Essay

Grimassenhaft, aber listig choreografiert

Von Ulf Erdmann Ziegler
13.09.2022. Ein hysterischer Zug, ein Hang zum lauten Symbol mit Echo, durchzieht das Werk dieses Fotografen und Filmemachers. Von seinem frühesten Fotobuch, "Life is Good & Good for You in New York" über seine Filme "Who are you, Polly Maggoo?" und "The French" bis zum Spätwerk. Dabei mischte er unter anderem sogar die japanische Fotografie auf. Zum Tod des Fotografen und Filmemachers William Klein.
Es mag sein, dass nicht viel Platz bleibt zwischen Baum und Borke, aber andererseits ist die Konkurrenz dort minimal. William Klein war so einer, der sich in den dünnen Schichten der Zwischenwelten bewegte, zwischen Dokument und Mode, Fotografie und Film, Fiktion und Dokument. Wo sollte das hin und wer war gemeint? Bis man sich umdrehte und die riesigen Schatten sah. Schatten in Bewegung. Sein Werk war eines der monströsen Kritik, der Düsternis und der Feindlichkeit. Vielleicht war Fassbinder konsequenter oder Diane Arbus mit weniger Mitteln früher am Ziel. Aber dies war die Liga, in der William Klein spielte. Und er spielte lang.

Geboren am 19. April 1926, aufgewachsen als jüdisches Kind in einem irischen Viertel New Yorks, glaubte er von vornherein nicht, dass zuhause etwas mit gemütlich zu tun hat. Er war zu jung um zu beobachten, wie sein Vater in die Wirtschaftskrise schlitterte, aber das Amerika der dreißiger Jahre, nahezu Stillstand, war dann seine Kindheit. In der Verwandtschaft jedoch etliche Wirtschaftsjuristen mit Einfluss in Hollywood: Diesem Schicksal wollte er entkommen.

Als amerikanischer Soldat nach dem Krieg lernte Klein Deutschland als Ruine kennen und ging dann als Zivilist nach Paris, wo er bei Fernand Léger das Malen lernte, zumindest als Idee, und alsbald ein Mädchen mit dem magischen Namen Jeanne Florin heiratete. Wer täte das nicht? Sie hatten einen Sohn namens Pierre. In seiner hellen Wohnung mit Blick auf den Jardin du Luxembourg blieb William Klein, inmitten seines Archivs und seiner Bücher, nachdem sie 2005 gestorben war.

Die meisten Amerikaner, die nach dem Krieg dauerhaft in Europa siedelten, waren Jazzmusiker, viele von ihnen Schwarze. Sie hatten einfach genug von der Segregation und dem faulen Spiel des Kalten Kriegs. Ähnlich wie viele schwarze Künstler fühlte sich Klein von Amerika aus- oder wenigstens abgestoßen. Das offenbarte sich, als er 1955 nach New York zurückkehrte und die Stadt, dessen Kind er war, als eiskalte, schwarz gerasterte Gruft erkannte, in der überdreht fröhliche Freaks und Zwerge ihr Unwesen treiben. Seine Bilder atmeten die Begeisterung ein und das Entsetzen aus. William Klein war plötzlich, ganz ohne Lehrer, Fotograf geworden.

Wie viele Kreative unmittelbar nach dem Krieg wäre Klein nicht geworden, was er war, ohne Alexander Liberman, den Art-director von Vogue, der ganz andere Bilder im Blatt sehen wollte als Modestrecken und die Modestrecken durch Straße, Alltag und Regelbruch von ihrer mittelständischen Sterilität zu befreien versuchte. Fotografen hatten also einerseits sehr viele Möglichkeiten dort; andererseits waren sie im Umkreis der Vogue festgelegt auf die Moden des Establishments und auf Libermans Patronage.

