Magazinrundschau
Die Gefängnisaufseher fürchten das sehr
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
16.02.2010. Osteuropa druckt den Briefwechsel zwischen Michail Chodorkowski und Ljudmila Ulitzkaja. The Atlantic lässt sich erklären, warum nicht die Chinesen die größte Bedrohung im Cyberspace sind. Elet es Irodalom fragt, warum sich in Ungarn kaum jemand für die Stasi-Spitzel interessiert. Im New Statesman weiß Tariq Ramadan auch nicht, was ein gemäßigter Muslim ist. Im Nouvel Obs erklärt V.S. Naipaul den Aufstieg Indiens zur Chimäre. Der Guardian untersucht die Salven, die Emily Dickinsons Hirn in ihren Körper schoss.
La regle du jeu (Frankreich), 06.02.2010
Vor dem Hintergrund des Prozesses gegen den früheren Leiter eines Folterlagers der Roten Khmer, Kaing Guek Eav, der als Genosse Duch bekannt war, unterhält sich Gilles Hertzog mit dem katholischen Priester Francois Ponchaud, der zu den ersten gehörte, die den Genozid in Kambodscha aufdeckten. Die Chancen einer echten Aufarbeitung sieht er dabei eher ambivalent, weil nach seinen Erfahrungen und nach Einschätzung der Ethno-Psychologie viele Kambodschaner davon überzeugt sind, dass das Böse als solches nicht existiert und sie das, was sie erlitten haben, mit Karma erklären. Allerdings sieht er auch die Traumatisierungen: "Die derzeitige Gewalt in den Familien basiert teilweise auf der Gewaltherrschaft der Roten Khmer. Alle, die damals Kinder waren und heute Familie haben, sind gewalttätig, Männer wie Frauen. Da sie nicht von ihren Eltern aufgezogen wurden, von denen man sie getrennt hatte, wiederholen sie das Gewaltmuster, das sie kennen. Die Zeitungen wimmeln nur so von grauenerregenden Meldungen. So kommt es häufig vor, dass ein Mann seine Frau mit Säure überschüttet. Aber diese unterschwellige Gewalt hat auch weit zurückliegende Wurzeln. Angkor ist das Werk zahlloser Sklaven, Kriegsgefangene aus den Gebieten des früheren Siam und Laos."
Ergänzend ist ein Essay von Gilles Hertzog über den Prozess und die Roten Khmer dreißig Jahre danach zu lesen.
Und Bernard-Henri Levy äußert sich sehr elegant zu der schadenfroh kommentierten Blamage, in seinem neuen Buch "De la guerre en philosophie" in einer Abrechnung mit Kant die Arbeit des fiktiven Philosophen Jean-Baptiste Botul, Erfindung eines Journalisten des satirischen Magazins Canard enchaine, zitiert zu haben: "Ein wirklich brillanter und äußerst glaubwürdiger Scherz ... Chapeau zu diesem erfundenen Kant."
Ergänzend ist ein Essay von Gilles Hertzog über den Prozess und die Roten Khmer dreißig Jahre danach zu lesen.
Und Bernard-Henri Levy äußert sich sehr elegant zu der schadenfroh kommentierten Blamage, in seinem neuen Buch "De la guerre en philosophie" in einer Abrechnung mit Kant die Arbeit des fiktiven Philosophen Jean-Baptiste Botul, Erfindung eines Journalisten des satirischen Magazins Canard enchaine, zitiert zu haben: "Ein wirklich brillanter und äußerst glaubwürdiger Scherz ... Chapeau zu diesem erfundenen Kant."
New Republic (USA), 18.02.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q27/A26660/newrepublic.jpg)
Online tobt in der New Republic, aber auch in anderen Medien, eine giftige Kontroverse um die Frage, ob der berühmte Blogger Andrew Sullivan, der auch mal bei der TNR war, heute antizionistisch, ja antisemtisch argumentiere. Eröffnet wurde die Debatte von Leon Wieseltier. Hier Sullivans Antwort. Hier Wieseltiers Gegenantwort. Die Debatte hat Weiterungen bei salon.com (hier) und in The Nation (hier).
Osteuropa (Deutschland), 15.02.2010
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Tygodnik Powszechny (Polen), 14.02.2010
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Der Film, über den man in Polen momentan spricht, heißt "Tlen" (Sauerstoff) und wurde von dem in Warschau lebenden russischen Regisseur Iwan Wyrypajew (hier die offizielle russische Seite) gedreht. Er stelle den Versuch dar, einen "totalen Film" zu machen, in dem alle existenziellen Ängste unserer Zeit zu thematisieren, meint Anita Piotrowska. "Mit 'Tlen' diskutiert man nicht. Entweder sind wir bereit, bedingungslos in dieser künstlichen, hybriden Welt aufzugehen, oder wir erachten den Film als sinnlose Sammlung biblischer Zitate, Fernsehnews, Werbung und fotogener Aufnahmen, die in eine Videoclip-Ästhetik gezwängt wurden."
The Atlantic (USA), 01.03.2010
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In der University of California at Santa Cruz wird demnächst ein große Grateful-Dead-Archiv öffnen, Joshua Green beeindruckt vor allem, wie die Band ihre treuen Fans belohnte: "Die Band etablierte eine Telefon-Hotline, um sie vor allen öffentlichen Ankündigungen über ihren Tourneeplan zu informieren, reservierte ihnen die besten Plätzen und gewährte Nachlässe für die Tickets, die die Band selbst über einen eigenen Versand vertrieb. 'Die Grateful Dead waren Meister im Schaffen und Erfüllen des avancierten customer value', erklärt mir Barry Barnes, Ökonom an der Nova Southeastern University in Florida."
