Vorgeblättert

Leseprobe zu Shereen El Feki: Sex und die Zitadelle. Teil 3

11.02.2013.
Sex und der arabische Single

Sich abnabeln

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Wie sich der Aufstand - und die Erfahrung von Millionen junger Männer und Frauen, die auf den Straßen, Abend für Abend, der politischen Autorität die Stirn boten - auf die Beziehungen zur elterlichen Autorität auswirken werden, ist eine spannende Frage. Hurriyya (Freiheit) wurde zum Schlachtruf vieler junger Leute, die Eltern, wenn es um die Erledigung von Hausarbeiten geht, pampig antworten oder die versuchen, mehr Taschengeld herauszuholen. Für ältere Jugendliche sind dies jedoch kompliziertere Verhandlungen. Al Haq sprach für viele, die ich getroffen habe, als sie die Gratwanderung zwischen persönlicher Freiheit und ihrer Familie beschrieb. »Ich und Mama stehen uns sehr nahe. Sie glaubt an das, was ich tue, und sie bewundert mich. Aber jedes Mal, wenn ich etwas sage, was nicht so den gängigen gesellschaftlichen Vorstellungen entspricht, kommt sie gleich: 'Und was ist mit der Gesellschaft? Was ist mit der Familie?'«
     Al Haq stritt tagelang mit ihrer Mutter um die Erlaubnis, von der Stadt nördlich von Kairo zum Tahrir-Platz zu fahren. »Ich wollte unbedingt dabei sein, mich meinen Freunden anschließen und sehen, was zum Teufel sie mit Ägypten anstellten. In meiner Generation hatte ich nie das Gefühl, eine Heimat zu haben. Erst die Revolution gab mir dieses Gefühl, zu einem Land zu gehören. Es war ein sehr starkes, sehr schönes Gefühl; ich war ganz versessen darauf. Ägypten gehört uns, nicht Mubarak, Ägypten gehört niemandem außer uns.« Al Haq stahl sich schließlich davon, und obwohl ihre Mutter wütend war, gab sie schließlich nach. Aber Al Haq will ihre neu gewonnene Freiheit nicht überstrapazieren. »Ich lebe mein Leben frei, und ich habe vor niemandem Angst. Ich sage Mama einfach nicht, dass ich einen Freund habe und mein Leben mit ihm genieße. Denn das würde sie sehr verletzen, und es wäre sehr schockierend für sie. Und ich will niemanden von meiner Familie verlieren.«
     Nach meinen Erfahrungen sehen nur wenige junge Menschen einen Zusammenhang zwischen ihrer Rebellion gegen das Staatsoberhaupt und einer offenen Herausforderung der eigenen Familienoberhäupter - zumindest noch nicht. Aber einige stellen diese Verbindung durchaus her. Tarek Salama ist ein Journalist, der zum Streiter für sexuelle Rechte wurde - nicht gerade ein populäres Thema in Ägypten. »Am 25. Januar bin ich zum ersten Mal in meinem Leben auf die Straße gegangen, um zu protestieren. Ich habe immer gedacht, Proteste brächten nichts.« Aber die Ereignisse des Jahres 2011 haben sein Leben in beruflicher wie persönlicher Hinsicht verändert. »Für mich als Aktivisten gibt es viele Entscheidungen, die zu treffen ich vor dem 25. Januar nicht gewagt hätte, wegen der Politik, wegen der Gesellschaft, wegen meiner familiären Situation«, sagte er mir, als wir, buchstäblich einen Steinwurf vom Tahrir-Platz entfernt, in einer Seitenstraße, die der Schauplatz erbitterter Zusammenstöße zwischen jungen Demonstranten und Sicherheitskräften gewesen war, Kaffee tranken. »Wenn der 25. Januar nicht gewesen wäre, würde ich - um nur ein Beispiel zu nennen - jetzt wohl kaum zusammen mit Ihnen an diesem Tisch sitzen und über Sexualität sprechen. Weil ich Angst gehabt hätte. Jetzt habe ich keine Angst mehr vor diesem Kampf.«
     Und mit dem unbedingten Respekt vor den Erfahreneren ist es ebenfalls vorbei. »Ich war ein schüchterner Mensch und brachte Älteren Respekt entgegen«, sagte Tarek, während er seine klobige, schwarzgefasste Brille zurechtrückte. »Aber als ich erfuhr, dass wir Mubarak - der über achtzig war - losgeworden waren, zerstörte das irgendwie meine Vorstellung vom Alter. Und so wurde ich irgendwie aggressiv und schroff, selbst gegenüber Leuten, die viel älter sind als ich, wenn ich finde, dass sie nur Scheiße reden.« Der Aufstand hat Tarek einerseits desillusioniert, andererseits die Augen geöffnet. »Die meisten Leute, die uns während der Revolution übel mitspielten, waren Ältere. Die meisten Leute, die ich als Vorbilder und Ikonen verehrt hatte, haben mich wirklich enttäuscht. Als sie umgestürzt waren, stellte ich fest, dass das nichts mit dem Alter, nichts mit der Erfahrung zu tun hatte, sondern damit, ob die Person sich selbst treu geblieben ist - und das zählt für mich.«
