Fotolot

Mit einem Pinhole statt einer Linse

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
03.02.2022. Es ganz schön schwer, ein überzeugendes Fotobuch zu machen: Manchmal gefallen die Fotos, aber der Aufbau und das Design des Buches passen nicht dazu. Manchmal gibt es wunderbar gemachte Bücher, aber die Fotos sind nicht wirklich aufregend. Zwei neue Versuche von Andreas Trogisch und Jörg Gläscher
Fotolot-Newsletter abonnieren

Es gibt Fotobücher, von denen man nicht wirklich weiß, wie man sie einordnen soll.

Manchmal gefallen die Fotos, aber der Aufbau und das Design des Buches passen nicht dazu. Manchmal gibt es wunderbar gemachte Bücher, aber die Fotos sind nicht wirklich aufregend. Manchmal sind die Fotos nicht schlecht oder sogar ganz gut, aber das Narrativ ist im Grunde hinreichend abgehandelt (Roadtrip USA, Opa/Papa und seine NS-Vergangenheit, die Achtziger Jahre in West und Ost und so weiter). Manchmal schauen die Fotos an der Wand interessant aus, im Buch dann leider nicht - und umgekehrt.

Andreas Trogisch habe ich bei 25 Books kennengelernt, dem Laden meines späteren Verlegers Hannes Wanderer. Er hatte dort 2014 "Replies" veröffentlicht, ein stimmungsvolles Buch mit Schwarzweißaufnahmen, in denen Trogischs Stärken - das Spiel mit der Unschärfe und sein Blick für das Periphere, vermeintlich Nebensächliche - gut zur Geltung kommen.

2015 folgte dann mit "Runway" eine großartige Arbeit:  die vollständige fotografische Reproduktion eines dreißig Meter langen Streifens der "Centre Line" der Start- und Landebahn 09R/27L des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof in Form eines als Leporello gestalteten Buches. Auf den ersten Blick könnte man das Ganze auch für eine Aufnahme einer Wüstenlandschaft aus großer Höhe halten. Ein konzeptuelles Kunstwerk, das seinen Vorgänger in Robert Rauschenbergs  "Automobile Tire Print" aus dem Jahr 1951 hat, bei dem Rauschenberg seinen Freund John Cage mit den Reifen seines Autos zuerst in schwarze Farbe, danach über zwanzig zusammengelebte Blätter Papier fahren ließ.  

© Andreas Trogisch 
























Nun gibt es bei Kerber Trogischs Buch "Eight Days A Week", und man bekommt schon beim ersten Durchblättern das Gefühl, Trogisch hatte das Bedürfnis, mal so richtig zu klotzen. Auf 146 Seiten gibt es 77 ganz- und doppelseitige Fotos in Farbe und Schwarzweiß, die Trogisch mit einer Lochkamera (also mit einem Pinhole statt einer Linse) aufgenommen hat.

Das Ganze hat betont seriellen Charakter und bekommt durch die Verwendung von Doppelbögen statt Einzelseiten zusätzlich ein Gewicht, bei dem die Fotos eher wie monolithische Bildtafeln wirken. Gewicht braucht es aber auch, schließlich geht es um nichts Geringeres als die Erschaffung der Welt in sieben plus einem Versuch oder dem "1. Fotobuch Mose", wie Trogisch es im Text "Wie es wirklich war" nennt.

Anfangs sind die Fotos interessant, es gibt das ein oder andere schöne Einzelbild, aber irgendwann verliert man an ihnen das Interesse. Mühsam wälzt sich das Buch dahin - nicht zuletzt, weil jeder Versuch aussieht wie der andere - und gleicht allmählich ein wenig dem Schiff, das Einheimische für Werner Herzogs "Fitzcarraldo" durch den Urwald ziehen mussten, ohne zu verstehen, was das Ganze eigentlich soll.

Die Angaben im Text  - Till Eulenspiegel, Anthropozän, Doppelhelix der Geschichte, französischer Revolutionskalender - kann man mit dem Buch schlicht nicht in Verbindung bringen. Auch Trogischs Hinweis, es handele sich dabei um eine auf die Spitze getriebene Ironisierung hochmögender Ansätze, wirkt nicht schlüssig.

