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Mit richtig kräftigen Händen

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
24.08.2021. Im Kunsthaus Wien läuft noch die Ausstellung "Elfie Semotan: Haltung und Pose". Man muss sie nicht gleich zur Revolutionärin hochstilisieren (wie es gerade geschieht), um zu verstehen, dass Semotan eine bedeutende Modefotografin und eine sensible Porträtistin ist.
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Das Fotolot leidet als Kolumne im Sommer ein wenig darunter, dass ich mir eine lange Auszeit gönne, in der ich einerseits dem Nichtstun fröne (verbunden mit mehr sinnlichen denn intellektuellen Genüssen), und andererseits Projekte in einer Weise vorbereite, dass ich mich im Herbst sofort an die Arbeit machen kann.
In dieser Zeit lasse ich mir von Verlagen keine Fotobücher an die Urlaubsadresse nachschicken und habe auch keine Lust, große Distanzen zurücklegen, um zu sommerlichen Veranstaltungen zu gelangen, bei denen die Fotografie eine signifikante Rolle spielt.

In diesem Jahr stand zudem der Umbau im Atelier an, weshalb ich mich vor allem in Wien aufgehalten habe. Zum Glück gab (und gibt) es dort die eine oder andere Ausstellung, die zu besuchen ich (mehr oder weniger) Lust hatte. Bei einer davon hatte ich das (um ehrlich zu sein: ungute) Gefühl, dass ich etwas Markantes (oder wenigstens halbwegs Interessantes) dazu schreiben könnte, weshalb die werten LeserInnen nun - umrahmt von Grünem Veltliner und Backhendl mit warmem Erdäpfelsalat - den folgenden Text zu lesen bekommen, zu dem meines Erachtens auch ein Aperol Spritz hervorragend passen würde, da er eventuell manches in einem gnädigeren Licht erscheinen lassen könnte.

Im Wiener Kunsthaus gibt es noch bis zum 28. August die Ausstellung "Elfie Semotan: Haltung und Pose" zu sehen.

Nicht nur, weil es im Attergau, wo ich diese Zeilen schreibe, gerade 31 Grad hat, sondern weil sie seit einiger Zeit immer wieder durch die Presse ging, beschränke ich mich auf Schlaglichter von Semotans Biografie.

Aufgrund der biederen, restriktiven Atmosphäre in der österreichischen (Mode-)Szene Anfang der sechziger Jahre ging Semotan nach ihrem Modestudium nach Paris, wo sie als Model zuerst für Chanel und Lanvin vor der Kamera arbeitete; die Position hinter der Kamera entsprach ihr jedoch mehr, auch dort stellte sich bald der Erfolg ein, ihre Fotos wurden in Elle oder Harper's Bazar veröffentlicht.

Sie fotografierte prominente Schauspieler wie Benicio del Toro oder Milla Jovovich, dazu bedeutende Künstler wie Louise Bourgeois oder Martin Kippenberger, der ihr zweiter Mann wurde.

Anlass der Ausstellung ist auf den ersten Blick der achtzigste Geburtstag der in Oberösterreich geborenen Fotografin; wer einen zweiten Blick riskiert und ein wenig mit den Ausstellungen und Publikationen der letzten Jahre vertraut ist, wird feststellen, dass es seit einiger Zeit ein Bestreben seitens des Betriebs und ihm angeschlossener Institutionen gibt, Semotan von einer bedeutenden Mode-Fotografin und sensiblen Porträtistin zu einer bedeutenden Künstlerin hochzuschreiben, deren "vielfältig künstlerisches Werk" geradezu einen "Kosmos" (Kunsthaus Wien) (ab-)bildet, in dem sich auch "poetische Landschaftsaufnahmen" befinden. Und weil es in der Konventionalität des gängigen Kulturjournalismus von der Poesie nie weit zur Magie ist, treten laut einem Artikel in der deutschen Vogue in Semotans späten Stilleben "Objekte und Licht in einen magischen Dialog".

© Elfie Semotan, Hatje Cantz
















2019 gab es mit "Contradiction" die bis dahin größte Einzelausstellung von Semotans Arbeiten bei C/O Berlin (dazu den umfangreichen Ausstellungskatalog bei Hatje Cantz). Unter dem öden Titel "Eine weibliche Ästhetik" heißt es im Katalog-Text: "Ihre Arbeit hat die Mode- und Werbefotografie seit den sechziger Jahren revolutioniert. Wie keine andere beherrscht Semotan die Kunst des photographischen Storytellings:  Bilder, die wie Film Stills wirken und eine Geschichte jenseits des Abgebildeten erzählen."
 
Man muss sich nicht hauptberuflich mit Fotografie beschäftigen, um zu erkennen, dass diese Behauptungen - im Katalog namhaft gestützt durch Autoren wie Felix Hoffmann und Elisabeth von Samsonow - eine maßlose Übertreibung, wenn nicht gleich Unsinn sind.

