Magazinrundschau - Archiv

Foreign Affairs

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Magazinrundschau vom 22.08.2023 - Foreign Affairs

Jade McGlynn und Kirill Shamiev beschreiben Putin eher als einen Imperialisten denn als ein Nationalisten, und schon gar nicht sei er ein Ethnonationalist. In seinen politischen Äußerungen schließt er russische Staatabürger anderer ethnischer Herkunft stets ein, sofern sie sich der Herrschaft des Zaren beugen. Aber nach Putin, so die Autoren, besteht eine Gefahr, dass sich ein russischer Ethnonationalismus Bahn bricht. "Die meisten Szenarien eines Russlands nach Putin sagen ein hohes Maß an politischer Instabilität voraus, und in einer Zeit des Chaos könnte ein ethnozentrischer Nationalismus für viele Russen ein Trost sein. Vor allem, wenn der Krieg in der Ukraine in irgendeiner Form mit einer Niederlage für Russland endet, müsste jeder Führer, der Putin nachfolgt, die Legitimität des Volkes aus etwas anderem als dem Imperialismus ableiten. Da der Staat diskreditiert ist, müsste er das Russentum vom Staat unterscheiden - mit anderen Worten, er müsste eine Art von Volksnationalismus wiederherstellen. Wenn dies eine inklusive Version des Nationalismus bliebe, könnte er einen Weg zu einem kohärenteren Gefühl der russischen Nationalität bieten, das nicht von imperialistischer Expansion abhängt, um es zusammenzuhalten. Doch in einer Gesellschaft, die durch einen Krieg, den sie der Ukraine zugefügt hat, traumatisiert ist, hätte der Ethnonationalismus einen Vorteil, da er an den grundlegenden menschlichen Wunsch appelliert, sich anderen überlegen zu fühlen und einer exklusiven Gruppe anzugehören. Eine ethnonationalistische Wende wäre für Russland unbestreitbar hässlich. In Tschetschenien, Dagestan und anderen ethnischen Regionen könnte sie zu neuen separatistischen Forderungen führen und sogar weiteres Blutvergießen auslösen."

Magazinrundschau vom 25.10.2022 - Foreign Affairs

Nüchtern und streng, aber äußerst lesenswert erzählt die mexikanische Autorin und Politologin Denise Dresser, wie der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador, genannt AMLO, die Demokratie seines Landes langsam, aber sicher an den Rand des Abgrunds führt. Sie zählt ihn neben Trump oder Orban zu den großen bösen Populisten dieser Welt, der zu Unrecht zu wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehe. Liegt es daran, dass er sein Amt mit linken Parolen errang und verteidigt? In Wirklichkeit aber, so Dresser, führt er eine staatskapitalistisch oligarchische Politik, die die Institutionen untergräbt und die Korruption nährt. Überdies macht er das Militär, das er im Wahlkampf noch kritisierte, zu seinem starken Arm und überschüttet es mit Staatsaufträgen, die die Offiziere satt und loyal machen sollen. Sein Versagen zeigt sich in der Gewaltwelle, die das Land nieder drückt - ein Drittel sei von den Drogenkartellen beherrscht -, aber auch in seiner katastrophalen Corona-Politik: "Infolge seiner Maßnahmen, die er als 'republikanische Austerität' ausgab, hatte Mexiko während der Pandemie eine der höchsten Übersterblichkeitsraten der Welt zu verzeichnen - über 600.000 Mexikaner starben an Covid 19... Die Zahl der Armen ist seit 2019 um fast vier Millionen Menschen gestiegen. Im ersten Jahr der Pandemie gab es kaum Impfstoffe, die Krankenhäuser waren überlastet, mehr als eine Million Unternehmen mussten aufgeben, und die Auswanderung in die Vereinigten Staaten nahm stark zu. Heute haben weniger Mexikaner Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung als je zuvor in den letzten zwanzig Jahren, und das Bildungssystem liegt aufgrund von Sparpolitik und Missmanagement der Regierung in Trümmern. Eine von der School of Governance am Monterrey Institute of Technology durchgeführte Studie berichtet, dass seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020 mehr als eine Million Kinder die Schule abgebrochen haben und ein historischer Rückgang der Einschulungszahlen zu verzeichnen ist." Die einzige Hoffnung sieht Dresser in den Feministinnen, die immer lauter gegen die Missstände - etwa die ungeheure Zahl an Femiziden im Land - protestieren.

