Fotolot

Palast fürs betuchte Klientel

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
20.01.2020. Letztlich hatte man gehofft, dass die von Wolfgang Ullrich skizzierte "neue Adelsgesellschaft der Kunst", in der sich die Spitzen von Kunst, Politik und Wirtschaft die Ressourcen diskret untereinander aufteilen, doch nicht so weit gehen würde, den langjährigen deutschen Topverdienern der Fotografie in NRW ein Fotoinstitut zu spendieren und 83 Millionen an Steuergeld zukommen lassen. Offensichtlich umsonst.
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Das Fotolot begreift sich nicht als ein Format, das reflexartig auf tagespolitische Diskurse anspringt. Ob "Titel Thesen Temperamente" oder Zeit Online: Kaum ein Beitrag, in dem nicht versucht wird, künstlerische Produktionsprozesse sowie deren Ergebnisse in Zusammenhang zu stellen mit Säuen, die gerade durchs mediale Dorf getrieben werden: Klimawandel, neue Rechte, Afrika, #metoo, Migration.
Die Feuilletons befinden sich inzwischen in einer diskursiven Beugehaft durch die Sozialen Medien, deren Gegenwartsfixierung, strukturelle Einsilbigkeit und kurze Aufmerksamkeitsspanne einem umso größeren Erregungspotenzial korrelieren, das sich in Hashtags und Shitstorms ausdrückt, auf die die Medien reagieren müssen, wollen sie tagespolitisch relevant sein und an der Aufmerksamkeitsökonomie teilhaben.

Angefeindet vom rechten Spektrum; gleichgültig behandelt von einer von der Angst vor Wohlstandsverlust angetriebenen Mitte; zur Ware degradiert vom Markt und instrumentalisiert durch Identitätspolitiken vermeintlich linksorientierter Gruppierungen, versucht das Fotolot, der autonomen Kunst jenen Raum zu lassen, den zu behaupten ihr von allen Seiten immer schwerer gemacht wird.

Nun aber sind in der Süddeutschen Zeitung zwei interessante Artikel erschienen, die Licht in eine Sache bringen, die unlängst im Fotolot zu Sprache kam. Im Rahmen eines Beitrags über die Tristesse der Berliner Fotokunstszene (hier) habe ich dort die Gründung eines Fotoinstituts in Düsseldorf kritisiert, da sie fragwürdigen Tendenzen aktueller Kulturpolitik wie Musealisierung, Bürokratisierung und Klientelwirtschaft zuarbeitet - ein Befund, der nun von Jörg Häntzschel (hier) und Catrin Lorch (hier) bestätigt und in seinen verschiedenen Facetten dargestellt wurde.

Vordergründig im Zentrum der Kritik: "Siegerkünstler" Andreas Gursky.

Nach der Rekordauktion seines Bildes "Rhein II" 2011 für 4,3 Millionen Dollar war es zwischendurch angenehm ruhig geworden um den 1955 in Leipzig geborenen Fotografen und wohl umsatzstärksten Vertreter der von Bernd und Hilla Becher begründeten Düsseldorfer Schule für Fotografie. Man wusste ja, dass er schon länger die Gründung eines Fotoinstituts in Düsseldorf plante, in dessen Zentrum die Düsseldorfer Fotoschule und nicht zuletzt er selbst stehen sollten.

Letztlich hatte man aber doch gehofft, dass die von Wolfgang Ullrich in seinem Buch "Siegerkunst" skizzierte, neue Adelsgesellschaft der Kunst, in der sich die bestens vernetzten Spitzen von Kunst, Politik und Wirtschaft die Ressourcen diskret untereinander aufteilen, doch nicht so weit gehen würde, den langjährigen deutschen Topverdienern der Fotografie in NRW 83 Millionen an Steuergeld zukommen lassen.

Nicht, dass das anderswo nicht funktionieren würde. Man denke an die Elbphilharmonie in Hamburg, neben Düsseldorf das andere Zentrum deutscher Milliardär*innen und Millionär*innen. Beinah eine Milliarde an Steuergeld hat dieser Palast fürs betuchte Klientel verschlungen, während das Fußvolk damit zufrieden ist, ihn vom Hafen aus zu bestaunen.

