Virtualienmarkt

Das Buch hat Zukunft - aber nicht gegen das Internet

Von Rüdiger Wischenbart
27.04.2008. Warum lassen sich Verleger vor den Karren der viel unbedeutenderen Musikindustrie spannen und unterschreiben den unsäglichen Brief zum Tag des Geistigen Eigentums? Sie sollten eher über die Zukunft des Buchs nachdenken.
Ächz!
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Stöhn!
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Grmpfhhh!
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Sprechblase mit vielen Ausrufe- und Fragezeichen. Kringel. Totenkopf mit zwei Schenkelknochen gekreuzt. Dolch durchs Herz.
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Das Neolithikum der Bundesrepublik feiert fröhliche Auferstehung, denn so wie seinerzeit, in der Schmutz- und Schunddebatte der 1950er Jahre, als gegen allerlei Heftchen als schleichendes Gift und sicherer Tod für die Kultur des Abendlandes gewettert wurde, erleben wir Entsprechendes in diesen Tagen und Monaten, wenn's ums Internet geht. Eiderdaus.

Ich übertreibe nicht. In einer ganzseitigen Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der SüddeutschenZeitung, der taz und anderswo (Wortlaut) unterschrieben eine Reihe der unzweifelhaft wichtigsten Verleger von Literatur in Deutschland einen offenen Brief an die "Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin", in dem sie ernsthaft fordern, "unter staatlicher Aufsicht" (Ja! Sic!) "gemeinsam mit Verbraucher- und Datenschützern Verfahren zum fairen Ausgleich der Interessen aller Beteiligten zu entwickeln." (Erraten, es geht um Internet Piraterie)

"Unter staatlicher Aufsicht"!

Es beginnt schon damit, dass normalerweise alle diese unterschriebenen Verleger jeden Grafiker augenblicklich in die Hölle schicken würden, der einen Text so verhunzt, mit einem Layout, das eher an eine Todesanzeige erinnert, aber selbst da würde man nicht, Kraut und Rüben, so viele unterschiedliche Schriftgrößen und Hervorhebungen durcheinander wirbeln. Doch, und Verleger wissen das gut, je krauser das Layout, je gestelzter die Sprache, desto unsinniger ist zumeist der Inhalt.

"Künstlern, Kreativen und den beteiligten Industrien" bleibe "als einziger Weg", "gegen die Anbieter illegaler Produkte juristisch vorzugehen."

Heul! Schluchz!

Ausgerechnet auf den "Chef des gleichnamigen Bilderimperiums Mark Getty" beruft sich gleich im folgenden Satz der Text, wonach geistiges Eigentum "das Öl des 21. Jahrhunderts" sei. Da gerade "Getty Images" einen weltweiten Ruf hat, recht happig seine Übermacht in Sachen Bildrechte durchzusetzen, sei die Frage gestattet: War die Verwertung der Rechte am Öl des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts mehr im Interesse der Gettys und anderer Magnaten erfolgt - oder dem der kleinen Grundstückseigner, aus deren Grund und Boden, wie wir aus unzähligen Comics und Schundheften, inklusive Lucky Luke, bildlich wissen, plötzlich die schwarze Suppe gegen den blauen Himmel schoss?

Verleger haben Erfahrung mit schiefen Bildern und falschen Analogien. Warum aber unterschreiben sie dann solch einen Text?

Ich vermute, dass sie ihn nicht aufmerksam gelesen und das schreckliche Layout gar nicht gesehen haben, weil ihre Aufmerksamkeit gerade einem Manuskript, der Frühjahrs-Vertretersitzung oder ihrer Buchhaltung gehörte - zu Recht! Aber ein bisschen Aufmerksamkeit sollte darüber dennoch übrig bleiben für die Zukunft ihres Tuns.

Die ganze dämlich Anzeigenkatastrophe wäre nämlich nur eine Skurrilität am Rande, würde sie nicht exemplarisch beleuchten, wie in der Welt der Bücher seit langem die falschen Scharmützel als vermeintliche Schlachten um die Zukunft der Kultur und des Lesens geschlagen werden.

Die Kernprobleme und Konfrontationszonen bei Büchern sind, nach weitestgehend übereinstimmender Einschätzung in der Branche, die immer weiter steigenden Zahlen jährlicher Neuerscheinungen, der Konzentrationsprozess und daraus resultierende Schlachten um Lieferkonditionen und Marketingkosten im Handel, eine immer häufiger unterlaufene Buchpreisbindung, immer höhere Risiken (Stichwort: Vorauszahlungen) insbesondere für mittelgroße, konzernunabhängige Verlage - und wenig Innovation.

Abgesehen vom letzten Punkt, Innovation, hat das alles mit Internet, Missachtung von geistigem Eigentum und Piraterie herzlich wenig zu tun. Einzige Ausnahme sind allenfalls digital vertriebene Hörbücher, die eine der ganz wenigen, immer noch schmalen neuen Nischen öffneten, in denen sich Buchverlage ernsthaft mit dem Internet beschäftigt haben, und wo sie ein Zusatzgeschäft zum traditionellen Buchvertrieb fanden.

Ich will nur beiläufig erwähnen, dass neben dem angeblich "einzigen Weg" der juristischen Verfolgung von Kids viele, auch große Pop Bands längst erfolgreich mit Download Angeboten experimentieren und mit neuen - allerdings für die Musikindustrie nicht immer rosigen - Alternativmodellen ziemlich kreativ geworden sind, vom Vertrieb über Kaffeehausketten bis zur Verlagerung des Einkommensschwerpunktes auf Live Acts statt auf CD Verkäufen. Zweite Beiläufigkeit: Die abstruse Anzeige verweist auch noch irgendwie auf die "milliardenschwere Telekommunikationsindustrie". Nun, die Buchbranche setzt rund 9 Milliarden Euro um, rund doppelt so viel wie die Musikindustrie, vor deren Karren sich die Verleger da spannen ließen.

Was soll also der ganze Zinnober und das Flehen um "staatliche Aufsicht"?

1. Im Rückblick auf die Jahrzehnte seit der Schmutz- und Schunddebatte fallen mir etliche ebenso gewichtige wie riskante Beispiele dafür ein - etwa Deutscher Herbst 1977, Salman Rushdie "Satanische Verse" -, dass deutsche Verlage ihr Profil und ihre gesellschaftliche Bedeutung aus Eigenem zu schärfen verstanden haben;

2. Autoren, Kreative und Kulturindustrien als Schiffbrüchige in einem gemeinsamen Boot - das klingt nicht wirklich nach einer Zukunftsstrategie;

3. Sieht man sich in der internationalen (und durchaus auch der deutschen) Verlagsszene um, dann gewinnt man eher das Gefühl, dass nun endlich manch alte Zöpfe abgeschnitten werden und das Internet als produktive Herausforderung angegangen wird.

Da die fragliche Anzeige nur von der Musikindustrie verantwortet wurde (laut "V.i.S.d.P.), ist ja zumindest Geld gespart, das man in ein gutes Zukunftsgespräch über Bücher investieren könnte. Und wenn man die Lektion mitbudgetiert, dass draller Lobbyismus oft genug nur ein Schuss ins eigene Knie ist, wäre schon wieder Geld nicht ausgegeben worden.

Huch!
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Was werden die Verleger mit all der Kohle, die sie zumindest nun in Zukunft nicht mehr falsch ausgeben werden, nur machen? Anzeigen schalten? Oder Öl des 21. Jahrhunderts in Kohle des 18. Jahrhunderts verwandeln - Stichwort Gold der Aufklärung? Nicht auszudenken!

Freu!

Rüdiger Wischenbart