Magazinrundschau vom 13.09.2022 - Foreign Affairs

Timothy Snyders Essay "Ukraine Holds the Future - The War Between Democracy and Nihilism" mag sich stellenweise etwas pathetisch, ja, eitel, lesen. Er wird dennoch ein klassisches Stück der Auseinandersetzung mit dem Krieg gegen die Ukraine bleiben, gerade auch, weil sich Snyder nicht scheut, historische Vergleiche anzustellen. Die Modelle seiner Reflexion findet er in der Antike und im Zweiten Weltkrieg: "Tyrannen widersetzen sich guten Ratschlägen", wusste schon Platon, "sie werden obsessiv, wenn sie altern, sie werden krank, sie wollen ein unsterbliches Erbe hinterlassen. All dies ist sicherlich in Putins Beschluss, in die Ukraine einzumarschieren, wiederzuerkennen. Faschismus, eine besondere Form der Tyrannei, trägt ebenfalls dazu bei, das heutige Russland zu erklären, das durch Personenkult, eine de facto Einheitspartei, Massenpropaganda, die Privilegierung des Willens gegenüber der Vernunft und eine Politik des Wir-gegen-Sie gekennzeichnet ist. Da Faschismus Gewalt über die Vernunft stellt, kann er nur mit Gewalt besiegt werden. Faschismus war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs recht populär - nicht nur in den faschistischen Ländern. Er geriet erst in Misskredit, als Deutschland und Italien den Krieg verloren."

Magazinrundschau vom 29.08.2022 - Foreign Affairs

Recht trocken liest sich der Artikel der Russland-Expertin Fiona Hill über Wladimir Putins weltpolitische Ambitionen. Aber er ist eine tolle Zusammenfassung und schafft am Ende ein Gefühl für die Bedrohung, die von Putin ausgeht. Sie beginnt gemeinsam mit ihrer Koautorin Angela Stent damit, dass Putin ein zwanghafter Revisionist ist, der ein Traumbild vom russischen Reich wieder errichten will. Daran arbeitet er seit Jahren. Aber so wenig sein Diskurs im Westen verfängt - er ist nicht ohne Alliierte und schafft es sogar, sich in einen postkolonialen Diskurs hineinzuschummeln: "In Putins Vision würde der 'globale Süden' in Russlands Patt mit dem Westen zumindest neutral bleiben. Die Entwicklungsländer würden Moskau aktiv unterstützen. Mit der BRICS-Organisation - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika -, die um Argentinien, den Iran und möglicherweise Ägypten, Saudi-Arabien und die Türkei erweitert werden soll, könnte Russland noch mehr Partner gewinnen, die zusammen einen beträchtlichen Prozentsatz des globalen Bruttosozialprodukts und einen großen Teil der Weltbevölkerung ausmachen. Russland würde dann zu einer Führungsmacht in den Entwicklungsländern werden, wie es die Sowjetunion während des Kalten Krieges war."

Magazinrundschau vom 31.08.2021 - Foreign Affairs

Dieser Artikel kommt seltsam deplatziert und doch genau zum richtigen Zeitpunkt. Geschrieben wurde er vor den jüngsten Ereignissen in Afghanistan, und in ihren Einschätzungen wäre die Autorin Nelly Lahoud heute vielleicht ein bisschen weniger forsch als in den Monaten, als sie ihn schrieb. Berechnet war der Artikel wohl zum Jahrestag des 11. September, und so oder so ist er äußerst faszinierend zu lesen, denn Lahoud hat Brief- und Mailwechel Osama bin Ladens ausgewertet, die die Geheimdienste vor kurzem freigegeben hatten. Bin Laden hat eine Menge angerichtet, aber ist letztlich gescheitert, liest sich Lahouds Resümee: "Die letzten zwei Jahrzehnte haben gezeigt, wie wenig dschihadistische Gruppen am Ende erreichen." Aber am Anfang schildert Lahoud Bin Ladens Ziele, und ihr erster Absatz liest sich im Licht des Rückzugs ein wenig unheimlicher, als sie gedacht haben mag: "Obwohl bin Laden religiös inspiriert war, waren seine Ziele geopolitischer Natur. Al-Qaidas Ziel bestand darin, die gegenwärtige Weltordnung der Nationalstaaten zu untergraben und die historische Umma wiederherzustellen, die weltweite Gemeinschaft der Muslime, die einst durch eine gemeinsame politische Autorität zusammengehalten wurde. Bin Laden glaubte, dieses Ziel durch einen 'entscheidenden Schlag' erreichen zu können, der die Vereinigten Staaten dazu zwingen würde, ihre Streitkräfte aus den mehrheitlich muslimischen Staaten abzuziehen, so dass die Dschihadisten dort von gleich zu gleich gegen autokratische Regimes kämpfen könnten." Ähem, und sind sie diesem Ziel nicht nähergekommen?

