Magazinrundschau - Archiv

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14 Presseschau-Absätze - Seite 1 von 2

Magazinrundschau vom 19.02.2019 - Medium

In einem Artikel auf der Plattform des Twitter-Co-Founders Evan Williams schreibt der Technikhistoriker und Erbauer von Baumhäusern und Kajaks George Dyson über die Zukunft der Datenverarbeitung, und die ist laut Dyson analog: "Die Informatik hat eine lange Geschichte (die bis in die Zeit zurückreicht, als es noch keine Informatik gab) der Implementierung neuronaler Netze, aber in den meisten Fällen waren es Simulationen neuronaler Netze durch digitale Computer, nicht neuronale Netze, wie sie von der Natur selbst in freier Wildbahn entwickelt wurden. Dies beginnt sich zu ändern: von unten nach oben, da die Befürworter des Drohnenkriegs, autonomer Fahrzeuge und Mobiltelefone die Entwicklung neuromorpher Mikroprozessoren vorantreiben, die tatsächliche neuronale Netze implementieren, anstatt Simulationen neuronaler Netze, direkt in Silizium (und anderen potenziellen Substraten), und von oben nach unten, da unsere größten und erfolgreichsten Unternehmen zunehmend auf analoge Berechnung setzen bei ihrer Infiltration und Kontrolle der Welt. Während wir über die Intelligenz digitaler Computer streiten, überholt das analoge Computing still und leise das digitale, so wie analoge Komponenten wie Vakuumröhren nach dem Zweiten Weltkrieg für den Bau digitaler Computer umfunktioniert wurden. Plangesteuerte endliche Prozessoren, die endlichen Code ausführen, bilden großformatige, nicht deterministische, nicht endliche metazoische Organismen, die in der realen Welt herumlaufen. Die resultierenden hybriden analogen/digitalen Systeme behandeln Bitströme kollektiv, so wie der Elektronenfluss in einer Vakuumröhre behandelt wird, und nicht einzeln, da die Bits durch die den Fluss erzeugenden Geräte behandelt wird. Bits sind die neuen Elektronen. Das Analoge ist zurück, und es liegt in seiner Natur, die Kontrolle zu übernehmen … Wir sorgen uns zu sehr um maschinelle Intelligenz und nicht genug um Selbstreproduktion, Kommunikation und Kontrolle. Die nächste Revolution in der Informatik wird durch die Verbreitung analoger Systeme eingeleitet, über die das digitale Programmieren keine Kontrolle mehr hat."

Magazinrundschau vom 16.08.2016 - Medium

In einem sehr geistvollen, aber teilweise unheimlich zu lesenden Artikel macht der einstige Finanzanalyst Nassim Nicholas Taleb sehr klar, dass unter den Menschen eine entschiedene und "intransigente Minderheit" immer eine starke Chance hat, gegen eine eher indifferente und tolerante Mehrheit zu siegen. So schafften es die intoleranten Christen, die laschen polytheistischen Römer à la longue niederzuzwingen. Darum gibt es in britischen und französischen Supermärkten mehr Halal-Fleisch, als Muslime brauchen (für die Fleischindustrie ist es einfach bequemer, und die zusätzlichen Kosten sind geringer). Und wer tolerant gegenüber intoleranten Salafisten ist, begeht Selbstmord, meint Taleb. Da haben die Agrarriesen, die glaubten, genetisch veränderte Nahrung verkaufen zu können, den amüsanteren Fehler begangen: "Närrischer Weise glaubten die großen Agrarkonzerne, dass sie nur die Mehrheit gewinnen mussten, indem sie alle Arten des Lobbying, des Kaufs von Kongressabgeordneten und der offenen wissenschaftlichen Propaganda anwandten. Nein, ihr Idioten! Wie ich sagte, ist euer billiges 'wissenschaftliches' Argument zu naiv in diesem Meinungskampf. Ihr müsst bedenken, dass Leute, die nichts gegen Genfood haben, auch unveränderte Nahrung essen, aber nicht umgekehrt. Darum reicht eine kleine Population von Nicht-Genfood-Essern, die gleichmäßig verteilt ist - und schon isst die ganze Bevölkerung kein Genfood."

Magazinrundschau vom 02.08.2016 - Medium

Laurie Penny ist total geplättet, nachdem sie erst den völlig übergeschnappten Parteitag der Republikaner und dann den ebenso übergeschnappten Parteitag der Demokraten mitverfolgt hat. Die glauben alle an das Gute, das sie vollbringen können! "So läuft das nicht in Britannien. Haben Sie unsere Politiker gesehen? George Osborne sieht aus, als habe er so lange gelogen, dass seine zwei Gesichter nicht mehr auf dem selben Kopf sitzen wollen. Boris Johnson sieht aus, als hätte man Donald Trump zu früh aus dem Ofen genommen und auf einem englischen Rasen verrotten lassen. Dann sind da unsere Parteitage. In Britannien sind sie spießige, luftlose Affären in Seebädern, wo zerknauschte Menschen in Anzügen an runden Tischen warme Quiche essen und Demonstranten nassgeregnet werden. Ich war auf einigen dieser Dinger und ihre Version einer Show ist meist ein Empfang in einem lokalen Restaurant, mit einem kostenlosen Glas Prosecco mit Orangensaft und boshaften politische Korrespondenten, die vor der Tür stehen und rauchen. In Amerika dagegen ist party [i.S. von Partei] ein Verb."

