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Leseprobe zu Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945, Bd. 7. Teil 3

29.08.2011.
Toni Varticovschi berichtet Anfang 1943 über die Verfolgung der Juden in Bessarabien, der Bukowina und in Transnistrien (38)

Bericht von T. Varticovschi, (39) o.D. [Jan. 1943] (40)

1. Die Vernichtung des Judentums in Bessarabien und Bukowina.
Von T. Varticovschi. - In den Tagen vom 2.7. bis 6.7.1941.

In diesen drei Tage begann die Vernichtung und Ausrottung der Juden von Bessarabien und Bukowina. Nur wenige bessarabische Leute, die zufälligerweise in Czernowitz geblieben sind, wissen Wahres darüber zu berichten, was die rumänischen Mörder in diesen drei Tagen angerichtet haben. Die Mörder waren das rumänische und [das] deutsche Militär sowie die bessarabischen und bukowiner Bauern. In diesen drei Tagen hat das rumänische Militär zurückerobert von den Russen und wieder besetzt diese zwei Provinzen, und als Dank hierfür wurden dem Militär und der Landbevölkerung diese drei Tage freigegeben zu tun und zu lassen was die wollten, u. zw.: zu plündern morden, [er]schießen alle Judenbolschewiken in diesen zwei Provinzen. Die rumänischen Mörder haben diesen Befehl pünktlich ausgeführt. Alle Bauern aus den Dörfern sind in die großen und kleineren Städte gezogen zur Feier von Raub und Mord. Alle Juden wurden aus ihren Häusern in Lager zusammengetrieben. Deren ganzes Vermögen wurde ausgeraubt, was nicht mitgenommen werden konnte, wurde zerbrochen, man erschoß und erschlug, wen man nur vorfand. Es ist in keiner Stadt oder Städtchen ein Haus geblieben, wo keine Tote waren, außer Czernowitz. In vielen Häusern sind ganze sind Familien ausgerottet worden. Von den einzelnen Lagern sind ganze Gruppen auf die Friedhöfe getrieben worden, ihnen [ist] anbefohlen worden, [sich] Gräber selbst zu graben, hierauf wurden sie erschossen und die Toten mitsamt den Verwundeten in die Gräber geworfen und verschüttet. In einem Städtchen Nowoselitza [im] Bezirk Hotin wurde ein Teil der jüdischen Bevölkerung in den Häusern eingesperrt, um die Häuser herum Maschinengewehre aufgestellt, damit keiner entkommen kann, und hierauf wurden die Häuser mit den Leuten darin verbrannt. Außerdem wurden dort noch 800 Leute erschossen.(41)  In der Stadt Secureni wurden 1200 Leute ermordet.(42) Der Spitalarzt Dr. Süßman [hat], als er das Unglück herannahen sah, vor Gram sich, seiner Frau, seinem Bruder und seiner Schwägerin Gift injiziert, und sich einander umarmend sind alle verschieden. In der Stadt Hotin wurde ca. 3500 Juden ermordet, unter welchen sich der Rabbiner Twerschi mit seinem Sohne befunden hat, alle Rabbiner, Schächter, alle Leute, die mit dem Bolschewismus nie etwas gemein hatten.(43) In dem Städtchen Österr. Mowoselitza wurden alle Juden ermordet.(44) Im Dorfe Cipleutz wo 60 Juden lebten, wurden sämtliche 60 in einem einzigem Grabe vergraben. Dasselbe ereignete sich in allen Städten und kleineren Städtchen und Dörfern. Und überhaupt in Bessarabien. Die Stadt Czernowitz, welche weniger als alle andere Städte gelitten hat, besonders was Raub anbetrifft, und doch enthält der jüdische Friedhof ein Massengrab, wo in diesen drei Tagen etwa 2500 Juden verschüttet wurden.(45) Außerdem wurden Hunderte Juden beim Prut vergraben und an anderen Stellen vom rumänischen und deutschen Militär erschossen, unter welchen es befindet sich auch der Oberrabbiner Dr. Mark, der Kantor Gurman, Mehel Volstein mit seinem Sohne aus Briseni, und so wurden in diesen drei Tagen etwas mehr als 100 000 Juden umgebracht.(46)


