Virtualienmarkt

Der Abschied vom Universum Buch

Von Rüdiger Wischenbart
30.01.2012. Jürgen Neffe will einen anti-globalen Schutzwall um einen Markt ziehen, der sich bereits in völliger Auflösung befindet. Das wird nicht funktionieren. Trotzdem braucht der Wandel gute Rahmenbedingungen.
Vor Weihnachten hat Jürgen Neffe hier eine "Zeitenwende" für das Buch ausgerufen, und auf Internetplattforen wie Google+ (und auch im Perlentaucher, hier) einige kontroverse Reaktionen ausgelöst. Natürlich hat er mit dem Grundbefund recht, dass da gerade vor unseren Augen etwas auseinanderbricht, das lange Zeit - sagen wir, seit knapp 200 Jahren - eine in sich drehende Sphäre, etwas höher gehängt: ein eigenes kulturelles Universum gebildet hat. Aber in nahezu allen folgenden Details muss ich Neffe wohl widersprechen.

Wenn sich die Zeiten wenden, wie es gerade auch in den wenigen Wochen seit Neffes Essay noch einmal besonders drastisch greifbar wird, so sind damit weder das Ende des Buches, der Autorenschaft und der gewachsenen kulturellen Biotope gekommen, noch kann man sinnvollerweise irgendeinen anti-globalen Schutzwall ums gute Buch aus dem Geiste des 19. Jahrhunderts errichten. Freilich, ein Problem gibt es mit Büchern und Autoren ganz gewiss.

Wer noch vor ein paar Monaten vorausgesagt hätte, die zwei mit Abstand führenden deutschen Buchhandelsketten stünden demnächst zum Verkauf, der hätte sich aus relevanten Branchendebatten selbst rausgekickt gehabt. Nun ist es aber so weit.

Bei Thalia, mit rund einer Milliarde Euro Umsatz der Branchenprimus (nach dem Fachmagazin buchreport), spricht einer der Hauptaktionäre mit Finanzinvestoren. Bei der Nummer zwei, Weltbild (730 Millionen Euro schwer) haben die Bischöfe als alleinige Eigentümer schon kurz zuvor den Befehl zum Verkauf ausgegeben.

Der gesamte deutsche Buchhandel macht einen Umsatz von rund 9 Milliarden Euro, da ist also das ins Schaufenster gestellte Porzellan und Tafelsilber schon ein ordentlicher Brocken am Ganzen!

Die Nummer drei, die Mayersche Buchhandlung (deutlich kleiner, aber doch immerhin 175 Millionen Euro Umsatz pro Jahr), übernimmt einen Spielwarenhändler, um demnächst die Fläche für Bücher zugunsten von "Teddy & Co" zurückzunehmen.

Vertrauen ins Buch drückt sich anders aus. Dabei wird die Story erst klar, wenn man ein wenig ins Detail geht. Bei Thalia drücken die gerade erst aggressiv expandierten Großflächen auf den Ertrag, während das Geschäft über Onlineshops um 20 Prozent wuchs, welches auch dazu führt, dass Weltbild aufgrund seiner Expansion im Internet für Finanzinvestoren wohl hoch attraktiv ist.

Noch gar nicht erwähnt ist da Amazon, der sehr deutliche Marktführer unter den Online Buchhändlern, der bei der buchreport-Aufstellung der Riesen nur deshalb nicht dabei ist, weil er keine Zahlen verrät. Aber die Frage ist eigentlich nur, ob Amazon noch zwischen Weltbild und Thalia rangiert, oder schon darüber liegt - und gewiss ist, dass Amazon auch bei Büchern rasant wächst.

Hier ist über Jahre eine Schere mit gewaltiger Hebelkraft aufgegangen: Wer gestaltet eigentlich das Geschäft und den Umgang mit Büchern in Deutschland (und in Europa)? Wie gewohnt Verlage und heimischer Buchhandel, und ein bisschen die Autoren? Oder haben sich nicht auch die Gewohnheiten der Lesenden verändert? Haben sie nicht die Bücher, jenseits des traditionellen und umhegten Marktplatzes, einbezogen ins große, übergreifende digitale Röhrensystem für Inhalte jeglicher Art, welches die Userinnen und User möglichst immer bei sich haben wollen, am Sofa und in der Westentasche, zum Billigpreis - so wie zuvor Musik, Filme, Spiele, TV Serien?