Wenn jemand die Kunst des Storytellings beherrschte, dann Gary Winogrand, bei dessen Straßenfotografie über die Evokation einzelner Personen und Schicksale Zeitgeschichte manifest wird; wenn jemand dem Film Still in ihrer Arbeit eine neue künstlerische Dimension gab, dann Cindy Sherman, die in weiterer Folge die (kunst-)historische Stereotypisierung und Objektifizerung von Frauen lustvoll und brillant konterkarierte. Und wenn jemand die Mode- und Werbefotografie seit den Sechzigern revolutioniert hat, dann wohl Helmut Newton mit seiner Ironie, seiner Lust an der Provokation und der Furchtlosigkeit vor verstörenden Settings und Narrativen.

Im Vergleich zu den Genannten wirken Semotans schlichte bis cool-elegante Arrangements eher bescheiden. Genau diese ästhetische Bescheidenheit will man nun zu ethisch-politischer Größe umschreiben - und übersieht dabei (wieder mal), dass das die einzelnen Fotos nicht besser macht und Semotan ausschließlich menschlich adelt, nicht jedoch künstlerisch.

"Die Models haben mich geliebt", sagt Semotan. "Manche sagen sogar: Du warst die Erste, die mich wie ein Mensch behandelt hat." Modelle schwärmten auch von Helmut (und June) Newton, das allein besagt also gar nichts. (Generell gilt für die autonome Kunst weitgehend das ziemlich unangenehme Diktum Adornos:  "Je reiner die Form, je höher die Autonomie, desto grausamer sind sie. Appelle zur humaneren Haltung der Kunstwerke, zur Anpassung an Menschen als ihrem virtuellen Publikum, verwässern regelmäßig die Qualität.")

Die Vogue betont zudem das "Selbstbewusstsein" der Frauen auf Semotans Bildern, "die zwar verführerisch wirken, aber nie verfügbar" - ganz so, als hätte es das vor den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhundert nie gegeben. Dabei schreibt schon Virginia Woolf in ihrem feministischen Klassiker "Ein Zimmer für sich allein" über die Ästhetisierung von Frauen durch Männer: "Wenn die Frau kein Leben außer in der von Männern geschriebenen Literatur hätte, man würde sie sich als eine Person von größter Wichtigkeit vorstellen: sehr vielgestaltig; heroisch und niederträchtig; erhaben und elend; so groß wie ein Mann."

Edouard Manets "Olympia", die IdeologInnen und Unwissenden heute als ein Paradebeispiel für die Objektifizierung von Frauen gilt, wurde in ihrer Zeit ganz anders rezipiert. Da löste es einen Sturm aus, dass die unbekleidete Victorine Meurent so überhaupt nicht den normativen Vorstellungen von weiblicher Schönheit entsprach und den Betrachtern selbstbewusst in die Augen blickte - eine Ungehörigkeit, für die sie in der Presse abgestraft wurde: "Ein weiblicher Gorilla, eine groteske Figur aus Gummi." - "Die ungefälligen Formen dieser unglückseligen kleinen Frau." - "Ein gemeine, irgendwo aufgelesene Kreatur."

© Elfie Semotan, Kunsthaus Wien




















Von der unzähligen Frauen der zwanziger Jahre, die sich selbstbewusst in den Vordergrund drängten und die unterschiedlichsten Role Models von Lee Miller bis Georgia O'Keefe hervorbrachten, ganz zu schweigen.

Auch im Pressetext von C/O Berlin hat es Fotografinnen von Berenice Abbott bis Diane Arbus wieder mal nie gegeben.

Apropos Arbus: Semotan hat in jüngerer Zeit Fotos gemacht, die "inspiriert von William Eggleston" oder eben "inspiriert von Diane Arbus" sind. Wie fallen die Arbeiten von Semotan im Vergleich zur Quelle ihrer Inspiration aus, zudem in Bezug auf das einundzwanzigste Jahrhundert?  Und wie steht es nun um Semotans Stilleben? Sind sie wirklich magisch oder gibt es ähnliche Fotos dieser Art von Treppen, Zäunen, Stühlen und diversen Schattenspielen an Wänden in Wahrheit auf so einigen Instagram-Accounts zu sehen?

Solchen Detailanalysen widmet man sich selbstverständlich nicht, lieber stellt man sich im Berliner Tagesspiegel die Frage: "Wo steckt sie denn nun, die gestrenge Frau? Die kühle Aura der weltbekannten Fotografin müsste sich doch langsam erspüren lassen." Zum Glück ist Semotan offensichtlich aber nicht ganz so gestreng, sondern auch mit "österreichischem Charme gesegnet. Und mit richtig kräftigen Händen." (Und nein, diese Ausführungen stammen von keinem alten, weißen Mann.)

Was auch immer der Grund für den Versuch ist, Semotan als bedeutende, gar revolutionäre Künstlerin zu etablieren - kunstbetriebliches  Spekulantentum, ein verqueres Verständnis gesellschaftspolitischer Bewegungen wie #metoo, es bleibt nach Ansicht beider Ausstellungen (für mich) wie zu Beginn geschrieben: Semotan ist eine bedeutende Modefotografin und eine sensible Porträtistin - nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de