Magazinrundschau
Sind wir keine Männer?
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
31.05.2011. Wer rappt wie Jelinek schreibt, soll auch als Künstler gelten, fordert New Inquiry. In der LRB erklärt Mark Johnston, wie man auch als Atheist oder so nach dem Tode weiterleben kann. In Telerama fordert Jeremy Rifkin mehr globale Sympathie. Es ist nicht weise, sinnlose Politikerreden zu interpretieren, meint Elet es Irodalom. Es ist nicht weise, Politik in apokalyptischen Kategorien zu erleben, meint Polityka. In GQ erklärt der ägyptische Blogger Sandmonkey seine "Kleiner Penis Theorie" für den Nahen Osten. Nieder mit dem Patriarchat, fordern junge Ägypter in der NYT.
Vanity Fair (USA), 24.05.2011
Das durchschnittliche Einstiegsalter für Prostituierte liegt in Amerika derzeit bei 13 Jahren, berichtet Amy Fine Collins in einer epischen online-Reportage für Vanity Fair. Und die Zahl steigt kontinuierlich. Collins beschreibt am Beispiel zweier Mädchen, wie der Frauenhandel abläuft - in Details, die man liebsten gar nicht wissen wollte. Das schockierendste an der Geschichte sind die Zuhälter und Kunden, die in einem Mädchen nichts als ein Stück Fleisch sehen. Die Psychologin "Melissa Farley glaubt, dass 'wir was den Frauenhandel angeht immer noch im Mittelalter leben, denn anders als Inzest, Vergewaltigung und häusliche Gewalt generiert der Frauenhandel massive Einnahmen - 32 Milliarden Dollar im Jahr weltweit.' Wie könnte es auch anders sein, fragt Dr. Sharon Cooper, wenn Lee Iacocca auf dem Golfplatz Abschläge übt mit Snoop Dogg, einem Rapper, der sich selbst als Ex-Zuhälter bezeichnet und Oden komponiert auf verprügelte Frauen oder 'breaking bitches' [lyrics]".
New Inquiry (USA), 18.05.2011
Was Snoop Dogg angeht, würde Malcolm Harris auf den Vorwurf von Sharon Cooper antworten: Warum wird Schriftstellern zugestanden, dass ihre Hauptpersonen literarische Erfindungen sind und nicht Spiegelbilder des Autors, Rappern wie dem Kollektiv "Odd Future Wolf Gang Kill Them All" dagegen nicht? "Der Roman der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek über Teenager im Nachkriegsösterreich, 'Die Ausgesperrten', liest sich genau wie ein Wolf Gang Song, aber niemand behauptet, sie teile die Pathologien ihrer Charaktere. In ihrem kargen Stil erzählt Jelinek die Geschichte von Rainer, einem unsicheren, aber schlauen Jugendlichen, und seinen drei Freunden, die Fremde verprügeln und ausrauben und von einer kranken, ererbten sexuellen Logik gequält werden ('Es soll weh tun, denn gut ist die Perversion, nicht was alle anderen machen.') Am Ende des Romans schlachtet Rainer seine Familie mit einer Axt und einem Gewehr ab. Es gibt bei Jelinek so wenig Erlösung wie bei Wolf Gang und auch nicht weniger Gewalt. An bestimmten Stellen kann der Leser zwischen den Autoren hin- und her switchen ohne es groß zu bemerken: 'Ich zeige dir, wo du Gott finden kannst, nicht im Himmel, nein, in mir, ich ramm es dir rein, bis es dir aus dem Mund wieder rauskommt.' Jeder Highschool-Student, der eine Kurzgeschichte mit dieser Zeile präsentieren würde, würde sich sehr schnell beim Therapeuten wiederfinden."
Eurozine (Österreich), 25.05.2011
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Und noch eine weitere Übernahme aus Dilema Veche in Eurozine: Andrei Plesu unterhält sich, ebenfalls in Bukarest, mit Adam Michnik, der ein Ende der Aufarbeitung von Vergangenheit fordert. Kritik an Intellektuellen, die keinen Widerstand gegen die kommunistischen Regimes leisteten, lehnt er in einer indirekten Antwort auf Herta Müller ab: "Das ist eine bolschewistische Attitüde. In Russland gibt es eine Menge Leute, die so argumentieren. Warum wurde Solschenizyn verhaftet? Wegen seines Antikommunismus? Nein, weil er ein Trotzkist war. Und wie unterscheidet sich Trotzkismus von Kommunismus? Gar nicht. Warum sollten wir Solschenizyn also respektieren? Sacharow? Er hat die Atombombe gebaut!"