Magazinrundschau vom 04.08.2015 - Medium

Auf diesen Text hatten wir zwar schon letzte Woche in 9punkt hingewiesen, aber er sei hier noch einmal zur ergänzenden Lektüre empfohlen: Der iranische Blogger Hossein Derakhshan, der wegen seines Blogs 2008 im Gefängnis landere und erst vergangenes Jahr wieder freigelassen wurde, denkt darüber nach, wie sich das Netz in dieser Zeit verändert hat. Nicht zum Besseren, findet er. Wo früher publizistischer Wildwuchs herrschte und eine rege Debattenkultur, erblickt er heute nur noch die eifersüchtig umzäunten Gärten der großen sozialen Netzwerke. Und Bilder statt Texten: "Dies ist nicht die Zukunft des Netzes. Diese Zukunft ist Fernsehen. Manchmal frage ich mich, ob ich im Alter zu streng werde. Ob all das womöglich die ganz normale Entwicklung einer Technologie ist. Aber ich kann auch nicht die Augen verschließen vor dem, was gerade mit dem Netz passiert: dieser Verlust an intellektueller Macht und Vielfalt, und das Potenzial, das es für unsere geplagte Zeit haben könnte. Früher war das Internet mächtig und ernsthaft genug, um mich ins Gefängnis zu bringen. Heute ist es nur wenig mehr als Unterhaltung." Der Text wurde von Zeit online ins Deutsche übersetzt.

Magazinrundschau vom 07.07.2015 - Medium

Dylann Roof, der am 17. Juni in einer Kirche in South Carolina neun Menschen erschoss, ist ein junger Mann voller gefährlicher, mörderischer Überzeugungen, aber er ist nicht verrückt, stellt Todd A klar und verweist auf das Umfeld, in dem der 21-jährige Attentäter solzialisiert wurde: "Er wuchs in einer Kultur auf, die ihre Identität aus der Asche verbrannter Schlachtfelder formte und ihm buchstäblich ein Gewehr in die Hand drückte (zum Geburtstag, von seinem Vater). Es ist dennoch anzunehmen, dass er nicht wusste, weshalb sich die Eltern seiner Eltern seiner Eltern seiner Eltern an ihren Südstaatenstolz klammerten. Ich bin eine Generation älter als er, und ich erinnere mich nur vage an die Einzelheiten der Reconstruction. Es ist leicht, im Süden aufzuwachsen und den Stolz zu spüren, aber nichts von dem Schmerz zu wissen, der ihn hervorgebracht hat. Als sich diese Woche erste Details herauskamen - Bilder, die ihn mit einer Jacke zeigen, auf der Symbole der Apartheid prangten; Geschichten von seinen rassistischen "Witzen" -, war ich zugegebenermaßen nicht überrascht. Gewehre werden ebensosehr mit Ideologie wie mit Munition geladen, und dieser junge Mann ist in oder nahe der Stadt aufgewachsen, deren Truppen die ersten Schüsse auf Union-Soldaten abgegeben hatten, und wo noch immer die konföderierte Kampfflagge über dem Capitol weht."

Magazinrundschau vom 23.06.2015 - Medium

Der Islamische Staat wird oftmals als das beispiellos Böse dargestellt, tatsächlich hat er aber in vielerlei Hinsicht einen direkten Vorfahren im sozialistischen Terror des frühen 20. Jahrhunderts, schreibt Gil Kazimirov: "In der Geschichte gewalttätiger politischer Gruppen gab es wenige, die bewusst extremistisch waren. Weder Thomas Cromwell, noch Robespierre erwarteten, dass sie einmal als Inkarnationen des Terrors gelten würden. Al-Baghdadi und die radikalen russischen Häresiarchen von Nikolai Morosow bis zu Lenin und Trozki begrüßen hingegen diese Rolle und profilieren sich stolz mit ihrer Überzeugung, dass im großen Stil begangene Grausamkeiten ein nicht nur zulässiger, sondern notweniger Schritt in Richtung der utopischen Illusionen ist, die sie verfolgen. Mit diesem Dogma als zentralem Lehrsatz verhalten sich Macht und Status verhältnismäßig zur Bereitschaft, Gewalttaten zu begehen. Der Terror wird damit als Selbstzweck verehrt."