Die Debatte um Bücher und Digitalien lief Jahre lang so, als entstünde zwar da draußen eine große digitale Welt. Musik stöpseln wir flott ins Ohr. TV und Filme zieht man sich immer öfter über Internetplattformen rein. Auch sonst sitzt man am Laptop, oder tippselt längst am Handy oder surft am iPad nicht nur um bei Wiki was nachzuschlagen, sondern lebt in einem zunehmend hoch integrierten digitalen Informationskreislauf und bewegt sich ganz selbstverständlich in einer digitalen Informationsökonomie, nicht nur in der Firma, sondern per Flatrate und in der Cloud ganz privat. (Ich rede hier primär von legalen Angeboten, auch wenn manche, wie Netflix, oder Spotify in Deutschland noch nicht zugelassen sind, und nur bedingt von den grauen bis illegalen Zonen und von Piraterie. Das verlangte nach einer eigenen Betrachtung.)

Aber Bücher sollten, so die Erwartung in vielen Kulturgesprächen, etwas ganz anderes bleiben, wenigstens so lange, als hier noch keine Ebooks gelandet sind, denn die gibt es bekanntlich nur in Amerika.

Tatsache ist jedoch, dass von Autorenschaft, Recherche und Produktion bis zum Bestellen bei Amazon und Weltbild längst schon auch das auf Papier gedruckte Buch ein Teil von Digitalien ist, also Teil dieser Informationskreisläufe und Teil der digitalen Ökonomie.

Wogegen, und um welche Territorien will nun Jürgen Neffe Schutzwälle errichten? Nur gegen Amazon, Apple und Google - wo sich bei Google fragen lässt, warum es, trotz all seiner digitalen Bibliotheksbestände im aktuellen Match gar nicht richtig mitmischt? Wer ist Teil des zu schützenden "Binnenmarktes" für Bücher?

Die britische Buchhandelskette Waterstones wurde erst durch einen russischen Investor gerettet, ähnlich wie britische Fußballclubs, und erst kürzlich hat der größte französische Buchkonzern Hachette ein Viertel der Anteile an dem Russenimperium erworben. Der auf dem globalen Parkett wichtigste Herausforderer von Amazon ist ein ursprünglich kanadisches Unternehmen, Kobo (das in Deutschland auch über die Branchenplattform des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Libreka, präsent ist).

Kobo hat tatsächlich das Potenzial, in dieser "Zeitenwende" (Neffe) ganz rasch zum globalen Player aufzusteigen, seit es im Vorjahr vom japanischen Online-Kaufhaus Rakuten übernommen worden ist. Ist, in der von Jürgen Neffe angespielten Logik, Kobo/Rakuten nun innerhalb der Schutzzone, weil es ein Partner von Libreka ist? Sollte der Börsenverein Libreka gar den Japanern anbieten? Oder ist Rakuten/Kobo draußen vor, weil eine Heuschrecke?

Mir geht es hier nicht um polemische Zuspitzungen, sondern um einen ganz anderen Befund.

Das alte Universum Buch gibt es nicht mehr. Sein Himmelsbogen hat sich geschlossen, nach langer Entwicklung und Reife, in den zwei Jahrhunderten vom Grimm'schen Wörterbuch bis zur Globalisierung des Bertelsmann Verlags mit der Übernahme des größten US Publikumsverlags Random Hause, damals 1998.

Das bedeutet gewiss nicht das Ende von Buch, Buchkultur oder kultureller Vielfalt. Aber es gibt kein geschlossenes Buchterritorium, das sich ummauern ließe.

Bereits seit Ende der 1990er Jahre haben sich die Wissenschaftsverlage wie ein evolutiv neuer Ast aus der Sphäre des Buchs gelöst, global, bald digital (mittlerweile bei den Weltmarktführern wie Reed Elsevier oder ThomsonReuters mit 80 und mehr Prozent digitalem Anteil an den Einnahmen), mit neuen Geschäftsmodellen (auf Basis datenbankgetriebener Abos für Großkunden wie Konzerne und gut ausgestattete Bibliotheken) und neuen Gegenentwürfen (Open Access).

