Vorgeblättert

Leseprobe zu Margherita von Brentano: Das Politische und das Persönliche. Teil 3

29.04.2010.
(S.461- 463)

Sonntag, 24.10.[1965]

Lieber Jacob,
wie kommst Du bloß darauf, daß ich über Deinen Brief lachen werde? Zum Lachen ist das gar nicht, eher das Gegenteil.
     Ich soll sofort, sofort, schreiben und auch nachdenken. Nun muß ich also beim Schreiben nachdenken. Aber es ist nicht viel Neues zu bedenken, wir haben ja schon früher diese Möglichkeit besprochen und, ich wenigstens, bedacht.
     Ich kann das nicht machen. Ich bin 43, habe hier eine, auch ohne Habilitation, ausreichend bezahlte (zur Zeit 1600 netto, kann nicht weniger werden) unkündbare Stelle mit Pensionsanspruch. Ich müßte hier alles aufgeben und ohne Beruf oder Berufsaussicht nach Amerika gehen. Dort einen neuen angemessenen Job zu finden, und selbst wenn ich ihn fände, in der anderen Sprache, Atmosphäre, unter ganz neuen Bedingungen Erfolg zu haben und durchzuhalten - ob ich dazu vital, adaptionsfähig, selbstbewußt und selbstgewiß genug bin, ist mir mindestens zweifelhaft. Also muß ich mal damit rechnen, daß es mir nicht gelingt.
     Das heißt also, ich müßte als Ehefrau hingehen und "meine Sach? auf Dich stellen".
     Das hat zwei Seiten.
     1) Eine finanzielle. Du hast bisher, soweit ich mich erinnere, rund 700 Dollar netto monatlich. Nehmen wir selbst an, Du hättest inzwischen 1000. Das entspricht realiter 2500.- DM (langer Artikel darüber im Spiegel, Kurs 1:2.5 von allen Experten als realistisch angegeben). Davon kannst Du meiner Meinung nach kaum a) die Kinder und b) uns beide unterhalten, geschweige denn, falls es mal nötig würde, und wozu Du nach amerikanischem Recht jederzeit verpflichtet werden kannst c) Susan. Wir würden nicht verhungern, müßten uns aber auf eine Lebensweise einstellen, die wir beide nicht gewohnt sind und die uns die Laune verderben würde. Du vergißt, daß Du früher in New York noch Susans Gehalt und doch wohl noch Zuschüsse vom Schwiegervater hattest.
     2) Hat aber noch eine andere Seite. Du hast mich oft genug in Theorie und Praxis darauf hingewiesen, daß eine Bindung wie die unsere, Freiheit zu anderen Rencontres lassen soll und muß. Selbst wenn Du nun, im nächsten Brief, etwas anderes sagen solltest - ich halte es für ausgeschlossen, daß Du Dich oder Deine Einstellungen da ändern kannst. Der Witz ist nur, daß aus jeder Rencontre jederzeit eine neue Bindung entstehen kann (so wie und mit demselben Recht aus der unsrigen trotz vorhandener Ehefrau eine entstanden ist). Die Irmelas, Ingeborgs [Jacob Taubes führte eine langjährige Beziehung mit Ingeborg Bachmann] und wie sie alle heißen, sind schließlich Menschen so gut wie wir und keine Hündchen. Nun, solange ich hier zwar emotional oder sonstwie, aber nicht materiell und finanziell von Dir abhängig bin, bedeutet das, daß ich jederzeit mit Ärger, Traurigkeit, sogar einem Ende unserer Beziehung rechnen muß, aber es berührt nicht meine materielle Existenz. In Amerika als Deine Ehefrau würde jeder solche Fall das Risiko mitbringen, daß ich meine Brötchen verliere (oder um der Brötchen willen mich abfinde). Die bloße Vorstellung genügt, um mir die Haare zu Berge stehen zu lassen.
     Diese zwei - oder sind?s drei - Überlegungen genügen, um Deinen Vorschlag ganz unmöglich für mich zu machen. Ich glaube, das kannst Du einsehen.
     Dein Hinweis darauf, daß "die Frau dem Mann folgen" solle statt
umgekehrt, paßt absolut nicht auf unseren Fall und paßt auch nicht in Deine sonstigen Anschauungen. Diese Regel ist sinnvoll, wenn junge Leute heiraten, wobei sie keinen Beruf oder nur einen Job zwecks Aussteuer-Verdienen hat, er einen Beruf, der die Familie erhalten soll. Dann gehen oder bleiben sie natürlich da, wo er seine Stelle hat.