     Umgekehrt hörte ich vor der Erhebung Eltern immer wieder die mangelnde Reife ihrer Kinder beklagen. »Ich habe vorher immer gesagt, diese Generation hat nichts anderes zu tun, als an ihren Computern zu hocken und zu spielen«, beklagte sich ein Vater, ein ehemaliger Armee-General über fünfzig, bei mir. Der von der Jugend des Landes angeführte Aufstand des Jahres 2011 änderte das alles. Er und seine über zwanzigjährige Tochter verbrachten Tage auf dem Tahrir-Platz, eine zusammenschweißende Erfahrung, die ihn umdenken ließ. Die jüngsten Ereignisse haben viele ältere Ägypter, meine eigenen Verwandten eingeschlossen, erschüttert, und es fällt ihnen schwer, sich mit Veränderungen abzufinden. Nicht so der General. »Ich habe mich total geirrt«, sagte er mir, was einem ägyptischen Mann und Vater nicht leicht über die Lippen kommt. »Zu Beginn haben mich die Demonstranten, ihr Anstand, die zivilisierte Art, ihre Ideen vorzustellen, sehr überrascht. Diese Generation hat mir bewiesen, dass sie Pläne für die Zukunft hat und weiß, was man tun muss, um sie umzusetzen.«
     Die nachfolgenden Ereignisse haben dieser Bewunderung etwas von ihrem Glanz genommen. Frischem Blut Platz zu machen - bei politischen oder häuslichen Entscheidungen - ist ein langwieriger Prozess. Ob junge Menschen die Chance bekommen, die Führung zu übernehmen, und ob sie die Klugheit besitzen, sie sinnvoll zu nutzen, ist eine andere Frage. Ein Test für diese neue Entente cordiale wird sein, wie weit junge Menschen - insbesondere junge Frauen wie Al Haq - in den kommenden Jahren in der Lage sein werden, von sich aus neue Wege zu gehen. Al Haqs Mutter erlaubt ihr jetzt zum Beispiel, allein in der Wohnung der Familie in Kairo zu bleiben, was vor der Revolte undenkbar gewesen wäre. Aber diese Freiheit ist nicht leicht zu erringen: Die elterliche Wohnung zu verlassen ist in der Region für die Minderheit der unverheirateten Leute, die es sich leisten können, weniger ein Übergangsritus und mehr eine Feuerprobe. »Wenn du zu irgendeinem Scheich gehst und sagst, diese junge Frau ist ausgezogen, sagt er: 'Oh, dieses verdorbene Stück!' Sie wird gewissermaßen verflucht und verdammt«, sagt Rakha.
     Sie sollte es wissen. Das Leben änderte sich für Rakha, als sie mit Anfang zwanzig ins Berufsleben einstieg. »Als ich mein erstes Gehalt verdiente, wurde mir klar, dass es mich glücklich macht, mein eigenes Geld zu haben. Und es gab mir dieses kleine bisschen Freiheit, dass ich nicht zu meiner Mutter gehen und ihr Einverständnis einholen muss, wenn ich ein bestimmtes Kleid tragen oder ein Parfüm auflegen will«, sagte sie mir. »Hier beginnt die Unabhängigkeit. Ich brauche keinen Mann, um glücklich zu sein; ich bin glücklich, wenn ich Dinge für mich tun kann.«
     Mit Ende zwanzig beschloss Rakha, in eine eigene Wohnung zu ziehen. »Meine Mutter dachte, ich würde es nicht schaffen, wenn ich ausziehe, ich würde schon wieder zurückkommen. Deshalb ließ sich mich gehen, und sie war schockiert, als ich überlebte«, erinnerte sie sich. »Solange ich bei meinen Eltern wohnte, tat ich nichts. Ich schlief bis 20 Uhr und ging dann mit meinen Freundinnen aus. Wenn man auszieht, muss man seine Wohnung selbst saubermachen, das ist was ganz anderes. Ich war bereit dazu; die Sache ist die, dass ich dieses Paket nicht mit einem Mann haben wollte. Ich wollte es für mich allein tun.«
     Dieses Selbstvertrauen wird nach Rakhas Meinung eher als ein Makel denn als ein Ehrenzeichen für Frauen in Ägypten angesehen. »Bei einem Mann stellt man normalerweise die Frage: 'Weshalb hast du deine Eltern verlassen?' Wenn ein Mann dann antwortet: 'Weil ich erwachsen werden wollte, weil ich lernen wollte, Verantwortung zu übernehmen', ist das gesellschaftlich völlig in Ordnung. Aber die meisten Männer wollen nicht ausziehen; sie wollen jemanden, der für sie kocht und saubermacht. Hier sind es die Mädchen, die ihre Unabhängigkeit wollen; sie wollen sich jenseits ihrer gesellschaftlich anerkannten Rollen selbst beweisen.« Rakha ist nur allzu vertraut mit diesen Denkmustern, die schon im Elternhaus angelegt werden. Eltern wollen unbedingt den Schein wahren, und Töchtern, die das Nest flüchten, wird vorgeworfen, sie entzögen sich ihrer Verantwortung gegenüber den Eltern. »Was glauben Sie, wie meine Mutter das sieht?«, sagte Rakha. »Erstens hält sie mich für undankbar. Statt bei ihr zu sein und sie zu unterstützen und zu trösten, habe ich das Weite gesucht. Mein Gegenargument war immer: 'Was, wenn ich heiraten würde? Dann würde ich dich auch verlassen.' 'Aber dann wäre es deshalb, weil du geheiratet hast', antwortete sie. 'Also werde ich jetzt dafür bestraft, dass ich nicht verheiratet bin, oder wie?«
