Magazinrundschau
Elisabeth Sledziewski: Die Franzosen wissen nichts über Polen
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14.08.2007. In Le Monde diplomatique überlegt Neal Ascherson, ob es Großbritannien wie der Tschechoslowakei ergehen wird. Das TLS blickt schaudernd auf die Doomsday-Maschinen der realen Welt. Outlook India feiert 60 Jahre Freiheit vom Kolonialismus. Im Figaro beklagt die Historikerin Elisabeth G. Sledziewski das Unwissen der Franzosen über den Warschauer Aufstand. Il Foglio liebt sogar die 1000 Fehler des Garibaldi. Magyar Narancs fürchtet sich vor nordirischen Zuständen in Ungarn. Der Economist stellt eine Studie über Lenin, Stalin und Hitler vor. In der Weltwoche erinnert sich Andre Müller an seine Begegnung mit Ingmar Bergman 1976.
Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 10.08.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q84/A17981/lmd.jpg)
Weitere Artikel: Wendy Kristianasen prophezeit bei den Wahlen in Marokko einen Sieg der gemäßigten Islamisten. Guy Scarpetta schreibt über Jean-Luc Godards "Histoire(s) du cinema", die jetzt auf DVD erschienen ist. Dazu gibt es ein Interview des Filmwissenschaftlers Youssef Ishaghpour mit Godard.
Figaro (Frankreich), 09.08.2007
Die Historikerin Elisabeth G. Sledziewski beklagt auf den Meinungsseiten des Figaro, dass die Franzosen über den Warschauer Aufstand, dessen 63. Jahrestag gerade begangen wird, so gut wie gar nichts wissen - meistens verwechseln sie ihn mit dem Aufstand des Warschauer Ghettos 16 Monate zuvor: "Diese Verwechslung ist Teil einer viel tieferen Unkenntnis über den Krieg in Polen, von dem die Franzosen nur eine Dimension - die Vernichtung der Juden - in Erinnerung behalten haben. Diese Ignoranz grenzt an eine Leugnung der historischen Realität, die in der Vernichtung der Aufständischen von 1944 nach fünf Jahren barbarischer Besetzung durch die Nazis und im zynischen Verrat des stalinistischen 'Verbündeten' bestand. Als würde der Schrecken der Shoah im besetzten oder beziehungsweise annektierten Polen den Leidensweg der seit dem 1. September 1939 in Sklaverei gehaltenen polnischen Nation als ganzer auslöschen. Die Polen verstehen diese Leugnung nicht und leiden darunter."
Magyar Narancs (Ungarn), 09.08.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q91/A17985/magyarnarancs.jpg)
Times Literary Supplement (UK), 10.08.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q23/A17990/tls.jpg)
Voller Bewunderung David Martin über "All die vermeintlichen Zeichen einer sicheren und liberalen Zukunft, so wie die Europäische Union oder die Vereinten Nationen, gründen auf einem kontingenten historischen Fluss, der zu jeder Zeit seine Richtung ändern und sehr leicht in die Hegemonie eines chinesischen oder russischen totalitären Kapitalismus führen kann".
Besprochen werden außerdem John Grays neues Buch "Black Mass", in dem der Philosoph die "moderne Politik als weiteres Kapitel in der Geschichte der Religion" entlarvt und einmal mehr das Ende der Utopien beschwört, und Thierry Savatiers Geschichte des Courbet-Gemäldes "L'Origine Du Monde".
Foglio (Italien), 11.08.2007
Aus den Trümmern des Faschismus will Angiolo Bandinelli wenigstens den Architekten Luigi Moretti retten, der von 1933 bis 1937 im römischen Viertel Trastevere das Haus der faschistischen Jugendorganisation "Gioventu Italiana del Littorio" gebaut hat. "In der Mitte öffnet sich der Eingang zum Lichtspielhaus,damals ein integrativer Bestandteil der Bildungseinrichtungen des Komplexes, heute ein öffentliches Kino (ein paar Meter weiter liegt das noch viel berühmtere Kino Nuovo Sacher von Nanni Moretti). Links vom Turm weicht die Fassade sofort von der Ascianghi-Straße zurück, und öffnet sich überraschend in eine großzügige quadratische Einbuchtung, mit einer hohen glatten Wand, die eine Abfolge von Fenstern und Öffnungen von großer formaler Reinheit überragt."
