Essay

Was tun?

Eine Antwort auf Jörg Laus Polemik im "Merkur" Von Slavoj Zizek
17.07.2003. Unter dem klassischen Titel "Was tun?" antwortet Slavoj Zizek auf Jörg Laus Polemik "Auf der Suche nach dem guten Terror" im Merkur: Zizek erläutert seinen positiven Bezug zu Lenin und erkennt in Laus Polemik die Symptome eines linken Denkens, welches die Arbeit der Rechten übernimmt.
Mit Jörg Laus Kritik habe ich ein Grundproblem: Ich kann mich einfach in der Figur, die er als "Zizek" konstruiert, nicht wiedererkennen. Laus Einschätzung der Qualität meiner Arbeit fasst am besten der folgende Hinweis auf Harry Frankfurt zusammen: "Wem es allein auf Zitatpomp, kombinatorische Überraschungseffekte und Moralprotzerei ankommt, der produziert Bullshit im strengen Sinn des Wortes. 'Es ist der mangelnde Bezug zur Wahrheit', schreibt Frankfurt, 'die Indifferenz gegenüber der Frage, wie die Dinge wirklich liegen - die ich als das Wesen von Bullshit verstehe.'"

Bedauerlicherweise entspricht Laus Essay selbst völlig dieser Definition von Bullshit; das Ausmaß, in dem er meinen Gedankengang verdreht, um ihn seinem Narrativ meiner Suche nach einem guten Terror" anzupassen, ist atemberaubend. Schon wie er mich beiläufig charakterisiert, "ein Lacan-Spezialist aus Ljubljana, der angeblich Verbindungen zur dortigen Dissidentenszene unterhält", ist ein Lehrbuchbeispiel für die Kunst der Unterstellung: "angeblich" suggeriert ironisch, dass ich mich mit meinen Dissidenten-Verbindungen brüste, die vielleicht nicht existieren. (Tatsächlich erinnere ich mich nicht, jemals mit diesen Verbindungen geprahlt zu haben, die übrigens leicht belegt werden könnten!). Es ist dann kein Wunder, dass man Lau, was den Inhalt meiner Arbeit betrifft, nicht einmal auf der elementarsten Ebene vertrauen kann, meine Position auch nur in minimaler Weise richtig wiederzugeben; hier ein paar Beispiele:

"Zizek treibt den Lacanschen Gestus der Sinn-Entsagung bis zur Selbstparodie: 'Begehren [...] ist, per definitionem 'unbefriedigt', jeder möglichen Interpretation zugänglich, da es letztendlich mit seiner eigenen Interpretation zusammenfällt, d.h. es ist nichts anderes als die Bewegung der Interpretation, der Übergang von einem Signifikanten zu einem anderen, die unendliche Produktion von neuen Signifikanten, die der vorangehenden Kette retroaktiv Bedeutung verleihen'."

Das ist wirklich ein Zitat von mir, doch wenn der Leser den Kontext ansieht, wird er sofort bemerken, dass ich diese Definition des Begehrens vorschlage, um es dem Trieb entgegenzustellen! Die Kritik des "Lacan des Begehrens", die These, dass der "wahre" Lacan erst mit dem Wechsel des Focus vom Begehren zum Trieb erscheint, wird in meinen Büchern mit wirklich inflationärer Frequenz wiederholt! Und hier ist Laus Kommentar zu meiner Feststellung über die Notwendigkeit, heute die "leninistische Geste" zu wiederholen:

"Die 'leninistische Geste' - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Dieser Autor scheint getrieben von einem unbedingtem Willen zum Verbalradikalismus, auch noch um den Preis von Lüge und Geschichtsklitterei. Das hat schon etwas Verkommenes, geistig Verwahrlostes an sich. Nimmt man Zizek über Lenin beim Wort, so liegt hier nichts Geringeres vor als eine Apologie des politischen Massenmordes."