Der Bildungsbereich ist seit kurzem dabei, für sich ähnlich eigene, und neue Wege zu finden, ebenfalls global, natürlich digital, mit völlig neuen Organisationsmodellen seitens der Verlage, die in manchen Märkten plötzlich zu Bildungs-Organisatoren werden (ein durchaus zweischneidiges Schwert), und somit auch mit neuen Finanzierungsmodellen. Innerhalb weniger Jahre haben sich unter den globalen Marktführern diese Verlagsgruppen völlig neu sortiert, riesige Divisions verkauft und neu positioniert (Cengage Learning), andere erst einmal ins Chaos der Finanzhaie geschickt (Houghton Mifflin), und Dritte aus eigener Kraft zu globalen Giganten ausgebaut (Pearson / Dorling Kindersley).

Nun fragmentiert sich auch der Bereich der Publikumsverlage, und auch hier ist absehbar, dass eine traditionell wie ein gegossener Block auftretende Kulturbranche auseinander driftende Eisschollen gebären wird.

"Teddy & Co" drängen in Buchhandelsflächen, und Elektronikmärkte wollen Ebooks vertreiben. Die Gemeinsamkeiten zwischen Yogabüchern, Übersetzungen neuer finnischer Belletristik (die plötzlich bestsellerverdächtig werden kann, siehe Sofi Oksanen mit "Fegefeuer") und unterschiedlichen Sachbüchern dünnen aus. Der Sachbuchbereich kann zu völlig unterschiedlichen Finanzierungen und Vertriebswegen greifen, je nachdem ob es um einen Regionaltitel oder die neue Wissenschaftlerbiografie von Jürgen Neffe geht, einmal als Community-Projekt mit Crowd-Finanzierung, dann wieder als multichannel-Projekt zwischen Autor, Museumspartner und Buchhandels-Zweitverwertung. Das Universum Buch fliegt auseinander. Aber das ist eben nicht das Ende seiner Bestandteile.

In einem ganz zentralen Punkt hat Jürgen Neffe, auch punktgenau mit seinem Schutzgedanken recht: Es braucht hier, als Ausdruck eines kulturgesellschaftlichen Konsens, die Schaffung und Anpassung von guten Rahmenbedingungen, und dies beginnt bei sehr banalen Dingen.

Es ist desaströser Unsinn, wenn ein Buch zwar durch einen reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent gestützt wird, der gleiche Titel als Ebook indessen mit 19 Prozent zur Kasse gebeten wird. Das vermag das ganze System der Stützung des Buchsektors zu zerstören.

Hier ist Frankreich eben mit einem Gesetz vorgeprescht, doch die Europäische Kommission hält gleich wieder dagegen.

Die Debatte um eine Erneuerung des Urheberrechts ist endlos und verliert sich in extrem grotesken Lobbyisten-Nummern wie etwa der Abstrafung von Kindergärten wegen Vervielfältigung geschützter Weihnachtslieder während gleichzeitig Abzocker kaum gebremst Kids mit Internetfallen und Anwaltsbriefen abstrafen.

Eine Ausweitung des festen Ladenpreises auf Ebooks erscheint wichtig, auch wenn nebenbei Neuland entsteht, da selbstverständlich ein breites Segment an digitalen Angeboten weit unterhalb der Buchpreise, auf Web-Level von 0,99 bis 3,99 Euro, wie auch Abo-Angebote ("all you can read" um 5 Euro pro Monat, mit dem Handy oder iPad Vertrag) ganz neue Modalitäten schaffen werden.

Dies bedeutet in meiner Erwartung auch ganz klar, dass ein Teil des Buchangebotes - von Teilen der Literatur, insbesondere auch bei Übersetzungen, über Sachbücher (Regionalia, verschiedenste Nischenangebote) bis zu Büchern für unterschiedlichste spezifische Zielgruppen (migrantische Literaturen etwa) alternative, häufig nicht mehr profitorientierte Verlags- und Vertriebs-Modelle entwickeln werden - während sich in den Mainstream-Großflächen mit "Teddy & Co" ein radikaler Verdängungswettbewerb anbahnt. Zugleich verschiebt sich die Präsenz von Buch und Buchkultur aus den Shopping Malls und Innenstädten ins Internet.

"Zeitenwende" greift da als Begriff nicht zu hoch. Der Beigeschmack des "mene mene tekel" aber ist Unsinn. Dafür zeichnet sich schon jetzt viel zu viel, viel zu spannendes Neues ab. Davon demnächst mehr.

Rüdiger Wischenbart