© Andreas Trogisch






























Alles in allem hat das Ganze etwas von einem Auftrumpfen, die Muskeln spielen lassen, geboren aus einer fixen Idee. Prinzipiell habe ich nichts gegen solche Ansätze, bin selbst nicht ganz davor gefeit - aber aufgehen und einen Sinn ergeben sollte das Ganze wie bei "Fitzcarraldo" dann schon. (Wobei natürlich auch hier ein wenig wehmütig stimmt, dass Herzog das Angebot der Indios, Klaus Kinski umzulegen, nicht angenommen hat.)

Trotzdem muss man Trogisch natürlich zugute halten, dass er diese Fallhöhe überhaupt wagt - in der Überschaubarkeit der deutschen Fotoszene nun wirklich keine Selbstverständlichkeit. Da halte ich es vom Prinzip her dann wie Salman Rushdie, der über Harold Brodkeys Buch "The Runaway Soul", das heute nie im Leben die grundverhuschten Lektorate vieler Verlage passieren würde, schrieb: "Dieses Buch ist hundert kleinere, weniger riskante Bücher wert."

Andreas Trogisch: Eight Days A Week. Seven And One Iteration. 284 Seiten, 24 x 30 cm, Hardcover. Kerber Verlag, Berlin 2021, 68 Euro. ISBN: 978-3735608246














=========================

Allgemeinen Prinzipien und Prozessen künstlerisch Ausdruck zu verleihen, gehört wohl zu den schwierigsten Dingen überhaupt - nicht wenige würden den Sinn solcher Versuche generell anzweifeln, und das durchaus mit einigem Recht. Zumindest, wenn es über Vordergründiges von der Art hinausgeht, "Schönheit" dadurch darzustellen, indem man das Gesicht oder den Körper einer dem Schönheitsideal ihrer Zeit entsprechenden Frau verwendet.

Meistens kann es in einem solchen Fall nur eine symbolische, keine vertiefende und differenzierende Darstellung geben. Im Fall der Gerechtigkeit etwa hat der Rechtsphilosoph John Rawls schließlich siebenhundert Seiten dafür gebraucht, und das Mehrfache dessen über lange Jahre an vorausgehenden Studien. Auf Aspekte seiner "Theorie der Gerechtigkeit" einzugehen, die ich vor fünfundzwanzig Jahren gelesen habe, würde hier aber zu weit führen.

Um auf das Thema einzustimmen, ist es sinnvoller, an Filme wie "Wer die Nachtigall stört" oder "Die zwölf Geschworenen" zu denken, in denen Gregory Peck und Henry Fonda der Gerechtigkeit mit Geradlinigkeit, Empathie, aufklärerischem Zweifel und dem Wissen um die Schwächen und Vorurteile der Menschen mal als Anwalt, mal als Geschworener vor Gericht zum Sieg verhelfen.

Im Stuttgarter Verlag Hartmann Books ist letztes Jahr das Buch "Der Eid" von Jörg Gläscher erschienen. Der Titel bezieht sich dabei auf die in den meisten Staaten übliche Vereidigung der StaatsdienerInnen auf die Verfassung.

In Gläschers Buch sieht man: Richter während einer Verhandlungspause am Buffet; ein ausgebranntes Auto; ein Polizist in voller Montur auf der Straße mit einem Schlagstock in der Hand; eine Glühbirne an der Decke; die US-amerikanische Flagge am Fuße eines Wolkenkratzers, von unten aufgenommen, sodass man am Ende des Wolkenkratzers den Himmel sieht; Stacheldraht an (nicht nur) einem Zaun; immer wieder Militär; ein Politiker bei einem Wahlkampfauftritt (vermutlich, denn es könnte auch ein Wahlhelfer sein); Menschen an Schreibtischen, mal in Robe oder Uniform, mal nicht; der Innenhof eines Gefängnisses (vermutlich).

Im Verlagstext werden Fragen gestellt: "Was ist der Staat?" Wie gibt man einem auf Gewaltenteilung beruhenden, "abstrakten Demokratiebegriff ein Bild?" "Kann man Gewaltenteilung visualisieren"?

