Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Mai 2012

Anbiederung an den hündischen Mainstream

31.05.2012. In der FAZ wendet sich Thomas Hettche gegen den seinem Eindruck nach im Netz geforderten Typus des "Salonliteraten", denn die wirklichen Werke bedürften "etwas autistischer" Autoren. Auch Karl-Heinz Ott fragt in der NZZ, wie das Internet die Literatur verändert. In der Zeit prognostiziert Pirat Bernd Schlömer der Zeit keine gute Zukunft. Die taz stellt eines klar: Die besten Liebesromane werden von Männern geschrieben. Die Welt veröffentlicht vier neue Gedichte von Günter Grass. Außerdem ist der Ankläger im Eichmann-Prozess, Gabriel Bach, bis heute nicht gut auf Hannah Arendt zu sprechen.

In allerschönster Kalligrafie

30.05.2012. Die Welt weist nach: Wenn man hundert chinesischen Schriftstellern eine Mao-Rede zum Abschreiben gibt, dann machen sie das auch brav. Die FAZ erklärt, warum die Sixtinische Madonna jetzt viel frischer in die Welt lugt - ohne jedes Peeling. Die taz erlebt in der Ausstellung "1917" in Metz, was der Krieg mit der Kunst macht. Außerdem laden wir in unbeschwerter Kostenlosmentalität Kimiko Ishizakas neue Aufnahme der Goldberg-Variationen herunter.

In banger, tastender Suchbewegung

29.05.2012. Die Goldene Palme für Michael Haneke ist okay, finden taz und Welt, aber Léos Carax hätte auch einen Preis verdient gehabt! Die Welt und der Tagesspiegel staunen über die Rhetorik der Sarrazin-Gegner. Die FAZ verkündet ein Pfingstwunder: Der Heilige Geist ist in Hans Werner Henze gefahren. Und nein, das inzwischen fast vergessene Grass-Gedicht zu Griechenland ist nicht von der Titanic, versichert die FR.

Vom Verenden des Verstehens

26.05.2012. Pfingstereignis Feuilleton! In der FAZ überlegt Durs Grünbein, warum Dichtung unerlässlich ist. In der SZ schreibt Günter Grass ein erlässliches Gedicht. In der NZZ beschreibt Botho Strauss den Idioten als freien Geist. In der Welt droht der Künstler Gregor Schneider Documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev mit Kunst. Im Tagesspiegel wünscht sich Johannes Schneider etwas mehr Ehrlichkeit in der Urheberrechtsdebatte. In der taz schlägt Ulrich Kühne vor: Nur noch sechs Prozent für die Verwerter.

Grenzen spielen eine ambivalente Rolle

25.05.2012. Heise Online und die Welt melden: Die Urheberrechtsabgaben für USB-Sticks steigen um bis zu 1850 Prozent. Die FR bewundert in ihrer Cannes-Kolumne Nicole Kidman in der Rolle ihres Lebens. Die FAZ resümiert die spanische Debatte um Mario Vargas-Llosas jüngstes Buch "La civilización del espectáculo".

Belebung der Leiber

24.05.2012. In der NZZ beschreibt die Schriftstellerin Mansura Eseddin die Situation kurz vor den Wahlen in Ägypten. In der taz erzählt Wes Anderson, was ihn an den 60er Jahren interessiert. In der FAZ erklärt Peer Steinbrück dem Genossen Thilo Sarrazin noch einmal, warum wir den Euro brauchen. In der Zeit erklärt FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher dem Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo: Die Piraten sind keine Modeerscheinung. SZ, Welt und taz feiern den neuen Film von Leos Carax und seinen Hauptdarsteller mit dem hässlichen und wunderschönen, bösen und romantischen Gnomengesicht: Denis Lavant.