     Wenn ich in Ägypten - ja in jedem beliebigen arabischen Land - einer intelligenten, ehrgeizigen und beruflich erfolgreichen Frau über 35 begegne, erwarte ich nicht, dass sie einen Ehering trägt. Während die große Mehrheit der jungen Frauen in Ägypten mit Ende zwanzig verheiratet ist, ist der Prozentsatz derjenigen, die mit dreißig Jahren oder älter noch Single sind, bei Frauen mit einem höheren Bildungsabschluss dreimal höher als bei denen, die kein Abitur haben. Einige unverheiratete Frauen, die ich kenne, würden mit Freuden einen westlichen Ehemann in Betracht ziehen (vorausgesetzt, er hätte die gleiche Religion), während andere sich ihrem Glauben und einem Fatalismus zugewandt haben, der ihnen erlaubt, ihren Single-Status dem Willen Gottes zuzuschreiben. Viele von ihnen haben jedoch schlichtweg die Hoffnung aufgegeben, unter ihren Landsleuten noch einen adäquaten Ehemann zu finden. Dafür ist eine Reihe von sozialen und ökonomischen Faktoren verantwortlich, aber Rakha hat eine einfache Antwort. »Wenn Frauen ein gewisses Bildungsniveau haben - zum Beispiel einen College- oder Uni-Abschluss -, dann erweitert sich ihr geistiger Horizont. Männer durchlaufen den gleichen Prozess, aber es ist so, als wäre ihr Gehirn gespalten: Da ist die Hälfte, die unverändert bleibt, und da die andere Hälfte, mit der sie Karriere machen«, sagte sie. »Du lernst diesen großartigen Mann kennen, diesen erfolgreichen, bezaubernden, gut ausgebildeten, weit gereisten Typen, aber in der Birne ist er nach wie vor total beschränkt.«
     Sie wägte ihre Worte genau. »Ein Mann in meinem Alter oder älter ist ein richtiges Stück Scheiße. Traditionell, jemand, der dir total auf den Keks geht. Er ist unsicher - 'ich hasse Frauen, die sind wirklich übel, kontrollsüchtig' -, sie lassen sich durch alles einschüchtern.« Rakha bekommt viele E-Mails von verängstigten Männern im ganzen Land, und sie hat auch eine Erklärung für deren Verhalten parat. »Sie machen diesen ganzen Mist aus Furcht. Sie haben Angst. Sie sind verängstigte kleine Jungs. Das beginnt mit dreizehn und dauert, bis sie dreißig sind. Alles macht ihnen Angst. Sie haben Angst, verurteilt zu werden. Angst, abgewiesen zu werden. Angst, das Falsche zu sagen oder zu tun. Angst davor, verlassen zu werden. Angst, dass sie betrogen werden. Sie sind unglaublich unsicher.« Dies bedeutet für die Partnersuche, dass potenzielle Ehemänner, die nach Kontrolle streben, und Frauen, die ihre Unabhängigkeit wollen, einfach nicht zusammenpassen - und dies ist ein Grund für die wachsende Zahl unverheirateter Frauen.

Kampf der Geschlechter

Diese Spannungen gehen über den Rahmen privater Beziehungen hinaus. Taharrush jinsi - sexuelle Belästigung, die von Angaffen und anzüglichen Bemerkungen bis hin zu Exhibition, öffentlicher Masturbation und körperlichen Übergriffen reichen kann - spielt sich auf den Straßen Ägyptens und der ganzen arabischen Welt ab. Bei der aktuellen landesweiten Umfrage unter Ägyptern im Alter zwischen 10 und 29 Jahren kam heraus, dass mehr als die Hälfte der jungen Frauen, die in kleineren und größeren Städten leben, schon sexuell belästigt wurden - hauptsächlich durch obszöne Bemerkungen von Fremden. Aber es gibt zahlreiche Hinweise auf weit gewalttätigere Vorfälle, und das nicht nur in dunklen, menschenleeren Straßen, sondern auch im Menschengewühl am helllichten Tage. Sichtbare Minderheiten - sudanesische Flüchtlinge, asiatische Hausangestellte, westliche Touristinnen - sind besonders gefährdet, und diejenigen, die sie belästigen, werden angestachelt von Klischeevorstellungen über sexsüchtige ausländische Frauen. Kairo ist ein Konzentrat Ägyptens, weshalb es nicht weiter verwunderlich ist, dass die sexuelle Belästigung in der Hauptstadt besonders extreme Ausmaße angenommen hat. Hier sorgte das Phänomen erstmals Mitte der Nullerjahre für Schlagzeilen, und im Lauf der Jahre wurden öffentliche Feiern - insbesondere religiöse Feiertage - regelmäßig zum Anlass einer Art Wettstreit in sexuellem Mobbing, bei dem Scharen junger Männer vorbeikommende Frauen in die Enge treiben. Mittlerweile gehören sexuelle Belästigung und Vergewaltigung - neben politischen Unruhen, unsauberem Wasser und den Risiken im Straßenverkehr - sogar zu den Gefahren, vor denen ausländische Regierungen in ihren Reise- und Sicherheitshinweisen für Ägypten ausdrücklich warnen.