Der größte Held Italiens ist immer noch eine Schlagzeile wert. "Die tausend (Leiden) des Garibaldi", betitelt Nicola Fano in Anspielung auf die legendäre Truppe des Revolutionärs seinen Artikel über die drei Ehen des ansonsten disziplinierten Patrioten. "Tausend Fehler. Tausend, dass scheint seine magische Zahl zu sein. Kurz bevor er sein Heer zusammenstellte, das ihn von Quarto über Marsala bis zu Neapel siegen lassen würde, hat er den schlimmsten menschlichen Fehler seines langen Lebens gemacht: er lief einem Heiratsvertrag hinterher, der ihn teuer zu stehen kam. Ich bin ein überzeugter Garibaldianer, aber um die Reinheit meiner Anbetung zu erhalten, muss ich diese nicht gerade sehr erbauliche Geschichte erzählen. Wenn Sie sie zu Ende gelesen haben, dann verstehen Sie, dass Garibaldi ein Mann und ein Italiener war. Was ihn als Helden nicht kleiner macht."
Weiteres: Maurizio Stefanini ist ganz fasziniert von den Oligarchen Asiens, über deren zurückgezogenes Leben er aus Joe Studwells Buch "Asian Godfathers: Money and Power in Hong Kong and Southeast Asia" erfährt. Alfonso Berardinelli würdigt den Schriftsteller Alberto Moravia, der vor hundert Jahren geboren wurde.
Der größte Held Italiens ist immer noch eine Schlagzeile wert. "Die tausend (Leiden) des Garibaldi", betitelt Nicola Fano in Anspielung auf die legendäre Truppe des Revolutionärs seinen Artikel über die drei Ehen des ansonsten disziplinierten Patrioten. "Tausend Fehler. Tausend, dass scheint seine magische Zahl zu sein. Kurz bevor er sein Heer zusammenstellte, das ihn von Quarto über Marsala bis zu Neapel siegen lassen würde, hat er den schlimmsten menschlichen Fehler seines langen Lebens gemacht: er lief einem Heiratsvertrag hinterher, der ihn teuer zu stehen kam. Ich bin ein überzeugter Garibaldianer, aber um die Reinheit meiner Anbetung zu erhalten, muss ich diese nicht gerade sehr erbauliche Geschichte erzählen. Wenn Sie sie zu Ende gelesen haben, dann verstehen Sie, dass Garibaldi ein Mann und ein Italiener war. Was ihn als Helden nicht kleiner macht."
Weiteres: Maurizio Stefanini ist ganz fasziniert von den Oligarchen Asiens, über deren zurückgezogenes Leben er aus Joe Studwells Buch "Asian Godfathers: Money and Power in Hong Kong and Southeast Asia" erfährt. Alfonso Berardinelli würdigt den Schriftsteller Alberto Moravia, der vor hundert Jahren geboren wurde.
Outlook India (Indien), 20.08.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q15/A17993/outlook.jpg)
Eine Unzahl weiterer Artikel beleuchtet Geschichte und Gegenwart Indiens aus allen Richtungen. In einem Gastbeitrag betont die Sozialphilosophin Martha Nussbaum die Bedeutung von Bildung und Erziehung - und beklagt die Seelen- und Phantasielosigkeit in real existierenden indischen Bildungsinstitutionen. Khushwant Singh lässt die Geschichte in Englisch schreibender indischer Autoren Revue passieren. Ian Jack fragt, was Indien nach der Unabhängigkeit für England bedeutete. Es gibt eine kommentierte Liste mit sechzig Helden und eine mit elf Schurken. Ein Photoessay erinnert an unvergessene Liebesgeschichten. Nicht verschwiegen werden aber auch die Existenz von religiösem Fanatismus und seiner Opfer, von Sexsklaven und Gewalt.
New Yorker (USA), 20.08.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q19/A17991/ny.jpg)
Weitere Artikel: Paul Simms erzählt in einem Text von abgeklärtem Understatement von einer ziemlich komischen, wenn auch nicht unbedingt realen Nahtoderfahrung. David Denby hat im Kino die Filme "Superbad" und "Delirious" gesehen. Roger Angell schreibt über den neuen Home-Run-Rekord des wegen mutmaßlichen Steroid-Gebrauchs ins Zwielicht geratenen Baseball-Stars Barry Bonds.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 09.08.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q73/A17994/ahram.jpg)
Und: Mohamed El-Assyouti schreibt den Nachruf auf Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni.