Pragmatische Theorie der Tücke

23.05.2012. Die Welt erzählt, was man in der großen Ausstellung über den jungen Dürer in Nürnberg lernen kann. Und sie spricht sich gegen die Vorschläge der Piratenpartei zum Urheberrecht aus.  In der SZ begrüßt der Historiker Michael Wildt neue Blicke auf die Gewaltzusammenhänge des 20. Jahrhunderts. Und Georg Klein zerschneidet Schnecken. Slate.fr fragt: Wie frauenfeindlich darf ein Festival wie Cannes sein?

Gelegentlich auch finster und bizarr

22.05.2012. Die Inszenierung von "The Rake's Progress" in Frankfurt ist zwar ein bisschen bieder, findet die FR, aber ansonsten: tolle Oper! Die FAZ stellt erstaunliche Parallelen zwischen den Urheberrechtspositionen der SPD und der Piraten fest. Die SZ versucht mithilfe der Nobeltpreisträgerin Elinor Ostrom Urban Gardening und Filesharing zu verstehen. Alle trauern um Robin Gibb. Und die NZZ meint zur Position der deutschen Sarrazin-Kritiker: "Hilflos strampeln sie mit im System der Vermarktung, das sie verdammen."

Figur der Jederzeitlichkeit

21.05.2012. Wie können die Europäer eigentlich in ein Land kommen, wo gefoltert wird, um ein Fußballfest zu feiern?, fragt Juri Andruchowytsch in der FR. Aber sie singen ja auch in Baku, notiert die taz. Im sonnigen Cannes hebt sich die Düsternis dänisch-österreichischer Autorenfilme besonders vorteilhaft ab, findet die Welt. Im Perlentaucher plädiert Katharina Hacker für das Teilen von Texten - und gegen "Geistiges Eigentum". Die NZZ lernt in Japan: Wer hundert werden will, muss lernen, lernen, lernen. 

Auch bei geringsten dynamischen Graden

19.05.2012. In der Welt gratuliert Kontatin Grcic dem Designerkollegen Dieter Rams, der ihn auf den Pfad der Tugend zurückführte. Die taz überlegt, ob die Geschichte von kino.to als Hollywoodfilm nachzuerzählen wäre, und welche Rolle dabei den Verbänden der Filmindustrie zukäme. Die SZ kritisiert in der Urheberdebatte den Autoren-Aufruf und fordert konstruktive Lösungen. Die FAZ bewegt sich mit Grausen durch spanische Investitionsruinen. Alle trauern um Dietrich Fischer-Dieskau.

Das Theater, es lebt, es lebt

18.05.2012. Die Berliner Volksbühne ist wieder auferstanden, meldet die taz nach dem Berliner Theatertreffen. Die Welt ist beglückt von Wes Andersons Film "Moonrise Kingdom", der das Festival von Cannes eröffnete. Das Blog Movie Morlock hat passend zum Anlass Glamour-Fotos aus den besseren Jahren des Festivals zusammengestellt. In der FAZ macht Frank Rieger vom CCC einen Vorschlag zur Steuerrevolution. In deutschen Blogs wird immer noch recht heftig über den Urheber-Aufruf diskutiert. Gibt es ein Menschenrecht auf "Geistiges Eigentum"?

Sie rezensieren, loben und verbreiten auch

16.05.2012. Der Urheber-Aufruf sorgt weiter für Debatten - nun melden sich allerdings auch Autoren, die ihn kritisieren. Cora Stephan will in der Welt die Front gegen die Leser aufbrechen. Benjamin Stein fordert in der Jüdischen Allgemeinen die Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter. Alle Zeitungen begrüßen den Büchner-Preis für Felicitas Hoppe. Nur die SZ überlegt, wer ihr lieber gewesen wäre.

Viel mit der Hand abgeschrieben

15.05.2012. Die taz kritisiert die Bild: Denn die macht keinen soliden Journalismus, wie er zum Beispiel von Elke Heidenreich verkörpert wird. Jörg Lau kritisiert in seinem Zeit-Blog die taz und erinnert sie daran: Auch wer provoziert, ist nicht selbst schuld, wenn er am Ende dafür umgebracht wird. Die FR ist traurig über die Gentrifizierung Hamburgs. Und Sibylle Lewitscharoff plädiert in der FAZ fürs Urheberrecht.