     Bei mu'aksa, dem männlichen Flirten, ging es einmal viel höflicher zu. »Ya helwa, ya gamila« (»Du süßes, schönes Ding«) oder »Ya amar« (»Du bist wie der Mond«) waren einige der honigsüßen Sätze, die meine Tanten und Cousinen in den 1960er und 1970er Jahren in der Innenstadt von Kairo und Alexandria hörten. Dann gibt es die ägyptische Spielart des bewundernden Pfeifens, mit dem auch Katzen angelockt werden, ein leises Zischen wie von einem Reifen, der Luft verliert - für mein Empfinden keine besonders verheißungsvolle Assoziation für einen Mann, der auf Brautschau ist. Heute dagegen herrscht bei der Anmache ein ziemlich rüder Ton: »Ya labwa« (»Du Schlampe«), so wurde eine meiner Freundinnen, die den Hijab trug und auch sonst äußerst dezent gekleidet war, von einem Auto voll junger Männer begrüßt, als sie an einer Ampel hielt. »Ach hätte ich doch nur zwei Betten, damit ich zweimal mit dir schlafen könnte.«
     Viele Leute machen wirtschaftliche Faktoren für dieses »unhöfliche« Verhalten verantwortlich, wie die Ägypter es nennen: arbeitslose Jugendliche, die viel freie Zeit zur Verfügung haben und dank Fernsehen und Internet ständig an Sex denken; Eltern, die rund um die Uhr arbeiten, und Väter, die in den Golfstaaten schuften, was dazu führe, dass die Kinder nicht mehr überwacht würden und keine moralischen Werte mehr vermittelt bekämen. Ohne Ehe und daher ohne leichtes sexuelles Ventil, ergieße sich diese aufgestaute libidinöse Energie auf die Straßen, so lautet die gängige Erklärung. Gleichzeitig, so die Argumentation, seien Frauen in zunehmendem Maße im öffentlichen Raum präsent, und Männer würden durch deren aufreizende Kleidung und keckes Verhalten in unerträglicher Weise herausgefordert. Angesichts solcher verbreiteten Anschauungen ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele Männer glauben, Frauen würden sich im Innersten über diese Aufmerksamkeiten freuen.
     Es sind nicht nur bekennende sexuelle Mobber, die auf dem Standpunkt stehen, die Opfer seien selbst schuld: Über 60 Prozent der Frauen mit dem höchsten Bildungsstand in der landesweiten Umfrage und drei Viertel ihrer weniger gut gebildeten Geschlechtsgenossinnen sind der Ansicht, »aufreizend gekleidete« Frauen forderten es heraus. Obwohl sich über 90 Prozent der jungen Frauen in Ägypten bedecken - vom Kopf und Hals bis zu den Handgelenken und Fußknöcheln -, lässt sich diese Uniform in vielfältiger Weise sexier machen: auffällige Kopftücher in phantastischen Arrangements, mehrere Schichten Make-up, protzige Panorama-Sonnenbrillen, enge Jeans und kurvenbetonende Tuniken, wobei Lycra ein Geschenk Gottes an arabische Männer ist. Diese dolce hegabbanas umgehen geschickt die konservativen Regeln, indem sie, formal korrekt, ihre 'awra (Teile des männlichen und weiblichen Körpers, die nach islamischen Grundsätzen nicht öffentlich sichtbar sein sollten) bedecken und sich etwas mehr Freiheit gegenüber ihren Eltern herausholen, während sie zugleich ihre Weiblichkeit zur Schau stellen. Und doch erinnern sich diese jungen Frauen wehmütig daran, dass ihre Mütter und Großmütter in der Öffentlichkeit viel mehr Haut zeigen konnten - kurze Röcke, bloße Arme und wallendes Haar -, ohne dass sie belästigt wurden.
