Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2010

Circa anderthalb goddamns pro Seite

30.01.2010. In der Welt polemisiert Ulrike Ackermann gegen einen Staat, der uns aus lauter Liebe lauter Freiheiten nimmt.  Die NZZ erinnert an den brasilianischen Journalisten Euclides da Cunhas, dessen Buch "Krieg im Sertao" von 1902 die Schrecken des 20. Jahrhunderts ankündigte. In der FAZ verteidigt Sonja Margolina das Recht auf Islamkritik. Die FR bringt einen Essay Salman Rushdies über die siebte Tosünde - die Trägheit. In der SZ staunt Joachim Kaiser über Maurizio Pollini, der alles richtig macht. Außerdem wird in einigen Zeitungen noch J.D. Salinger gewürdigt.

Und am Ende siegt immer diese Traurigkeit

29.01.2010. Im Hinblick auf den kommenden Tory-Sieg in Großbritannien informiert die NZZ schon mal über die angesagten Gummistiefelmarken zum Abschreiten der Landsitze. In der Berliner Zeitung wünscht sich Berlinale-Chef Dieter Kosslick Slow Filmfood. Für die FAZ ist jetzt ganz klar: Netz ändert Hirn. Carta fragt: Wer zahlt eigentlich Hotel und Jahrgangswein, wenn Vattenfall "Führende Medienmacher" zum Plausch einlädt? Die SZ bringt eine Sonderseite zu Ruhr 2010.

Ein Fünkchen Leben, ein bisschen Idiotie

28.01.2010. Der Freitag polemisiert gegen den "postkolonialen Feminismus", der einen Abbau von Frauenrechten gutheißt, jedenfalls in anderen Kulturen. Das Ipad ist da: Gizmodo gibt Tipps für den Gebrauch. Im Tagesspiegel sieht die Juristin Sibylle Tönnies das Verbot der Burka in öffentlichen Gebäuden als Maßnahme in der Nachfolge des französischen Revolutionsterrors. Die Zeit geht in Dantes Hölle spielen.

Nur Frankfurt kam mit keinem Wort vor

27.01.2010. Für die Welt ist Andrzej Stasiuk nach Belzec gefahren, wo es kaum noch Spuren des ehemaligen Todeslagers gibt. Im Guardian erklärt Chefredakteur Alan Rusbridger, warum er eine Paywall ablehnt: Seine Zeitung würde Millionen Leser verlieren. In der New Republic plädiert Lawrence Lessig gegen das Google Book Settlement. Alle waren beim Suhrkamp-Empfang in Prenzlauer Berg. Auch Martin Walser. Bei Spiegel Online erklärt Henryk Broder, dass er seine Karriere als Hassprediger aufgeben und jetzt Taliban werden will.

Mit einem Martini und einem Orden

26.01.2010. Die FR bringt eine Diskussion über den Afghanistan-Einsatz. Die New York Times staunt über die Diskriminierung arbeitender Mütter in Deutschland. Netzpolitik und das 1 & 1-Blog diskutieren geplante Jugendschutzmaßnahmen, die es den Anbietern auferlegen, ausnahmslos jederzeit sämtliche Inhalte zu kontrollieren. Die Welt staunt über Brecht, der einen Kult für Kälte mit einer Abneigung gegen harte Butter in Einklang brachte. In der SZ spricht Jimmy Wales über die Erzeugung von Objektivität in der Wikipedia - dank der englischen Sprache. Die taz-Feministinnen zupfen weiter am Kopftuch. Stephan Grigat fordert in der Presse eine linke Kritik an der islamischen Menschenzurichtung.

Menschenfreundliche Wortwundverbände

25.01.2010. In der Berliner Zeitung klagt Wolfgang Benz über den "Hass", der ihm entgegenschlug. Im Tagesspiegel erklärt Henryk Broder, warum er es als Kompliment begreift, wenn ihn deutsche Feuilletonisten als "Hassprediger" bezeichnen. Die SZ berichtet über eine Kontroverse um Yannick Haenels Roman "Jan Karski". Die FAZ bringt einen Lobgesang auf den Jungdramatiker Nis-Momme Stockmann.  Und die Welt stellt den Autor Markus Albers vor, der sich künftig selbst verlegt.