Der Weg in die Lager und die weitere Vernichtung des Judentums von Bessarabien und Bukowina.
Am 7. Juli 1941 begann der Befehl dem Bukarester Zivilmacht und Militärmacht die komplette Reinmachung von Bukowina und Bessarabien von den Juden außer Czernowitz.(47) Der Befehl wurde pünktlich durchgeführt. Es wurden alle verbliebenen Juden aus der Bukowina und Bessarabien außer der Stadt Czernowitz zu Fuße, nackt und barfuß, hungrig, noch nicht erholt vom gestrigen Gemetzel, in Lager getrieben in einer Entfernung von ca. 250 km. Nicht ein einziger Jude ist in diesen zwei Provinzen verblieben außer in Czernowitz. Die Lager waren in dem Städtchen Edinetz, Secureni, Atachi, Moghilev, Jampol, Wertujeni, Reutzel, Balta, Jmerinka, Berschad. In der Stadt Chischinou wurde ein Ghetto errichtet und hierauf die Juden von dort in Lager geschickt. Auf allen Straßen und Wegen von ganz Bessarabien lagen herum tote Juden - Alte, Kranke, Frauen und Kinder, die den Transport nicht überdauern konnten, d.h. nicht so lange gehen konnten. Um die Schwachen und Kranken loszuwerden, hat die begleitende Gendarmerie dieselben unterwegs erschossen, damit eben noch einige zurückgelassen. Ganze Haufen Hunde haben von den [Toten] das Fleisch genagt, und deren Wehklagen gingen himmelhoch. Monate lang lagen auf allen Wegen herum die Gebeine der Toten, die von den Hunden verschleppt wurden; vor Hunger haben die Juden unterwegs Gras und Unkraut gegessen bis zur Ankunft in die Lager.


Konzentrationslager
Diese Lager sind errichtet am Ende eines Städtchens oder eine Dorfes, natürlich in den kleinsten Häuschen, in Magazinen oder in Viehstallungen, schmutzig, ohne Türen und Fenster, weil während des Plünderns die Fenster eingeschlagen und die Türen aus den Fugen gestohlen wurden. Ins kleinste Zimmerchen oder Magazinsraum wurde wenigstens 30-40 Personen hineingepfercht, und da natürlicherweise kein Raum wenigstens für alle zum Schlafen da war, so mußte abwechselnd geschlafen werden. Geschlafen wurde [auf dem] Fußboden sogar ohne Strohunterlage. Die Lager waren alle umzäunt mit Draht und wurden von [der] Gendarmerie bewacht, damit ja niemand etwas Essen hineinschmuggle. Essen wurde diesen Unglücklichen überhaupt nicht gegeben und [sie] waren daher gezwungen, sich mit Gras, Kräutern und mit Hunger zu ernähren. Ein Teil gab sein Letztes her, was er doch noch hineinschmuggeln konnte (Ehering, Uhr etc.), um für seine Kinder ein Stückchen Brot zu bekommen. Einige verkauften die Schuhe oder Hosen von sich, nur um ein Stückchen Brot zu bekommen, und waren so gezwungen, nackt und barfuß herum zu gehen. Überhaupt herrschte zu jener Zeit ein Geldmangel, da das rumänische Geld ja von den Russen umgewechselt wurde,(48) während das russische Geld nicht angenommen wurde und aus Czernowitz ihnen Geldmittel zu schicken nicht möglich war, da auch hier kein rumänisches Geld noch nicht war. Aber zu guter Letzt haben mehrere Juden in den Lagern in Edinetz und Secureni Geldunterstützungen erhalten, die von mir und anderen Leuten geschickt wurden durch Vermittlung eines mir bekannten Christen. Aber das war viel zu wenig für deren Existenz, und überdies war das Übersenden von Geld sehr schwer, weil Juden ja nirgends hin von Czernowitz fahren dürfen und die Christen eben nicht den Juden helfen wollten. Mehrere Rumänen haben mitgenommene Gelder und Pakete weggenommen und für sich behalten. Durch das Essen von Graskräutern und Abfällen sind ein Teil der Juden in den Lagern sowie durch Schmutz erkrankt an Typhus, Dysenterie(49) und andere Krankheiten, da keine Medikamente da waren. Täglich sind in fast jedem Lager 60 bis 70 Leute verschieden. Außer der Lager Edinetz und Sekureni hatte keiner Verbindung mit Czernowitz. Und am 20.8.1941 kam ein Befehl aus Bukarest, daß die verbliebenen Juden aus allen Lagern und auch die Juden aus Stadt Czernowitz, Doronoiu, Dorna Vatra, Campulung, Sudeava, Radautz wie überhaupt aus der ganzen Bukowina in die Ukraine (Transnistrien) in Lager geschickt werden.(50) Unbeschreiblich war die Lage der Juden in den Lagern, und alle Briefe und Schreiben, die die Czernowitzer Juden von dort erhielten, lauteten fast alle gleich: Rettet uns und helfet uns in unserem großem Unglück aus Krankheit und Hungertod.