Der Text gibt darauf die vorhersehbare Antwort: "Mit seinem Langzeitprojekt "Der Eid" liefert Jörg Gläscher den eindrucksvollen Beweis, dass die Fotografie genau dazu in der Lage ist."

© Jörg Gläscher, Hartmann Projects






























Wo genau liefert Gläscher diesen Beweis? Die Fotos allein können damit ja wohl nicht gemeint sein, denn die meisten davon sehen aus wie Unzählige dieser Art, wie sie täglich von AgenturfotografInnen und FreelancerInnen geschossen werden, die die internationalen Medien mit Bildern beliefern. (Das meine ich im Übrigen nicht abwertend, das ist schlicht die Realität.)

Wie bei Trogisch zuvor - wenn auch aus völlig anderem Grund und mit künstlerisch nicht zu vergleichendem Anspruch - ermüdet man irgendwann und greift in diesem Fall, um nachzuvollziehen, worum es sich handelt, auf die Legende im hinteren Teil des Buches zurück: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Straßburg 2019; Bauausschuss, Georgien 2018; Stellvertretender Bürgermeister, Athen 2018; Staatsgefängnis, Jakarta 2018; Polizeiuntersuchung, Arizona 2019; Gefängniszelle, Reykjavik 2019; Schreibtisch eines Richters, Warschau 2018.

Tja. Was soll man dazu sagen? Die Bilder sind - wie es Bilder dieser Art nun mal an sich haben - bei dosierter Betrachtung nicht uninteressant und künden von gesellschaftlich und politisch relevanten Vorgängen auf dieser Welt. Mein Großvater hätte bei ihrer Ansicht schlicht gesagt: Zugehen tut's!

Sonja Zekri sieht das ein wenig anders als ich. Die langjährige Korrespondentin deutscher Tageszeitungen in Osteuropa und dem arabischen Raum gibt teils die Eindrücke, die sie im Zuge arbeitsbezogener Reisen gesammelt, und die Lehren, die sie daraus gezogen hat, wieder, und stellt sie Gläschers Fotografien gegenüber. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass "Gläscher Gruppenporträts wie Gemälde macht. Jeder Zentimeter dieser Bilder enthält die Konzentration von Monaten, vielleicht Jahren des Verhandelns und Abstimmens. Man kann stundenlang darauf schauen, und entdeckt immer neue Verbindungen, Verweise, Erzählungen".

Abgesehen davon, dass ich niemand kenne, der stundenlang auf ein Bild schaut außer RestauratorInnen, und die auch nur, weil es sich nicht vermeiden lässt, liegt die Krux dieser Behauptung darin, dass sich Zekri in einer Weise auf die Bilder bezieht, dass rasch klar ist, dass sie genau weiß, wer und was wo abgebildet ist. "Das Regionalgericht der indischen Stadt Karaikal. (...) Der Konferenzsaal der Stadtteilbürgermeisterin in Chicago. (...) Der Bürgermeister des 20.000-Einwohner-Ortes Petauke in Sambia."

Indem sie verständlicher Weise so vorgeht, widerlegt sie unfreiwillig die zu Beginn zitierte These, dass Gläschers Fotografien eindrucksvoll beweisen, dass man Prinzipien wie Gewaltenteilung fotografisch visualisieren kann. Eben nicht (oder halt nicht Gläscher). Ohne das Hintergrundwissen wird das Ganze nämlich mit der Zeit zu einem nicht wirklich prickelnden Rätselraten.

Und was die potenzielle Gemälde-Dimension betrifft: da ist man bei Werken wie "Yangtze - The Long River" von Nadav Kander deutlich besser aufgehoben.



Jörg Gläscher: Der Eid/The Oath. 216 Seiten, 24x30 cm, Hardcover. Hartmann Books, Stuttgart 2021, 45 Euro. ISBN: 978-3960700760












========================

Zum Abschluss etwas uneingeschränkt Positives: Per Januar 2022 hat das Fotolot mit nunmehr 10139 Newsletter - AbonnentInnen und dem Zigfachen an Klicks seine Stellung als bedeutendste Online-Kolumne für Gegenwartsfotografie im deutschsprachigen Raum festigen und ausbauen können.

Werte LeserInnen - vielen Dank dafür!

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de