Weltwoche (Schweiz), 09.08.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q26/A17959/weltwoche.jpg)
Weiteres: Einen wahrscheinlich hilflosen Aufschrei des Protests stößt Thomas Widmer gegen den "Terror auf dem Trottoir" aus, gegen Radfahrer, die sich um keine Ampel oder Verkehrsregel scheren, aber immer eine Miene "seelischer Verletztheit" zur Schau tragen. James Hamilton-Paterson schreibt einen Nachruf auf den Regenwald. Hugh Hewitt unterhält sich mit dem amerikanischen Journalisten John F. Burns über die Lage im Irak. Urs Gehriger und Sami Yousafzai liefern Hintergründiges zur Entführung der Südkoreaner in Afghanistan.
al-Sharq al-Awsat (Saudi Arabien / Vereinigtes Königreich), 08.08.2007
Muhammad Ali Salih erinnert an eine Rede von Laura Bush, die sie einen Monat nach Beginn des Anti-Terror-Krieges in Afghanistan gehalten hat. "Der Krieg gegen den Terror ist auch ein Krieg gegen die Unterdrückung der Frau", hatte sie erklärt. Für Ali Salih ist dieser Krieg gescheitert. Er nimmt dies zum Anlass, um auf zwei Einwände hinzuweisen, welche von der amerikanisch-palästinensischen Soziologie-Professorin Laila Abu-Lughod gegen Laura Bush in Stellung gebracht wurden: "Erstens haben die westlichen Länder viele islamische Länder über lange Zeit kolonialisiert und wären in dieser Zeit in der Lage gewesen, selbst etwas für die "Entwicklung' der Frauen (zum Beispiel durch die Eröffnung von Mädchenschulen) zu tun. Der Westen trägt daher ein Stück der Verantwortung für die 'Rückschrittlichkeit' der Frau in den islamischen Ländern. Zweitens wäre es den Amerikanern möglich gewesen, statt einer 'militärischen Lösung' eine 'menschliche Lösung' zu wählen. Sie wären in der Lage, den muslimischen Frauen Bildung und Gesundheitsversorgung zu verschaffen. Sie wären in der Lage, die Tyrannei der Herrschenden zu brechen, nicht nur jene über die muslimischen Frauen, sondern auch über die muslimischen Männer."
Economist (UK), 10.08.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q14/A17979/economost.jpg)
Besprochen wird außerdem die englische Übersetzung des vom französischen Islamwissenschaftler Olivier Roy verfassten Buches "Secularism Confronts Islam" ("Die Konfrontation von Säkularismus und Islam"). Roy sieht nicht den Islam, sondern neue Formen tendenziell fundamentalistischer Religiosität als eigentliche Herausforderung für den Westen: "In Wahrheit betrachten konservative Muslime Sex und Familie im wesentlichen ganz ähnlich wie konservative Christen und Juden. Roy spricht sich dafür aus, das der Staat in allen Fällen dieselbe Haltung einnimmt - nämlich zwischen moralischen Werten und gesetzlichen Normen zu unterscheiden. Diejenigen, die Abtreibung oder schwulen Sex als Verbrechen betrachten, müssen nicht ihren Überzeugungen abschwören, sondern nur das Gesetz befolgen."
Weitere Artikel beschäftigen sich mit dem Filmfestival von Locarno, dem in New York mit großem Erfolg aufgeführten Stück "Masked" des israelischen Autors Ilan Hatsor, Peter Abbs' Gedichtband "The Flowering of Flint" und Rosemarie Hills Biografie des Erbauers historistischer gotischer Kathedralen des 19. Jahrhunderts, Augustus Pugin (Bilder hier, hier und hier). Einen Nachruf gibt es auf den irischen Folk-Sänger Tommy Makem. Die Titelgeschichte stellt die Frage: "Bewegt sich Amerika nach links?" Die Antwort: Wahrscheinlich schon, aber selbst Hillary Clinton ist in zentralen Fragen noch "rechter" als die europäischen Konservativen.
