Magazinrundschau
Wie ein Frühling im Winter
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
25.01.2011. Im Blog von Farrar, Straus und Giroux denkt die Lyrikerin Gjertrud Schnackenberg über Pentameter, Bach und Carl Sagan nach. In der Literary Review liest Simon Sebag Montefiore fasziniert die Erinnerungen eines Gulagkommandanten. In Salon.eu.sk analysiert Laszlo Földenyi die antidemokratische Mentalität der Ungarn. In Eurozine diskutieren Kenan Malik und Fero Sebej über den Multikulturalismus. Al Ahram, Newsweek, Nation, Le Monde und der New Yorker denken über Tunesien nach. The New Republic liest eine Dietrich-Bonhoeffer-Biografie.
Work in Progress (USA), 16.01.2011
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Espresso (Italien), 21.01.2011
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q17/A29832/espresso.jpg)
Literary Review (UK), 01.02.2011
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Salon.eu.sk (Slowakei), 18.01.2011
In der englischen Übersetzung eines im Original in Elet es Irodalom erschienenen großen Aufsatzes stellt der Essayist Laszlo Földenyi die von Liberalismus und Demokratie weit entfernte Gegenwart Ungarns vor den finsteren Horizont von Jahrzehnten Diktatur, Korruption und Antisemitismus: "Nach 1945 nannte das kommunistische Regime die Juden nicht beim Namen, schwieg zur bereitwilligen Kooperation Ungarns mit der nazistischen Vernichtungsmaschinerie und kehrte alles unter den Teppich, statt sich den Fakten zu stellen. Die Horthy-Periode war charakterisiert durch eine antidemokratische Mentalität, die zynische Umgehung des Justiz- und Institutionensystems, die Unterdrückung individueller Initiative und die komplette Verachtung für alle Spielregeln. Und Kadar und seine Kameraden machten genau da weiter und setzten das manipulative Spiel sehr geschickt fort. Die Kultur der Verantwortungslosigkeit und Amnesie hat sich als mächtiger denn alles andere erwiesen. Ja, ich glaube, wir befinden uns noch immer mitten darin. Es sieht ganz so aus, als hätte diese jahrhundertealte Mentalität die Veränderungen von 1989 unbeschadet überlebt. Es hat den Anschein, als sollte sie - angereichert mit einem Rassismus, der manchmal offen, manchmal verdeckt in eine politische Kraft verwandelt auftritt - weiterhin dafür sorgen, dass sämtliche Voraussetzungen einer liberalen Demokratie im Keim erstickt werden."
Prospect (UK), 15.12.2010
In einem Denkstück zur Aktualität des Marxismus plädiert James Purnell auf nicht sonderlich originelle Weise für die Erneuerung der Sozialdemokratie. Interessanter ist seine Deutung der Finanzkrise, die er keineswegs als Krise des Kapitalismus per se begreift: "Die jüngste Kreditkrise war keine Krise des Kapitalismus; sie war eine Krise der westlichen Finanzmärkte. Dem Kapitalismus geht es bestens in China, Indien, Brasilien und Deutschland. Außerdem war der Totalitarismus eine genauso wichtige Ursache der Krise wie der Kapitalismus. Es war das Demokratiedefizit in China und anderswo, das die Ersparnisschwemme verursachte, die als Tornado durch den US-Eigentumsmarkt jagte. Wäre China eine Demokratie, könnten die Arbeiter ihren gerechten Anteil an ihrer Produktivität einfordern; der chinesische Konsum würde steigen und die Sparquote würde fallen. Wäre das von Singapur bis Dubai genauso, dann hätte es diese gewaltige Cash-Menge gar nicht gegeben, die die westlichen Banken in die von den subprime-gestützten Phantom-Finanzguthaben eingespeist und so die Krise ausgelöst haben."
