Magazinrundschau
Blogger hassen Frauen
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
14.04.2009. In Eurozine wollen serbische Künstler nichts von ihrer Vergangenheit hören. Wie der Rock in Frankreich zum Symbol der Emanzipation wird, erzählt La vie des idees. In der Boston Review erklärt Jewgenij Morozov den Cyber-Utopisten, dass Blogger so antidemokratisch sein können wie alle anderen. Der Spectator wünscht sich ein muskulöses Christentum. In Beszelö sieht der Dichter Akos Györffy einen neuen Golem voraus. Papiergeld ist Konfetti, ruft der Börsenguru Marc Faber im NZZ-Folio. Im Guardian sitzt Douglas Adams heulend auf dem Bett.
Eurozine | Nepszabadsag | New York Review of Books | Spectator | Folio | Economist | City Journal | New York Times | La vie des idees | Boston Review | The Nation | Beszelö | Guardian | Point
Eurozine (Österreich), 03.04.2009
Vor einigen Wochen hat die kroatische Autorin Slavenka Drakulic in Eurozine erklärt, warum sie nicht nach Belgrad zurück möchte: Weil niemand dort über die Vergangenheit sprechen will, auch die jungen Menschen nicht. Statt dessen beschweren sie sich, dass sie kein Visum für EU-Länder bekommen. "Sicher", so Drakulic, "kann die junge Generation der Serben nicht für die Vergangenheit verantwortlich gemacht werden. Aber sie alle sind verantwortlich für ihre heutige Einstellung zur Vergangenheit".
Das hat stürmische Reaktionen hervorgerufen. Die Dramatikerin und Dichterin Milena Bogavac (geb. 1982) wirft ihr Überheblichkeit vor und höhnt: "Es muss nett sein, oh so nett, ein Moralapostel zu sein, an die Reinheit der eigenen Haltung zu glauben und die eigene Interpretation der Geschichte für die einzig mögliche, wahre und gerechte zu halten. So muss sich der Teenager, der später mein Großvater wurde, gefühlt haben, als er weglief, um Partisan zu werden. So muss Adolf Hitler sich gefühlt haben, ganz am Anfang seiner Karriere."
Der Maler und Schauspieler Uros Djuric (geb. 1964) findet Drakulic höchst ungerecht, weil sie alle Serben über einen Kamm schere. Der Maler Ljuba Popovic (geb. 1934) empört sich über Drakulics "widerliche, von Propaganda eingefärbte Sprache". Und die Verlegerin Natasha Markovic fragt, warum niemand über die Bomben spricht, die auf Serbien geworfen wurden.
Nur die Journalistin Danica Vucenic sympathisiert mit Drakulic und ruft ihren Landsleuten zu: Es reicht nicht zu sagen, ich war es nicht. Es reicht auch nicht zu sagen, es tut mir leid, aber ... (die Verbrechen gegen die Serben waren auch schlimm etc.) . "Wir kümmern uns wie immer um die Gefühle der anderen. Aber ich will mich um meine eigenen Gefühle kümmern, was die Vergangenheit angeht. Mein Problem ist, dass wir immer noch verstehen und erklären müssen, was in Srebrenica und im Kosovo passiert ist. Unglücklicherweise gibt es bei uns immer dieses 'aber'."
Das hat stürmische Reaktionen hervorgerufen. Die Dramatikerin und Dichterin Milena Bogavac (geb. 1982) wirft ihr Überheblichkeit vor und höhnt: "Es muss nett sein, oh so nett, ein Moralapostel zu sein, an die Reinheit der eigenen Haltung zu glauben und die eigene Interpretation der Geschichte für die einzig mögliche, wahre und gerechte zu halten. So muss sich der Teenager, der später mein Großvater wurde, gefühlt haben, als er weglief, um Partisan zu werden. So muss Adolf Hitler sich gefühlt haben, ganz am Anfang seiner Karriere."
Der Maler und Schauspieler Uros Djuric (geb. 1964) findet Drakulic höchst ungerecht, weil sie alle Serben über einen Kamm schere. Der Maler Ljuba Popovic (geb. 1934) empört sich über Drakulics "widerliche, von Propaganda eingefärbte Sprache". Und die Verlegerin Natasha Markovic fragt, warum niemand über die Bomben spricht, die auf Serbien geworfen wurden.
Nur die Journalistin Danica Vucenic sympathisiert mit Drakulic und ruft ihren Landsleuten zu: Es reicht nicht zu sagen, ich war es nicht. Es reicht auch nicht zu sagen, es tut mir leid, aber ... (die Verbrechen gegen die Serben waren auch schlimm etc.) . "Wir kümmern uns wie immer um die Gefühle der anderen. Aber ich will mich um meine eigenen Gefühle kümmern, was die Vergangenheit angeht. Mein Problem ist, dass wir immer noch verstehen und erklären müssen, was in Srebrenica und im Kosovo passiert ist. Unglücklicherweise gibt es bei uns immer dieses 'aber'."
