Magazinrundschau - Archiv

The New York Review of Books

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Magazinrundschau vom 26.10.2021 - New York Review of Books

Mit immer groteskeren Mitteln klammern sich Daniel Ortega und seine Frau Rosario Murillo in Nicaragua an die Macht. Vor den Wahlen am 7. November wurde alle Gegenkandidaten von den Listen gestrichen oder gleich ins Gefängnis geworfen. Und vor allem schonen Ortega und Murillo auch nicht die alten sandinistischen Kampfgefährten, wie Alma Guillermoprieto erzählt: "In Nicaragua kursieren Spekulationen, dass Ortega mit seinen 76 Jahren schon längst dement sei und völlig unfähig zu regieren: Bei seinen seltenen Auftritten erscheint er oft verwirrt und tatterig. Vielleicht hat er auch schon vergessen, was in der Nacht vom 27. Dezember 1974 geschah: Kurz vor Mitternacht stürmten dreizehn Mitglieder der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), einer kleinen Rebellengruppe, die den bewaffneten Kampf gegen den rechten Diktator Anastasio Somoza aufgenommen hatte, eine Party, die zu Ehren des amerikanischen Botschafters in Nicaragua gegeben wurde. Der Botschafter war bereits gegangen, aber viele von Somozas Würdenträger waren noch da. Diese Gesellschaft - darunter José María Catillo, ein Minister verschiedener Ressorts, Somozas Onkel, der lange in Washington als Botschafter des Landes fungiert hatte, ein oder zwei weitere Botschafter, noch ein Minister, die Gattinnen - wurden Geiseln der Rebellen. Es war ein außergewöhnlicher Coup der Guerilla, wenn man bedenkt, dass nur einige wenige des Kommandos gestandene Kämpfer waren; die anderen waren Jugendliche mit wenig oder gar keiner Erfahrung. Nur wenige Sandinisten des Trupps sollten die Kämpfe überleben, die schließlich zum Sturz Somozas im Juli 1979 führten, aber zu ihnen gehörte Hugo Torres, der Stellvertretende Kommandeur der Operation, früherer Jurastudent von 26 Jahren mit einem verschmitzten Auftreten und einem Hang zu tollkühnen Taten. Angesichts dieser Geiselnahme, die seine eigene Familie betraf, erklärte sich Somoza mit Verhandlungen einverstanden. Schon am folgenden Tag versprach er eine Million Dollar Lösegeld, die Verlesung eines FSLN-Kommuniqués und - am wichtigsten -  der Freilassung von vierzehn sandinistischen Gefangenen. Zu denen, die Torres und seinen Gefährten auf ewig ihre Freiheit verdanken würden, war ein ernster 29-jähriger Militanter namens Daniel Ortega, der bis dahin den Großteil seines jungen Erwachsenenlebens damit verbracht hatte, in einem von Somozas schrecklichen Gefängnissen zu schmoren. Die Zeiten ändern sich: Ortega wird sich demnächst als Präsident wiederwählen lassen, und der Mann, der ihn einst befreite, Hugo Torres, ist jetzt 73 Jahre alt und Ortegas Gefangener."

