Heute in den Feuilletons

Die kleinen Pfützen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.08.2010. Das Handelsblatt hat von der Wikipedia gelernt: Es gibt im Leben auch Altruismus. Die FR ist nicht zufrieden mit der neuen Dauerausstellung der "Topografie des Terrors". In der taz macht Dani Levy folgende Alternative auf: Entweder es ist lustig, oder es kostet mich den Kopf. Die New York Times meldet: Die Agentur Wylie wird keine eigenen Ebooks produzieren - Randomhouse hat gewonnen. Carta legt offfen, wie die Stadt Duisburg im Interesse der Transparenz auf Kommunikation verzichtet.

TAZ, 25.08.2010

Dani Levys neuer Film "Das Leben ist zu lang" handelt von einem in die Krise geratenen Regisseur, der einen Film über die Mohammed-Karikaturen drehen will. Im Interview mit Andreas Resch spricht Levy über Hitler, Mohammed und Humor: "Sowohl beim Schreiben als auch beim Drehen weiß ich meist gar nicht: Was ist jetzt eigentlich lustig und was kostet mich meinen Kopf?" (Klar, Humor darf wehtun, aber nicht einem selbst).

Besprochen werden die Restrospektive zu Jean-Michel Basquiat in der Fondation Beyeler und Sylvester Stallones Muskelfilm "Expendables" (mehr).

Und Tom.

Weitere Medien, 25.08.2010

Aus einer Studie über die Wikipedia lernt Olaf Storbeck im Handelsblatt: "Volkswirte machen einen Fehler, wenn sie den Menschen zum reinen Egoisten erklären - dann können sie viele Phänomene des wahren Lebens nicht richtig erklären."

Randomhouse hat sich gegen die Agentur Wylie durchgesetzt und wird künftig die Ebooks von Autoren der Agentur vertreiben, meldet die New York Times. Wylie hatte angekündigt, für seine Autoren direkte Verträge mit Amazon schließen zu wollen, scheint sich jketzt aber zurückzuziehen.

Welt, 25.08.2010

Manuel Brug resümiert das Rossini-Festival von Pesaro. Wolf Lepenies gratuliert Sean Connery zum Achtzigsten. Joachim Stoltenberg schreibt zum Tod des Fernsehjournalisten Lothar Loewe

NZZ, 25.08.2010

Der Stifter Branco Weiss denkt über sinnvolles Mäzenatentum nach, das uneigennützig, aber unternehmerisch und nachhaltig angelegt sein müsse: "In der Erdgeschichte waren es die kleinen Pfützen, in denen heftig kopuliert wurde, was schließlich zur Entstehung neuer Arten führte."

Besprochen werden Stefan Haupts Drama "How about Love", die Ausstellung des Dresdner Piktorialisten Heinrich Kühn "Die vollkommene Fotografie" in der Wiener Albertina. Und Bücher: Elisabeth Badinters Erziehungsstudie "Der Infant von Parma", zwei Romane des Angola-Brasilianers Jose Eduardo Agualusa sowie Andreas Maiers gesammelte Kolumnen "Onkel J. Heimatkunde" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FR, 25.08.2010

Bert Hoppe besucht die neue Dauerausstellung der "Topografie des Terrors", ist aber nicht zufrieden: "Die zentrale Frage, die diese Ausstellung stellen müsste, bleibt weitgehend unbeantwortet und wird nicht einmal als solche explizit formuliert, nämlich, worin sich die Geschichte Berlins im Nationalsozialismus jenseits seiner Rolle als Sitz der deutschen Regierung von der anderer deutscher Großstädte wie Köln oder Frankfurt oder Orten in der Provinz unterscheidet."

Weitere Artikel: Elisabeth Kiderlen stellt einige Einzelpersonen und Organisationen vor, die sie zur neuen "Verantwortungselite" Pakistans zählt. Christian Bommarius klärt uns anlässlich des Todes dreier Babys in einer Mainzer Klinik darüber auf, dass jedes Jahr 40.000 Menschen in deutschen Krankenhäusern an den Folgen mangelnder Hygiene sterben.

Besprochen werden Laurent Tirards Verfilmung des "Kleinen Nick", Peter Haffs Krimi "Der blaue Spiegel" und eine konzertante Aufführung von Beethovens "Fidelio" auf dem Festival in Grafenegg.

Aus den Blogs, 25.08.2010

(Via Tobias_B) Jordan Michael Smith fragt in Salon, ob es vor einem möglichen Schlag gegen iranische Atomanlagen wieder die gleichen Konflikte zwischen intellektuellen Befürwortern und Kritikern eines Einsatzes geben wird. Der Historiker Jeffrey Herf stellt sich im Gespräch mit Smith jedenfalls schon mal klar auf die Seite der "liberalen Falken": "'If Iran gets a nuclear bomb, we will have crossed a threshold,' Herf says. The Persian nation will have proved to the world you can thumb your nose at the U.S. and the U.N. and the international community and succeed, he says. 'As a historian of Nazi Germany, I've learned that when leaders say lunatic things, they mean them.'"