Hier haben wir Laus Verfahren in Reinstform vor uns: der Leser wartet vergeblich auf eine Art Minimalbericht darüber, was ich mit der "leninistischen Geste" meine; mein positiver Bezug auf Lenin wird unmittelbar in Beschuldigungen wie "Verbalradikalismus", "Lügen" und "eine Apologie des politischen Massenmordes" übersetzt. Verbalradikalismus - in einem Buch, in dem ich, weit davon entfernt, irgendwelche "radikalen" Maßnahmen zu verteidigen, ausführlich erörtere, dass wir in einer Zeit leben, in der man die These 11 umkehren sollte (anstatt nur zu versuchen, die Welt zu verändern, sollten wir uns davon zurückziehen und sie interpretieren) und Adornos Antwort auf die allgegenwärtige Frage "was tun?" zustimme ("Ich weiß es nicht"). - "Lüge" - wo, wie? "Apologie des politischen Massenmordes"; man sollte zumindest erwähnen, dass mein Lenin-Buch und meine anderen Bücher detaillierte Analysen des stalinistischen Terrors enthalten und ich ausführlich nachweise, dass Stalin nicht eine zufällige Abweichung von der leninistischen Phase der Oktoberrevolution war, aber eine ihr innewohnende Konsequenz? Dieses "Bullshitting" - "die Indifferenz gegenüber der Frage, wie die Dinge wirklich liegen" - erreicht ihren Höhepunkt in Laus Wiedergabe meiner Interpretation des 11. September; hier ein paar Stellen.

"Mit dem 11.September 2001 ist diese lange Suche nach dem 'guten Terror' dann doch noch unverhofft an ein glückliches Ende gekommen. […] Zizek sieht im 11.September also eine große ideologiekritische Unternehmung […] So müsste man also Mohammed Atta und seinen Mitstreitern dankbar sein für den medienkritischen Denkanstoß […]? […] Unter all den Torheiten, die der 11. September hervorgebracht hat, ist Zizeks medienphilosophische Deutung zweifellos eine Spitzenleistung. Man steht ein wenig ratlos vor diesem kaum verhohlenen Ausbruch an Ressentiment gegen die böse Welt des Scheins und der Show, in der dieser Mann doch auf den ersten Blick so sehr zu Hause zu sein scheint. […] Und man fragt sich, wie der Kult der authentischen, wahrheitstiftenden Gewalt eigentlich mit den narzisstischen Gespreiztheiten der Theoriesprache Lacans zusammengeht […]. Vielleicht ist es ja falsch, darin Widersprüche und Unvereinbarkeiten zu sehen. Vielleicht sind dies ja in Wahrheit zwei untrennbare Erscheinungsformen einer Bewusstseinslage: der Theorie-Narzisst, der immer nur lustvoll um das Sich-Entziehen der symbolischen Ordnung kreist, ruft selbst den Gewaltapologeten auf den Plan, der es endlich richtig krachen und spritzen sehen möchte."

Liest man einen solchen Passus, dann kann man sich nur die Augen reiben und noch einmal hinsehen, um sich selbst zu überzeugen, dass das, was man sieht, wirklich da steht; gehen wir Schritt für Schritt vor. In meinem Buch über den 11.9. ("Welcome to the Desert of the Real", Verso 2002) heiße ich die Angriffe nicht nur in keiner Weise gut, sondern kritisiere ausdrücklich die Linken, die ein Verständnis dafür zur Schau stellen oder durchblicken lassen, dass die Vereinigten Staaten irgendwie "das bekamen, was sie verdienten." Doch Laus Hauptverdrehung beschäftigt sich mit dem, was er "Zizeks medienphilosophische Deutung" nennt: Ich sehe angeblich im heutigen Kapitalismus eine von der "Leidenschaft des Scheins" durchdrungene Zivilisation, eine Welt der Simulacra, in der nichts Reales mehr geschieht, was mich dazu führt, den Versuchen beizupflichten, uns aus dieser hypnotischen Trance durch traumatische Schocks aufzuwecken, selbst wenn sie die Form brutaler terroristischer Angriffe mit Tausenden unschuldiger Opfer annehmen. Überdies macht Lau die gleiche Spannung in meinem eigenen Werk aus; es entfalte eine narzisstische Verwicklung in substanzlose sich auf selbst beziehende symbolische Spiele und erzeuge darum notwendigerweise das Bedürfnis, einen Kontakt mit dem Realen herzustellen, selbst wenn das bedeute, terroristische Angriffe zu billigen und "Massenmörder" wie Lenin zu feiern ... bullshitting in Reinform.