Magazinrundschau vom 14.04.2015 - Medium

Packend wie ein Thriller und komisch wie eine Farce schildert Colin Robinson, wie er als junger Kommunist Ende der siebziger Jahre im Auftrag von Exil-Dissidenten verbotene Bücher und Zeitschriften von London in die Tschechoslowakei schmuggelte: "Unser erstes Rendezvous sollte auf dem Prager Wenzelsplatz stattfinden, vor der Kathedrale, abends um halb zehn. Dort sollten wir einen großen Mann mit Lederjacke treffen, der von einem kleineren Mann mit Bart und karierter Mütze begleitet würde. Wir sollten sie mit der Bemerkung ansprechen, der Ärmelkanal sei während der Überfahrt stümisch gewesen. Wenn der große Mann antwortet, dass das zu dieser Jahreszeit häufig der Fall sei, sollten wir ihm zwei mit einem großen "W" gekennzeichnete Reisetaschen aushändigen. Diese Passwörter erschienen mir so abgedroschen, dass sie aus dem Drehbuch von "Night Train to Munich" hätten stammen können. Falls daraus Rückschlüsse auf die Organisation unserer Reise zu ziehen waren, dann würde der Kanal nicht der einzige stürmische Abschnitt werden. Vielleicht, beruhigte ich mich, klangen diese Phrasen für einen Tschechen origineller."

Sehr lesenswert ist außerdem Flore Vasseurs Porträt von Laura Poitras, die von einer Köchin in San Francisco zur wichtigsten politischen Regisseurin der USA und Vertrauten von Edward Snowden wurde.

Magazinrundschau vom 24.02.2015 - Medium

In Folge der Pariser Anschläge vom 7. Januar hat die Beliebtheit von Polizisten in der französischen Bevölkerung deutlich zugenommen, berichtet die amerikanische Autorin Mac McClelland, die selbst mit einem französischen Polizisten verheiratet ist. Gleichzeitig ist jedoch auch die Unsicherheit unter Polizisten merklich gewachsen: "In Theos Polizeiwache nahmen jetzt alle ihre Waffen überall hin mit. Zum Mittagessen. Ins hauseigene Fitnessstudio. Auf die Toilette. Nachdem eine offizielle Email herumging, dass französische Geheimdienste in Polizisten ein potenzielles nächstes Anschlagsziel ausgemacht hatten, nahmen manche ihre Waffen mit nach Hause. Theo war einer von ihnen. Er besaß keine eigene Handfeuerwaffe, obwohl er schon lange eine haben wollte. Aber selbst als Polizist musste er mindestens ein Jahr auf der Warteliste für eine Genehmigung stehen."
Stichwörter: Polizei, Frankreich, Toilette

Magazinrundschau vom 10.02.2015 - Medium

Von den über 500 Millionen Menschen, die aktiv Wikipedia-Artikel anlegen oder bearbeiten, ist Bryan Henderson (Unsername: Giraffedata) nicht nur einer der fleißigsten (aktueller Rang: 978), sondern wohl auch der einzige, dessen Aktivität sich darauf beschränkt, einen einzigen Grammatikfehler zu verbessern. Andrew McMillen stellt den Mann vor, der seit 2007 über 47.000 mal die Phrase "comprised of" korrigiert hat: ""Nach zwei oder drei Jahren war ich tatsächlich am Ende angelangt", sagt er. "Ich war erstaunt, das Ende der Liste zu erreichen." Er macht eine Pause. "Und dann fing ich wieder von vorne an, weil es mittlerweile neue Einträge gegeben hatte." ... Jeden Sonntag Abend bearbeitet er nun in einer effizienten Routine die 70 oder 80 neuen "comprised of"-Fehler, die jede Woche in der Enzyklopädie erscheinen. Der gesamte Prozess kostet ihn höchstens eine Stunde." In einem eigenen Wikipedia-Essay erläutert Henderson ausführlich, weshalb die Formulierung falsch ist.
Stichwörter: Wikipedia

Magazinrundschau vom 23.09.2014 - Medium

In die Nachrichten schafft Aleppo es schon lange nicht mehr - seit über zwei Jahren ist die Stadt heftig umkämpfter Schauplatz im syrischen Bürgerkrieg. Für seine eindrucksvolle Reportage hat Matthieu Aikins eine Woche lang eine Gruppe von freiwilligen Rettungskräften begleitet, für die der Ausnahmezustand längst zum Alltag geworden ist: "Wenn sie eine Explosion hören, springen sie in den Wagen, drängen sich zu zehnt und mehr auf seine beiden Sitzbänke und rasen los auf der Suche nach der Einschlagstelle. Mit seiner ausgeleierten Federung brettert das Fahrzeug über die Krater und Schlaglöcher und schüttelt seine Passagiere durch wie Kleingeld in einer Blechdose. Manchmal sehen sie einen Krankenwagen und heften sich an seine Fersen, oft sind sie als erste zur Stelle. Während der Fahrt lehnen sie sich hinaus und fragen Fußgänger, wo die Bombe eingeschlagen ist. An ihren Reaktionen können sie erkennen, ob sie der Stelle näher kommen. Erst ist es nur ein zeigender Arm oder Schulternzucken, doch wenn sie sich nähern, werden die Umstehenden immer verstörter, bis man in ihren Augen schließlich den Schock der Begegnung mit dem Tod oder die Panik über einen verschütteten Nachbarn sehen kann."