Klein löste das Problem nach zehn Jahren, indem er mit der kommerziellen Fotografie und auch der anti-kommerziellen erst einmal brach und einen bösartigen, satirischen Film drehte, in dem eine junge Frau aus Brooklyn namens Dorothy McGowan als Supermodel vom Modeapparat aufgefressen wird. Sie hat keine Ahnung, wer sie ist, weshalb der Filmtitel lautete: "Who are you, Polly Maggoo?" (1966). Wem dieses Spektakel überdreht vorkam, der wurde gewiss nicht glücklich mit der Megaspion-Superman-Satire "Mr. Freedom" (1969), deren Ziel es war, dem amerikanischen Imperialismus die Maske herunterzureißen; wobei er sich allerdings über kommunistische Funktionäre gleichermaßen lustig machte. Kurios, der Film wurde als Angriff auf die Ehre der französischen Nation missverstanden und ein halbes Jahr offiziell blockiert. Mit "Mr. Freedom" zeigte sich ein hysterischer Zug, ein Hang zum lauten Symbol mit Echo, der bis weit in das Spätwerk reichte und von dem man nie genau wusste, ob er zum Gegenstand der Betrachtung gehörte oder als persönliche Zutat anzusehen war. Auch filmte Klein eine Episode in dem Interventionsfilm "Fern von Vietnam" (1967). Andere Regisseure dieses Films waren Agnès Varda, Jean-Luc Godard und Alain Resnais. Insofern war Klein ein Außenseiter der Nouvelle Vague.

Szene aus "Who Are You, PPolly Maggoo"



Hier, im essayistischen und dokumentarischen Film, bewies William Klein seine Stärke, nämlich die Beobachtung jenseits aller Reportageklischees. 1964 begab er sich nach Zaire, um Cassius Clay (später: Muhammad Ali) zu filmen, wie er die Leute heiß machte gegen seinen Boxkampfgegner aus Amerika, George Foreman, der dann zum großen Erstaunen aller, als er eintraf, kein Weißer war. Einer der großen Dokumentarfilme, "The French" (1982), handelte nicht von den Franzosen, sondern von einem berühmten Tennisturnier, und zeigte diesen Sport als mühsam und nah am Boden, mit hautnahen Feindschaften und fragilem Männerbund. Das Mikrofon fing die unwahrscheinlichsten Flüche auf. Klein, der im Laufe seines Lebens 250 Werbefilme gedreht haben soll, war letztlich total gegen den Glamour, und er war dann am besten, wenn es nicht nötig war, das auszusprechen.

Erstaunlich ist - und rar in irgendeinem künstlerischen Werk - wie William Kleins filmisches Werk eine solche Kraft entfaltete, nachdem er schon der schwarzweißen Fotografie wichtige Impulse gegeben hatte, und zwar bis nach Japan. Seinen (damals noch) kleinen, ingeniösen, gehässigen Bildband - er hieß "Life is Good & Good for You in New York" - bekam er 1956 beim Literaturverlag Seuil verlegt, wo ein gewisser Chris Marker damals das Segment Reisebuch leitete. In den sechziger Jahren folgten intensive, abenteuerliche, von ihm selbst gestaltete Städtebände über "Rom", "Moskau" und "Tokio" (so hießen die wirklich), die man auch in manchen deutschen Bibliotheken und Antiquariaten findet, weil Henri Nannen und Gerd Bucerius als Ko-Verleger deutscher Ausgaben einsprangen. Dass damals Buchhändler die Bildbände als Reisebücher ansahen, Rezeption am Rande des Missverständnisses, hat sie wirklich populär gemacht.

Während William Klein als Miterfinder der Straßenfotografie gilt, war er selten ein heimlicher Beobachter. Im Gegenteil, er war spezialisiert auf Familien, Gruppen und (auch zufällige) Kohorten, die er durch seine Art zu fotografieren zu Amüsement und in Rage brachte, und die dem Betrachter dann grimassenhaft, aber listig choreografiert, ins Gesicht sprangen. Das war seine Art zu zeigen, wie unter jeder Gewöhnlichkeit das Abnorme sichtbar wird, wobei er gleichzeitig, paradoxerweise, Zweifel säte, ob es bei diesen Guckkästen des Abseitigen überhaupt noch einen Begriff von Wirklichkeit gäbe. Diese ambivalente Aggression ist es, die seine  Bilder noch lange werden leben lassen.

William Klein ist am Samstag mit 96 Jahren in Paris gestorben.

Ulf Erdmann Ziegler