Ich setze "die Passion des Realen" und die "Passion der Erscheinung" als die beiden Seiten der gleichen Konstellation ein, d.h., es geht mir nicht um die Behauptung, der fundamentalistische Terror sei ein authentischer Akt gegen das postmoderne, vom Schein Besessensein, sondern darum, dass die Spannung zwischen der Welt des Spektakels und dem brutalen Wirklichen der Welt selbst heute innewohnt. Die terroristischen Angriffe und andere Ausbrüche roher Gewalt, von den "cutters" (die sich selbst verstümmeln, um einen Kontakt zur Realität herzustellen) bis hin zu der "irrationalen" Gewalt der Jugendbanden, sind unfähige passages a l'acte. Außerdem arbeite ich heraus, wie die beiden Pole nicht bloß einander äußerlich entgegengesetzt sind, sondern dialektisch ineinander übergehen: die "Passion des Realen" kulminiert in der Suche nach spektakulären Effekten des Realen (ich erinnere daran, wie leicht die übliche Suche nach persönlicher Authentizität in ihr Gegenteil verkehrt werden kann, wenn sie zur Angelegenheit modischer Experten wird, die uns darauf trainieren, wie wir das eigene "wahre Selbst" verwirklichen können).

Eins der Beispiele, auf das ich mich hier beziehe, ist genau der Stalinismus, der mit seiner brutalen "Passion des Realen", seiner Bereitschaft, Millionen Leben für sein Ziel zu opfern, Leute als Verfügungsmaterial zu behandeln, zur gleichen Zeit das höchst empfindliche Regime war, wenn es darum ging, den eigenen Schein zu wahren: Es reagierte mit völliger Panik, wann immer dieser Anschein bedroht zu sein schien (dass zum Beispiel ein Bericht über Unfall in den öffentlichen Medien das Scheitern des Regimes klar machte; es gab in den Sowjet-Medien keine schwarzen Chroniken, keine Berichte über Verbrechen und Prostitution, geschweige denn über allgemeine oder Arbeiter-Proteste.) So ist der wahre Teufelskreis nicht der, im substanzlosen Zirkulieren der Erscheinungen gefangen zu sein, sondern die ganze des Hin- und Her-Bewegung zwischen den Erscheinungen und dem rohen Realen.

Doch genug davon; der Grund warum ich Laus Angriff für unproduktiv halte, ist der, dass man, zu einer Antwort so viel Raum aufwenden muss, um auf Verfälschungen hinzuweisen! Die einzige Frage von einigem Interesse ist die, ob all diese Verdrehungen nur Laus private Indiosynkrasie sind oder ob sie uns irgend etwas über die heutige, sogenannte geistige Situation sagen. Ich denke, dass es ein paar Charakteristika gibt, die als Hintergrund von Laus Angriff erwähnt zu werden verdienen.

Erstens der Skandal einer fehlenden systematischen und gründlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Stalinismus in der Tradition der Frankfurter Schule. Wie konnte ein marxistisches Denken, das beanspruchte, seine Aufmerksamkeit auf die Bedingungen des Scheiterns des marxistischen, emanzipatorischen Projekts zu richten, sich jeder Analyse des Albtraums des "real existierenden Sozialismus" enthalten? War seine Konzentration auf den Faschismus auch eine Art Verschiebung oder ein heimliches Zulassen des Scheiterns, um dem anderen Trauma entgegenzutreten? Um es in vereinfachter Weise zu sagen: der Nazismus wurde von einer Gruppe Leute inszeniert, die wirklich Übles tun wollten, und sie taten es; der Stalinismus entstand im Gegensatz dazu als das Ergebnis eines radikalen emanzipatorischen Versuchs.