     Ungeachtet dieser subtilen Subversion widersetzen sich viele Frauen nur widerstrebend Konventionen und berichten ihren Familien nur ungern von sexuellen Belästigungen, geschweige denn, dass sie diese anzeigten.75 Diese Zurückhaltung hat eine Reihe von Gründen: Einige geben sich selbst die Schuld an dem Übergriff; andere befürchten, dass ihr Ruf Schaden nimmt, wenn sie zugeben, belästigt worden zu sein, und sie haben auch Angst vor den Folgen, etwa dass ihnen von ihren Eltern Hausarrest erteilt wird. Außerdem befürchten viele, dass die Polizei sie nicht ernst nimmt, teils weil es schwierig ist, eine überfallartige Belästigung zu beweisen, und teils weil oftmals Polizisten selbst die Täter sind.
     Trotz all dieser Hindernisse ist sexuelle Belästigung eines der Tabus, über die heute in Ägypten offen gesprochen wird. Mehrere innovative Kampagnen helfen Frauen, Vorfälle anzuzeigen und mit den Folgen klarzukommen, sie binden junge Menschen beiderlei Geschlechts in Gemeinschaftsprojekte ein, und sie bringen der nächsten Generation - insbesondere jungen Männern - bei, dass es einen nicht männlicher macht, wenn man Frauen belästigt. Eine kleine, aber wachsende Zahl von Frauen hat, ermutigt durch den Aufstand, geltende Gesetze gegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und Vergewaltigung dazu genutzt, den Spieß gegenüber denjenigen, die sie belästigten, umzudrehen. Nichtregierungsorganisationen bemühen sich zudem, die Verabschiedung eines Gesetzes zu erreichen, das sexuelle Belästigung ausdrücklich unter Strafe stellt, auch wenn die Erfahrungen in Ländern, in denen solche Gesetze bereits in Kraft sind, wie etwa Tunesien und Algerien, zeigen, dass Schlupflöcher nur schwer zu schließen sind und der kulturelle Wandel manchmal im Schneckentempo folgt. »Wenn es darum geht, die Mentalität der Menschen zu verändern, haben wir manchmal das Gefühl, als würden wir versuchen, das Meer mit einer Tasse umzurühren«, sagte Nehad Abu Komsan lachend, Anwältin in Kairo und Vorsitzende des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte, eine der Vorkämpferinnen gegen sexuelle Belästigung.
     Abu Komsan und ihre Mitstreiterinnen konnten dieses heikle Thema unter anderem deshalb aus dem Schatten herausholen, weil sie die sexuelle Belästigung »desexualisierten« und sie zu einer Frage der persönlichen Sicherheit und des Versagens der Regierung machten, statt einer Sache von Frauenrechten, die bei Konservativen auf Widerstand stößt. »Wir greifen Männer nicht an, weil sie schlechte Menschen sind, die Frauen belästigen. Wir werfen der Gesellschaft nicht vor, dass sie ignorant ist und etwas öffentlich sagt, es dann aber im Privaten nicht tut«, erklärte sie. »Man kann die Regierung angreifen, wenn man mit ihrer Politik nicht zufrieden ist: 'Es ist Ihr Fehler, weil Sie sich nicht für die Sicherheit der Bürger, sondern nur für politische Sicherheit interessieren.' Wenn man aber die Gesellschaft verändern will, darf man die Menschen nicht angreifen.« Während einige befürchten, Islamisten könnten sexuelle Belästigung dazu benutzen, um Rechte von Frauen einzuschränken, sind andere besorgt, der Staat könnte diese Darstellung der Probleme in Kategorien der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dazu missbrauchen, seine Machtbefugnisse im Namen des Frauenschutzes auszuweiten, und unter diesem Deckmantel dann auch scharf gegen politische Gegner vorgehen. Aber solange in Ägypten kein Klima herrscht, in dem diese Probleme unter dem Gesichtspunkt persönlicher Freiheiten und Rechte diskutiert werden können, ist diese Strategie besser als nichts. »Es geht darum, wie man es verpackt«, sagte mir Abu Komsan. »Es heißt ja: 'Man kann Gift in einen sehr hübschen Flakon füllen, und die Leute werden begeistert zugreifen.'«
     Abu Komsan und andere behaupten, die Epidemie sexueller Belästigungen in Ägypten sei vor allem das Produkt politischer und ökonomischer Unterdrückung, die Männer dazu veranlasse, diejenigen zu attackieren, die auf der patriarchalischen Stufenleiter noch tiefer stehen, und keine Explosion sexueller Frustrationen. Die jüngsten Ereignisse haben zweifellos gezeigt, dass sich das Verhalten von Männern gegenüber Frauen dramatisch verändert, wenn Männer das Gefühl haben, durch ihr Handeln etwas bewirken zu können. Bis 2011 waren Massenversammlungen junger Männer für Frauen gefährliches Territorium. Doch bei den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz, wo sich Zehntausende versammelten, um gegen vergangene, gegenwärtige und zukünftige autoritäre Regime zu protestieren, konnten ich und andere Frauen uns frei bewegen - jedenfalls so frei, wie man dies in einer revolutionär gestimmten Menschenmenge kann -, als Männer Frauen respektvoll Platz machten und ihnen zuhörten. Als ich vor den Tränengasschwaden weglief, brachten mich Männer in Sicherheit und nutzten die leichte Beute nicht aus. Das soll nicht heißen, dass es auf dem Tahrir-Platz nicht zu sexuellen Übergriffen gegen Frauen gekommen ist - ungeachtet der utopischen Mythen, die sich um die Erhebung von 2011 ranken. Solange die Jugendlichen auf dem Tahrir-Platz durch ein gemeinsames, dringendes Ziel geeint wurden, arbeiteten Männer und Frauen gut zusammen, aber sobald diese Orientierung auf ein gemeinsames Ziel dahinschwand und eine Volksfestatmosphäre auf dem Platz aufkam, kehrten die sexuellen Übergriffe zurück. Bei einem dieser Vorfälle sah ich, schockiert und unfähig, Hilfe zu leisten, wie eine junge Frau im Hijab von einer Schar junger Männer in die Enge getrieben und gegen ein Geländer gedrückt wurde, während man ihr die Kleider vom Leib riss. Unter normalen Umständen halten sich Männer heraus, wenn Frauen belästigt werden, aber in diesem Fall versuchten einige, ihr zu helfen, sie bedeckten sie mit eigenen Kleidungsstücken und schafften sie aus dem Chaos heraus.
