Frédéric Martels Buch "Sodoma, Enquête au coeur du Vatican" untersucht das massive und massiv beschwiegene Phänomen der
Homosexualität in der Katholischen Kirche, das, wie Martel
im Gespräch mit Matteo Gemolo in
Micromega betont, keineswegs deckungsgleich ist mit dem des sexuellen Missbrauchs - auch wenn das eine mit dem anderen zu tun hat. Das Buch steht in vielen Ländern auf der Bestsellerliste. In Deutschland erscheint es erst im Sommer (die
Zeit hat vor kurzem
einige Passagen vorabgedruckt). "Was in den Augen vieler als Widerspruch erscheint, lässt sich
soziologisch leicht erklären", sagt Martel, der selbst aus der französischen Schwulenbewegung kommt. "Obwohl dieses Buch kein rein akademisches Buch ist, versucht es zu zeigen, dass das, was im Vatikan passiert, kein Zufall ist. Die Realität ist viel simpler und banaler als die extreme Rechte denkt, die überall Verschwörungen und schwule Lobbys sieht: Auf der einen Seite ist da die Kirche, die seit langem in einer
Spirale aus Protektion und persönlichen Interessen Menschen mit homosexuellen Tendenzen anzieht, auswählt, rekrutiert und befördert; auf der anderen Seite wurde eine große Zahl frustrierter, sozial marginalisierter Homosexueller für die Kirche gewonnen, weil sie dort einen Ort gefunden haben, wo sie ihre Homosexualität paradoxerweise frei leben können, ohne ihre
Fassade der Homophobie aufgeben zu müssen." Gerade das starke Bedürfnis, das Thema zu kaschieren, habe aber, so Martel, die homophoben Tendenzen in der Kirche noch verschärft: Als Millionen Menschen an Aids starben, haben die Vorgänger von Papst Franziskus "entschieden, einen Krieg
gegen das Präservativ zu führen. Dieser historische Fehler der katholischen Kirche kann so leicht nicht vergessen oder vergeben werden."