Zweitens, die tiefe Desorientierung derer, die gegen den Angriff auf den Irak waren. In den Tagen und Wochen nach der "triumphalen" Beendigung des Krieges verschwand fast die Friedensbewegung, und die westeuropäischen Staaten, die dem Krieg entgegentraten, drückten sich verschämt und begannen, versöhnende Gesten in Richtung USA zu machen; Gerhard Schröder entschuldigte sich sogar öffentlich für seine antiamerikanischen Äußerungen. Dieses Unbehagen der Kriegsgegner ist ein trauriges Zeichen ihrer tiefen Desorientierung; gerade jetzt sollten sie wirklich beunruhigt sein. Hinzunehmen, dass sich "die Dinge trotzdem als in Ordnung" erwiesen, dass das Saddamregime ohne eine große Zahl Toter und ohne die befürchteten größeren Katastrophen zusammenbrach (das Brennen von Ölquellen, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen), heißt der gefährlichsten Illusion zu unterliegen; hier bezahlen sie den Preis dafür, dass sie aus den falschen Gründen gegen den Krieg eingetreten sind. Die Argumentationsrichtung, die zu zeigen versuchte, wie die nordamerikanische Besatzung die Iraker verletzen würde, war einfach falsch; wenn überhaupt, dann werden die einfachen Iraker wahrscheinlich im Hinblick auf ihren Lebensstandard und ihre religiösen und anderen Freiheiten von dem Sturz des Saddamregimes profitieren. Die wahren Kriegsopfer sind nicht die Iraker; sie sind woanders!

Sind wir uns dessen gewahr, dass zumindest bis jetzt all die als Kriegsrechtfertigungen beschworenen Voraussagen, sich als falsch erwiesen? Es gibt keine benutzten oder auch nur entdeckten Massenvernichtungswaffen; es gab keine fanatischen arabischen Selbstmordbomber; es gab fast keine in Brand gesetzten Ölquellen; es gab keine fanatischen republikanischen Garden, die Bagdad bis zum Ende verteidigten und die die Zerstörung der Stadt verursachten - kurz, Irak erwies sich als Papiertiger, der im Grunde einfach unter dem US-Druck zusammenbrach. Ist gerade dieser militärische "Triumph" nicht der ultimative Beweis für die Tatsache, dass die Opposition gegen die Krieg gerechtfertigt war, dass der Irak keine Bedrohung für die Vereinigten Staaten war? Saddams Regime war ein abscheulicher, vieler Verbrechen - meist gegen seine eigene Bevölkerung - schuldiger, autoritärer Staat. Man sollte jedoch die Schlüsseltatsache beachten, dass der Irak für seine größten Verbrechen (in Begriffen menschlichen Leids und der Verletzung internationalen Rechts), den Angriff auf den Iran, nicht nur nicht betraft, sondern sogar von den Vereinigten Staaten und der Mehrheit der ausländischen Staaten unterstützt worden ist.

Die Ironie der Situation zeigt sich darin, dass in Rumsfelds spöttischem Wortspiel über das "alte Europa" ein Körnchen Wahrheit liegt. Der französisch-deutsche Widerstand gegen die Irak-Politik der Vereinigten Staaten sollte vor dem Hintergrund der französisch-deutschen Gipfelkonferenz vor einem Monat gesehen werden, bei dem Chirac und Schröder im Grunde eine Art duale französisch-deutsche Hegemonie über die europäische Gemeinschaft vorgeschlagen haben. Demnach ist es kein Wunder, dass der Antiamerikanismus in den "großen" europäischen Nationen, vor allem in Frankreich und Deutschland, am stärksten ist; er ist Teil ihres Widerstandes gegen die Globalisierung. Man hört öfters die Klage, dass der neuerliche Globalisierungstrend die Souveränität der Nationalstaaten bedroht. Hier sollte man jedoch diese Behauptung näher bestimmen: Welche Staaten sind dieser Bedrohung am stärksten ausgesetzt? Es sind nicht die kleinen Staaten, sondern die an zweiter Stelle, die (Ex-) Weltmächte, Länder wie das Vereinigte Königreich, Deutschland und Frankreich; sie fürchten, dass sie, wenn sie einmal in das in neuerer Zeit entstehende globale Imperium eingetaucht sind, auf die gleiche Ebene wie, sagen wir, Österreich, Belgien oder sogar Luxemburg, reduziert werden.