Die Übersiedlung der Lager in die Ukraine.
Am 20.X.1941 wurden alle verbliebenen Juden zu Fuß aus den Lagern in die Ukraine getrieben. Es ist selbstverständlich, daß ein größerer Teil von ihnen nach drei Monate langem Hungern krank war, trotz der minimalen Unterstützung, die aus Czernowitz ab und zu hereinkam und daher diese Leute nicht Schritt mit der Gendarmerie halten konnten, die sie unbarmherzig getrieben haben, und ohne irgendwelchen Grund sind eben diese, die nicht gleich rasch mitkonnten, unbarmherzig niedergeknallt worden. Tausende waren es solcher. Viele sind vor Schwäche unterwegs verendet. Die Juden aus dem Lager Sekureni wurden bis zur Station Barnova (Eisenbahnlinie Oknitza-Ataki) geführt, dort wurden Maschinengewehre aufgestellt und den Juden anbefohlen selber Graben zu graben und der größte Teil von ihnen erschossen, wobei die Verwundeten zusammen mit den Toten verschüttet wurden. Ähnliche Fälle sind mit den Juden aus anderen bessarabischen Lagern sowie mit den Juden, die aus dem Kischinau-Ghetto in die Ukraine geschickt wurden, passiert. In diesem Falle ist es selbstverständlich, daß in die Ukraine bloß ein kleiner Teil der verbliebenen Juden angekommen sind. Sämtliche bessarabischen Lager wurden umbestellt in die Lager: Mogilev, Kupaigorod, Sarigrad, Berschad, Balta, Jampol, Imerinka und ebenda in Dörfer, wo ukrainische Kolchosen da waren.


