Vom Nachttisch geräumt

Ruinenschönheit

Von Arno Widmann
27.02.2017. Feiert die Schönheit des Untergangs: Der Fotograf Herbert Posmyk, der die Zerstörung des Potsdamer Stadtschlosses dokumentierte.
Wir haben ein Auge für die Schönheit des Untergangs. Spätestens seit Constantin Francois Volney, Mitglied der französischen Nationalversammlung,  im Jahre 1791 lieber in Genf sein Buch veröffentlichte "Les Ruines, ou méditation sur les révolutions des empires". Die Malerei hatte schon immer einen Blick auf die Ruinen geworfen. Vor allem auf die Überreste Roms. "Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand" ist - mit anderen Worten wahrscheinlich in allen Sprachen - ein altes Lied. Wer diese Melodie mag, der wird gerne nach den Fotografien greifen, die Herbert Posmyk von 1953 bis 1960 von der Ruine des Potsdamer Stadtschlosses machte. Im Krieg war das Schloss bombardiert worden, aber bis zum endgültigen Abriss im November 1959 erinnerten die Überreste an eine Pracht, die die Gegenwart demütigte. So standen Pantheon, Kolosseum und die anderen Großbauten des antiken Roms in der geschrumpften, weitgehend aus Hütten bestehenden mittelalterlichen Stadt. Sie standen eben nicht nur da als Beleg für die Vergänglichkeit jeder - nicht nur menschlichen - Größe. Sie erinnerten auch daran, wozu Menschen fähig waren. Wie die vom Dschungel überwucherten steinernen Maya-Städte ihren Nachkommen als das Werk von Riesen erschienen.


Im April 1960 wird der letzte Trümmerschutt entsorgt.

In den Aufnahmen von Herbert Posmyk erkennt der Betrachter auch beides: den Untergang und die Erinnerung an das, was möglich ist. Die Schönheit der Vergangenheit liegt zwar in Trümmern, aber die sind auch als Bruchstücke einer Utopie zu betrachten und zu benutzen. Der Figurenschmuck auf den Giebeln mag in den Augen einer ganz auf glatte Flächen fixierten Moderne lächerlich erscheinen. Wer aber zu lange in der Schmucklosigkeit lebt, der sehnt sich nach Zierart. Er beginnt die glatten, mit einem einzigen Blick erfassbaren Flächen zu fliehen und schaut aus nach Epochen, die den Augen mehr Schmaus bieten.

Dass sich die Ruinen solange halten konnten, darüber belehrt das Buch, lag auch daran, dass nicht alle SED-Granden für ihren Abriss waren. Möglicherweise gab es auch welche, die sie als Dokumente ihres Sieges bewahren wollten. Wie in mittelalterlichen Domen Bruchstücke (Spolien) aus heidnischen Vorgängerbauten eingearbeitet und damit auch ausgestellt wurden, so sollten vielleicht auch Überreste des "feudalen" Potsdam im Stadtbild erhalten bleiben, Trophäen gewissermaßen.


Die Sprengungen werden geplant

Betrachtet man auf Posmyks Aufnahmen nicht die Ruinen, um die es geht, sondern die Umgebung, in der sie stehen, dann merkt man, dass, falls es denn solche Überlegungen überhaupt gegeben haben sollte, sie an der erbärmlichen Realität des realsozialistischen Potsdam jener Jahre hätten scheitern müssen. Neben den Ruinen - meist nur noch die Fassaden - nichts als Trümmer und Brache. An keiner einzigen Stelle triumphiert die Gegenwart über die Vergangenheit. Es gibt Aufnahmen mit Fußgängern. Sie haben, denkt der Betrachter, überlebt. Und er ertappt sich dabei, wie er sich wundert, dass das Schloss, das Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699- 1753) für seinen Fürsten Friedrich II. 1751 aus solidem Stein erbaute, zerstört wurde, während die dünnhäutigen Menschen überlebten.


Die Ruinen des Stadtschlosses. Alle Fotos von Herbert Posmyk aus dem besprochenen Band.

Ein dummer Gedanke, der aber doch den Vorteil hat, einen daran zu erinnern, dass Bollwerke und Schutzmauern weniger Sicherheit bieten als Mobilität. Ich kann nicht an Knobelsdorff erinnern, ohne darauf hinzuweisen, dass sein Bild "Blick auf Rheinsberg" aus dem Jahre 1737, zu meinen Lieblingsbildern gehört. Aber zurück zum Stadtschloss. Das Buch erinnert auch an den Protest, den es gegen seine - vorläufig endgültige - Zerstörung gab. Architekten und Bürger Potsdams wehrten sich. Auch der 1929 geborene Ingenieur und Statiker Herbert Posmyk. Er sorgt dafür, dass dieser Protest auch im Westen gehört wird.

Das Stadtschloss steht seit 2014 wieder. Heute arbeitet darin, auch das ist eine Demonstration, der Brandenburgische Landtag. Es ist äußerlich eine weitgehend getreue Rekonstruktion des Knobelsdorffschen Baues. Auf die schmückenden Figuren hat man Außen wie Innen verzichtet. Der Bau wirkt wie geköpft. Aber lassen wir das, sehen wir uns die Aufnahmen von Herbert Posmyk an. Zu denen der Herausgeber, Dirigent Christian Thielemann, schreibt: "Man spürt sofort, dass diese Fotos von einem Menschen aufgenommen wurden, der eine starke Beziehung zu diesem Bauwerk hatte, der unter dem Abriss litt und ihn trotzdem nicht verhindern konnte."

Der Untergang des Potsdamer Stadtschlosses, Fotografien von Herbert Posmyk, herausgegeben von Christian Thielemann, Edition Braus, Berlin 2016, Querformat, 96 Seiten, etwa 150 s/w und farbige Abbildungen, 29,95 Euro