Die Ablehnung der "Amerikanisierung" in Frankreich, die von vielen links- und rechtsorientierten Nationalisten geteilt wird, ist damit letztlich die Weigerung, die Tatsache zu hinzunehmen, dass Frankreich selbst seine Hegemonierolle in Europa verliert. Der Gewichtsausgleich zwischen größeren und kleineren Nationalstaaten sollte somit den wohltuenden Globalisierungswirkungen zugerechnet werden; unterhalb der verächtlichen Verspottung der neuen osteuropäischen, postkommunistischen Staaten ist es leicht, die Umrisse des verletzten Narzissmus der europäischen "großen Nationen" auszumachen. Und dieser Große-Staaten-Nationalismus ist nicht bloß eine dem (Scheitern der) gegenwärtigen Opposition bloß äußerlicher Zug; er beeinflusst gerade die Art und Weise, in der Frankreich und Deutschland diese Opposition artikulierten. Statt genau das, und sogar noch aktiver, das zu betreiben, was die Amerikaner tun, die "neuen europäischen" Staaten auf ihrer eigenen politisch-militärischen Basis zu mobilisieren, die neue gemeinsame Front zu organisieren, handelten Frankreich und Deutschland alleine.

Im französischen Widerstand gegen den Irak-Krieg gab es definitiv ein klares Echo auf das "alte dekadente" Europa: dem Problem durch Nicht-Handeln, durch immer neue Resolutionen zu entgehen - all das erinnert an die Untätigkeit des Völkerbundes gegenüber Deutschland in den 1930er Jahren. Und ganz klar heuchlerisch ist der pazifistische Ruf "Lasst die Inspektoren ihre Arbeit tun!"; es ist ihnen nur erlaubt, die Arbeit zu erledigen, weil es eine glaubwürdige Drohung militärischen Eingreifens gibt; auf den französischen Neokolonialismus in Afrika (von Kongo-Brazzaville bis zur dunklen französischen Rolle während der Ruanda-Krise und der Massaker) soll hier nicht eingegangen werden. Und was ist mit der französischen Rolle im Bosnien-Krieg? Ist es darüber hinaus nicht, wie es vor ein paar Monaten offenbar wurde, unmissverständlich klar, dass Frankreich und Deutschland sich um ihre eigene Hegemonie in Europa sorgen?

Ist der Irak-Krieg nicht der Augenblick der Wahrheit, wenn die "offiziellen" politischen Unterscheidungen sich verwischen? Symptomatisch ist hier der Fall Polens; der glühendste Unterstützer der U.S.-Politik ist der exkommunistische Präsident Kwasniewski (der sogar als der künftige Nato-Generalsekretär nach George Robertson genannt wird), während die Haupt-Opposition gegen die Beteiligung Polens an der Anti-Irak-Koalition von den Rechts-Parteien kommt. Gegen Ende Januar 2003 verlangten auch die polnischen Bischöfe von der Regierung, dem Vertrag, der die Mitgliedschaft Polens in der EU regelt, einen besonderen Paragraphen hinzuzufügen, der garantierte, dass Polen das "Recht behält, seine Grundwerte beizubehalten, wie sie in seiner Verfassung formuliert sind", womit natürlich das Verbot der Abtreibung, der Euthanasie und gleichgeschlechtlicher Ehen gemeint ist.