Eurozine (Österreich), 18.01.2011
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Times Literary Supplement (UK), 05.01.2011
Kate Merkel-Haas liest eine Studie von Yunte Huang über die einst höchst erfolgreiche Kriminalroman- und Film-Serie um den chinesischstämmigen Ermittler Charlie Chan. Wie rassistisch diese Erfindung, im Film von einem Schweden dargestellt, war, steht zur Debatte. Und dass Charlie Chan eine uramerikanische Figur war, hält Merkel-Haas mit Huang für evident. Umso interessanter die Reaktionen in seiner angeblichen Heimat: "Huangs Analyse von Chans Filmkarriere schließt mit einem Kapitel über die Aufnahme der Figur in China selbst. Anders als Anna May Wong, eine chinesisch-amerikanische Schauspielerin, die vom chinesischen Publikum wenig Zuneigung erfuhr (weil sie als indezent galt), war der schwedische Schauspieler Warner Oland, der Chan spielte, in China so populär, dass Filmstudios in China und Hongkong ihre eigenen Versionen der Filme zu produzieren begannen. Wie Huang schreibt, war das 'der letzte Schritt des 'Yellowface' [also des Umschminkens von westlichen Darstellern, Anm. PT]: Ein tatsächlicher Chinese imitiert die Chinesen-Imitation eines Schweden.'"
Und im neuen TLS werden besprochen die Geschichte einer Familie aus der irakischen Oberschicht, die englische Übersetzung von Roland Barthes' "Die Vorbereitung des Romans" und fünf neue Anthologien zu Borges.
Und im neuen TLS werden besprochen die Geschichte einer Familie aus der irakischen Oberschicht, die englische Übersetzung von Roland Barthes' "Die Vorbereitung des Romans" und fünf neue Anthologien zu Borges.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 20.01.2011
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Außerdem: Dina Ezzat hat einige Reaktionen von Diplomaten auf die Ereignisse in Tunesien gesammelt: Bei uns wird das nicht passieren, sagen die arabischen Diplomaten. Das natürlich, so ein westlicher Diplomat, dachte Bin Ali vor vier Wochen auch. Und auch sonst war niemand vorbereitet: "nicht die Franzosen, nicht die Amerikaner, niemand".
Newsweek (USA), 23.01.2011
Wird der Funke des Aufstands in Tunesien auf andere Staaten überspringen? Das wird sich heute in Ägypten zeigen, meint Mike Giglio. Denn in Kairo soll es an diesem Dienstag einen Protestmarsch geben, der an die Ermordung des ägyptischen Händlers Khaled Said durch Polizisten im letzten Sommer erinnert. Said hatte in seinem Blog ein Video veröffentlicht, auf dem Polizisten beschlagnahmte Drogen unter sich aufteilten. Kurz nach seiner Ermordung entstand die Facebook-Seite "We Are All Khaled Said", die sich schnell zum Sammelbecken für Menschenrechtsaktivisten entwickelte. "Nachdem die Demonstranten in Tunesien den autokratischen Präsidenten des Landes vertrieben hatten, schlug 'We Are All Khaled Said' einen agressiveren Ton an. Innerhalb von Tagen rief die Webseite zu einer großen Demonstration am heutigen Dienstag in Kairo auf. Die Forderungen reichen von der Beendigung der Polizeibrutalität über die Erhöhung des Mindestlohns auf 180 Dollar monatlich bis zur Auflösung des Parlaments. Der Administrator der Seite ... erklärte Newsweek: Die Ereignisse in Tunesien 'haben uns alle mit Hoffnung erfüllt, dass die Dinge sich ändern können.'"
The Nation (USA), 07.02.2011
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Le Monde (Frankreich), 23.01.2011
Die Revolution in Tunesien ist das beherrschende Thema dieser Tage in den französischen Medien. In Le Monde beklagt die tunesische Regisseurin Myriam Marzouki zwanzig Jahre des Schweigens und der Lügen über das Regime von Ben Ali. Ausführlich zitiert sie aus tunesischen Medien, die das Land zu einem "modernen, glaubwürdigen" Staat hochgejubelt hätten. "Diese absurde und hohle Sprache aus einem geschlossenen Land wurde unterstützt durch ihr Echo im Ausland, ganz besonders in Frankreich, durch den Diskurs zahlreicher politischer Verantwortlicher, Medien und einflussreicher Leitartikler. ... Die Geschichte der französischen Beziehungen zu Tunesien in den letzten zwanzig Jahren ist die einer vorsätzlichen Blindheit, einer Akzeptanz all der kitschigen Zeichen einer Ramsch-Demokratie. Das Ende der tunesischen Diktatur spiegelt eine Groteske wider, die man als 'Operetten-Diktatur' bezeichnen könnte, wenn nicht so viele Männer und Frauen ein viertel Jahrhundert lang den Preis einer wahrhaftigen Unterdrückung gezahlt hätten."
