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Alchimistische Dimension

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
07.03.2022. Die erste Ausstellung der südafrikanischen Künstlerin und Aktivistin Zanele Muholi in Johannesburg verursachte einen Skandal, da sie lesbische schwarze Frauen zeigte. Noch bis zum 13. März ist im Berliner Gropiusbau nun eine erste Retrospektive zu sehen: Muholi erweist sich in ihren Bildern als konsequente Kartografin, die ein vermeintlich bekanntes Terrain noch einmal neu vermisst.
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Bis zum 13. März hat man noch die Möglichkeit, im Berliner Gropius Bau eine erste Retrospektive der südafrikanischen Künstlerin und Aktivistin Zanele Muholi zu sehen - wer es bis jetzt nicht geschafft hat, weil auf die Corona-Lethargie die Kriegs-Depression folgte, sollte das auf jeden Fall nachholen.

Wenn man ein wenig ungerecht zu Werke geht - ungerecht, weil man vor allem auf bestimmte Aspekte fokussiert ist wie ich -, könnte man vereinfachend sagen: die Ausstellung teilt sich nach dem Eingang in zwei Teile.

Biegt man nach rechts ab, erschließt sich vor allem Muholis visueller Aktivismus, im Zuge dessen sie diejenigen Wort und Bild werden lässt, denen man eine selbstbestimmte Repräsentation verweigerte und in vielen Teilen der Welt bis heute verweigert - nicht zuletzt auch in Südafrika selbst, obwohl das Land die gleichgeschlechtliche Ehe 2006 legalisiert hat und per Gesetz vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Sexualität schützt.
Muholi weist darauf hin, dass das Lesbisch-Sein nicht zuletzt in den Townships als regelrecht "unafrikanisch" angesehen wird.

Muholis erste Ausstellung in Johannesburg verursachte dementsprechend einen Skandal, da sie lesbische schwarze Frauen zeigte. Die damalige Kulturministerin Südafrikas, Lulu Xingwana, weigerte sich, die Eröffnungsrede zu halten. Ihre Begründung: Die Bilder seien unmoralisch und nicht dem Aufbau der Nation dienend. Schwarze lesbische Frauen, so die Ministerin weiter, existierten außerdem gar nicht.

Die Serien "Queering Public Space" (2006-10) und "Brave Beauties" (seit 2014 fortlaufend) stellen schwarze LGBTQIA-Menschen in den Vordergrund, darunter TeilnehmerInnen von Schönheitswettbewerben und Drag Queens, die Muholi in historisch gewachsenen ArbeiterInnenvierteln und an beliebten Stränden in der Nähe ihres Geburtsorts Umlazi fotografiert.
Im Dokumentarfilm "Difficult Love" (2010) schildert Muholi, unter anderem Mitbegründerin der gemeinnützigen Organisation Forum for the Empowerment of Women (FEW), die Geschichte des Aufwachsens unter der Apartheid.
"Faces and Phases" (seit 2006 fortlaufend) zeigt über fünfhundert frontale Schwarzweiß-Porträts, die schwarze Lesben, Trans-Menschen und non-binäre Personen in verschiedenen Phasen ihres Lebens abbilden.

©Zanele Muholi, Yancey Richardson





























Hintergrund vieler Porträts bilden Erfahrungen von Diskriminierung und Traumatisierung durch Hassverbrechen, deren seelische und körperliche Narben Muholi ebenso dokumentiert wie ihre in Angriff genommene Überwindung und Heilung durch Solidarität und Empathie in der südafrikanischen LGBTQIA-Community.
Am Ende zeigt die Ausstellung noch gemeinsam fabrizierte Bilder öffentlicher Ereignisse wie Pride-Märsche, Proteste im Zuge von #blacklivesmatter sowie private Momente wie queere Hochzeiten und Beerdigungen.

Alles in allem erweist sich Muholi als konsequente Kartografin, die ein vermeintlich bekanntes und spätestens seit der Berliner "Kongo-Konferenz" 1884 abgestecktes Terrain noch einmal neu vermisst und die Chroniken der Mehrheitsgesellschaft um die Biografien jener Menschen ergänzt, die bis dahin ausgegrenzt, wenn nicht ausgelöscht wurden.