Gerade die exkommunistischen Länder, die die eifrigsten Unterstützer des U.S.-"Kriegs gegen den Terror" sind, sorgen sich zutiefst darum, dass ihre kulturelle Identität, gerade ihr Überleben als Nationen durch den Angriff der kulturellen "Amerikanisierung" bedroht sind - ein Preis, den sie für das Eintauchen in den globalen Kapitalismus zu bezahlen haben. Wir sind darum Zeuge für das Paradox des Pro-Bush-Antiamerikanismus. In meinem eigenen Land Slowenien gibt es eine ähnliche Ungereimtheit: die rechten Nationalisten tadeln die regierende Mitte-Links-Koalition mit der Beschuldigung, dass sie, obwohl sie öffentlich für den Beitritt zur Nato ist und die Antiterrorismus-Kampagne der USA unterstützt, diese heimlich sabotiere, indem sie aus opportunistischen Gründen und nicht aus echter Überzeugung daran teilnehme. Gleichzeitig wirft sie jedoch der Regierungskoalition vor, sie wolle die slowenische nationale Identität untergraben, indem sie die volle Integration Sloweniens in den westlichen globalen Kapitalismus verfechte und damit die Slowenen in der zeitgenössischen, amerikanisierten Popkultur ertränke. Das unbestimmte Gefühl dabei ist, dass die regierende Koalition die Popkultur, das stupide Fernsehvergnügen, den bewusstlosen Konsum usw. unterstützt, um die Slowenen zur leicht manipulierbaren Masse zu machen, die unfähig zu ernster Reflexion und festen ethischen Haltungen ist. Kurz gesagt, dem liegt der Vorwurf zugrunde, dass die Regierungskoalition für die "liberal-kommunistische Verschwörung" steht; das unbarmherzige, ungehemmte Eintauchen in den globalen Kapitalismus wird als der letzte dunkle Fleck der Exkommunisten wahrgenommen, der sie in den Stand setzt, insgeheim an ihrer Macht festzuhalten.

Das fast tragische Missverständnis ist, dass die Nationalisten einerseits die NATO (unter U.S.-Führung) bedingungslos unterstützen, indem sie der Regierungskoalition vorwerfen, heimlich die Anti-Globalisten und antiamerikanischen Pazifisten zu unterstützen, während sie sich andererseits um das Schicksal der slowenischen Identität im Globalisierungsprozess sorgen, indem sie behaupten, dass die Regierungskoalition Slowenien in den globalen Whirlpool werfen wolle, ohne sich um Sloweniens nationale Identität zu kümmern. Ironischerweise liest sich die neu aufkommende sozio-ideologische Ordnung, die diese nationalistischen Konservativen beklagen, so, wie die alten Neu-Linken die "repressive Toleranz" der kapitalistischen Freiheit als Modus der Erscheinung der Unfreiheit beschrieben haben.
Wir leben wirklich in einer "verkehrten Welt"; ein kurzer Blick darauf, wie le Pen es 2002 in die zweite Runde der französischen Präsidentenwahlen geschafft hat, lässt die wahren Grenzpfähle der weitverbreiteten "Furcht" und "Scham", sogar Panik, deutlich erkennen, die le Pens Erfolg der ersten Runde bei manchen demokratischen Linken erzeugte.

Die Ursache der Panik war nicht le Pens Quote an sich, sondern die Tatsache, dass er im Endergebnis Zweiter der Kandidaten wurde anstelle von Jospin, dem "logischen" Kandidat für diesen Platz. Die Panik wurde durch die Tatsache ausgelöst, dass in der demokratischen Vorstellung der Mehrparteienstaaten, in denen das demokratische Feld mit den beiden großen Parteien oder Blocks, die die Macht tauschen, bipolar ist und der zweite Platz symbolisch die Wählbarkeit eines Kandidaten bezeichnet; "Le Pen ist Zweiter geworden", bedeutete, dass er als wählbar, als möglicher Kandidat für die Macht betrachtet wurde. Das verstörte den stillen Pakt der heutigen liberalen Demokratien, die politische Freiheit für jedermann gestatten - unter der Bedingung, dass ein Satz impliziter Regeln klar den Rahmen derer beschränkt, die wirklich gewählt werden können.