Die Bereinigung der Stadt Czernowitz von den Juden.
Um die Stadt Czernowitz leichter judenrein zu machen, wurden alle Juden in einem Ghetto gebracht. Ohne Publikationen und ohne schriftliche Befehle und nur infolge mündlichen Auftrags an einem Tage von zehn Uhr vormittag bis sechs Uhr vorabends am 20.X.1941, müssen alle Juden ins Ghetto gehen. Jeder war laut Auftrag verpflichtet, bis sechs Uhr vorabends seine Wohnung zu verlassen und durfte [sich] nach sechs Uhr abends sich nicht mehr in der Stadt befinden. Das Ghetto war der untere Stadtteil (Judengassenenge), schmutzige Gassen, schlechte Zimmer und überhaupt ein sehr kleiner Raum für 60 000 Menschen. Je 15-20 Menschen müßten in ein Zimmer hinein, um nicht draußen bleiben zu müssen. Sie können sich ein Bild darüber machen, wie diese 60 000 Menschen innerhalb [von] acht Stunden mit Gepäck durch die Stadt gezogen sind ohne Fuhrwerke. Jeder Jude nahm eben nur so viel wie viel er mittragen konnte. Für [das] deutsche Kommando in Czernowitz war dieser Tag ein Freudentag, da sah man an allen Ecken deutsche Offiziere herumstehen und Filmaufnahmen machen, während sich die Rumänen darüber freuten, daß sie schon morgen das jüdische Erbe antreten werden.

Die Juden hingegen verließen ihre Wohnungen und pferchten sich in dem engen Ghetto so zusammen, wie es eben halt ging. Nach drei Tage langem Herumcampieren wurden Eisenbahnwaggons herbeigeschafft, und rumänische Soldaten begannen gassenweise die Juden aus die Häusern zu treiben und das Ghetto rein zu machen. Es entstand ein Rennen nach erreichbaren Fuhrwerken, die Fuhrwerkbesitzer nahmen, soviel wie sie wollten für einen Wagen zur Bahn, weil jeder ein paar Pakete Bagaj (51) mit sich nehmen wollte. An jedem Tage wurden 40 Waggons mit Juden verladen unter Zurücklassung deren Fabriken, Blockhäuser, Güter, Möbel und überhaupt alles, was nur denkbar ist, wofür sie und deren Eltern schwer arbeiteten, fahrend nach der Ukraine (Transnistrien), wohin sie geschickt wurden einem sicheren Tode entgegen. Bei der Eisenbahnstation in Czernowitz haben die Eisenbahn- und Finanzbeamte die Leute auf d[as] Wüs[te]s[t]e beraubt, indem [sie ihnen] befahlen, die Pakete in einen separaten Wagen hineinzulegen, und bevor der Zug die Station verließ, wurde dieser Waggon abgekoppelt und die Leute [wurden] ohne deren Gepäck weggeschickt. Und auf diese Weise sind die unglücklichen Juden in die Ukraine gekommen, ohne ein Hemd zum Wechseln zu besitzen, ohne irgendwelche Bekleidung, und da es Winterzeit war, so sind bereits unterwegs viele erfroren. Unzählige kleine Kinder sind auf den Händen ihrer Mutter erfroren. Endlich nach paar Tagen langen Verschicken gelang es dem Städtischen Bürgermeister Dr. Traian Popovici in Bukarest zu erwirken, daß 18-20 000 Juden doch noch bleiben sollen und zwar nur solche Leute, die dringend benötigt werden u. zw.: Fachleute, Spezialisten, Ärzte, von den Obengenannten nur zeitweilige Autorisationen erhielten.(52) Der verbliebene Rest wurde erbarmungslos aus Wohnungen hinausgejagt und zum Bahnhof getrieben, [um] in den Tod geschickt zu werden. Nach Ablauf sechs Monate begann an jedem Sonnabend vorabend bis Sonntag sechs Uhr abends die weitere teilweise Bereinigung der Stadt von Juden und zw.: Sonnabend zwölf Uhr nachts wurden alle Stadtbeamte zusammen genommen, und am Sonntag um vier Uhr vor [Anbruch des] Tages begann die Reinigung, wobei die Leute auf Grund von Listen aus ihren Betten geholt wurden.(53) Alle diese wurden auf dem Makkabiplatz gebracht, und dort wurde die Schlußrevision vorgenommen, wobei alles mitgenommene Hab und Gut abgenommen wurde, und sie wurden nackt und barfuß in die Ukraine geschickt. Jede Woche andere Opfer, andere Deportierungen, jeden Sonntag andere Unglückliche auf dem Makkabiplatz bis es endlich in Czernowitz ist im Monat August 1942 nur 12 000 Juden geblieben.
Die Bestialitäten waren derart, daß die jüdische Kranken an dem Spitälern und die Verrückten an der Irrenanstalt weggeschickt und unterwegs sämtlich erschossen wurden.(54)