Biegt man beim Eingang links ab, gibt es Muholis Frühwerk und ihre stilisierten Selbstporträts zu sehen - alles in allem der meines Erachtens künstlerisch interessantere Teil.

In den ersten Räumen sind Arbeiten aus Muholis erster Serie "Only Half the Picture" (2002-2006) zu sehen, die Überlebende von Hassverbrechen in den Townships Südafrikas zeigen. "Being" (seit 2006 fortlaufend) wiederum zeigt Augenblicke der Intimität zwischen teils nackten, queeren Paaren in deren privaten Räumlichkeiten.

Bei "Somnyama Ngonyama" (seit 2012 fortlaufend) schließlich handelt sich um eine Serie von Selbstporträts, die an Orten auf der ganzen Welt entstanden sind. Muholi arbeitet dabei mit alltäglichen Materialien wie Wäscheklammern und Gummihandschuhen. Einige Werke sind nach Muholis Mutter benannt und stellen eine Hommage an häusliche Arbeit und matrilineare Bindungen dar. Die Mutter hat zweiundvierzig Jahre als Hausangestellte für eine Buren-Familie gearbeitet - Muholi hinterfragt anhand ihrer Geschichte die für schwarze Frauen vorgesehene Kultur des Dienens, ein Vorgehen, das zu einem Prozess der Selbstermächtigung führt, dessen Resultate in dieser Serie künstlerisch so großartig ausfallen wie in keiner anderen.

Die englische Übersetzung lautet "Hail the Dark Lioness" - und tatsächlich liegt eine solche Reaktion bei der Betrachtung der Bilder durchaus nahe. Ein anderer Impuls ist, ein Bild von der Wand zu nehmen und irgendwie aus dem Gropius-Bau zu schmuggeln, um es zu Hause aufzuhängen - einfach, weil es so schön und stark ist.
Man fühlt sich von der rein ästhetischen Wirkung so gefesselt wie von Gemälden alter europäischer Meister, etwa von da Vincis "La Belle Ferronnière" (1495/99) - auch wenn sich Muholi natürlich von den Fesseln des darin verkörperten heteronormativen Schönheitsbegriffs befreit hat -, oder von Selbstporträts von Frida Kahlo.

Ein Selbstporträt ist vermeintlich harmlos gespickt mit zahllosen Bleistiften, die sich zum Strahlenkranz formieren. Das Ganze ist jedoch eine bittere Reminiszenz an die Apartheid-Zeit. Damals testete die Polizei die "Schwarzheit" einer Person, indem sie ihr Bleistifte ins krause Haar steckte. Fielen sie hinunter, galt die Person als weiß. Blieben sie stecken, war die schwarze Rasse erwiesen.

Der Weg ist ein langer und entbehrungsreicher gewesen, seit Velazquez 1650 seinen maurischen Assistenten, den Sklaven Juan de Pareja, zu dessen völliger, ihm auf dem Bild ins Gesicht gemalter Verblüffung im Habitus eines freien, spanischen Edelmanns porträtiert hat.

© Zanele Muholi, Yancey Richardson























Muholis Selbstporträts sind authentisch und artifiziell zugleich.
Im Vergleich zu frühen Arbeiten wie "Zol" (2002) hat Muholi den Farbton ihrer Haut hinsichtlich Sättigung und Kontrast bewusst dunkler inszeniert, dass er manchmal wie in der Sonne glänzendes Erdöl wirkt, dazu ihre Lippen weiß bemalt, um bewusst mit extremem Schwarz/Weiß und all den konventionellen, teils inkriminierenden Konnotationen zu spielen, die den Betrachtern dazu im Kopf herum geistern - um sie ihnen dann transformiert als Schönheit und Stärke zurückzuwerfen.
Der Prozess der Emanzipation bekommt hier eine geradezu alchimistische Dimension.

Auch wenn man sich bei einem Bier mit schwulen Freunden in der Berliner Kneipe "Möbel Olfe" weit von der in der Ausstellung dokumentierten Drastik der Problematik entfernt wähnt: Nicht nur ist Muholi 2017 in Berlin selbst auf der Straße attackiert worden - die Ausstellung betrifft alle, die sich bewusst sind, in einer Zeit zu leben, in der historisch diskriminierte Minderheiten ihre Stimme erheben um - wie Muholi sagt - ihr "eigenes Narrativ hervorzubringen, das über uns hinaus weiterlebt".

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de