Tempel des digitalen Zeitalters

23.01.2010. Die taz erklärt, warum Feminismus und Islamkritik sich vielleicht doch nicht ausschließen müssen. Die FR fordert nach Lektüre von Seyran Ates neuem Buch mehr Differenzierung bei der Betrachtung des Islam. Die NZZ feiert Conlon Nancarrows hochkomplexe Musik für mechanische Klaviere. In der Welt begrüßen Berliner Suhrkamp-Autoren ihren Verlag im neuen Domizil und geben Überlebenstipps für die Hauptstadt. In der SZ warnt Jaron Lanier vor dem maoistischen Google. In der FAZ erkennt Frank Schirrmacher in Google eine Akademie der Aufklärung.

Der Drops ist gelutscht

22.01.2010. In der FAZ möchte Necla Kelek gerne wissen, warum Kritik am Islam so gern weggebissen wird, vor allem wenn sie von Muslimen kommt. Die SZ möchte bei allem Verständnis für Ayaan Hirsi Ali an ihrer toleranten Haltung festhalten. Die taz feiert Fritz Langs endlich komplettierten Film "Metropolis".  In der Welt spricht Martin Suter über die so überflüssige wie notwendige Kunst der Molekularküche. In den Blogs gibt es zur Zeit viele interessante Diskussionen über den Kampf der Giganten Google, Microsoft und Apple. Auf der Website des Datenschutzvereins FoeBuD e.V. fordert Gerhart Baum eine Bürgerbewegung für Datenschutz.

100 Milliarden positive Kommentare

21.01.2010. In der Welt sucht Dirk von Lowtzow von der Band Tocotronic die Antwort auf die Frage, wie man Widerstand leistet, ohne in opportunistische Kapitalismuskritik zu verfallen. Die NZZ bewundern die Coen-Brüder, die ihren Pessimismus in in fröhlich schwebende Petitessen zu verpacken verstehen. In der FR sagt der Blogger Han Han voraus, wie die chinesische Regierung das Problem mit dem Netz bewältigt. 

Die Stimmen, die da ins Dunkel aufstiegen

20.01.2010. Die Welt freut sich auf die vollständige Fassung von Fritz Langs "Metropolis".  Außerdem plädiert Gerhard Schulze in der Welt gegen einen Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan. Die FAZ fragt sich, was eigentlich in die Professorin Birgit Rommelspacher gefahren ist, die Islamkritikerinnen in die Nähe von Nazis rückt.  Henryk Broder hat für den Spiegel Kurt Westergaard besucht. Die SZ lotet die Krise der Literturkritik in der Schweiz aus. Die SZ ist außerdem entsetzt darüber, dass die SZ lobende Blogger für die SZ-Werbung kaufte.

Wie eine Reinkarnation von Baron Samedi

19.01.2010. Hans-Christoph Buch spricht in der FR ausführlich über die dunkle Geschichte Haitis. Die taz fürchtet ein neues Bündnis zwischen der Türkei und dem Iran. Die FAZ trauert um die Schweizer Armee, die leider pleite ist. In der Welt polemisiert Hamed Abdel-Samad gegen den feuilltonistischen Dschihad von SZ, FAS und vielen anderen Zeitungen gegen Islamkritiker. Ebenso der Perlentaucher.

Wir sind eure Hauptstadt, ihr Bauern!

18.01.2010. Die taz hyperventiliert: Sie musste feststellen, dass Feminismus rechts ist. Die NZZ bringt ein Gespräch über das Schweizer Unbehagen am deutschen Professor, der einfach ein bisschen präpotent ist. Warum hat Hertha keine Fans?, fragt Wolf Lepenies in der Welt.  Die New York Times wird demnächst zahlbar, melden Blogs und andere Medien. Verlinken ist ein Menschenrecht, ruft Jeff Jarvis an die Adresse Rupert Murdochs im Guardian. In der SZ schreibt Richard Fleming aus Haiti über die Rolle der sozialen Medien bei der Bewältigung der Erdbebenfolgen.

Die Welt in ihrem Urzustand

16.01.2010. Die Welt stellt die algerische Schauspielerin und Autorin Rayhana vor, die nur knapp einem islamistischen Anschlag entronnen ist. In der FAZ verurteilt Jaron Lanier den Autor zum Tod durchs Netz. In der NZZ schreibt Richard Wagner eine Hommage auf die Einzelgänger, Einsiedler und Eigenbrötler der Philosophie in Ostmitteleuropa unter dem Kommunismus. Die SZ porträtiert den Fotografen Sebastiao Salgado, bei dem die "Genesis" auf dem Programm steht. Alle Zeitungen trauern um Katharina Rutschky.