Die Stadt Duisburg hat beschlossen, vor dem 2. September nicht mit Journalisten zu kommunizieren, um die Katastrophe bei der Love Parade aufzuklären, schreibt Marvin Oppong in Carta. In einem Antwortschreiben der Stadtverwaltung, das er zitiert, klingt das so: "Die Stadt verfolgt das Ziel, einen wesentlichen Beitrag zur Gesamtaufklärung des tragischen Unglücks zu leisten. Die größtmögliche Transparenz soll mit einer zusammenfassenden Darstellung hergestellt werden. Daher sieht die Stadt Duisburg vor Erstellung des Abschlussberichts davon ab, Einzelanfragen zu beantworten, zumal diese im Lichte der Abschlussberichts gesehen werden müssen, der zunächst dem Souverän des Landes und den Ermittlungsbehörden vorzulegen ist."

(Via Open Culture) Mit der Sache angemessenem Gesichtsausdruck hielt Christopher Walken letztes Jahr in der BBC-Sendung "Friday Night with Jonathan Ross" eine kurze Lesung. Hören Sie hier einen Auszug aus Lady Gagas "Poker Face":



SZ, 25.08.2010

China-Korrespondent Henrik Bork besucht für die Reihe "Schule der Kunst" die Kunsthochschule in Chongqing und lässt bei aller Lockerheit und internationalen Bekanntheit der Künstler, die er dort trifft, keine Illusionen zu: "Ein Parteisekretär wacht auch heute noch an der Akademie in Chongqing darüber, dass bestimmte Grenzen nicht überschritten werden"

Weitere Artikel: Helmut Mauro beobachtet in Salzburg eine Meisterklasse der großen Mezzosopranistin Marjana Lipovsek. Thomas Steinfeld besucht vor der Architektur-Biennale in Venedig schon eine von dem deutschen Philosophen Wolfgang Scheppe ("Migropolis") arrangierte Ausstellung, die die Venedig-Zeichnungen John Ruskins mit Fotografien und anderen Memorabilien kombiniert, die ein Vaporetto-Schaffner über Jahrzehnte zusammengetragen hat. Tobias Kniebe gratuliert Sean Connery zum Achtzigsten.

Besprochen werden Richard Linklaters Biopic "Me & Orson Welles" über den jungen Orson Welles und Bücher, darunter Jan-Werner Müllers Essay "Verfassungspatriotismus" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 25.08.2010

Michael Althen hat "Enter the Void" (mehr) gesehen, den neuen Film von Gaspar Noe. Er kann nicht sagen, dass er ihn mag. Großartig findet er ihn aber doch: "Aber trotzdem ist Kino eben doch immer mehr als Anstand, Verständnis und Wohlgefallen. Manchmal findet es seine Erfüllung darin, alle Mahnungen über Bord zu werfen, sich dem Rausch hinzugeben und einfach nur die Hölle in ihren schillerndsten Farben auszumalen. Und genau das macht Noe hier. Was er zeigt, hat man so noch nicht gesehen. Das muss man nicht mögen, aber man kann sich ihm verdammt schwer entziehen. 'Enter the Void' ist vielleicht der hassenswerteste Film der Saison - aber man möchte ihn sofort nochmal sehen."

Weitere Artikel: In einem Blick auf aktuelle US-Sachbücher und -Belletristik staunt der Schriftsteller Ralph Martin über die allzu unkritische Darstellung von Bankern. Joachim Müller-Jung schildert aus Anlass des Säunglingstods von Mainz die Hygiene- und Keimlage in deutschen Krankenhäusern als problematisch, nicht nur, aber auch wegen der inzwischen vorhandenen "multiresistenten" Keime. Vom Theaterfestival in Edinburgh berichtet Gina Thomas. In der Glosse muss Klaus Ungerer zugeben, dass ihm das Browser-Kriegsspiel supremacy1914.de beim Anblick manches Mitspielernamens - von "jew.killa" bis "Adolf Eichmann", "Heydrich" und "hitl0r" - doch etwas suspekt geworden ist. Auf der Medienseite findet Oliver Jungen den heute im Fernsehen laufenden Thriller "Takiye", der sich mit islamistischer Wirtschaftskriminalität in Deutschland befasst, nur sehr bedingt überzeugend.

Besprochen werden ein erstes Konzert von Daniel Barenboim mit seinem West-Östlichen-Divan-Orchester im restaurierten Teatro Colon in Buenos Aires, die Ausstellung argentinischer Kunst unter dem Titel "Tales of Resistance and Change" im Frankfurter Kunstverein, eine Ausstellung mit Werken des Bildhauers, Malers und Grafikers Mathieu Molitor im Museum der Bildenden Künste Leipzig und Bücher, darunter Günter Grass' möglicherweise letztes Buch "Grimms Wörter" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).