Geht doch, denkt sich da die neue Adelsgesellschaft, und möchte das so oft und an so vielen Orten wie möglich wiederholen, damit auch keine(r) wirklich unzufrieden ist und zumindest in den Ballungszentren alle etwas abbekommen. Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Humboldt-Forum, House of Jazz, Museum der Moderne, Bauakademie - der neue Kulturadel feiert fröhliche Urstände: Welcher Architekt hat noch nicht oder will noch mal? Ganz zu schweigen von all den neu geschaffenen Posten.

Nicht übersehen werden soll dabei, dass Gurskys kreative Leistungen in der Fotografie zwar unbestritten, in ihrer Bedeutung aber rapide im Schwinden sind. Das war bereits in seiner Retrospektive 2018 in der Londoner Hayward Gallery zu besichtigen (hier die Besprechung im Fotolot), als der Großteil des Publikums zwar von den gewaltigen Ausmaßen der Fotos und ihres Schärfebereichs beeindruckt war, ansonsten aber nichts anderes zu tun hatte, als auf ihnen wie bei "Google Street View" amüsiert nach Details zu suchen. Dass Gursky behauptet, er erschaffe mit seinen Fotos "eine Welt ohne Hierarchien", war nicht annähernd greifbar. Dass man eine kleine Bibliothek füllen könnte allein über Abhandlungen zu Gurskys digitaler Begradigung des Rheins, hätte die meisten wohl verständnislos zurückgelassen. Auch im zukunftsweisenden Segment bei Messen und Verlagen kommt Gurskys Ästhetik im Grunde nicht vor, es sei denn, dass man der Meinung ist, dass "groß" gut kommt und Eindruck macht.

Ohne deren historischen Leistungen für die deutsche Fotografie schmälern zu wollen: die (Hoch-)Zeit von "Struffsky" (Struth/Ruff/Gursky) ist definitiv vorbei. Die einstigen, in Boom-Zeiten in die Höhe geschnellten Rekordpreise für deren Arbeiten müssten längst Geschichte sein.

Eine offizielle Geste wie die Gründung eines Düsseldorfer Fotoinstituts im Geiste von Gursky, Ruff und ihren Sammler*innen hätte da nicht nur in Bezug auf die mürbe werdenden Foto-Materialien, sondern auch auf den Geldwert der Bilder konservierende Wirkung. Diese Großverdiener nun mit Steuergeld zu alimentieren und ihren Werken nahezu staatstragenden Charakter zu verleihen, wäre schlicht ein Unding und würde selbst in der neuen deutschen Kunstadelsgesellschaft Schamgrenzen überschreiten, die auch im Sinne des sozialen Friedens besser nicht überschritten werden sollten.

Sicher sein darf man sich jedoch nicht. Nachdem man in der SZ Jörg Häntzschels Beschreibung des parlamentarischen Procederes gelesen hat, ist man im Grunde desillusioniert: Zwei (!) "Kulturberichterstatter" von CDU und SPD  - aktuell Patricia Lips und Johannes Kars - treffen die Auswahl für die Liste der Förderprojekte, die anderen Parlamentarier bekommen sie erst fünf Minuten vor der Abstimmung zu lesen und können sie im Grunde nur noch abnicken. "Oft finanzieren sie obskure Anliegen einzelner Parlamentarier oder beschenken deren Wahlkreise. Die Öffentlichkeit erfährt davon kaum etwas", so Häntzschel.

In der Kunst gilt im Grunde dasselbe wie für den Klimawandel: man muss auf die Generation Thunberg (und darauf folgende) hoffen. Aktuell wird sich an den neofeudalen Verhältnissen, in denen alle aufgewachsen sind und an die sie sich gewöhnt haben, so schnell nichts ändern.

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de




Wolfgang Ullrich: Siegerkunst. 160 Seiten, Taschenbuch. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2016., 16,90 Euro. ISBN-10: 3803136601 (bestellen bei eichendorff21)






Markus Metz / Georg Seeßlen: Geld frisst Kunst - Kunst frisst Geld. 496 Seiten, Taschenbuch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 20 Euro. ISBN-10: 9783518126752 (bestellen bei eichendorff21)