Die Juden in der Ukraine (Transnistrien) 1941-1942.
Die ersten Ankömmlinge der bessarabischen Juden in die Ukraine trafen dort auf zerstörte Städte und Dörfer ohne Juden, alle waren mit den Russen mitgegangen, geblieben waren nur alte, kranke Menschen, die keinem irgendeine Hilfe geben konnte.(55) Die bessarabischen [Juden] waren ebenfalls nackt und barfuß, hungrig. Zu 40 Leute in einem Zimmer wohnen mußten, ohne Schlafgelegenheit, ohne Bettzeug. Es begannen Krankheiten auszubrechen wie Flecktyphus; die Kranken mußten mit den Gesunden zusammen wohnen. Es begann ein Massensterben. An jedem Tage in den Monat[en] Dezember 1941 und Januar, Februar, März, April 1942 sind täglich ca. 130 Menschen gestorben und das nur in der Stadt Moghilev; viele weitere starben in den anderen Städten.

Vielen [anderen] sind infolge der starken Fröste ihre Füße, Hände, Ohren und Nasen abgefroren, so daß sie zu Krüppel wurden. Die Leute hungerten und froren überhaupt in der Stadt Berschad, Bezirk Balta. Zehntausende von Juden sind dort in Folge Hunger gestorben.(56) Diese Stadt erhielt den Namen "Friedhof der bessarabischen Juden". Den Juden in Mogilev war es doch etwas leichter, denn trotz des Verbotes, daß man keine Post und kein Geld den Unglücklichen schicken darf, wurde ihnen doch geheim etwas Geld geschickt. Am ärgsten war es mit dem Städtchen Bersad und Jampol, da man erst im Monat Mai 1942 erfahren konnte, daß dort überhaupt Juden da waren und man von dort überhaupt keine Post bekommen hat. Die letzte drei Transporte wurden in Lager am Bug geschickt, und von ihnen konnte man überhaupt kein Lebenszeichen erhalten. Auf solche Art und Weise sind die Juden dieser zwei Provinzen mit einem Federstrich vernichtet worden, wo bisher 450 000 Juden lebten,(57) von welchen ca. 70-80 % ermordet, gestorben sind, während noch die paar Zurückgebliebene nur schwer den Hunger und Kälte überleben werden.(58) Und das sind die unschuldigen jüdischen Opfer, die Bestien [zum] Opfer gefallen sind.