     Es ist nicht leicht, den Schalter umzulegen - von Belästigung zu Kooperation. Aber Abu Komsan ist zuversichtlich, dass die Revolte Ägypten langfristig aus seiner jahrzehntelangen Malaise herausholen wird und dass Symptome wie sexuelle Belästigung von einer chronischen Erkrankung zu einer sporadischen Beschwerde werden. »Was hat die Revolution gebracht? Sie hat den Menschen das starke Gefühl gegeben, dass sie ihr Leben selbst gestalten und eigenständige Entscheidungen treffen können. Davor waren die meisten Ägypter total deprimiert, und sie hatten das Gefühl, keine Menschen zu sein. Ich spreche nicht über Menschenrechte, nur über das Gefühl, ein Mensch zu sein. Die Revolution hat den Menschen ein Gefühl des Sieges, der Würde und Hoffnung gegeben. Ihr Verhalten hat sich eindeutig zum Positiven gewandelt.«
     Das bleibt abzuwarten. Aber wird sich auch das Intimleben verändern? Trotz all ihrer Hoffnungen bezweifelte Al Haq, dass auch jenseits des Kreises derjenigen, die bereits die Regeln gebrochen hatten, Veränderungen stattfinden würden. »Ich glaube, dass derjenige, der vor der Revolution ein Rebell war, nach der Revolution noch rebellischer sein wird. Das war bei mir und bei vielen meiner Freunde der Fall. Vielleicht werden sie die Gesellschaft durch ihr Verhalten noch immer nicht aufrütteln können, aber in ihren sozialen Kreisen wird es für sie in Ordnung sein: 'Ja, ich tue das, ich bedauere es nicht.'« Diejenigen, die sich öffentlich über Konventionen hinwegsetzen - wie die Nacktfoto-Revolutionärin -, gelten gemeinhin als Abweichler, nicht als Trendsetter. »In dieser Gesellschaft wird es erst dann echte sexuelle Freiheit und Meinungsfreiheit geben, wenn das allgemeine Bildungsniveau viel höher ist als heute«, sagte Al Haq. »Das wird viele, viele Jahre dauern.« Salama war ähnlich skeptisch. »Mädchen, die zusammen mit Jungs auf dem Platz übernachteten - das ist ein sozialer Aspekt der Revolution. Aber dies ist keine gesellschaftliche Revolution. Die soziale Phase der Revolution hat gerade erst angefangen. Diese Veränderungen werden sehr viel Zeit brauchen.«
     Und doch finden überall im Land zahllose private Rebellionen statt, auch wenn diejenigen, die in ihrem Zentrum stehen, sie nicht als solche ansehen. »Es ist eine politische Revolution, keine Revolution im Denken. Die Tradition hat keinen Bezug zur Revolution«, sagte Amany seufzend, während sie in den Schatten einer Säulenhalle eintauchte. Wir trafen uns bei einem der vielen alten Tempel, die in der Landschaft zwischen Luxor und Assuan verstreut liegen, wo ich mich von dem Gewühl Kairos erholte, und Amany arbeitete dort als Fremdenführerin. Während wir an Obelisken und Statuen vorbeischlenderten, ließ sie mich an ihrem eindrucksvollen historischen Wissen und ihrer eigenen Geschichte stiller Auflehnung teilhaben.