War es dann also einfach die Tatsache, die le Pen ungeeignet macht gewählt zu werden, dass er der liberaldemokratischen Ordnung heterogen, darin ein Fremdkörper ist? Es ist mehr daran: das Pech (und die Rolle) le Pens war, bestimmte Themen (die ausländische Bedrohung, die Notwendigkeit, die Einwanderung zu begrenzen usw.) einzuführen, die dann nicht nur von den konservativen Parteien, sondern von der de facto-Politik der "sozialistischen" Regierungen übernommen wurde. Heute ist die Notwendigkeit, den Status der Emigranten usw. zu "regeln", Teil des allgemeinen Konsenses; man erzählt sich, dass le Pen wirkliche Probleme, die Leuten zu schaffen machen, ansprach und ausnutzte. Die "Scham" über le Pen war also die Scham, die dann aufkommt, wenn die heuchlerischen Masken heruntergezogen und wir unmittelbar mit unserer wahren Einstellung konfrontiert werden.

Fakten wie diese geben uns einen klaren Hinweis darauf, was die Linke in den letzten paar Dekaden getan hat: unbarmherzig den Weg des Nachgebens zu gehen, sich selbst anzupassen, die "notwendigen Kompromisse" mit dem erklärten Feind zu schließen (in der gleich Weise hatte die Kirche über die wesentlichen Dinge Entgegenkommen zeigen müssen, um ihre Rolle in der modernen säkularen Gesellschaft neu zu definieren), indem sie die Gegensätze miteinander, das heißt ihre eigene Position mit denen des erklärten Gegners versöhnte: Sie steht für den Sozialismus, kann aber den Thatcherismus in der Wirtschaft völlig unterstützen; sie steht für Wissenschaft, kann aber der Regel der Meinungsvielfalt voll bekräftigen; sie steht ein für wahre, populäre Demokratie, kann aber auch die Partie der Politik als Spektakel und der Meinungsmanipulation für die Wahlen spielen; sie steht für Prinzipientreue, kann aber auch völlig pragmatisch sein; sie steht für Pressefreiheit, kann aber auch schmeicheln und Murdochs Unterstützung erlangen. In seinen ersten Regierungstagen paraphrasierte Tony Blair gerne den berühmten Witz aus Monty Pythons The Life of Brian ("gut und schön, aber was haben denn die Römer, abgesehen von sanitären Einrichtungen, Medizin, Erziehung, Wein, öffentlicher Ordnung, Bewässerung, Straßen, Frischwasser-System und öffentlicher Gesundheit für uns überhaupt getan?"), um seine Kritiker auf ironische Weise zu entwaffnen, "sie haben den Sozialismus verraten. Das ist wahr; sie haben mehr Sozialhilfe gebracht, eine Menge für Gesundheitspflege und Erziehung getan und so weiter, doch trotz alledem haben sie den Sozialismus verraten." Wie heute klar ist, trifft eher das Gegenteil zu: "Wir bleiben Sozialisten. Es ist wahr, wir praktizieren den Thatcherismus in der Wirtschaft, wir machten ein Geschäft mit Murdoch und so weiter, bleiben aber trotzdem Sozialisten."

In den späten Tagen des zwanzigsten Jahrhunderts haben die großen Konservativen oft den harten Job für die Liberalen erledigt; nach der unentschiedenen Haltung der sozialistischen Regierung, die in der allgemeinen Krise der Französischen Republik selbst endete, war es de Gaulle, der den gordischen Knoten durchschlug, indem er Algerien die Freiheit gab - bis hin zu Nixon, der diplomatische Beziehungen mit China aufnahm. Heute ist das entgegengesetzte Szenario an der Tagesordnung: die neue Linke des dritten Weges erledigt die Arbeit für die ökonomisch konservativen Liberalen, indem sie den Wohlfahrtsstaat demontiert, die Privatisierung zu Ende führt usw.