Meine Hilfe und Eure Pflicht
Nach drei Tage langen Morden und Plündern und nach dem alle verbliebenen Juden in Lager geschickt wurden, nach alle dieser Greueltaten, wo auf allen Straßen tote Juden herumlagen und Hunde sogar von den Verwundeten das Fleisch gefressen haben und wo Verwundete, noch bevor sie verendeten, begraben wurden, und auf allen Wegen Juden herumlagen, die nach einem bisschen Wasser lechzten, verblieb in Czernowitz kein bessarabischer Jude [?] (59) in die Lager und nachher in die Ukraine [?] (60) strenge Strafe wie Deportation darauf ausgesetzt waren. An fast jedem Tage waren in der Czernowitzer Zeitung neue Befehle für die Juden wie: 1. Die Juden müßten gelbe Abzeichen tragen, 2. Juden dürfen nur während zwei Stunden am Marktplatz einkaufen, 3. Juden dürften auf den Straßen nur zwischen 10-13 Uhr mittags gehen, 4. Christen dürften zu Juden nicht kommen, Juden dürften keine Post und Gold in die Lager Hilfe schicken,(61) und als Strafe wurde mit Deportierung gedroht. Sehend, daß alle Bekannte und Freunde in den Lagern zugrunde gehen und keiner außer mir ihnen helfen konnte, habe ich mit meinem Leben sowie mit dem Leben meiner Familie riskiert und den [mir] bekannten Unglücklichen aus Bessarabien geholfen. Ich war mit einem Christen in Verbindung, der allein in die Lager von Elinetz und Sekureni fahren konnte. Durch ihn wurde das Geld überschickt, das alle Czernowitzer und Bessarabier, die in Czernowitz wohnten, ihren Verwandten in die Lage geschickt haben. Diejenigen bessarabischen Juden, die keine Verwandten in Czernowitz hatten, habe ich aus meinen eigenen Mitteln Hilfe zukommen lassen. Überhaupt habe ich meistens Leuten aus Briceni, Nowoselitza, Sekureni, Hotin und Edinetz mit Geld geholfen, weil ich diesen Städtchen die meisten Bekannte hätte und von [ihnen] unzählige Briefe um Hilfe erhielt. Durch den obgenannten [Christen] habe ich alle Auskünfte über die bessarabischen Lager [erhalten]. Auch schriftliche Bestätigungen über alles Geschehene wurde hier[durch] gebracht. Ich habe den obgenannten [Christen] speziell nach Bukarest zu den dort lebenden bessarabischen Juden geschickt, damit diese ihren Verwandten helfen. Für jeden Weg, den er machte, habe je 20 000 Lei bezahlt.

Durch einen anderen [Christen] habe ich Verbindung nach Moghilev gehabt; ich habe Hilfe geschickt und Auskünfte so erhalten. Nur an [einem einzigen] Tage, [am] 12 Mai 1942, habe [ich] 14 Geldsendungen a 3000 Lei durch die Nationalbank geschickt. Solche Sendungen hatte ich mehrere, aber die gemeine rumänische Nationalbank hat das Geld weggeraubt, ohne es den Unglücklichen abzuführen. Den größten Teil meines Vermögen habe ich zur Hilfesendung verwendet.

Euere Pflicht ist jede nur mögliche Art & Weise durch Roten Kreuz oder auf diplomatischen Wege den noch zurückgebliebenen Juden zu helfen mit Geld, Kleidern, Esswaren, weil sie schon im zweiten Winter frieren und hungern.
Hilfe ist dringend, da jeder Tag wichtig ist, und vergesset nicht, daß 70-80 % bereits gestorben [sind] oder ermordet wurden.
Rettet die restlichen 20 %

