Vom Nachttisch geräumt

Das Problem mit drei Buchstaben: wir

Von Arno Widmann
24.04.2017. Lässt die Wirklichkeit wie eine Erfindung aussehen: Heike-Melba Fendels Roman "Zehn Tage im Februar".
Es wimmelt von schön formulierten witzigen und klugen Beobachtungen in diesem Buch. "Bevor ich Gefühle haben kann, brauche ich einen Kaffee" oder  "Alles passt zu allem in diesem Haus. Nur wir nicht zueinander, sosehr wir es wollen." Über eine Polizistin: "Eine Waffe trägt sie auch, sie sitzt auf ihrer Hüfte wie eine verrutschte Erektion." Den Dalai Lama bezeichnet sie als "spirituelles Maskottchen" des Westens. Die Ich-Erzählerin ist nicht nur frech, sondern auch empfindsam: "Mein Unglück ist ihm fremd. Er macht bereits einen Bogen um die schiere Vermutung meines möglichen Unglücks." Da wird so mancher Leser sich ertappt und erkannt fühlen. Ich liebe Sätze wie diese: "Man kann sich entscheiden, wir entscheiden uns ja fortwährend. Für einen Ort, einen Mann, eine Geschichte. Wie entschlossen auch immer wir das tun, es bedeutet keinesfalls, dass nicht weiterhin alles offen bleibt." Das macht einem Angst, gleichzeitig gibt es keinen größeren Trost. So heißt es an einer Stelle: "Ich bin ins Fach der ernsten Beziehung gewechselt. Ernst ist es, wenn man nicht rauskommt - weil man es nicht schafft oder weil man es nicht will. Vor allem aber, wenn das eine vom anderen nicht zu unterscheiden ist. Weil ja der Mann so herzensgut ist und sein Körper so schwer."

Das Buch sei ein Roman, sagt der Untertitel. Der Leser eines Buchhinweises verlangt also auch ein wenig von der "Handlung" zu erfahren. Ich bin leider der Falsche, darüber Auskunft zu geben. Die Ich-Erzählerin fährt als Journalistin zu den Filmfestspielen nach Cannes und Venedig. Sie hat kein Geld, nächtigt auf Partys, in Hotelsuites anderer Menschen, im Auto und auf dem Strand. Sie lernt die neuseeländische Filmregisseurin Jane Campion ("Das Piano") kennen und lieben. Sie probiert sich und andere aus. Denn sie ist neugierig auf Wörter, Bilder, Menschen, auf das Leben. Sie ver- und entliebt sich. Mal lässig, mal unter Schmerzen. Wie das so geht. Jede Straße, wo auch immer, ist eine wirkliche Straße. Es gibt alles, das in diesem Buch vorkommt, wirklich. Der ahnungslose Leser weiß nicht, ob er die Kunst der Autorin bewundern soll, mit der sie die erfundenen Personen in die reale Welt einbettet oder aber ihr Geschick, die Wirklichkeit wie eine Erfindung aussehen zu lassen.

Heike-Melba Fendel: Zehn Tage im Februar, Blumenbar Verlag, Berlin 2017, 208 Seiten, 18 Euro.