Von bürgerlichen Medien empfohlen

14.05.2012. Heftig herumgedruckst wird bei der Berichterstattung über den Eklat bei der Verleihung des Henri-Nannen-Preises: Eigentlich missgönnt SZ-Redakteur Hans Leyendecker den Kollegen von der Bild den Preis gar nicht, schreibt die Bild. Und die SZ zitiert lieber eine Stellungnahme des Netzwerks Recherche - als wäre das nicht Leyendeckers Club. Die taz findet trotzdem: Die SZ-Kollegen sind Helden. Die FAZ ist empört über eine Aktion anonymer Hacker, die die Adressen von Unterzeichnern der Aktion "Wir sind die Urheber" veröffentlichen und mit weiteren Aktionen drohen.

Unbeeindruckt vom Hohn der Kunstwelt

12.05.2012. Die Urheberrechtsdebatte tost und rumpelt weiter: "Ihr seid nicht (mehr) systemrelevant", ruft Udo Vetter den "Wir sind die Urheber"-Urhebern zu. Euer Geschäftsmodell ist von gestern, bedauert die FR. Vor kurzem protestierten Urheber doch noch gegen Verwerter, wundert sich die SZ. Auf Spiegel Online erinnert Volker Kauder daran, dass auch die Freiheit der Kommunikation Schutz verdient. Die NZZ befasst sich mit dem Dackel in der Kunst. Die FAZ bewundert die Erektion eines Möhrenmännleins. Und: die SZ schlägt den Nannen-Preis für die Bild-Zeitung aus.

Auch das Spiel folgt Regeln

11.05.2012. Im Tagesspiegel fordert der Drehbuchautor Thomas Bohn: Künstler, erfüllt die Bedürfnisse eures Publikums. Carta fürchtet, dem Künstler geht es bald wie der Milchkuh. Die FAZ dankt für die Würdigung der Verwerter. Die taz findet die Vorstellung von Liquid Democracy naiv: Politik brauche Profis. Die SZ begutachtet die weißen Elefanten in Kiew und Warschau. Die NZZ durchforstet das Angebot der Multioptionsgesellschaft.

Man versucht, die Revolution herauszuhalten

10.05.2012. In der Zeit pochen hundert Urheber auf ihr Recht. Und Peter Sloterdijk bezweifelt, dass André Rieu in der Lage ist, eine Philosophie-Sendung im ZDF zu moderieren. Die Urheberrechtsdebatte reißt auch in weiteren Medien Gräben auf: Im Freitag fordert der Konzertagent Berthold Seliger eine Reform, die eine Verkürzung der Schutzfristen einschließt. Der Urheberrechtsexperte Till Kreutzer fordert im WDR, dass man die Gegebenheiten der Digitalisierung zur Kenntnis nimmt. Und Foreign Policy meldet: die Prediger der Christenverfolgung haben jetzt schon eine Million Follower.

Wie eine Kühlbox mit Deckel obendrauf

09.05.2012. Der Tagesspiegel ist froh, dass Berlin nur einen Flughafen eröffnen will. Es hätte noch peinlich kommen können. Der Perlentaucher schaut mit Mitleid auf die narzisstische Kränkung, die das Netz dem Liberalismus zufügt. Die taz druckt schon wieder einen Europa-Appell mit Daniel Cohn-Bendit. In der Welt fragt Ralf Fücks von der grünen Böll-Stifung, ob aus den Piraten je was werden kann. Die NZZ wirft einen Blick auf das neu erblühende Kulturleben in Simbabwe. In der FAZ telefoniert Michael Krüger über Skype mit einem griechischen Freund.