Magazinrundschau vom 14.02.2017 - Foreign Affairs

Unter der Trump-Regierung fürchtet Omar G. Encarnación das Schlimmste für die Sache der Homosexuellen in der ganzen Welt - und weist auf starke evangelikale Unterströmungen in der neuen amerikanischen Regierung hin. Amerikanische Evangelikale waren es etwa, die das berüchtigte ugandische Gesetz gegen Homosexuelle formulieren halfen (es gibt hier eine russisch-amerikanische Allianz, die sich im World Congress of Families organisiert, hat Politico neulich festgestellt, unser Resümee). "Die Fortschritte bei den Schwulenrechten in der westlichen Welt hatten einen schlimmen Preis: massive Rückschritte in Russland, Afrika, Teilen Asiens und praktisch im gesamten Nahen Osten, da die politischen Führer in diesen Ländern LGBT-Menschen zu Sündenböcken gemacht haben, die ihnen dazu dienen, konservative Sozialgesetzgebung durchzusetzen, um ihre Länder vor der angeblichen Bedrohung von außen zu schützen. Allein im Jahr 2013 wurde in Uganda das schwulenfeindliche Gesetz erlassen, wenn auch ohne die anfangs angedrohte Todesstrafe... Ähnlich Gesetze wurden darauf in Nigeria, Gambia und Liberia verabschiedet. Und Russland verabschiedete das 'Gesetz gegen homosexuelle und pädophile Propaganda', das jede Selbstdarstellung von Homosexualität zu einem Verbrechen macht, inklusive Symbolen wie der Regenbogenflagge oder die Teilnahme an Gay-Pride-Paraden."

Magazinrundschau vom 10.02.2015 - Foreign Affairs

In einem ganz interessanten Hintergrundartikel arbeitet Omar G. Encarnación Unterschiede zwischen der Podemos-Bewegung in Spanien, die sich zumindest teilweise an den linken Regimes der "bolivarischen" Länder wie Venezuela orientiert, und der griechischen Syriza-Partei heraus: "Syriza steht für "Koalition der radikalen Linken" und ist eine Sammlungsbewegung linker Grupppen, die zuvor schon existierten, wie Sozialdemokraten, Sozialisten, Trotzkisten und Eurokommunisten. Podemos dagegen bekennt anders als die "bolivarischen" Vorbilder eine klare Verpflichtung zu demokratischen Prinzipien. Podemos definiert sich als "postideologische Partei", reiht sich weder bei der Rechten noch bei der Links, sondern allein beim "Volk" ein. Die Strukturen sind horiziontal, viele Entscheidungen fallen in "Bürgerräten". Viele Anhänger haben nie einer politischen Partei angehört oder haben sich aus Ekel und Frustration von der Politik abgewandt."

Magazinrundschau vom 23.07.2013 - Foreign Affairs

William E. Scheuermann erzählt die Geschichte, wie die Marxisten von der Frankfurter Schule dem amerikanischen Geheimdienst erklärten, was es mit den Deutschen und den Nazis auf sich hatte. William Donovan, einer der Gründer des CIA-Vorläufers Office of Strategic Services (OSS) war klug genug, die Emigranten aus Deutschland einzuspannen, um mehr über Deutschland zu erfahren, und sie haben ihre Sache nicht so schlecht gemacht: "Am erhellendsten ist der wichtigste Ratschlag der Frankfurter an die amerikanischen Politiker. Die Alliierten sollten aufhören, Nazi-Deutschland durch die Brille des Ersten Weltkriegs zu sehen. Nur wenn die Vereinigten Staaten verstanden, wie stark die Gegenwart von historischen Vorläufern abwich, konnten sie den Frieden gewinnen und den Grund für eine deutsche Demokratie legen. Franz Neumann und sein Team kritisieren die US-Politiker für ihr Festhalten an anachronistischen Bildern von Deutschland als ein von einer Militärkaste dominiertes 'Preußen' - als ob das Land noch vom Kaiser regiert würde. Derart rückwärts gewandte Propaganda mochte geeignet sein, eine breite Unterstützung für den Krieg gegen Deutschland zu gewinnen, aber sie verkannte die Realitäten der Machtstrukturen unter den Nazis."