La vie des idees (Frankreich), 13.04.2009
Christine Bard, Zeit- und Modehistorikerin, thematisiert in einem faszinierenden Essay die Schwierigkeiten französischer Mädchen, Rock zu tragen. Hiervon handelte bereits Isabelle Adjanis letzter Film "La journee de la jupe" (mehr hier), in dem Adjani als Lehrerin mit brachialen Mitteln einen "Tag des Rocks" an der Schule durchsetzen will: Die Mädchen sollen im Rock in die Schule kommen sollen, ohne von den Jungen als "Huren" beschimpft zu werden. Die Idee der "journee de la jupe" wurde vorher von einem Gymnasium in der Bretagne ins Leben gerufen. Hier offenbart sich laut Bard ein Feminismus mit umgekehrten Vorzeichen. Die Diskussion geht bis in höchste politische Kreise: "In Frankreich forderten die Mitarbeiter von der Erziehungsministerin Valerie Pecresse in einer Petition, dass sie aufhört, immer nur Hosen zu tragen. Die Ministerin versprach, einen Versuch zu machen. Dieser Vorfall, der sich wie ein Aprilscherz anhört, ist bezeichnend: Die Hose ist ein unglaublicher Indikator für die Analyse der Beziehung zwischen den Geschlechtern, denn sie ist ein Machtsymbol. Heißt es nicht 'die Hosen anhaben'?" Am Ende plädiert auch Bard für einen "Tag des Rocks" - aber für beide Geschlechter!
Boston Review (USA), 01.04.2009
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q79/A23703/boston.jpg)
The Nation (USA), 27.04.2009
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q25/A23705/nation.jpg)
Außerdem: Michael O'Donnell bespricht Fred Strebeighs (Website) große Studie "Equal -Women Reshape American Law" über die Rolle von Juristinnen in den USA bei der Gleichstellung von Frauen in Justiz und Gesellschaft.
Beszelö (Ungarn), 01.03.2009
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q97/A23724/beszelo.jpg)
Guardian (UK), 11.04.2009
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q75/A23704/guardian.jpg)
Und hier die Spitting-Image-Sendung zum Wahlsieg der Konservativen 1987 - falls Sie Bob Fosses Film "Cabaret" kennen, wird Ihnen die Szene vertraut vorkommen:
Außerdem: Germaine Greer zeichnet ein scharfes und wenig schmeichelhaftes Porträt Thatchers (man denkt allerdings unwillkürlich, dass ein ähnlich scharfes Porträt von Tony Blair schlicht unmöglich wäre.) Philip Hensher beschreibt, wie die britische Literatur auf Thatchers Wahlsieg 1979 reagierte.
Point (Frankreich), 09.04.2009
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q39/A23710/point.jpg)
Nepszabadsag (Ungarn), 11.04.2009
Die Diktatur hat jede authentische Gemeinschaftlichkeit erstickt und darum paradoxerweise das Individuum gefördert, meint der Verhaltensforscher Vilmos Csanyi: "Deshalb waren wir lange Zeit die Musterschüler der Wende, weil plötzlich alles mitgenommen werden konnte; und wer gerade zugegen war, der nahm es auch mit, und der Rest beginnt erst jetzt zu verstehen, dass hier ein riesengroßer Schwindel geschah. Die Gemeinschaften wurden an der großen Verteilungsaktion nicht beteiligt. Dabei sind es gerade die kleinen Gemeinschaften, in denen sich das Bewusstsein der Gesellschaft gestaltet, dort kann jeder erlernen, dass ihm nicht nur etwas zusteht, sondern dass er auch Verpflichtungen hat - dort entwickelt sich die Regierbarkeit einer Gesellschaft."
New York Review of Books (USA), 30.04.2009
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q20/A23702/nyrb.jpg)
J.M. Coetzee ist fasziniert von der ganz vorbildlichen Ausgabe der Briefe Samuel Becketts aus den Jahren 1929 bis 1940: "Wanderungsbewegungen von Künstlern stehen nur grob in Verbindung mit den Schwankungen der Wechselkurse. Trotzdem ist es kein Zufall, dass Beckett 1937, nach der neuerlichen Abwertung des Franc, Irland verließ, um wieder nach Paris zu gehen. Das Geld ist ein immer wiederkehrendes Thema in seinen Briefen, besonders zum Ende eines Monats hin. Seine Briefe aus Paris sind voller ängstlicher Notate darüber, was er sich leisten kann und was nicht (Hotelzimmer, Essen). Auch wenn er niemals hungerte, lebte er eine feinere Version von der Hand in den Mund. Bücher und Bilder waren sein einziger persönlicher Luxus. In Dublin lieh er sich dreißig Pfund, um ein Bild von Jack Butler Yeats zu kaufen, dem Bruder von William Butler Yeats. In München kaufte er sich die kompletten Werke von Kant in elf Bänden."