Magazinrundschau vom 05.10.2021 - New York Review of Books

Künstliche Intelligenz kommt nicht als "deus ex machina" über uns, weiß Sue Halpern und liest in Kate Crawfords "Atlas of AI" nach, welche Kosten sie für den Planeten verursacht: Auch KI gründet auf Ausbeutung und führt zu gigantischen CO2-Emissionen, lernt Halpern, vor allem aber reproduziert sie Vorurteile und Stereotype. Letzteres liegt an den Daten, mit denen Entwickler die Systeme füttern: "Historische Daten haben zum Beispiel das Problem, dass sie historische Muster widerspiegeln und verstärken. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein so genanntes Talentmanagementsystem, das vor einigen Jahren bei Amazon entwickelt wurde. Ziel war es, die Einstellung potenzieller Software-Ingenieure durch ein KI-System zu automatisieren, indem es Hunderte von Lebensläufen sortierte und so bewertete, wie Amazon-Käufer Produkte bewerten. Die KI wählte die Bewerber mit der höchsten Punktzahl aus und lehnte den Rest ab. Als sich die Entwickler die Ergebnisse ansahen, stellten sie jedoch fest, dass das System nur Männer empfahl. Das lag daran, dass das KI-System mit einem Datensatz von Amazon-Lebensläufen von Mitarbeitern trainiert worden war, die das Unternehmen in den letzten zehn Jahren eingestellt hatte und die fast alle Männer waren. In seiner überraschend anschaulichen Untersuchung der KI-Regulierung 'We, the Robots?', verweist der Rechtswissenschaftler Simon Chesterman auf die Prüfung eines anderen Programms zur Lebenslaufkontrolle, bei der festgestellt wurde, dass 'die beiden wichtigsten Faktoren, die auf die Arbeitsleistung hinweisen, der Name Jared und die Tatsache sind, dass man in der High School Lacrosse gespielt hat.' Verzerrung kann auch auf andere Weise unbeabsichtigt in KI-Systeme einfließen. Eine Studie, in der die drei wichtigsten Gesichtserkennungssysteme untersucht wurden, ergab, dass sie in nur einem Prozent der Fälle das Geschlecht nicht erkennen konnten, wenn es sich um einen weißen Mann handelte. Handelte es sich jedoch um eine dunkelhäutige Frau, so lag die Fehlerquote bei zwei der Unternehmen bei fast 35 Prozent und bei dem dritten bei 21 Prozent. Dies war kein Fehler. Die Entwickler der Algorithmen trainierten ihre Algorithmen auf Datensätzen, die hauptsächlich aus Menschen bestanden, die ihnen ähnlich sahen."

Magazinrundschau vom 14.09.2021 - New York Review of Books

Nicht nur für Feministinnen war die Kontrolle des Bevölkerungswachstums lange Zeit tabu. Doch jetzt setzen vor allem amerikanische Klima- und Umweltschützer wieder darauf, selbst die hippe New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez fragte, ob es noch okay sei, Kinder zu bekommen. Dabei gibt es kein einziges Modell, das Klimafolgen allein auf die Zahl der Menschen zurückführt, lernt Anna Louie Sussman in Jade Sassers Streitschrift gegen die neuen Malthusianer,"On Infertile Ground". Und mehr noch: "Das Argument, dass Bevölkerungskontrolle den Klimawandel aufhalten kann, hat seinen Reiz, aber es übersieht etliche so unangenehme wie offensichtliche Tatsachen. Eine ist, dass Menschen in geradezu absurd unterschiedlichem Maße konsumieren, auch wenn wachsende Lebensstandards in den aufstrebenden Ländern, vor allem der Eliten dort, zu wachsendem Konsum führen. Der CO²-Verbrauch pro Kopf lag 2017 in den USA bei 16,16 Tonnen, verglichen mit 0,15 Tonnen in Madagaskar, wo Sasser die Familienplanungsprogramme von Umweltschutzverbänden untersuchte. Zudem sind ausgerechnet die Länder mit dem höchsten Verbrauch auch die Länder, wo die Fertilität auf oder unter die Reproduktionsrate gefallen ist. Doch anstatt diesen Trend zu begrüßen, versucht die Politik in diesen Länder, ihn umzukehren, aus Angst vor einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und unterfinanzierten Rentensystemen... Nun Programme zu rechtfertigen, die Frauen vom Kinderkriegen abbringen sollen, weil sie vielleicht zu nah an bestimmten Landschaften leben, bedeutet, die Schuld nicht bei den verheerenden Logiken zu suchen, sondern bei den Individuen. Die Meeresschutz-Organisation Blue Ventures zum Beispiel setzt sich für Biodiversität an der Westküste von Madakaskar ein, betont die Bedeutung des 'menschlichen Stressfaktors' für die Küsten und betreibt deshalb Familienplanung in den dortigen Gemeinden. Aber was ist die größere Bedrohung für Madagaskars Küsten: Große Familien oder die globale Nachfrage nach Meeresfrüchten?"