Magazinrundschau vom 03.01.2012 - Foreign Affairs

Ist die Welt wirklich friedlicher geworden? Vielleicht, aber die Erklärungen, die Steven Pinker in seinem Buch "Gewalt" dafür bietet, stellen den Historiker Timothy Snyder nicht zufrieden. Einer der Gründe dafür: "Pinker glaubt, dass die Menschen friedlicher werden, wenn sie Zeit und Gelegenheit haben, im Gespräch zu bleiben und ihre Handlungen zu überdenken. Doch er hat Schwierigkeiten anzuerkennen, dass - seiner eigenen Erzählung folgend - es nur einen Agenten gibt, der diese Art von gepolsterter Gesellschaft mit gebildeten Köpfen und Freizeit garantieren kann: der Wohlfahrtsstaat. Diese Verweigerung scheint in Pinkers Bekenntnis zum marktwirtschaftlichen Liberalismus begründet zu sein. Seine Vision von einem kommenden Zeitalter des Friedens ist ein gutes Beispiel dafür, wie zwei Trends, die politische Passivität begünstigen - die narzistische Unbeständigkeit der amerikanischen Linke und die antistaatlichen Vorurteile der amerikanischen Rechten - im selben Wahn enden: dass während wir reden, reden, reden, die Märkte die Arbeit der Geschichte tun."

Magazinrundschau vom 19.10.2010 - Foreign Affairs

Eine leidenschaftliche und scharfe Debatte über den Islamismus - die gegenüber Debatten in deutschen Feuilletons den Vorzug der klaren Bezüge hat - findet seit einigen Monaten in Foreign Affairs statt. Es geht, mal wieder, um Paul Bermans Buch "The Flight of the Intellectualls", das vor allem um die Figur Tariq Ramadans und um historische Verbindungen zwischen Nazis und Islamismus kreist. Der Politologe Marc Lynch ließ in der Juli/August-Ausgabe kein gutes Haar an Berman, dem er vor allem vorwirft, nicht ausreichend zwischen den verschiedenen Spielarten des Islamismus zu differenzieren. "Es klafft eine Riesenlücke zwischen der salafistischen Vision erzwungene sozialer Uniformität und den moderaten islamistischen Vorstellungen von einem demokratischen Staat mit frommen Muslimen." Zu den Gemäßigten zählt Lynch die Muslimbrüder und ihren späten Abkömmling Tariq Ramadan, aber letztlich sogar die Hamas, die sich im Gaza-Streifen gegen noch radikalere Salafisten wehrt (mehr dazu in der taz).

Was den Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi angeht, den Lynch ebenfalls als "Seismografen" der muslimischen öffentlichen Meinung verteidigt, so stellt Berman jetzt in einer Antwort klar, dass Qaradawi nicht einfach eine "feindliche Einstellung zu Israel" hat, wie Lynch schreibt. "Daraus würde man niemals erraten, dass Qaradawi ein genozidaler Antisemit ist. Nach Qaradawis im Fernsehen verbreiteter Meinung hat Allah den Juden Hitler auferlegt, um sie 'dorthin zu bringen, wohin sie gehören'. Und Qaradawi ruft dazu auf, Hitlers Bemühungen zu erneuern: 'Oh Allah, zähle sie und töte sie bis hin zum letzten.'"

Auch Jeffrey Herf, Autor des Buchs "Nazi Propaganda for the Arab World" antwortet Lynch. Seine Recherchen beruhen auf Tausenden von Seiten islamistischer Nazipropaganda, die vom Mufti von Jerusalem in Zusammenarbeit mit den Nazis verantwortet wurde. Es handelt sich um Rundfunkreden, die von der amerikanischen Botschaft in Kairo seinerzeit dokumentiert wurden. "Wenn etwas in Sachen Zusammenarbeit von Nazis und Islamisten 'irrsinnig' ist", so antwortet Herf (gleicher Link weiter unten) auf Lynch, "dann die Tatsache, dass Spezialisten der Nahostpolitik ein so entscheidendes Material so lange nicht berücksichtigten." Lynch hat zuletzt eine Gegenantwort (gleicher Link weiter unten) geschrieben, in der er den Vorwurf mangelnder Differenzierung wiederholt.