Weiteres: Der Historiker Orlando Figes stellt die Memoiren des Herausgebers der Yale University Press, Jonathan Brent, vor, "Inside the Stalin Archives", der erzählt, wie er sich für die große Edition "Annals of Communism" in die sowjetischen Archive begab, deren Leiter meist wichtige Dokumente an Historiker und Journalisten verkauften und so zu ganz unbescheidenem Wohlstand kamen. Figes findet auch einige deutliche Worte zu den jüngsten Schikanen der russischen Obrigkeit gegen die Organisation Memorial. (Anne Applebaum hat über diese Ausgabe in Slate geschrieben.) David Hare macht sich einige grundlegende Gedanken über Israels Mauer und die irritierende Tatsache, dass ein Großteil der Israelis dafür ist: "Haben Sie je erlebt, dass 84 Prozent einer Bevölkerung für etwas sind?" Und Hilary Mantel setzt sich mit Marilyn Frenchs vierbändiger "Geschichte der Frauen" auseinander.
Spectator (UK), 11.04.2009
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q62/A23701/spectator.jpg)
Folio (Schweiz), 01.04.2009
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q8/A23694/nzz.jpg)
Außerdem: Der weltweite Goldbestand beträgt ca. 153.000 Tonnen, ein Würfel mit einer Kantenlänge von 20 Metern, berichtet der Schriftsteller Wolf Schneider in seiner Geschichte des Goldes. Anja Jardine forscht bei e-bay nach alten Eheringen und besonders nach dem Angebot "Brigitte 28.7.62", einem Ring, der nach einer 30jährigen Reise über Güllefelder, Möhren und Futtertröge zurück zu seinem Träger fand. Bernhard Bartsch besuchte Zhaoyuan, eine Goldgrube in China, dem größten Goldproduzenten der Welt.
In seiner Duftnote prophezeit Luca Turin das Ende der Kunst der Parfümerie: Am "1. Januar 2010 wird sie offiziell tot sein. Dann wird der Zusatzartikel 43 der International Fragrance Association IFRA in Kraft treten, und alle auf dem Markt befindlichen Düfte, ob alt oder neu, müssen diesen Richtlinien folgen, oder sie verstoßen gegen geltendes EU-Recht. Aus den zahllosen Katastrophen, die damit über die Parfumerie hereinbrechen, möchte ich eine herausgreifen: Eichenmoos."
Economist (UK), 10.04.2009
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q14/A23706/economist.jpg)
Außerdem geht es unter anderem um die bedenklich sinkenden Einschaltquoten bei den großen US-Nicht-Kabel-Sendern ABC, NBC, CBS und Fox. Besprochen werden neue Bücher zur Klimakrise, eine Dorothy-Wordsworth-Biografie, Alaistair Crookes für den Rezensenten schwer erträglicher Versuch, gute Gründe für den islamistischen Widerstand gegen den Westen zu finden, und die Ausstellung "Baroque: Style in the Age of Magnificence" im Victoria and Albert Museum.
City Journal (USA), 01.04.2009
Andre Glucksmann sieht die Finanzkrise als Exzess eines von Finanzleuten, aber auch Politikern und Medien verkörperten postmodernen Denkens nach dem Mauerfall: "Alle Teufel schienen tot zu sein. Marktwirtschaft hat immer schon Güter relativiert, weil sie sie tauschbar machte, und sie hat das Gute relativiert, weil sie seine vielfältigen Erscheinungsformen tolerierte. Aber unser Zeitalter ist das erste, das glaubte, das Risiko durch weltweite Streuung auf null reduzieren zu können. Es ist das lächelnde Regime des 'positiven Denkens' - mit katastrophalen Konsequenzen."
New York Times (USA), 12.04.2009
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q12/A23713/nyt.jpg)
In der Sunday Book Review widmet sich Michael Meyer den sechs- bis siebenstelligen Vorschüssen, die Verlage mittlerweile ihren Autor zahlen, obwohl höchstens drei von zehn Büchern einen entsprechenden Gewinn abwerfen. "Vorschussneid ist weit verbreitet: 'Autoren, die nicht einmal ihre eigene Sozialversicherungsnummer wissen, können auf den Penny genau beziffern, was für einen Vorschuss ihre Nemesis bekommen hat', sagt Elissa Schappell, unter anderem Herausgeberin der Anthologie 'Money Changes Everything', in einer Email."
Eurozine | Nepszabadsag | New York Review of Books | Spectator | Folio | Economist | City Journal | New York Times | La vie des idees | Boston Review | The Nation | Beszelö | Guardian | Point
Kommentieren