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(38) WJCA, C 161-02.
(39) Toni Varticovschi war im Mai 1941 nach Czernowitz übergesiedelt, konnte Anfang Okt. 1942 mit einem Schiff über das Schwarze Meer fliehen und ereichte Ende Okt. 1942 Zypern, wo er den vorliegenden Bericht verfasste.
(40) Grammatik und sprachliche Eigenheiten wie im Original, die Rechtschreibung wurde korrigiert.
(41) Die Verbrennung ist sonst nicht überliefert; die Erschießung von mindestens 800 Juden in Novoselicija (Noua Sulita) führten Anfang Juli 1941 Angehörige der 7. Infanteriedivision unter General Olimpiu Stavrat durch; Ancel (Hrsg.), Documents, Bd. 6, S. 424-440. Der überlebende Vorsteher der örtlichen jüdischen Gemeinde hatte bei dem Begraben der Leichen helfen müssen und dabei 975 Tote gezählt; Jean Ancel, Contributii la istoria României. Problema evreiasca, 1933-1944, Bd. 1/II, Bucuresti 2001, S. 122, Anm. 44.
(42) Zum Schicksal der einheimischen Juden in Secureni während der ersten Tage der rum. Wiedereroberung liegen keine Quellen vor. 1930 hatte Secureni 4693 jüdische Einwohner.
(43) Die genannte Opferzahl ist vermutlich zu hoch. In den ersten Tagen nach der Wiedereroberung der Stadt erschossen rum. Soldaten mindestens 54 Juden, die Misshandlung des Rabbiners kam in einem Nachkriegsprozess zur Sprache; Ancel (Hrsg.), Documents, Bd. 6, S. 432-435. Weitere Verbrechen begingen Angehörige der Einsatzgruppe D.
(44) Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs war Novoselicija eine geteilte Grenzstadt, es gab einen österr. und einen russ. Ortsteil. Ob die jüdischen Einwohner des österr. Ortsteils ein anderes Schicksal erlitten als die des russ., lässt sich anhand der Quellenlage nicht beurteilen.
(45) In Czernowitz ermordeten Rumänen und Ukrainer in den ersten Tagen etwa 3000 Juden.
(46) Rum. und deutsche Soldaten und Polizisten ermordeten in den ersten Wochen der Besetzung 45 000 bis 60 000 Juden in den wiedereroberten Gebieten.
(47) Gemeint ist die von Mihai Antonescu geforderte "ethnische Säuberung" der wiedereroberten Gebiete.
(48) Die sowjet. Behörden hatten im Sommer 1940 einen Zwangsumtausch durchgeführt.
(49) Dysenterie ist eine veraltete Bezeichnung für Ruhr.
(50) Der Zeitplan für die Deportationen wurde Ende Aug. bei einer Besprechung zwischen Ion Antonescu und den Gouverneuren der neuen Provinzen in Tiraspol festgelegt, das genaue Datum ist unbekannt; Ancel, Contributii (wie Anm. 4), Bd. 1/II, S.159 f.
(51) Rum.: Gepäck.
(52) Aufenthaltsgenehmigungen wurde nur befristet erteilt.
(53) Diese zweite Deportationswelle fand im Juni 1942 statt.
(54) Die SS erschoss im Juni 1942 mindestens 200 jüdische Geisteskranke, die aus Czernowitz deportiert worden waren.
(55) In diesem nördlichen Teil Transnistriens lebten zu diesem Zeitpunkt noch etwa 45 000 ukrainische Juden.
(56) Im Dez. 1941 brach im Kreis Balta eine Typhusepidemie aus, die sich auch im Getto von Bersad ausbreitete und viele der Insassen hinwegraffte. Lebten Ende 1941 dort noch etwa 25 000 Menschen (etwa 5000 einheimische Juden und etwa 20 000 Deportierte aus der Bukowina und Bessarabien), waren es nach einer Zählung der örtlichen Mediziner im Frühjahr 1942 nur noch 8014.
(57) Laut Volkszählung von 1930 lebten in der Bukowina 93 101 und in Bessarabien 206 958 Juden; Breviarul Statistic al populatiei evreesti, Bucuresti 1943, S. 22-25. Eine rum. Zählung im Sept. 1941 ergab für die wiedereroberte Nord-Bukowina 71 950 und für Bessarabien 72 625 jüdische Einwohner; Ancel, Contributii (wie Anm. 4), S. 340.
(58) Nach den Berichten der Gouverneure wurden 1941 insgesamt 147 712 Juden deportiert; Elie Wiesel (Hrsg.), Final Report of the International Commission on the Holocaust in Romania. Presented to Romanian President Ion Iliescu, November 11, 2004, Bucharest 2004, S. 86. Am 15.11.1943 waren einer Statistik der rum. Verwaltung Transnistriens zufolge noch 34 141 Deportierte aus der Bukowina und 11 683 aus Bessarabien am Leben; Ancel, Contributii la istoria României. Problema evreiasca 1933-1944, Bd. 2/II, Bucuresti 2003, S. 369.
(59) Eine Zeile unleserlich.
(60) Eine Zeile unleserlich.
(61) Post- und Hilfssendungen waren nur über die Judenzentrale in Bukarest erlaubt.

zu Teil 4

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