Vielleicht sind gar nicht Afghaninnen und Afghanen an der Demokratie gescheitert, sondern die USA, überlegt Fintan O'Toole in gewohnter Eloquenz: "Von Beginn an lag das grundlegende Problem des amerikanischen Einsatzes in Afghanistan in den Defiziten der amerikanischen Demokratie. Eine gut funktionierende Republik fällt ihre Entscheidungen - besonders solche über Krieg und Frieden - mit einem offenen Prozess rationaler Überlegung. Sie stellt naheliegende Fragen: Was tun wir? Warum tun wir es? Was sind die finanziellen und menschlichen Kosten? Was ist der Nutzen? Wann wie wird es enden? Die Ursünde des Afghanistankrieges - für die nie gebüßt wurde - war das Versagen der politischen Institutionen in den USA, die grundlegendsten Standard einer kritischen Selbstbefragung zu erfüllen."

Magazinrundschau vom 02.02.2021 - New York Review of Books

Leo Rubinfien, selbst Fotograf, der lange in Japan gelebt hat, bespricht dieses gigantische Fotobuch der Fotobücher (Bilder), das nebenbei die Geschichte der japanischen Fotografie erzählt. Die interessanteste Zeit, so Rubinfien, ist ganz klar die Nachkriegszeit bis in die Siebziger. Aber das berühmteste aller Fotobücher, Masahisa Fukases "Raben" (Neuauflage), ist erst aus dem Jahr 1986. Und danach kam dann doch noch eine ganz neue Generation, darunter viele Fotografinnen wie Rinko Kawauchi und Mayumi Suzuki. Japan hat Fotografen in der ganzen Welt mit der Idee des Fotobuchs inspiriert. Aber warum? "Fast überall auf der Welt arbeiten Fotografen mit künstlerischen Absichten sowohl für die Wand als auch fürs Papier, aber während die Westler lange Zeit die Museen im Sinn hatten, haben die Japaner es weitgehend vorgezogen, Bücher zu publizieren. Warum hat sich in Japan die Kultur des Fotobuchs so energisch entwickelt? Die übliche Erklärung beginnt mit der Architektur. Da die Wände in den älteren japanischen Häuser vor allem aus Schiebetüren bestehen, haben sie kaum Platz für Bilder, und Kunstsammler, haben aus Mangel an Präsentationsmöglichkeiten Schränke und Gewölbe gefüllt, aus denen eine wertvolle Keramik oder ein Bild herausgeholt werden, um es nur einen Nachmittag lang zu betrachten."

Magazinrundschau vom 17.11.2020 - New York Review of Books

Ob Frauenrechte und insbesondere Abtreibungsrechte in den USA gewährleistet sind, hängt weniger vom Supreme Court ab als von den einzelnen Bundesstaaten, erklärt Madeleine Schwartz. Und die haben Abtreibungen vielfach nicht nur praktisch unmöglich gemacht, sie sind auch zunehmend darauf aus, Frauen vor Gericht zu zerren, die wegen angeblich persönlichen Fehlverhaltens eine Fehlgeburt erlitten haben. Betroffen sind vor allem arme Frauen: "Unser Rechtssystem ist mehr und mehr gegen sie aufgestellt. Da die Müttersterblichkeit, oft aufgrund einer Kombination aus Armut und einem kaputten Gesundheitssystem, zugenommen hat - und die Müttersterblichkeit in den USA ist bereits sehr viel höher als in den meisten Industrieländern, insbesondere unter schwarzen Frauen -, haben Politikerinnen den rechtlichen Schutz von Föten gesetzlich verankert. Jedes Jahr werden fast ein Dutzend solcher Gesetze erlassen. Die Regierung verfolgt Frauen immer eifriger - sei es, weil sie Abtreibungen vornehmen lassen oder den Zugang zu Abtreibungen erleichtern oder einfach einen Schwangerschaftsverlust erleiden, der die Vorstellung der Staatsanwälte vom Verlauf einer Schwangerschaft sprengt. ... Bei vielen Frauen, die schwanger sind, gilt jedes Problem oder jeder Verlust, der auftritt, potenziell als eine kriminelle Handlung. Jahrzehntelang waren schwarze und braune Frauen das Ziel der Gesetze für die Gefährdung von Föten; diese Fälle fanden in der Presse relativ wenig Beachtung. Laut Lynn Paltrow, der Gründerin und leitenden Anwältin der NAPW, sind es jetzt weiße Frauen, die Drogen konsumiert haben, die mit größerer Wahrscheinlichkeit verhaftet werden. 'Seit 2005 sind die meisten Verhafteten Frauen mit niedrigem Einkommen, weiße Frauen vom Land', sagt sie, fügt jedoch hinzu, dass schwarze und braune Mütter im gesamten Strafrechtssystem nach wie vor unverhältnismäßig stark ins Visier genommen werden."