In seiner Analyse des Wirrwarrs der Französischen Revolution von 1848 deckte Marx den paradoxen Status der regierenden Ordnungspartei auf. Es war die Koalition der beiden royalistischen Flügel (Bourbonen und Orleanisten). Das jedoch die beiden Parteien per definitionem nicht imstande waren, einen gemeinsamen Nenner auf der Ebene des Royalismus zu finden (man kann nicht Royalist im allgemeinen sein, da man ein bestimmtes Königshaus unterstützen soll), war der einzige Weg für die beiden, sich unter der Fahne des "anonymen Königtums der Republik" zu vereinigen; die einzige Möglichkeit, ein Royalist im allgemeinen zu sein, ist die, Republikaner zu sein. Und geht nicht, mutatis mutandis, heute etwas ähnliches vor sich? Wie wir alle wissen, ist das Kapital heutzutage in zwei Gruppen aufgesplittert (traditionelles Industriekapital und "postmodernes" digital-informationelles-usw. Kapital), und nur unter dem Banner des "anonymen Kapitalismus der Sozialdemokratie" können die beiden einen gemeinsamen Nenner finden. Heutzutage kann man nur dann ein Kapitalist im allgemeinen sein, wenn man Sozialdemokrat (des Dritten Weges) ist. So funktioniert heute die Rechts-Links-Opposition ; es ist die neue Linke des Dritten Wegs, die für die Interessen des Kapitals an sich in seiner Totalität steht (d.h. in relativer Unabhängigkeit von seinen besonderen Splittergruppen), während die Rechte in der Regel die Interessen einiger besonderer im Gegensatz zu anderen Sektionen des Kapitals vertritt; darum muss sie, um die Mehrheit zu gewinnen, paradoxerweise ihre Wählerbasis erweitern und dazu auch ausgewählte Teile der Arbeiterklasse direkt ansprechen. Es ist dann kein Wunder, dass es vor allem die modernen rechten Parteien sind, die ausführliche Anknüpfungspunkte an die Interessen der arbeitenden Bevölkerung finden (wie Protektionsmaßnahmen gegen billige ausländische Arbeitskräfte und billige Importe usw.).

Die Haltung, die postmoderne Linke für ihre Anpassung zu verdammen, ist jedoch auch falsch, weil man die augenfällige, harte Frage stellen sollte: "was war wirklich die Alternative"? Wenn die heutige "Post-Politik" ein opportunistischer Pragmatismus ohne Prinzipien ist, dann kann die vorherrschende Reaktion der Linken zutreffend als "prinzipientreuer Opportunismus" charakterisiert werden; man hält an alten Formeln fest (Wohlfahrtsstaat usw.) und nennt sie "Prinzipien", verzichtet auf die genaue Analyse der geänderten Situation und behält auf die Weise die Position der "Schönen Seele". Der inhärente Stumpfsinn der "prinzipientreuen" Linken ist an seinem Standardvorwurf gegen jede Analyse zu erkennen, die ein komplexeres Bild der Situation vorschlägt und auf alle simplen Handlungsvorschriften verzichtet: "Deine Theorie enthält keine klare politische Haltung" - und das von Leuten mit keiner Haltung sondern mit ihrem "prinzipientreuen Opportunismus". Gegen eine solche Einstellung sollte man die Mut zusammennehmen und behaupten, dass in einer Situation wie der gegenwärtigen der einzige Weg, um für die revolutionäre Chance offenzubleiben, der ist, auf alle leichten Rufe nach direkter Aktion zu verzichten, was uns notwendigerweise in eine Tätigkeit verwickelt, in der die Dinge sich so verändern, dass das Ganze gleichbleibt. Die gefährliche Lage heute ist, dass dann, wenn wir dem Drang nachgeben, unmittelbar "irgend etwas zu tun" (uns im Anti-Globalisierungskampf zu engagieren, den Armen zu helfen ...), wir sicher und zweifellos zur Reproduktion der bestehenden Ordnung beitragen. Der einzige Weg, die Grundlagen für eine wahre, radikale Veränderung zu legen, ist der, uns dem Handlungszwang zu entziehen, nichts zu tun - und damit den Raum für eine andere Art Aktivität zu öffnen.

*Im März-Heft des Merkur veröfffentlichte der Zeit-Feuilletonredakteur Jörg Lau eine geharnischte Polemik gegen den slowenischen Philosophen Slavoj Zizek, gegen seine Plädoyers für Lenin und gegen seinen "dunklen, jargonbeschwerten Stil, der aber wohl in weiten Kreisen der sogenannten Kulturwissenschaften als Indiz für Gedankenschwere gilt". Nachlesen können Sie Laus Artikel hier. Slavoj Zizek schickt uns heute die folgende Entgegnung.

Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Hagen Hildebrandt