Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.07.2005. In der SZ fürchtet der Schriftsteller Alaa al-Aswani, dass die ägyptische Regierung durch ihre Repressionsmaßnahmen den Terror eher noch fördert. Im Figaro schreibt Gilles Kepel über die Rolle des Internets bei den Islamisten. Die NZZ berichtet über die Erfolge eines italienischen Films über Karol Woytila in Polen. In der taz formuliert Michael Rutschky ein Naturgesetz: Nur eine Linke, die sich verrät, ist fähig zu Politik. Die Welt rät: Keine Angst vor einer großen Koalition.

NZZ, 26.07.2005

Gerhard Gnauck erzählt von einem polnischen Kinowunder: Giacomo Battiatos Papst-Film "Karol" sprengte alle Rekorde und ist - noch vor "Star Wars" der erfolgreichste Film in den polnischen Kinos. Die Kritiker überschlagen sich vor Begeisterung, die Rzeczpospolita jubelte: "Eine äußerst suggestive Impression, ein wunderschönes Geschenk, das Battiato den Polen gemacht hat."

Maria Becker begibt sich im Musee Rath auf die Spuren des Malers Ferdinand Hodler, der in seiner Wahlheimat Genf lange Zeit verkannt wurde. Thomas Maissen betrachtet die Augsburger Ausstellung zum Religionsfrieden von 1555, welche die Konflikte und Koexistenz im konfessionellen Zeitalter aufzeigt. Jörn Ebner besuchte das Londoner Design Museum, in der acht wichtige Projekte des englischen Architekten Cedric Price dokumentiert werden. In der Serie "Aus den Anfängen der NZZ" ist ein Text über den Glaubenskrieg in London im Sommer 1780 zu lesen.

Besprochen werden Bücher, darunter Roberto Calassos Essays "Die neunundvierzig Stufen", Thorvald Steens Roman "Konstantinopel" und Valeria Parrellas Erzählungen "Die Signora, die ich werden wollte" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Weitere Medien, 26.07.2005

Im Figaro verficht der Islamforscher Gilles Kepel ("Das Schwarzbuch des Dschihad") eine sehr interessante These über die Rolle des Internets bei den Islamisten: Da die radikalen Islamisten die Mehrheit in ihren Ländern niemals überzeugen werden, erobern sie sich das Internet als eine Art virtueller Umma, die sie, jenseits der Zensur in ihren Ländern, ganz allein beherrschen können: "Das Internet hat in der Galaxie des Dschihad die Ulemas von damals durch bärtige Cyber-Salafisten ersetzt, die eine ausschließlich wörtliche Interpretation der heiligen Texte anbieten. Für sie ist die Transzendenz digital, das Jenseits und das Virtuelle vermischen sich zu einer zusammenfantasierten Einheit, die von der realen Welt getrennt ist und ihren eigenen Gesetzen folgt. Die Interaktion zwischen diesen beiden Welten führt zu einem doppelten Tod: zum Selbstmord des 'Märtyrers', der ihn von der schizophrenen Spannung zwischen den beiden Welten befreit, und zum Blutbad unter den 'Ungläubigen'."

SZ, 26.07.2005

Für die Opposition in Ägypten sind die Anschläge von Scharm el-Scheich eine Katastrophe, sagt der Schriftsteller Alaa al-Aswani im Gespräch mit Sonja Zekri. Nun könne wieder durchgegriffen werden, mit verheerenden Folgen. "Die ägyptische Regierung bekämpft den Terror nicht, sie schafft ihn überhaupt erst. Nehmen Sie die Anschläge auf die Hotels in Taba im vergangenen Jahr. Damals wurden Tausende Verdächtige verhaftet und gefoltert. Man hat die Frauen vor den Augen der inhaftierten Ehemänner vergewaltigt, man hat Gefangene mit Elektroschocks gequält, einige haben es nicht überlebt. (...) Wenn die Regierung zehn Verdächtige sucht, verhaftet sie 500, die Menschen unterschreiben unter der Folter die abenteuerlichsten Geständnisse. Es ist eine schwarze Komödie. Wer alles verloren hat, der ist zu allem fähig."