Nepszabadsag (Ungarn), 08.08.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q89/A17986/nepsabdszag.jpg)
New York Times (USA), 12.08.2007
Ada Calhoun ist begeistert, wie Karen Abbot in ihrer Geschichte des einst mondänsten Bordells der USA die gegenseitige Abhängigkeit von Hedonismus und Puritanismus beschreibt. "Im brutalen Rotlichtbezirk von Chicago zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfuhren die meisten Hurenhäuser nach dem Prinzip 'Effizienz statt Fantasie'. Im Everleigh Club jedoch, einem Doppelhaus in der South Dearborn Street, trugen die 'Schmetterlinge' Abendkleider, aßen Bonbons und lasen Balzac. Das Haus verfügte über drei Streichorchester, einen mit Parfüm gefüllten Brunnen, Spucknäpfe aus 18-karätigem Gold und dreißig opulente, themenbezogene Schlafzimmer, ausgestattet mit Extras wie einer lebensgroßen Abbild von Kleopatra oder einer Anlage, um Feuerwerkskörper abzubrennen. Die Patroninnen, Ada und Minna Everleigh, bestanden darauf, dass sich hier 'ein Mann nie bedrängt oder betrogen, desillusioniert oder allein' fühlen sollte."
Ziemlich ungnädig verfährt Christopher Htichens mit dem Finale von J.K. Rowlings "Harry Potter". Auch wenn seine Tochter die Lektüre offenbar genossen hat, stößt dem Vater einiges auf. "Woher kommt das Böse? Diese Frage bleibt die gleiche, wenn man sie manichäisch umdeutet: Wie können Voldemort und seine bösen Truppen derartige Macht haben, es aber nicht hinbekommen, einen sanften und ziemlich schlecht organisierten Schuljungen zu zerstören? In einer Kurzgeschichte könnte man mit dieser Unstimmigkeit leben und sie schnell in die eine oder andere Richtung auflösen. Aber im Verlauf von sieben Büchern verliert das Rätsel jedenfalls für den Leser an Faszination, und in seiner letzten Episode wird das Ganze ziemlich nervig. Gibt es wirklich keinen Death Eater oder Dementor, der den simplen Vorteil des Überraschungseffekts begreift?"
Weiteres: Amerigo Vespucci, immerhin Namenspate der Weltmacht, war nicht gerade ein Vorbildcharakter, erfährt Nathaniel Philbrick aus Felipe Fernandez-Armestos "wundervoll idiosynkratischer und intelligenter" neuer Biografie. "Wie sich herausstellte, wurde Amerika - diese Nation notorischer Hökerer, Träumer und Spin Doctors - genau nach dem richtigen Typ benannt." Besprochen werden außerdem Richard Klugers Frühgeschichte der Vereinigten Staaten und Christine Kenneallys Suche nach dem Grund der menschlichen Sprache.
Ziemlich ungnädig verfährt Christopher Htichens mit dem Finale von J.K. Rowlings "Harry Potter". Auch wenn seine Tochter die Lektüre offenbar genossen hat, stößt dem Vater einiges auf. "Woher kommt das Böse? Diese Frage bleibt die gleiche, wenn man sie manichäisch umdeutet: Wie können Voldemort und seine bösen Truppen derartige Macht haben, es aber nicht hinbekommen, einen sanften und ziemlich schlecht organisierten Schuljungen zu zerstören? In einer Kurzgeschichte könnte man mit dieser Unstimmigkeit leben und sie schnell in die eine oder andere Richtung auflösen. Aber im Verlauf von sieben Büchern verliert das Rätsel jedenfalls für den Leser an Faszination, und in seiner letzten Episode wird das Ganze ziemlich nervig. Gibt es wirklich keinen Death Eater oder Dementor, der den simplen Vorteil des Überraschungseffekts begreift?"
Weiteres: Amerigo Vespucci, immerhin Namenspate der Weltmacht, war nicht gerade ein Vorbildcharakter, erfährt Nathaniel Philbrick aus Felipe Fernandez-Armestos "wundervoll idiosynkratischer und intelligenter" neuer Biografie. "Wie sich herausstellte, wurde Amerika - diese Nation notorischer Hökerer, Träumer und Spin Doctors - genau nach dem richtigen Typ benannt." Besprochen werden außerdem Richard Klugers Frühgeschichte der Vereinigten Staaten und Christine Kenneallys Suche nach dem Grund der menschlichen Sprache.