Magazinrundschau vom 10.11.2020 - New York Review of Books

Die mexikanische Schriftstellerin Valeria Luiselli schreibt anlässlich einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York in einem sehr schönen Essay über die Fotografien von Dorothea Lange. Ein großer Teil ihres Werks war jahrzehntelang unbekannt oder gar unter Verschluss, zu ungemütlich, zu brutal, zu entlarvend waren ihre Fotografien, von denen viele in staatlichem Auftrag entstanden. Etwa von den Farmern, die in den großen Staubstürmen in den Dreißigern ihr Land verloren. Langes Fotografien sind in dem Buch "An American Exodus" versammmelt, unterlegt von Zitaten der Fotografierten, die ihr Ehemann, der Agrarökonom Paul Taylor gesammelt hatte. Das Buch "lässt uns die frühen Ruinen des amerikanischen Kapitalismus und die von ihm verwüsteten Körper sehen und fast hören. Die Kombination von Bildern und Worten - wobei die Worte die Stimmen der porträtierten Personen waren und nicht die autoritative Stimme des Künstlers, Kurators oder Herausgebers - war eine Möglichkeit, die Dokumentarfotografie als ein Vehikel für eine Vielzahl von Stimmen zu verstehen. In gewisser Weise nimmt Langes Methode die zeitgenössischer Journalisten wie Swetlana Alexijewitsch vorweg: Ihre Dokumentationsart hat eine chorische Qualität - eine Sammlung von Stimmen, die in verschiedenen Tönen und mit unterschiedlichen Texturen über ein gemeinsames Anliegen sprechen."

Magazinrundschau vom 20.10.2020 - New York Review of Books

Dass der amerikanische Justizminister William Barr Falschmeldungen Donald Trumps - etwa über angeblich massenhaften Wählerbetrug durch Briefwahl - unterstützt, wundert Fintan O'Toole überhaupt nicht. Denn Barr glaubt nicht an das Recht, er glaubt an die Macht, meint der irische Journalist in einem großen Porträt Barrs. "Seit Beginn seiner politischen Karriere in der Regierung von George H.W. Bush, in der er als Mitarbeiter des Generalstaatsanwalts, stellvertretender Generalstaatsanwalt und schließlich als Generalstaatsanwalt tätig war, war es Barrs größtes Anliegen, die Rechte einer quasi päpstlichen Präsidentschaft durchzusetzen. In einem für das Protokoll bestimmten Interview mit dem Miller Center der Universität von Virginia erinnerte Barr daran, dass er in die Regierung geholt wurde, um das Büro des Rechtsberaters zu leiten, weil der Leiter von Bushs Übergangsteam, Boyden Gray, 'darauf bedacht war, jemanden in diese Position zu bringen, der an die Exekutivgewalt glaubte'. 'Glaubte an' ist hier entscheidend. Barrs Verständnis von exekutiver Autorität ist ebenso wenig ein Ergebnis verfassungsrechtlicher Argumentation wie die Annahme der Unfehlbarkeit des Papstes durch einen eifrigen Katholiken das Ergebnis einer kühlen biblischen Analyse ist. Es ist eine Frage des Glaubens. Barr erklärte in diesem UVA-Interview, warum er glaubte, dass Bush das Recht habe, nach dem Einmarsch in Kuwait einen Krieg gegen den Irak zu führen, ohne die Zustimmung des Kongresses einzuholen: 'Erstens glaubte ich, dass der Präsident keine Genehmigung des Kongresses benötigte und er verfassungsmäßig befugt war, einen Angriff gegen die Iraker zu starten. Aber ich wusste auch, dass es keine große Rolle spielte, was ich dachte, denn das war es, was er tun würde. Er glaubte, er habe die Autorität dazu, und das ist letztlich wichtiger als das, was ich glaube.' Was Barr damit sagen will, ist, dass, selbst wenn er geglaubt hätte, dass Bush allein keinen Krieg erklären konnte, das keine Rolle gespielt hätte. Entscheidend ist, was der Präsident glaubt. Wenn er Vertrauen in seine eigene Autorität hat, ist es die Aufgabe seiner Anwälte, dieses Vertrauen nicht in Frage zu stellen, sondern zu verteidigen. Das ist es, was Barr zum perfekten Wegbereiter des Autoritarismus macht. In seinen Augen schränkt das Gesetz den Willen des Präsidenten nicht ein, sondern dient ihm vielmehr."