     Bei uns: Du hast in New York und in Berlin eine Professur, wobei die letztere erheblich besser bezahlt und emeritierungsfähig ist. Ich habe nur hier einen Beruf und Sicherheit, s.o. zum Vergleich: wir beide zusammen verdienen hier über 5000.- netto, mehr als doppelt soviel wie Du in New York.
     Auch sonst: ein solches Diktum gehört in eine Anschauung von Ehe, Familie etc., die gewiß sonst nicht die Deine ist (wohl auch nicht die meine, aber vor allem nicht Deine). Sie wäre im Munde von Leuten wie Goldschmidts sinnvoll, die gewiß nicht der Meinung sind, daß man neben der Ehefrau laufend Freundinnen haben kann und soll, daß man ohne weiteres vier Jahre lang neben einer legalen Familie ein Verhältnis wie das unsere in aller Öffentlichkeit pflegt usw. Ich meine, man kann die Slogans nicht verwenden, wie sie einem gerade in den jeweiligen Kontext passen, sie müssen schon im wesentlichen in den Kontext des Lebens, das man führt, gehören, wenn man sich auf sie berufen will.
     Ich könnte das alles weniger konkret, auf eine andere Weise sagen, hoffe nur, Dich nicht zu kränken. Du bist lieb und charmant und freundlich und ein guter Freund und vieles andere. Du bist aber nicht, vielleicht eben deshalb nicht, das was ein Mensch sein muß, dessentwegen man seine Existenz aufgibt und den Kontinent wechselt: nämlich zuverlässig. Und zwar absolut und fundamental nicht. Du könntest, wie Brecht, von Dir sagen: "In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen." Bauen, in dem Sinne, der hier akut wird, in anderem Sinn kann man schon auf Dich bauen. Aber was harte materielle Lebenspläne angeht, eben nicht. Dafür sind Deine Lebenspläne zu chaotisch oder gar nicht vorhanden.
     Übrigens bin ich fest überzeugt, daß selbst dann, wenn das Geld reichen und keine neue Liaison auftauchen würde, die bloße Tatsache meiner Abhängigkeit von Dir die Sympathie (Liebe ist ein so dickes Wort) auf beiden Seiten automatisch vermindern würde.
     Das heißt nun alles nicht, daß Du nach Berlin kommen solltest. Es ist aus Deinem Brief ziemlich deutlich, daß Du New York vorziehst, es ist auch deutlich, daß nicht die Kinder, sondern Deine Abneigung gegen Judaistik der entscheidende Grund ist. Aber was auch immer der Grund ist, die Sache ist klar, und Du solltest bald die Konsequenzen ziehen. Du wärst nicht zufrieden hier, und das würde sich auch auf unsere Beziehung auswirken. Ich jedenfalls ziehe ein Ende mit Schrecken diesem zermürbenden Zustand des Schreckens ohne Ende vor. Und was die Universität angeht, so wird mit jedem Tag, den Du die Entscheidung hinauszögerst, der Ärger, den es geben wird, nur noch größer.
     Warum Du allerdings zu der Einsicht, daß Berlin und Judaistik nicht das Wahre sind, nicht ein wenige früher gelangt bist, bevor Du noch im letzten halben Jahr hier lauter faits accomplis geschaffen hast, von Tiedemann-Import über Investitionen in eine Wohnungskombination, deren verbleibende Hälfte für mich wenig sinnvoll ist, bis zu Umkrempelungen im Philosophischen Seminar, etc. etc., ist schwer zu begreifen. Warum Du nach zwei Jahren Bedenkzeit eine Judaistik-Professur angenommen hast, wenn das nicht Dein Fach ist, warum Du überhaupt den Ruf lanciert hast (was Du nicht auf mich schieben kannst, denn da kanntest Du mich noch gar nicht), wenn das nicht Dein Fach ist, ist unerfindlich. So macht man sich wirkliche Feinde. Du solltest jetzt wenigstens die Fäden, die Du hinsichtlich Bochum und Konstanz geknüpft hast, klipp und klar zurückgeben. Das Spiel, das Du treibst, kann Dir ernsthaft schaden, und wenn Du so weitermachst, wird die Front der Leute und Institutionen, die Du verärgert hast, sich mal schließen können.

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Mit freundlicher Genehmigung des Wallstein-Verlages

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