     Amany ist Ende zwanzig und stammt aus einer Familie der unteren Mittelschicht in Oberägypten. Al-Sa'iid, wie der Süden des Landes auf Arabisch genannt wird, ist bekanntermaßen eine konservative Region, aber die Zeiten ändern sich. Ägyptische Eltern wünschen sich in zunehmendem Maße neben Söhnen auch Töchter, und sie erachten es als nützlich und sinnvoll, ihren Mädchen eine höhere Bildung angedeihen zu lassen, selbst wenn sie dafür weit von zu Hause fortziehen müssen, unter anderem, weil sie glauben, dass gebildete (aber wiederum nicht allzu gebildete) junge Frauen bessere Heiratschancen haben und bessere Ehefrauen und Mütter abgeben. Und so durfte Amany, die das intelligenteste ihrer fünf Geschwister ist, die Universität besuchen, aber sobald die Studentenzeit vorbei war, musste sie wieder bei ihren Eltern einziehen. Doch anders als viele junge Ägypter hat sie eine lukrative Stelle, was sie zur Ernährerin der Familie macht, jetzt, wo ihr Vater im Ruhestand ist. Aber auch wenn Amany alle finanziellen Trümpfe in Händen hält, geben ihre Eltern noch immer den Ton an. Alle paar Wochen bringt ihre Mutter einen Freier bei, in der Hoffnung, ihre Tochter endlich unter die Haube zu bringen. Amany jedoch lehnt alle Bewerber ab, aus einem einfachen Grund: Insgeheim ist sie bereits verheiratet.
     Vor fünf Jahren lernte Amany Hossam kennen, einen ehemaligen Soldaten und Freund ihres Bruders, der aus dem Norden Ägyptens stammt. Hossam verliebte sich auf der Stelle und wurde, wie es sich gehört, mit seinen Eltern im Schlepptau, bei Amanys Familie vorstellig und hielt um ihre Hand an. Sie unterbrach ihre Geschichte für einen Moment, um mir eine Hieroglyphe zu zeigen. »Dies ist das Symbol des ewigen Lebens«, erklärte sie und deutete auf ein Anch-Kreuz. »Es steht auch für die Einheit von Unter- und Oberägypten.« Leider war für Amany und Hossam keine derartige Vereinigung zu erwarten. Ihre Eltern lehnten ihn ab, auch deshalb, weil er weniger verdient als ihre Tochter und daher einen Teil des Einkommens abschöpfen würde, das andernfalls ihnen zufließt. Ihre Einwände waren aber auch geographischer Natur. »Sie haben wenig Vertrauen in die Männer Unterägyptens. Sie glauben, dass er sie, wenn es in der Ehe Probleme gibt, sitzenlassen wird, wieder in den Norden zurückkehrt und eine andere Frau heiratet. Sie könnten keine innere Ruhe finden«, erklärte sie. Amany selbst dagegen sieht in Hossams Herkunft einen Vorzug. »Er ist aufgeschlossener. Er vertraut mir, es macht ihm nichts aus, dass ich mit anderen Männern arbeite«, sagte sie, ihn vorteilhaft mit örtlichen Freiern vergleichend. »Er ist der Typ Mann, der einem in den Augen lesen kann, wenn man nicht spricht. Es ist, als hätte er eine Entdeckungsreise durch meine Seele gemacht. Er versteht mich. Diesen Typ Mann findet man heute nicht mehr.«
     Nach drei weiteren Jahren und zwei weiteren Versuchen mit ihren Eltern beschloss Amany, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. »Ich erhoffe mir nichts mehr von der Familie. Sie werden ihre Meinung nicht ändern. Also habe ich mir gesagt: Es ist meine Entscheidung, ich treffe die Entscheidung für mich.« Als sich der Aufstand von 2011 dem Ende zuneigte, reiste sie mit Hossam nach Norden und unterzeichnete, fern der neugierigen Blicke der Familie, einen 'urfi-Ehevertrag in einer Anwaltskanzlei. Für Amany war es unvorstellbar, ohne einen solchen Vertrag mit Hossam zu schlafen. »Wir heirateten heimlich, weil wir es vor meinem Gott richtig machen wollten. Weil wir Muslime sind, wollen wir nichts tun, was haram ist.« Aber genauso unvorstellbar ist es für sie, sich ihren Eltern offen zu widersetzen und ohne deren Zustimmung eine offizielle Ehe einzugehen. »Ich will meine Familie nicht in eine schwierige Lage bringen. Ich muss ihnen gehorchen. Ich muss mein Bestes tun, um sie glücklicher zu machen als mich selbst«, sagte sie. »Und wegen des Ansehens, ihres guten Rufs, nicht meines. Mein Vater ist im Ruhestand, aber er verbringt seine ganze Zeit in der Moschee, er ist für seine Frömmigkeit bekannt. Er ist ein hoch angesehener Mann. [Wenn ich ohne seine Einwilligung heirate], werden die Leute sagen, er hätte eine sehr unhöfliche Tochter.«
     Während wir an Geschichten von »wunderschönen Treffen« zwischen Göttern und Göttinnen, die in die Tempelmauern eingemeißelt waren, vorübergingen, erzählte mir Amany von dem alles andere als wunderschönen Leben mit Hossam: In stillen Stunden stiehlt sie sich aus dem Elternhaus davon, um in seiner winzigen Mietwohnung am anderen Ende der Stadt ein bisschen Zeit mit ihm zu verbringen. Was sie betrifft, ist Diskretion eine Frage von Leben und Tod. »Wenn meine Eltern davon Wind bekommen, bringen sie mich um. Wirklich. Es ist in meiner Familie schon passiert. Die Schwester meiner Großmutter hatte ein Verhältnis, und eines Tages packten sie sie …« Amany führte die flache Hand wie ein Messer über die Kehle. Ehrenmorde sind in Ägypten eine undurchsichtige Angelegenheit, und niemand kennt das wahre Ausmaß des Problems. Aber laut Amany ist es alles andere als ein aussterbender Brauch; die Geschichte wird in ihrer Familie wachgehalten, damit die Mädchen nicht aus der Reihe tanzen.