Outlook India (Indien), 06.06.2011
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Polityka (Polen), 27.05.2011
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Elet es Irodalom (Ungarn), 27.05.2011
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London Review of Books (UK), 02.06.2011
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q10/A31022/lrb.jpg)
Weitere Artikel: Ganz im Gegensatz außerordentlich erdverbunden und detailorientiert fällt Neal Aschersons Bericht von seinem Besuch in der schottischen Heimat nach der jüngsten Wahl und vor der vom triumphalen Wahlsieger SNP versprochenen Abstimmung über die Unabhängigkeit aus. Ross McKibbin macht sich Gedanken über die bei schwer gebeutelte britische Regierungspartei LDP - und vor allem ihren Vorsitzenden Nick Clegg. Michael Wood bespricht Band IV der Prosaausgabe der Werke von W.H. Auden. Die in der Wellcome Collection zu sehende Ausstellung "Dirt: The Filthy Reality of Everyday Life" hat Peter Campbell besucht.
El Pais Semanal (Spanien), 29.05.2011
Ignacio Cembrero interviewt den tunesischen Islamisten-Führer Rachid al-Ghannouchi, der im Januar nach 20 Jahren Exil nach Tunesien zurückgekehrt ist und bei den für den 24. Juli angesetzten Parlamentswahlen für seine Partei Nahda (mehr in der NZZ) einen Stimmenanteil von 30 Prozent erwartet: "'Ihre Gegner werfen Ihnen Doppelzüngigkeit vor, ihnen zufolge glauben Sie selbst nicht an das, was Sie sagen.' - 'Sie arbeiten nicht mit Argumenten, sondern mit Unterstellungen. Darin ähneln sie Ben Ali. Er hat sich der Polizei bedient. Unsere jetzigen Gegner bedienen sich der Medien. Ich verlange, dass man uns nach unseren Taten beurteilt. Wir sind eine gewaltfreie Bewegung und setzen uns dafür ein, dass auf den Kandidatenlisten für die Wahlen ebenso viele Männer wie Frauen stehen.' - 'Das heißt, Sie werden auch die Regelung respektieren, die seit 1956 in Tunesien für Männer und Frauen nahezu die Gleichberechtigung vorschreibt?' - 'Ja. Sehen Sie, ich habe vier Töchter, alle haben viele Jahre studiert, in Quebec, Cambridge, der Londoner Universität. Sie arbeiten und forschen in angesehenen Institutionen. Eine von ihnen, Soumaya, liefert regelmäßig Beiträge für den Guardian.' - 'Gibt es für Sie ein Vorbild?' - 'Die Türkei unter der Regierung der AKP. Mein Traum ist es, Tunesien in ein Modell für die Verbindung von Islam und Moderne zu verwandeln.'" Eine wenig beruhigende Vorstellung gleichwohl für Salah Zghidi, Führungsmitglied der tunesischen Menschenrechtsliga: "Irgendwann werden die anfangen, sich in mein Privatleben einzumischen, und mir vorwerfen, dass ich zu Hause Wein trinke und schwule Freunde habe - dann werde ich mich nach der Diktatur von Ben Ali zurücksehnen, das können Sie mir glauben."
Espresso (Italien), 27.05.2011
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q17/A31025/espresso.jpg)
Slate.fr (Frankreich), 30.05.2011
Recht kundig schildert Jacques Attali, ehemals Berater Mitterrands und auch nicht mehr der Jüngste, den Machtkampf zwischen Facebook und Google und kommt zu dem Schluss: "Noch ist nichts entschieden: Amazon setzt wichtige Zeichen im Cloud computing. Microsoft hat Skype gekauft. Apple konzentriert sich auf den Premiumbereich. Twitter könnte ein unabhängiger Pol der Entwicklung werden." Und alles steuert auf Attalis letzten Satz zu, die trockene Pointe des Artikels: "Europa ist in diesem Spiel natürlich abwesend."
