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Röntgenhaft

Über Bilder, Bände und Sites Von Peter Truschner
22.06.2018. Die Triennale-Ausstellung "No Control" in der Hamburger Kunsthalle zeigt einige der faszinierendsten fotografischen Ansätze der Gegenwart. Und außerdem ist Hennric Jokeits neues Fotobuch "Goodhope" erschienen. Fotolot aktuell
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Ausstellung: Hamburger Triennale der Photographie

Da dies nicht der Raum ist, um den vielen Haupt- und Nebenschauplätzen der Triennale gerecht werden zu können, beschränke ich mich auf die beiden Kernstücke in den Deichtorhallen und der Kunsthalle.

Die Deichtorhallen setzen im Haus der Photographie den Schwerpunkt "Street Life" in Szene. Zu sehen gibt es auf verschiedenen Stationen wie "Anonymity" oder "Crashes" Street Photography aus sieben Jahrzehnten. Neben ein paar weniger bekannten Fotograf*innen hängen Klassiker des Genres wie Arnold Odermatt, William Klein, Diane Arbus und Robert Frank an den Wänden - Fotografien, unter denen nur wenige, seltener gezeigte Exponate wie Merry Alperns "Dirty Windows"-Serie überraschen. In ihrem Überblickscharakter und ihrer Gediegenheit taugt die gut gemeinte Ausstellung bestens für Schulklassen, Einführungsseminare an der Uni und VHS-Kurse.

In der Kunsthalle dagegen sprüht es bei der Umsetzung des Triennale-Segments "No Control" förmlich vor Aktualität. Und das ist in diesem Fall überaus positiv gemeint: Die Kuratorinnen Petra Röttig und Stephanie Bunk haben auf knappen Raum neben Arbeiten von Sophie Calle oder Thomas Demand den wohl dichtesten und spannendsten Parcours entworfen, den es dahingehend derzeit in Deutschland zu sehen gibt: Vom Meister der Aufdeckung und ästhetischen Aneignung geheimdienstlicher Datenströme und Überwachungspraktiken - Trevor Paglen (mehr hier) - und seiner großartigen Bild- und Soundinstallation "Behold These Glorious Times!" (2017) geht es über Harun Farocki und Adam Broomberg & Oliver Chanarin direkt zum Höhepunkt der Triennale: Richard Mosses Videoinstallation "Incoming" (2017), die sich mit Hilfe einer Wärmebildkamera den dunklen und verborgenen Aspekten der Flüchtlingsproblematik widmet, und Hoffnung, Verzweiflung, Zerstörung, Freude und Tod beispiellos in Szene setzt. Ein Must See für alle, die sich mit Gegenwartskunst und einer der heftigsten Problemlagen unserer Zeit konfrontieren wollen.




Fotobuch: Hennric Jokeits "Goodhope"

Hennric Jokeit experimentiert mit verschiedenen analogen Negativtechniken, entwickelt Diafilme negativ oder belichtet Fotopapier in der Kassette einer Großformatkamera. Eine konzentrierte Auswahl erschien 2016 unter dem Titel "Negative Vision". Das neue Buch "Goodhope" wiederum endet mit Portraits, die mit einer für das Melanin der Haut unempfindlichen Infrarotkamera aufgenommen wurden.
In ihrer speziellen Machart rühren Jokeits Fotos ebenso an die Ursprünge der Fotografie  - die Alchemie der Laugen und Salze - wie an die Frage nach dem Platz der Fotografie in einer digitalisierten Welt. Sie verkörpern Röntgenaufnahmen von Ist-Zuständen, die dennoch - in ihren Mischformen von "Schwarz" und "Weiß" und den hellen und dunklen Wesensarten von "Grau" - prekär und gespenstisch wirken, und eher Halluzinationen ähneln als Datensammlungen. Wie in Ikonen drückt sich in ihnen auch ein geistiger Raum aus - eine unsichtbare Ordnung des Glaubens und Meinens, des Urteils und des Vorurteils, die es festzuhalten und zu evozieren gilt, da sie temporär und immer durch neue Lesarten und Interpretationen gefährdet ist.

Fotobuch Jokeit, Copyright Hennric Jokeit und Peperoni Books



Die Fotos in "Negative Vision" bezogen sich auf Orte einer herkömmlich als 'normal' oder 'durchschnittlich' bezeichneten Lebenswelt sowie auf Gegenstände des täglichen Gebrauchs: Häuser, Zimmer, Bäume, Tische. Diese Auswahl hat Jokeit beibehalten - aber aus dem uneigentlichen, nur als soziales und narratives Konstrukt von Zuschreibungen existierenden Ort der "Normalität" ist ein konkreter geworden: Die von Natur geformten und von Menschen bearbeiteten Phänotypen von 'Wildnis' in und um Kapstadt.

Vom Kap der Guten Hoffnung geht die Reise über Vorgärten und Industrieanlagen zu Obdachlosen. Eingebettet in diese Bewegung sind die Problemlagen von Technik und Zivilisation, Kolonialismus und Postkolonialismus. Vor allem das Verhältnis von schwarzer und weißer Bevölkerung wird durch die röntgenhaften Bilder nahezu auf eine ethnische Zombie-Ebene verschoben - eine überaus gewagte und nicht unproblematische Vorgehensweise, die ein jenseits der Historie und Ethnie evoziert und aufs allgemein Menschliche verweist.

Hennric Jokeit: "Goodhope". Berlin (Peperoni Books.) 2018. 116 Seiten. 23,5 x 27,5 cm. 59 Abbildungen Tritone. 9 Abbildungen Duotone silber auf durchgeschwärztem Papier. Hardcover, Leinen mit Schild und Titelprägung. Essay von Sean O'Toole. Englisch. 45 Euro ISBN: 9783941249233.  Buch beim Verlag. (Bestellen bei buecher.de)


Peter Truschner