo im August erstmals weniger als ein Dutzend Fälle gemeldet wurden, war die Angst auf den Straßen fast greifbar. Die Regierung des Bundesstaates sah sich gezwungen, die wachsende Spannung zu dämpfen, auch aus Sorge um einen möglichen Schaden für den Ruf der Stadt bei Besuchern. In Calabar findet jedes Jahr im Dezember ein Karneval statt, der als größtes Straßenfest Afrikas bezeichnet wird. Am 12. September bezeichnete die Regierung des Bundesstaates in einer Presseerklärung die Berichte über verschwundene Genitalien als 'Fake News' und drohte mit der 'ganzen Härte des Gesetzes' gegen diejenigen, die diese Gerüchte verbreiten. Trotz der Warnung folgten weitere Fälle. Die Meldungen über verschwundene Penisse und die Gewalt des Mobs gegen mutmaßliche Diebe stiegen auf 15 Fälle und verbreiteten sich wie ein Sandsturm in den Straßen. Die meisten Männer in Calabar nahmen Bitterkola, einen tropischen Samen, der wegen seiner neutralisierenden Wirkung geschätzt wird, als Talisman in die Tasche mit." Mediziner ordnen 'koro' als eine Art psychotischem Anfall ein, der als gesellschaftliches Phänomen häufig in Krisenzeiten ausbricht, so Charles, eben die Angst vor Verlust der eigenen Männlichkeit als Angst vor ökonomischer Unsicherheit, Versagensängsten etc. Die Behandlung ist einfach, normalerweise können die Betroffen schnell überzeugt werden, dass ihre Angst unbegründet ist. Zum tatsächlichen Problem werde die Sache, wenn die Bezichtigung eines vermeintlichen Penisräubers in unkontrollierte Gewalt ausarte, was Charles zufolge auch schon öfter der Fall war.
Stichwörter: Koro, Nigeria, Penis, Fake News, Faust, Tatort