Magazinrundschau vom 13.10.2020 - New York Review of Books

Niemand hat Jordanien eine große Überlebenschance gegeben, weiß Ursula Lindsey: Das Königreich liegt eingekeilt zwischen Israel und Saudi-Arabien, besteht fast nur aus Wüste und Flüchtlingen und ist komplett von Geldzahlungen aus den Golfstaaten abhängig. Mit dem sinkenden Ölpreis und den schwindenden Einnahmen wird Jordanien noch unwahrscheinlicher, fürchtet sie: "Das Verlangen nach Veränderung sei mit dem entsetzlichen Ende des Arabischen Frühling stark gedämpft worden, glaubt Mustafa al-Tal, ein Autor und Medienmanager aus einer prominenten jordanischen Familie (sein Onkel Wasfi al-Tal war dreimal Premierminister, bevor er von einer palästinensischen Miliz erschossen wurde): 'Die Wut ist noch da, die Frustration ist noch da, aber es gibt auch etwas Neues: Angst. Die Regierung nutzt für sich, was in Syrien passiert ist... Die Leute sagen sich jetzt, ist doch nicht so schlimm, wenn ich arm bin. Ich muss meine Meinung nicht sagen können. Hauptsache, ich werde nicht getötet.' Um Proteste in Jordanien zu untergraben, sagt al-Tal, spielen die Behörden die Unterschiede hoch, zwischen Islamisten und Säkularen, Ost- und Westbankern, Stadt und Land, Flüchtlingen und Einwohnern. Dabei besteht der größte Unterschied heute zwischen den Besitzenden und den Armen. Die Ungleichheit ist der Geografie der Hauptstadt eingeschrieben. Amman ist eine der teuersten Städte der Region, obwohl der monatliche Mindestlohn bei 220 jordanischen Dinar liegt (310 Dollar) und fünfzehn Prozent der Bevölkerung in extremer Armut leben, also von weniger als einem Dollar am Tag. Amman ist eine junge Stadt:, etwas mehr als hundert Jahre alt, ihre beigen Steinhäuser liegen verstreut auf den Hügel, den von tiefen Tälern und Highways getrennt sind. Vor allem in den letzten Jahrzehnten ist Amman schnell gewachsen, völlig planlos und fast ganz im Dienste des Autoverkehrs. Ein kleines historisches Zentrum ist der Treffpunkt zwischen den dichtbevölkerten Arbeitervierteln in Ost-Amman - wo auch die meisten palästinensischen und syrischen Flüchtlinge leben - und dem weitläufigen, luxuriösen West-Amman, wo ausländische Botschaften, Privatschulen, Ministerien und Malls ihren Sitz haben und ein Espresso so viel kostet wie in London oder New York. Je weiter man sich in der Stadt nach Westen bewegt, desto größer werden die Villen und Gärten, desto mehr Range Rovers, Hummers und Mercedes SUV stehen auf den Straßen. Es gibt Viertel voller Delis, Eisläden und Cafés, aber ohne einen einzigen Bürgersteig."

Magazinrundschau vom 06.10.2020 - New York Review of Books

In der New York Review of Books zeichnet Jonathan Stevenson ein ziemlich gruseliges Bild von dem, was Amerika - und die Welt - erwarten könnte, wenn Donald Trump die Wahl verliert: Er ermuntert jetzt schon militante Gruppen wie die "Proud Boys", die "Three Percenters" und die "Patriot Prayer", Demonstranten der Demokraten oder von BLM zur Gewalt aufzustacheln, um dann gegen diese mit noch größerer Gewalt vorgehen zu können. Ein Bürgerkrieg also, in dem Trump zwar nicht auf das Militär setzen kann, aber auf staatliche Behörden "wie das FBI, das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives, Customs and Border Protection, die Drug Enforcement Administration, Immigration and Customs Enforcement, den US Marshals Service, das Federal Bureau of Prisons und den obskuren Federal Protective Service - alle mit sehr unterschiedlichen Aufgaben und unzureichender Ausbildung für die städtische Polizeiarbeit. ... Darüber hinaus scheint der Federal Protective Service - eine Abteilung des Department of Homeland Security mit einem Jahresbudget von über einer Milliarde US-Dollar, der für die 'Kontrolle der Massen' in Portland und anderswo verantwortlich war - hauptsächlich mit externen Auftragnehmern aus privaten Militärunternehmen, das heißt mit Söldnertruppen, besetzt zu sein. Laut Berichten des US Government Accountability Office hat die Behörde in jüngster Zeit ihr Personal nur unzureichend überprüft, einige waren wegen Schwerverbrechen verurteilt worden oder hatten eine unzureichende Ausbildung im Umgang mit Schusswaffen."