     Wie viele junge Frauen, denen ich begegnet bin, ist Amany hin- und hergerissen zwischen Auflehnung und Reue. Einerseits ist sie insgeheim wütend auf ihre Eltern, die sie in diese Situation hineingezwungen haben. Andererseits wird sie von Schuldgefühlen gequält. »Ich betrüge meine Familie«, sagte sie mir traurig. »Meine Familie vertraut mir, und ich missbrauche ihr Vertrauen. Ich war immer total ehrlich. Ich sagte ihnen alles, was in meinem Leben passierte. Aber das da kann ich ihnen nicht sagen.« Amanys Zurückhaltung wird durch die Tatsache verschlimmert, dass sie nicht länger glaubt, ihre 'urfi-Ehe sei mit dem Islam vereinbar. »Ich hab im Internet gelesen, einige Leute sagen, es sei 100 Prozent halal, andere sagen, es sei 20 Prozent halal. Ich weiß es also nicht. Ich sagte [Hossam], wir müssten aufhören, was miteinander zu machen [Sex zu haben], weil das, was wir tun, möglicherweise haram sei. Ich will nicht weiter haram leben: Ich muss armen Leuten zu essen geben, ich muss viel beten, ich muss die Wallfahrt nach Mekka machen. Vielleicht wird mir Gott dann vergeben.«
     Amany hat wenig Hoffnung, dass ihre Familie ihre Meinung ändert oder dass Hossam in der gegenwärtigen ägyptischen Wirtschaftskrise Arbeit finden wird. »Ich will nicht darüber nachdenken, was die Zukunft bringt. Ich will mich nicht selbst traurig machen. Das liegt in Gottes Hand«, sagte sie. Amany sprach so, als wäre die ganze Erhebung spurlos an ihr vorbeigegangen, als wäre sie zu spät gekommen, um in ihrem Leben noch größere Veränderungen zu bewirken. Aber Amany ist sehr zuversichtlich, dass, sollte sie selbst einmal eine Tochter haben, diese eines Tages profitieren wird, und sie weiß auch ganz genau, was sie als Mutter tun wird. »Ich werde meinen Kindern nichts mitgeben, was mich mit meiner Familie entzweit. Ich habe sehr unter ihnen gelitten, weil sie anders denken«, sagte Amany mit gebrochener Stimme. »Aber ich werde meine Tochter verstehen können, ihre Gedanken, weil ich die gleiche Erfahrung gemacht habe. Sie soll sich für die Person entscheiden können, die ihr Herz auswählt.«
     Ob Amany und ihre Generation sich - angefangen beim Familienleben bis hin zur politischen Zukunft Ägyptens - tatsächlich anders verhalten werden als ihre Eltern, ist die große Frage. Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass in vielen Fragen - insbesondere solchen, die sich auf die Geschlechterrollen und Sex beziehen - junge Menschen überall in der arabischen Region sogar noch konservativer sind als die ältere Generation. Wenn man jedoch mit denselben Jugendlichen unter vier Augen redet, dann bringen sie Träume und Wünsche zum Ausdruck, die diesen sittenstrengen Anschein Lügen strafen. Junge Ägypter - vor allem junge Frauen - bewegen sich weiterhin auf einem schmalen Grat zwischen öffentlicher Konformität und privater Erfüllung, ob online oder offline. Aber während des Aufstands von 2011 kamen das Öffentliche und das Private für einen spektakulären Moment zur Deckung.
     Die postrevolutionäre Wirklichkeit sieht anders aus, als sich viele erhofften, und wieder sind alte Männer am Ruder, nachdem sie ihre weniger erfahrenen Söhne und Töchter geschickt ausmanövriert haben. Aber nur weil sie jetzt nicht in vorderster Front stehen, bedeutet dies nicht, dass diese jungen Menschen abgetaucht wären; wenn sie das nächste Jahrzehnt die richtigen Züge machen, ihre Gesellschaften studieren, ihr Wissen erweitern und ihre Taktiken verfeinern, dann könnten sie durchaus den Wandel zustande bringen, von dem Amany für sich selbst und ihre Kinder träumt - indem sie, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, mit ein paar neuen Grundsteinen beginnen.

Mit freundlicher Genehmigung des Hanser Berlin Verlags

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