Weiteres: Alex Rühle besucht die Kuratorin Connie Meran in ihrer "verschlumperten" Salzburger Villa. Die Alltagsschätze der früheren Bewohner, die sich über hundert Jahre dort angesammelt haben, zeigt die Kuratorin nun in einer Ausstellung. Christopher Schmidt charakterisiert den neuen Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele, Martin Kusej, als "Grenzgänger". "jby" mutmaßt, ob Angela Merkel die Kulturpolitik zentralisieren will. Julian Weber besucht das Kulturfestival Garage in Stralsund, auf dem sich zweihundert Künstler mit den digitalen Speicher- und Löschmöglichkeiten beschäftigen. Uwe Kiesslers Telekom-Center im Münchner Osten scheint Gottfried Knapp ein Musterbeispiel für einen möglichen Kompromiss in der Münchner Hochhausdebatte zu sein. Harald Eggebrecht weilt in der "Zwischenzeit" in Desmond Browns luxuriösem Panorama-Bungalow in Tasmanien. Christian Y. Schmidt trifft in Peking einige junge Leute, die aus Europa oder den USA nach Peking gekommen sind, um beim Aufbruch dabei zu sein.

Auf der Medienseite wittert Rene Martens Morgenluft auf dem Markt der Fussballmagazine. Im Literaturteil meldet "jsl.", dass im Kloster Corvey im ostwestfälischen Höxter unbekannte Baumlyrik von Hoffmann von Fallersleben entdeckt worden ist. "Oh weh! Will darum man uns morden, nur darum, weil wir alt geworden?"

Besprochen werden Gustav Kuhns Wagner-Konzentrat bei den Tiroler Festspielen, wo "Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung" innerhalb von 24 Stunden aufgeführt wurden, Wes Cravens Werwolf-Film "Cursed", und Bücher, darunter eine Ausgabe der ersten jiddischen Komödie im deutschen Sprachraum, Isaak Heuchels "komisch-böses" Stück "Reb Henoch oder: Woß tut me damit" sowie Raoul Schrotts "Handbuch der Wolkenputzerei" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 26.07.2005

Michael Rutschky redet der verbliebenen Leserschaft der taz ins Gewissen: Nur eine Linke, die sich verrät, ist fähig zu Politik: "Es gehört zur Erfolgsgeschichte der Grünen, dass sie sich, nachdem die Fundi-Sekte ausgeschieden war, der Profanierung überlassen und in eine parlamentarische Kraft verwandeln konnten, die an der Regierung teilhaben kann. Schon zur Erfolgsgeschichte der SPD gehört, dass sie den Prophetenworten, unter denen sie einst angetreten war, in ihrer langen Geschichte allmählich zu entkommen vermochte. Marx dachte sich das Proletariat bekanntlich als Heer des Lichts, das in einer Entscheidungsschlacht, der Revolution, das Heer der Finsternis entmachtet, sodass die wahre und freie Menschheit entsteht. Kein Bundeskanzler ist denkbar, der an diesem Heilsgeschehen mitwirkt."

Weitere Artikel: Dirk Baecker betrachtet das "Nein" der Franzosen und Niederländer aus systemtheoretischer Sicht. Besprochen wird die Ausstellung "Generation X" mit junger Kunst aus der Sammlung des Kunstmuseums Wolfsburg

Und Tom.