Ebenmäßige Strahlkraft einer Cate Blanchett

15.01.2010. Eine Lücke im Internet Explorer erlaubt es chinesischen Spähern, in die Mailkonten von Dissidenten zu gucken - und sie spähen noch weiter: bis in die Google-Konten amerikanischer Menschenrechtsaktivisten, berichten Blogs und Zeitungen in den USA. Im Tagesspiegel spricht Hans Christoph Buch über die haitianische Katastrophe. Die NZZ lotet noch einmal ausführlich den Abgrund der Securitate-Bespitzelungen unter rumäniendeutschen Autoren aus. Claude Lanzmann hat in seiner Autobiografie nicht gelogen, hält die SZ fest.

Hirn, Zunge, Mark

14.01.2010. In der Welt erklärt der Direktor des Islamischen Museums in Berlin, Stefan Weber, warum er nicht auf die Ausstellung von Mohammed-Bildern verzichten wird. Die taz feiert Gilles Deleuze' Lust an der Willkür des Alphabets. Die amerikanischen Blogs sind begeistert von Googles Drohung, China zu verlassen. Nun sollten Googles Programmierer noch Wege finden, die große chinesische Brandmauer einzureißen, rät Gawker. Die Zeit fordert Flashmobs gegen Google. Die SZ ruft: Toleranz den Intoleranten!

Zeichen der Henzeschen Spätmeisterschaft

13.01.2010. Google droht, sich aus China zurückzuziehen, weil die Gmail-Konten von Regimekritikern gehackt wurden, melden die New York Times und das offizielle Blog des Konzerns. Anne Applebaum fragt in Slate: Wie wird man mit gebildeten Islamisten fertig? Wie anrüchig ist Islamkritik?, fragt Henryk Broder in einer Replik auf Wolfgang Benz in der Welt. In der FR spricht Alexander Kluge mit dem Virologen Alexander Kekule über die Unruhe im Genom.

Wo genau ist eigentlich die Panik?

12.01.2010. FR und taz kritisieren die immer neuen Sicherheitsmaßnahmen auf den Flughäfen. "Sicherheitsbehörden genießen inzwischen eine falsche, nahezu absolute Autorität", schreibt Peter Schneider in der FR. Die Vergütungsregeln für freie Journalisten sorgen in den Blogs weiterhin für Aufruhr - ein Aufruf fordert jetzt die Gewerkschaften zu einer breiteren Diskussion auf. Liberation bringt Videos und Le Monde bringt Bilder zum Tod von Eric Rohmer. In der SZ beklagt der Historiker Aram Mattioli die neue Salonfähigkeit des Faschismus unter Berlusconi.

Komm zur Ruh

11.01.2010. Die amerikanischen Blogs diskutieren über eine Äußerung des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg, der meint, dass Internetnutzer immer weniger Privatsphäre wollen. Das Blog Bewegliche Lettern ist auf eine Diskrepanz gestoßen: Der Bund will 5 Millionen Euro für die Digitalisierung von Kulturgütern ausgeben. In Frankreich liegt die Summe bei 750 Millionen Euro.  Die New York Post meldet, dass das Metropolitan Museum in New York ab sofort keine Mohammed-Bilder mehr zeigt.  Die Welt veröffentlicht ein Manifest der grünen Bewegung im Iran, und Abdolkarim Soroush erklärt, warum der Aufstand eine Theorie braucht. Die FAZ erklärt ihre Bereitschaft zum Selbstopfer für das Recht aufs islamische Kopftuch.

Ein honoriger Skriptgeber

09.01.2010. In der Welt stellt Stefan Chwin klar, dass Polen nicht im Westen ankommen muss, der Westen muss Polens Dazugehörigkeit nur endlich realisieren. Die taz recherchiert in eigener Sache, wie ihr die Stasi mit Hilfe von Stefan Heym die Theorie unterjubelte, das Aids-Virus sei in amerikanischen Labors erfunden worden. Die SZ beobachtet Auswüchse in der Debatte um die nationale Identität in Frankreich. Für die NZZ verstößt jeder Nackt-Scanner gegen die Persönlichkeitsrechte. Und die Berliner Zeitung macht Bekanntschaft mit Skinny Bitches.