Guardian (UK), 28.05.2011
Der britische Schriftsteller Hari Kunzru macht in einem großen Porträt noch einmal sehr deutlich, was die Verhaftung Ai Weiweis für die Kunstwelt bedeutet: "Man stelle sich die verblassten britischen Celebrities der 1990er Generation Sensation vor, oder die New Yorker Kunstmarkt-Titanen, die in 3.000-Dollar-Anzügen malen, wie sie ihr Geld und ihren Ruhm nutzen, um Korruption anzuprangern und eine Stimme der Ohnmächtigen zu werden", spottet Kunzru und meint: "Ais Internierung ist, unter anderem, ein Moment der Wahrheit für die internationale Kunstwelt, ein Äquivalent zu den moralischen Tests, bei denen Technologie-Firmen wie Cisco und Yahoo so übel durchgefallen sind, als sie die schwindelerregenden Gewinnaussichten des chinesischen Marktes vor Augen hatten. Die Spieler im Geschäft der zeitgenössischen Kunst - Galeristen, Sammler, Kuratoren, Auktionäre und Künstlerkollegen - lieben die radikale Pose so sehr wie sie davor zurückscheuen, Geld auszuschlagen. Jetzt müssen sie entscheiden, zu welchen Risiken sie bereit sind, um einen der ihren zu verteidigen."
Nach Lektüre von Simon Reynolds' "Retromania" gibt Dave Haslam die Hoffnung auf, dass den Jungen von heute noch einmal etwas Neues einfällt: "Früher war es vielleicht mal möglich zu glauben, dass Kultur und Gesellschaft evolutionär voranschreiten und sich zu einer aufregenderen Zukunft entwickeln. Doch die Hipster von heute träumen nur von vergangenen Generationen und kombinieren ihre engen Postpunk-Jeans mit der neuesten Version des 1984er 'Frankie says Relax'-T-Shirt aus der Fußgängerzone." Tja, die echten Hipster tragen heute eben Badeschlappen und gründen Facebook.
Weiteres: Großes Lob spendiert der Autor John Burnside den Erinnerungen Roger Garfitts an Englands feudales Landleben "A Horseman's World": Selten sei Wahnsinn so gut aus erster Hand geschildert worden. Und Owen Hatherley empfiehlt nachdrücklich die Reihe "Russian Film Pioneers" im British Film Institute, die einmal mehr zeige, dass das sowjetische Kino keine "grimmig-bürokratische, jargonbeladene Angelegenheit von 'boy meets tractor'" sei.
Hier der Anfang von Boris Barnets "Okraina" von 1938:
Nach Lektüre von Simon Reynolds' "Retromania" gibt Dave Haslam die Hoffnung auf, dass den Jungen von heute noch einmal etwas Neues einfällt: "Früher war es vielleicht mal möglich zu glauben, dass Kultur und Gesellschaft evolutionär voranschreiten und sich zu einer aufregenderen Zukunft entwickeln. Doch die Hipster von heute träumen nur von vergangenen Generationen und kombinieren ihre engen Postpunk-Jeans mit der neuesten Version des 1984er 'Frankie says Relax'-T-Shirt aus der Fußgängerzone." Tja, die echten Hipster tragen heute eben Badeschlappen und gründen Facebook.
Weiteres: Großes Lob spendiert der Autor John Burnside den Erinnerungen Roger Garfitts an Englands feudales Landleben "A Horseman's World": Selten sei Wahnsinn so gut aus erster Hand geschildert worden. Und Owen Hatherley empfiehlt nachdrücklich die Reihe "Russian Film Pioneers" im British Film Institute, die einmal mehr zeige, dass das sowjetische Kino keine "grimmig-bürokratische, jargonbeladene Angelegenheit von 'boy meets tractor'" sei.
Hier der Anfang von Boris Barnets "Okraina" von 1938:
Telerama (Frankreich), 26.05.2011
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q148/A31039/telerama.jpg)
New Republic (USA), 09.06.2011
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q27/A31052/newrepublic.jpg)
Gentlemen's Quarterly (USA), 01.06.2011
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q262/A31051/gq.jpg)
Außerdem: Nathaniel Penn hat seitenlang Zitate von Beteiligten an Terrence Malicks Debütfilm "Badland" eingeholt. Und Wil S. Hylton erzählt die Geschichte eines amerikanischen Deserteurs - der eigentlich gar keiner ist - in Kanada.