Elet es Irodalom (Ungarn), 15.02.2010
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New Statesman (UK), 12.02.2010
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Nouvel Observateur (Frankreich), 11.02.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q9/A26665/nouvelobs.jpg)
Zu lesen ist außerdem ein Gespräch mit der Philosophin Elisabeth Badinter, die in ihrem Buch "Le Conflit, la femme et la mere" (Flammarion) mit der Ideologie der perfekten Mutter abrechnet. Gegen ihre These, dass Babys zu einer Waffe des Patriarchats geworden seien, formiert sich derweil bereits lautstarker Protest. Im Obs widerspricht die amerikanische Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy auch Badinters These, wonach Mutterschaft eine rein soziale Konstruktion sei und keinerlei biologische Grundlage habe.
Magyar Narancs (Ungarn), 11.02.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q91/A26668/magyar.jpg)
El Pais Semanal (Spanien), 14.02.2010
Auch in Spanien steht die Verschärfung bzw. Ausweitung des Rauchverbots auf ausnahmslos alle öffentlichen Lokale bevor. Ein entnervter Javier Marias fordert Gleichbehandlung: "Auch auf Wein-, Whisky- und Ginflaschen sollen abstoßende Fotos von Betrunkenen zu sehen sein, von durch Zirrhose zerstörten Lebern, und von Ratten und Spinnen, wie sie Säufern im Delirium Tremens erscheinen; an Landstraßen und Autotüren sollen gut sichtbar Bilder von in ihren Blechruinen zerquetschten Unfallopfern angebracht werden, von Rollstuhlfahrern, enthaupteten Motorradfahrern, angefahrenen Fußgängern, amputierten Armen und Beinen; an allen Stränden sollen Fotos Ertrunkener zu sehen sein, nach Berührung von Quallen angeschwollener Körperteile und an Hautkrebs Erkrankter; Flugzeuge sollen mit Bildern von Abstürzen, zerfetzten Leichen, Terroristen mit Bomben und verzweifelt in eisigen Meeresfluten schwimmenden Passagieren dekoriert werden; wie auch an den Rathäusern Fotos von durch Immobilienspekulation zerstörten Landschaften angebracht werden sollen."
Guardian (UK), 13.02.2010
"Es ist an der Zeit, mit dem Mythos von der wunderlichen und hilflosen Kreatur aufzuräumen, die enttäuscht von der Liebe das Leben aufgegeben hat", verkündet Lyndall Gordon, der in einer neuen Biografie Emily Dickinsons die These vertritt, dass die große Dichterin an Epilepsie gelitten hat: "Da die Fallsucht, wie Epilepsie damals genannt wurde, peinliche Assoziationen zu Hysterie, Masturbation, Syphilis und geistiger Rückständigkeit bis hin zu epileptischem Wahnsinn weckte, durfte nicht über sie gesprochen werden, besonders bei einer Frau. Bei Männern war das Geheimnis weniger streng gehütet, bei einigen - Caesar, Mohammed, Dostojewski - überstrahlte der Ruhm das Stigma, aber eine Frau musste sich in lebenslanges Schweigen hüllen. Wenn die Vermutung richtig ist, scheint es bemerkenswert, wie Dickinson eine Stimme aus dem Inneren dieser Stille entwickelte, eine Stimme mit der vulkanischen Kraft, genau im richtigen Augenblick auszubrechen. Ihre gewaltvollen Bilder, die 'spasmodischen' Rhythmen... und der schiere Umfang ihres Ausstoßes zeigen, dass sie schöpferisch mit den Salven umging, die ihr Gehirn in den Körper schoss. Sie verwandelte eine explosive Krankheit in Kunst: Szenen mit 'Revolver' und 'Gewehr'. Zurückgehalten in der häuslichen Ordnung, beschützt von Vater und Schwester, rettete Dickinson sich vor der Anarchie ihres Zustands und nutzte ihn."
Polityka (Polen), 15.02.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q95/A26672/polityka.jpg)
New York Times (USA), 14.02.2010
David Dow, Jurist und Aktivist gegen die Todesstrafe in den USA, hat seine "Autobiography of an Execution" (Audio-Leseprobe) geschrieben. Dahlia Lithwick berichtet in der NYT Book Review tief beeindruckt von seinem unermüdlichen Kampf für Klienten, die ihm keineswegs immer sympathisch sind. Zum Glück gibt's auch gute Nachrichten: "Statistiken des Death Penalty Information Center zeigen, dass die Todesstrafe in Amerika ausstirbt. Im letzten Jahr ist die Zahl der Todesstrafen zum siebten Mal hintereinander gesunken; sie liegt nun auf dem niedrigsten Niveau, seit der Supreme Court die Todestrafe 1976 wieder einführte. Elf Staaten erwogen im letzten Jahr die Abschaffung der Todesstrafe, mit dem Argument der hohen Kosten und geringen Effekte. New Mexico hat jüngst als fünzehnter Staat die Todesstrafe abgeschafft."
Außerdem: Geoffrey Wheatcroft schreibt einen Essay über die Aktualiät George Orwells. Und im NYT Magazine schreibt Russell Shorto (Autor einer schönen Frühgeschichte New Yorks) über die Frage, als wie christlich sich die Gründerväter der USA betrachteten.
Außerdem: Geoffrey Wheatcroft schreibt einen Essay über die Aktualiät George Orwells. Und im NYT Magazine schreibt Russell Shorto (Autor einer schönen Frühgeschichte New Yorks) über die Frage, als wie christlich sich die Gründerväter der USA betrachteten.
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