Mein Denken scheint mir flüssiger geworden

08.01.2010. Auf der Website von Prospect und in Blogs wird heftig über den Nutzen sozialer Medien für die Demokratiebewegung im Iran debattiert. In Carta fordern die Medienökonomen Hanno Beck und Andrea Beyer, dass die Rundfunkgebühren nicht mehr in die Anstalten, sondern in einen Rundfunkfonds gesteckt werden, der per Ausschreibung über den besten Anbieter entscheidet. Die FAZ übersetzt einige Artikel zur Edge-Frage des Jahres: Wie hat das Internet Ihr Denken verändert? Das Provokante an Kurt Westergaards Karikatur ist ihre Wahrhaftigkeit, meint Daniele Dell'Agli in der Welt. Die NZZ widmet sich der Geschichte des Falsett-Gesangs in der Popmusik.

Ist er plötzlich Johnny Depp

07.01.2010. Es ist schon bitter, wie sich deutsche Medien, wenn's um Meinungsfreiheit geht winden, klagt Necla Kelek gegenüber dpa. In seinem SZ-Blog versucht Andrian Kreye zu erklären, was er eigentlich über die Meinungsfreiheit sagen wollte. Die Freischreiber fragen, warum die Journalistengewerkschaften jetzt eigentlich die Total-Buyout-Verträge der Verlage akzeptieren. Die FR kompiliert einen Text Roberto Savianos über die 'Ndrangheta.In der Zeit plädiert Andreas Maier für die Entbreloerisierung Thomas Manns.

Dreißig Jahre aufgestaute Frustration

06.01.2010. In der FR kritisiert die iranische Publizistin Haideh Daragahi die westlichen Medien für ihre Fixierung auf die Machtfiguren im Land. Die Welt erzählt, wie chinesische Internetsurfer plötzlich Zugang zum gesamten Netz hatten - vermutlich wegen Wartunsarbeiten an der Großen Firewall. Ilja Braun kritisiert im Perlentaucher die neue "Vergütungsregel" für freie Journalisten: Haben sich die Gewerkschaften die Festschreibung kümmerlicher Zeilensätze durch eine Zustimmung zur Forderung nach Leistungschutzrechten abkaufen lassen.? Carta sieht die "Vergütungsregel" als Augenwischerei.

Die kochen mit Bouillon

05.01.2010. Die Diskussion um den Mordanschlag an Kurt Westergaard geht weiter. Der Tagesspiegel kritisiert die SZ, welche Westergaards Zeichnung wegen mangelnder Qualität für nicht verteidigenswert befand.  Der Zeichner war selbst schuld, denn er ist mindestens so verblendet wie sein Attentäter, meint die Südwestpresse. Die Dänen sind eben ein Volk ohne Religion, findet Nancy Graham Holm im Guardian. In Telepolis wird mitgeteilt, welche Autorenrechte in diesem Jahr gemeinfrei wurden: unter anderem die von Sigmund Freud und Joseph Roth. Die NZZ fürchtet ein städtebauliches Desaster am Ground Zero

Eine Art Mauseloch der Angst

04.01.2010. Die Karikatur Kurt Westergaards ist so plump, dass sie die Verteidigung nicht lohnt, meint die SZ. Anders sieht es Henryk Broder in Spiegel Online: Bei Rushdie gab es noch einige Verteidiger, heute obsiegt die Kapitulation. Wolfgang Benz zieht in der SZ außerdem eine Parallele zwischen Islamkritik und Antisemitismus. Alle Zeitungen erinnern an Albert Camus, der vor fünfzig Jahren gestorben ist: "Es sind die Einzelnen, denen die Gesellschaften zu danken haben. Nicht umgekehrt", lernt  Arno Widmann in der FR von Camus.

Allein machen sie dich ein

02.01.2010. Der dänische Karikaturist Kurt Westergaard ist nur knapp einem Mordanschlag entkommen, meldet der Tagesspiegel. In der Welt überlegt Ulla Unseld-Berkewicz, wo man heute als Qualitätsverlag vorne steht. In der FAZ überlegt Geert Lovink, wo man heute im Internet vorne steht. Die SZ portätiert den palästinensischen Wanderer Raja Shehadeh. In der FR demonstriert Ulrich Beck wie man etwas und dann sein Gegenteil behaupten und am Ende trotzdem Recht behalten kann. Der Perlentaucher wünscht seinen Lesern ein frohes und gesundes Neues Jahr!