New York Times (USA), 29.05.2011
b
Im NYT Magazine beschreibt Robert F. Worth in einem ansteckend optimistischen Artikel den Aufbruch der Ägypter. Natürlich gibt es viele Probleme - die zusammengebrochene Wirtschaft ist eins der größten - aber die Leute, mit denen er spricht, sind alle herzerwärmend unideologisch: Da ist der junge Politiker, der lernt, dass man nicht von Kairo aus Politik für die Leute auf dem Land machen kann. Da ist der junge Muslimbruder, der mit einem säkularen Linken befreundet ist. Oder der General, der bekennt, dass er keine Ahnung hat, wie er eine Verwaltung organisieren soll: "Wir wollen zurück in unsere Kasernen." Der Riss in der Gesellschaft trennt nicht Parteien oder Gruppen, sondern die, die am Patriarchat festhalen und die, die es endlich abwerfen wollen. Islam Lofti, ein junger Muslimbruder, erklärt Worth, "seiner Ansicht nach sei die jüngere Generation unzufrieden mit der paternalistischen Kultur der Muslimbrüder. 'Es ist ein System des Gehorsams', sagt er. 'Die Menschen müssen weg davon, sich nur für Fußsoldaten oder Schachfiguren zu halten. Sowohl bei den Muslimbrüdern als auch in der ganzen ägyptischen Gesellschaft lassen wir immer andere die Entscheidungen treffen. Der Sohn lässt den Vater über seinen Beruf entscheiden. Die Frau lässt den Vater ihren Bräutigam aussuchen."
Außerdem: Frank Bruni porträtiert den Filmemacher und Drehbuchautor J.J. Abrams.
In der Book Review beobachtet Adam Kirsch, dass in den letzten Jahren eine Reihe von Historikern die Rolle der Alliierten im Zweiten Weltkrieg kritischer sieht als frühere Historiker: Besonders die Person Churchills und die Bombardierung deutscher Städte wird nicht mehr umstandslos gutgeheißen. Mit großem Vergnügen hat Stacy Schiff David McCulloughs Buch "The Greater Journey" über Amerikaner in den 1830er Jahren in Paris gelesen: "Für die meisten von McCulloughs Reisenden repräsentierte Paris ein großes Erwachen - die berauschende Schönheit des Ganzen! - aber auch eine Erziehung, eine Einladung, die Welt neu zu sehen." Anthony Julius freut sich über Adina Hoffmans und Peter Coles Buch "Sacred Trash", das die Geschichte der Kairoer Geniza, jüdische Schriftstücke aus dem Jahr 800, erzählt. Jesse Sheidlower lernt aus Joshua Kendalls Biografie, dass Noah Webster, Autor des berühmten Wörterbuchs, ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse war, der als Kritiker unter Pseudonym gern seine eigenen Werke lobte und die der Konkurrenz niedermachte. Trolle gab es eben schon vor dem Internet!
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q12/A31041/nyt.jpg)
Außerdem: Frank Bruni porträtiert den Filmemacher und Drehbuchautor J.J. Abrams.
In der Book Review beobachtet Adam Kirsch, dass in den letzten Jahren eine Reihe von Historikern die Rolle der Alliierten im Zweiten Weltkrieg kritischer sieht als frühere Historiker: Besonders die Person Churchills und die Bombardierung deutscher Städte wird nicht mehr umstandslos gutgeheißen. Mit großem Vergnügen hat Stacy Schiff David McCulloughs Buch "The Greater Journey" über Amerikaner in den 1830er Jahren in Paris gelesen: "Für die meisten von McCulloughs Reisenden repräsentierte Paris ein großes Erwachen - die berauschende Schönheit des Ganzen! - aber auch eine Erziehung, eine Einladung, die Welt neu zu sehen." Anthony Julius freut sich über Adina Hoffmans und Peter Coles Buch "Sacred Trash", das die Geschichte der Kairoer Geniza, jüdische Schriftstücke aus dem Jahr 800, erzählt. Jesse Sheidlower lernt aus Joshua Kendalls Biografie, dass Noah Webster, Autor des berühmten Wörterbuchs, ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse war, der als Kritiker unter Pseudonym gern seine eigenen Werke lobte und die der Konkurrenz niedermachte. Trolle gab es eben schon vor dem Internet!
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