Der Schriftsteller Tahar Ben Jelloun wirft in seinem Beitrag auch einen Blick auf die Länder Ägypten, Algerien und Lybien, in denen ähnliche Zustände herrschen wie bis vor kurzem in Tunesien. "Man könnte sagen, Gott habe diese Länder verflucht und sie brutalen und grausamen Puppenspielern überlassen, bis zu dem Tag, an dem das Feuer der Gerechtigkeit auf den Straßen ausbricht, wie ein Frühling im Winter."
Noch ein Hinweis: In Telerama untersucht Jean-Baptiste Roch, ob in Tunesien ein Cyber-Krieg ausgebrochen ist, in dem sich Regierungsstellen und aktivistische Hacker mit der Sperrung und Blockierung von Webseiten bekämpfen.
Der Schriftsteller Tahar Ben Jelloun wirft in seinem Beitrag auch einen Blick auf die Länder Ägypten, Algerien und Lybien, in denen ähnliche Zustände herrschen wie bis vor kurzem in Tunesien. "Man könnte sagen, Gott habe diese Länder verflucht und sie brutalen und grausamen Puppenspielern überlassen, bis zu dem Tag, an dem das Feuer der Gerechtigkeit auf den Straßen ausbricht, wie ein Frühling im Winter."
Noch ein Hinweis: In Telerama untersucht Jean-Baptiste Roch, ob in Tunesien ein Cyber-Krieg ausgebrochen ist, in dem sich Regierungsstellen und aktivistische Hacker mit der Sperrung und Blockierung von Webseiten bekämpfen.
New Yorker (USA), 31.01.2011
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Weiteres: Al Dschasira hat in diesem Monat seine eigene Wikileaksseite eingerichtet, Transparency Unit, und schon den ersten Hit gelandet: die sogenannten Palästina-Papiere (mehr dazu im Guardian), berichtet Raffi Khatchadourian, der sich fragt, was es für Wikileaks bedeutet, wenn Medien jetzt eigene Angebote für Whistleblower haben. Ben McGrath überlegt, ob Football angesichts seiner immer unakzeptabler erscheinenden Brutalität noch eine Zukunft hat. Elizabeth Kolbert bespricht Amy Chuas stark diskutiertes Buch "Battle Hymn of the Tiger Mother" über die Vorteile einer strengen Erziehung. Und Anthony Lane sah im Kino Peter Weirs Drama "The Way Back" über eine Gruppe Häftlinge, die im Zweiten Weltkrieg aus einem sibirischen Lager fliehen, und "Biutiful?, den neuen Film von Gonzales Inarritu.
Polityka (Polen), 21.01.2011
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Point (Frankreich), 20.01.2011
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In seinen Bloc-notes bewundert Bernard-Henri Levy auch die formale Schönheit der tunesischen Revolution: "Dreiunddreißig Tage Demonstrationen für dreiundzwanzig Jahre Terror: Das ist nicht, wie es heißt, ein Wunder; es ist logisch; ein Mechanismus; und schön wie der reinste, der unerbittlichste Mechanismus."
New Republic (USA), 03.02.2011
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Bisher hat sich Nicholas Carr immer gefragt, ob Marshall McLuhan "ein Genie war oder eine Schraube locker hatte", besonders bizarr findet er diese Fernsehdebatte mit Norman Mailer. Seit Douglas Couplands Biografie weiß er jetzt: Beides ist nicht von der Hand zu weisen: "McLuhans Gehirn muss wohl am milden Ende des Autismus-Spektrums angesiedelt werden. Er litt auch an einer Reihe größerer Gehirntraumata. 1960 erlitt er einen so schweren Gehirnschlag, dass ihm die letzte Ölung gegeben wurde. 1967, nur wenige Monate vor der Debatte mit Mailer, entfernten Chirurgen aus seinem Gehirn einen Tumor von der Größe eines Apfels."
HVG (Ungarn), 15.01.2011
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New York Review of Books (USA), 10.02.2011
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Weiteres: In einem aus dem Buch "Justice for Hedgehogs" übernommenen Essay denkt Ronald Dworkin über das gute Leben nach. Orhan Pamuk hadert in einem kurzen Artikel mit Europa. Besprochen werden Tony Judts Essaysammlung "Memory Chalet" und James Kaplans Sinatra-Roman "Frank: The Voice".
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