Die Erklärbärelite dieses Landes

08.05.2012. In der FR erinnert Götz Aly an den Dreißgjährigen Krieg, und Agnes Heller spricht über Marx. In der Welt wundert sich Wolf Lepenies nicht über die Aufnahme Drieu La Rochelles in die Pléiade - die französische Klassikerbibliothek. Und Arnulf Baring wundert sich nicht über Günter Grass. Die NZZ findet, dass Günter Wallraff viel von seinem Nimbus verloren hat. Im Independent geißelt Robert Fisk den Rassismus in den arabischen Ländern. In der taz erklärt der jüdische Tunesier Gilbert Naccache, warum er Strafanzeige gegen die Salafisten stellt. 

Sein und Zeit in Reinform

07.05.2012. In der taz porträtiert Gabriele Goettle Hilde Schramm, die Tochter Albert Speers, die erklärt, warum sie die Stiftung "Zurückgeben" gründete. Ist es wirklich Kurt Westergaards Mohammed-Karikatur, die für Gewalt sorgte, oder waren es nicht eher die Salafisten?, fragt das Blog Tapferimnirgendwo. Die SZ erkundet mit Gerhard Polt die Unterseite der bayerischen Gemütlichkeit. In Le Monde freut sich Caroline Fourest über den Sieg der säkularen Linken in Frankreich. In der Welt spricht sich der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan gegen einen Boykott der Fußball-EM aus.

Bin ich hier wirklich einmal zuhause gewesen?

05.05.2012. Die NZZ erzählt, wie hervorragend Tradition, Kunst und Château Mouton Rothschild in China zusammengehen. In der Welt bestehen Leipziger Künstler auf inhaltlicher Debatte. Wie totalitär sind die Piraten?, fragt Richard Herzinger in seinem Blog. Atheisten sind mitfühlender als religiöse Menschen, wundert sich Telepolis. In der FR/Berliner Zeitung möchte Markus Beckedahl "Fair Use". Die FAZ porträtiert den Illustrator Christoph Niemann. Die SZ erklärt, warum Musikzeitungen ihre Deutungsmacht verlieren.

Alles ist bemerkenswert

04.05.2012. In der NZZ spricht Gilles Kepel über die gesellschaftliche Auflösung in den französischen Banlieues. In der FR bemerkt Michel Serres, dass Deutsche und Franzosen sich eigentlich recht ähnlich sind. FR und Tagesspiegel blicken zudem in den strahlenden Schein der Echtheit, den das Berliner Theatertreffen vorausschickt. Die taz lernt in der Pariser Ausstellung "Linvention du sauvage" etwas über die Nähe von Anthropologie und Menagerie. Und die New York Times meldet: Cecil Taylor ist immer noch gut drauf.

Als schösse man mit einer Bazooka

03.05.2012. In der NZZ hat T.C. Boyle eine gute Nachricht für alle Ökos: die Natur wird weiter existieren. Der Hollywood Reporter bringt eine große Geschichte über Kim Dotcom. Die Autoren der Geschichte erzählen in paidcontent.com, dass sich Dotcom am liebsten als Steve Jobs sah. In der Welt versetzt  BHL der extremen Rechten einen liberalen Haken. Vor der zweiten Wahlrunde in Frankreich denkt die FAZ mit Grauen an die erste zurück. In der Zeit unterhalten sich Peter Handke und Luc Bondy. Auch über Günter Grass. Und Stephen King erklärt in The Daily Beast, warum es un-fucking-American ist, zu niedrige Steuern zu zahlen.

Scheinbar problemlose Leichtigkeit

02.05.2012. Die AG Dokumentarfilm schlägt in einem Papier auf Carta eine tiefgreifende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor - der im Netz nicht mehr an die üblichen Anstalten gebunden sein soll. Ha'aretz konfrontiert den berühmten Friedensforscher Johan Galtung mit seinen Theorien über Anders Breivik und den Mossad. Die FR macht sich Sorgen über den Umbau der New York Public Library. Die FAZ ist entsetzt über die Kölner Kulturpolitik. Die SZ macht sich mit Nicholas Payton Gedanken über die Frage, ob Jazz besser als "Black American Music" bezeichnet werden soll.