Welt, 26.07.2005

Im Hinblick auf mögliche politische Konstellationen kann uns Eckhard Fuhr beruhigen. Die große Koalition von 1966 war längst nicht so schlecht wie ihr Ruf. Im Gegenteil: Sie setzte entscheidende Reformen in Gang: "Sie ging die ersten Schritte einer neuen Deutschland- und Ostpolitik indem sie die Hallsteindoktrin stillschweigend aufgab und Regierungskontakte mit Vertretern der DDR nicht mehr ausschloss. Im Sinne der gesellschaftlichen Liberalisierung erwarb sich die Regierung Kiesinger/Brandt Verdienste, die fälschlicherweise gern der sozialliberalen Koalition zugeschrieben werden."

FR, 26.07.2005

Hans-Jürgen Linke würdigt in einem Nachruf den Frankfurter Posaunisten Albert Mangelsdorff, der im Alter von 76 Jahren gestorben ist. Er sei "nicht nur ein bekannter, sondern auch ein folgenreicher Musiker: Es gibt die Posaune vor und die Posaune seit Albert Mangelsdorff... Albert Mangelsdorffs Platz in der Musikgeschichte ist der eines Vermittlers zwischen der Jazz-Tradition und der auflösenden Antithese der Moderne. Er hat beides überblickt und nie das eine ohne das andere gewollt."

Weitere Artikel: Thomas Medicus ist begeistert von der Ausstellung "Künstler.Archiv" der Berliner Akademie der Künste. Harry Nutt versucht, in der Kolumne times mager den verwirrenden schwarz-gelben Ankündigungen zur Kulturpolitik zu folgen.

Besprochen werden das Album "Plat du jour", auf dem der Soundkünstler Matthew Herbert die Politik des Essens musikalisch umsetzt, sowie Adolf Muschgs Künstlerroman "Eikan, du bist spät" und Stefan M. Mauls Neuausgabe des "Gilgamesch-Epos".

FAZ, 26.07.2005

Joachim Müller-Jung berichtet im Aufmacher, dass ausgerechnet die medizinische Fakultät der Privatuni Witten-Herdecke Gegenstand eines negativen Gutachtens durch den deutschen Wissenschaftsrat wurde, und sagt einen "gesellschaftlichen Transformationsprozess" an, "der gerade dabei ist, die Wettbewerbssituation insbesondere der medizinischen Universitätsinstitute grundlegend zu verändern". Ulf von Rauchhaupt präsentiert einen jüngst im Achtal gefundenen eiszeitlichen Steinpenis (Bild) und fragt nach dessen ritueller Funktion. Jakob Strobel y Serra äußert die Zuversicht, dass der Tourismus am Ende stärker sei als der Terrorismus. In der der Leitglosse kommentiert Andreas Platthaus eine Reihe von Filmen, die laut British Film Institute zur Kinobildung von Kindern gehören sollen. In der Reihe über deutsche Verlegerinnen stellt Freddy Langer die Verlegerin Monika Thaler von Frederking & Thaler vor. Dietmar Dath gratuliert dem Science-Fiction-Autor M. John Harrison zum Sechzigsten. Klaus Ungerer berichtet von den Luftgitarremeisterschaften in Berlin. Andreas Kilb gratuliert Helen Mirren zum Sechzigsten.

Auf der DVD-Seite werden Filme wiederbesichtigt, in denen Michael Ballhaus die Kamera führte. Auf der Medienseite berichtet Nina Rehfeld groß über eine amerikanische Fernsehserie, die im alten Rom spielt. Außerdem interviewt sie Bruno Heller, den Autor dieser Serie, die im Winter auch auf RTL zu sehen ist.

Auf der letzten Seite ergeht sich Ingeborg Harms in geistvollen Fiorituren über moderne Kommunikationstechnik, Navigationssysteme und eine Berliner Modemesse. Jürgen Kaube meditiert über die Beobachtung, dass Sprecher unverständlicher Dialekte wie die Bayern, Schwaben oder Sachsen besser im Pisa-Test abschneiden. Und Hannes Hintermeier kündigt Ulrike Folkerts' Rückkehr auf die Bühne als "Tod" im "Jedermann" an.

Besprochen wird der "Ring" bei den Tiroler Festspielen in Erl.