Magazinrundschau vom 04.08.2020 - New York Review of Books

Nirgends wurden versklavte Afrikaner grausamer und tödlicher ausgebeutet als auf den englischen Zuckerplantagen der Karibik. Fara Dabhoiwala zeigt, wie die englische oder schottische Aufklärung mit der Rechtfertigung der Sklaverei vor sich selbst einknickte: "Wichtiger noch als die Frage der Sprachmacht war im 18. Jahrhundert die Definition des Menschseins. Die Abolitionisten erklärten, dass die Eloquenz von Sklaven und Afrikanern ihren gleichen Rang als Menschen bewiesen, doch die meisten Europäer hielten es für selbstverständlich, dass schwarzes Sprechen von Natur aus minderwertig sei, wenn nicht tierisch. Als 1753 der Philosoph David Hume beweisen wollte, dass 'Weiße' allen anderen menschlichen 'Arten' überlegen seien, griff er beherzt zu einem westindischen Beispiel, das eigentlich das Gegenteil bewies: 'In Jamaika sprechen sie von einem Neger, als hätte er Stimme und Verstand; aber er wird wohl für eine recht dürftige Fähigkeit bewundert, wie ein Papagei, der ein paar Wörter hintereinander sagen kann.' Eine schwarze Stimme konnte nicht mehr sein als rohes Geschrei. Auf derartiges Denken stützte sich die Akzeptanz des Sklavenhandels. Auch wenn Hume es nicht einmal für nötig hielt, den Namen des Mannes zu nennen, den er so verächtlich machte, handelte es sich bei ihm nicht um einen Sklaven, sondern einen ungewöhnlich privilegierten freien schwarzen Jamaikaner, Francis Williams, einen Mann von Besitz, der in London als Anwalt ausgebildet worden war, ein des Lateinischen mächtiger Poet und Mathematiker, der seinerseits Sklaven besaß. Da die Weißen auf den westindischen Inseln so erpicht darauf waren, die Unterscheidung zwischen Sklaverei und Freiheit synonym zu machen zu der zwischen Schwarz und Weiß, war es für sie äußert ärgerlich, wie einer führender Sklavenbesitzer beklagte, dass Williams nicht den Anstand besaß zu schweigen, sondern öffentlich darauf pochte, dass Hautfarbe nichts mit Intelligenz zu tun habe: 'Tugend und Verstand haben keine Farbe, auch nicht Kunst oder ein aufrichtiger Geist', schrieb er. Weiße Jamaikaner versuchten wiederholt, seine Stimme zum Schweigen zu bringen, doch niemals ganz erfolgreich. Als das Parlament der Insel ein Gesetz verabschiedete, dass seine Rechte stutzen solle, reichte Williams erfolgreich bei den englischen Behörden Beschwerde ein - als gebildeter, wohlhabender freigeborener Sklavenbesitzer."

Weiteres: Jonathan Freedland liest Neuerscheinungen zur politischen Desinformation, mit der vor allem Wladimir Putins Klickfabriken etliche Demokratien destabilisierte, darunter Thomas Rids "Active Measures" und Philip N. Howards "Lie Machines". In keinem Land zirkuliert so viel Desinformation wie in den Vereinigten Staaten, erschrickt Freedland: "Die USA wiesen den höchsten Stand an Informationsmüll auf, während der Präsidentschaftswahl 2016 lag das Verhältnis von seriösen Nachrichten und Infomüll, die bei Twitter geteilt wurden, bei eins zu eins."