Außer Atem: Das Berlinale Blog

Monologe der Frustration: "Mal Viver - Bad Living" von João Canijo (Wettbewerb)

Von Patrick Holzapfel
24.02.2023.

Der leidensfördernde Wettbewerbsfilm "Mal Viver" ist Teil eines ungewöhnlichen Diptychs, denn gleichzeitig ist in der Encounters-Sektion "Viver Mal", ebenfalls von João Canijo, zu sehen. Warum man die beiden Teile auf zwei verschiedene Sektionen verteilt hat, erschließt sich nicht. Beide Arbeiten widmen sich familiären Abgründen in einem Hotel nicht unweit Portos. Die Handlungen überlappen sich inhaltlich und vor allem formal auf interessante Weise, weil Dialoge mit unterschiedlicher Tonmischung ineinander verschränkt werden: So lauscht man in dem einen Film einem Dialog und in dem anderen einem Gespräch, das vorher nur im Hintergrund mitlief. Spannender wäre ohnehin ein zusammenhängendes Screening. Dann wäre bei Encounters auch mal ein Film gelaufen, der die selbstdefinierte Vorgabe eines Schaufensters für Filme, die ästhetisch und strukturellen Wagemut eingehen, eingehalten hätte. Wahrscheinlich wollten die Kuratoren diesen Doppelschlag niemanden zumuten und man kann ihnen schon dankbar sein.   

Wie jede Sekunde dieses sich ohne Rücksicht auf Fallhöhen an Ingmar Bergman, Michelangelo Antonioni und August Strindberg orientierenden Films erzählt der genannte formale Kniff von einer Nicht-Kommunikation. Das Aneinander-Vorbeireden, das Sich-Verlieren im Nicht-Ort Hotel wird hier zum unendlich und unerträglich tief sitzenden Drama jener, die dort leben und arbeiten. In "Mal Viver" betrifft das vor allem drei Generationen von Frauen, die eben jenes Hotel führen. Die herrschende Mutter Sara (Rita Blanco), ihre geschiedene und depressive Tochter Piedade (Anabela Moreira) und deren Tochter Salomé (Madalena Almeida). Der Vater verstarb kürzlich, was die zermürbende Leere, dargestellt durch präzise konstruierte Bilder von diffusem Licht und zahlreichen gebrochenen Spiegelungen, erklärt, keineswegs aber die durchgehende, fast sadistische Freudlosigkeit, mit der sich die drei Frauen beständig angreifen. Was sie vereint, ist die Unfähigkeit, Liebe zu schenken. Diese emotionale Kälte setzt sich von Generation zu Generation, von Raum zu Raum fort wie eine genetisch bedingte Krankheit. Die große unter sämtlichen Bildern wabernde Metapher bleibt dubios, müsste aber irgendwas mit sich fortpflanzendem Hass und dessen architektonischer Entsprechung zu tun haben.


Nun ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, einen freudlosen Film zu drehen, das Leben gibt genug Anlass für Derartiges. Wenn man die Schwere aber mit einem unausgegorenen Kunstwillen überfrachtet, wird es ziemlich zäh. Jene, die mit den Filmen Angela Schanelecs zu kämpfen haben, sollten sich einmal "Mal Viver" ansehen. Die Unterschiede sind frappierend. Das liegt auch daran, dass der Film wie ein Theaterstück alles in der Kadrierung (dem Bühnenbild) lösen will und nichts in Rhythmen, Schnitten oder Bewegungen. Hier wird auch nichts in Ambivalenz erfühlt, hier wird alles durchgekaut. Letztlich lauscht man durchgehend hasserfüllten Dialogen, die eigentlich Monologe der Frustration sind. Dieses eher theatrale Vorgehen ist in Portugal durch die Filme Manoel de Oliveiras historisch grundiert, Canijo fehlt aber jedweder Sinn für Sprache, Gesichter und Erhabenheit, die den Urvater seines nationalen Kinos auszeichnet. Einzig das durchweg überzeugende Ensemble verleiht den permanenten Dekadrierungen ein wenig Gewicht.

Am interessanten ist "Mal Viver" als Architekturfilm, denn das zugleich modern entrückt wie auch geheimnisvoll labyrinthisch erscheinende Hotel spielt die Hauptrolle in beiden Filmen. manchmal versinken die Figuren förmlich in der Gleichgültigkeit von Wänden, Balkonen und dem stets dahinplätschernden Swimmingpool. Wenn das Zuhause ein Hotel ist, ist schon viel gesagt. Die für klassische Familienstrukturen so essentielle Präsenz einer Geborgenheit wird hier durch die Flüchtigkeit der Kommenden und Gehenden ersetzt. Manchmal verschwinden die Frauen fast vollständig zwischen den Mauern, man könnte fast glauben ihr Sprechen sei nur mehr Voice-Over einiger Geister, die hier einst lebten.

Patrick Holzapfel

Mal Viver - Bad Living. Regie: João Canijo. Mit Anabela Moreira, Rita Blanco, Madalena Almeida, Cleia Almeida, Vera Barreto u.a., Portugal / Frankreich 2023, 127 Minuten. Alle Vorführtermine.

Viver Mal - Living Bad. Regie: João Canijo. Mit Nuno Lopes, Filipa Areosa, Leonor Silveira, Rafael Morais, Lia Carvalho u.a., Portugal / Frankreich 2023, 125 Minuten. Alle Vorführtermine.