Vorgeblättert

Anna Politkowskaja: In Putins Russland. Teil 4

23.02.2005.
Tanja präsentierte sich der Medienwelt absolut stilsicher - im klassischen schwarzen Business-Kostüm, ohne einen einzigen Brillanten. David war auch da, gab den perfekten Sekretär ab, taktvoll und immer im Hintergrund. Seine Sprüche von den "Hübschen" schenkte er sich hier.

Ich saß unter den Journalisten, Tanja auf der anderen Seite der Barrikade. Sie trat als Letzte vor das Mikrofon. Wie sich herausstellte, kandidierte sie für den vakanten Sitz in der Stadtduma und erläuterte deshalb den Medienvertretern, wie sie die Probleme der Obdachlosen in Moskau sah und deren Interessen zu vertreten gedachte, wenn die Wähler ihr das Vertrauen erweisen und sie in das Stadtparlament wählen würden.

"Großer Gott, Tanja, wozu hast du das nötig? Du bist doch reich genug", sagte ich, als wir uns nach der Pressekonferenz begegneten.

"Wie du schon weißt, will ich noch reicher werden. Ist doch ganz einfach: Ich habe keine Lust, unserem Abgeordneten Bestechungsgeld zu zahlen."

"Das soll der ganze Grund sein?"

"Und kein geringer, nebenbei gesagt. Simples Management. Du verstehst einfach nicht, auf welchem Niveau sich die Korruption jetzt bewegt. Das hätten die Gangster zu Jelzins Zeit sich nicht vorzustellen gewagt. Wenn ich selbst Abgeordnete bin, macht das eine ›Steuer‹ weniger. Eine Menge Geld, das darfst du mir glauben."

"Und warum muss es gerade der Schutz der Obdachlosen sein?" Wir waren inzwischen in das französische Cafe nebenan hinübergewechselt. Tanja hatte es ausgesucht, ich verkehre nicht in solchen Etablissements, sie sind mir zu teuer.

"Ich glaube, das nützt meinem Image. Außerdem kann ich ihnen wirklich helfen, da rauszukommen."

"Weshalb hast du dir das mit Putin nicht verkniffen am Schluss? Wie sehr du ihn liebst und achtest, an ihn glaubst. Da haben dich deine Imagemaker aber schlecht beraten. Das ist unfeiner Stil."

"Überhaupt nicht. Das erwartet man heute einfach. Ich brauche keine Imagemaker …", hier verschluckte sich Tanja an dem schwierigen englischen Wort, das mit dem neuen Leben in unsere Sprache geschwappt war, "… keine Imagemaker, um eines zu wissen: Erwähne ich Putin nicht, kommt morgen der FSB-Mann unseres Stadtteils zu mir ins Geschäft und reibt mir unter die Nase, dass ich nicht gesagt habe, was alle sagen. So leben wir Unternehmer heutzutage."

"Lass ihn ruhig kommen und dir was unter die Nase reiben. Das kostet dich doch nichts."

"Nein. Bloß ein Bestechungsgeld."

"Wofür?"

"Dafür, dass er 'vergisst', was ich vergessen habe zu sagen."

"Sag mal, hast du das alles nicht satt?"

"Nein. Wenn es nötig ist, Putin den Arsch zu küssen, um noch ein paar Läden abzukriegen, dann küsse ich ihm den Arsch."

"Was meinst du mit 'abkriegen'? Du kaufst die Läden doch, bezahlst dafür, wie es sich gehört."

"Nein, heute geht das anders. 'Abkriegen' heißt, sich bei den Staatsdienern in den Behörden das Recht zu verdienen, für das eigene Geld einen Laden kaufen zu dürfen. Das ist russischer Kapitalismus. Mir persönlich gefällt er. Sollte er mir einmal nicht mehr gefallen, kaufe ich mir irgendeine andere Staatsangehörigkeit und - weg bin ich …"

Wir gingen auseinander. Natürlich wurde Tanja ins Stadtparlament gewählt. Es heißt, sie soll keine schlechte Abgeordnete sein, zugänglich, immer bereit, sich für die Armen in die Bresche zu werfen, noch eine Suppenküche für Obdachlose und Flüchtlinge in Moskau zu organisieren. Sie hat drei weitere Supermärkte gekauft. Oft hört man sie im Fernsehen die heutigen Zeiten rühmen. Vor kurzem rief sie an und bat mich, etwas über sie zu schreiben. Was ich auch getan habe. Das Ergebnis sehen Sie vor sich. Tanja, die das Material vor der Veröffentlichung lesen wollte, war entsetzt. "Es stimmt alles", sagte sie nur und verbot mir, auch nur eine Zeile davon zu ihren Lebzeiten in Russland zu veröffentlichen. Was ich ihr versprach.

"Und im Ausland?"

"Im Ausland meinetwegen. Sollen sie dort ruhig wissen, wonach unser Geld riecht."

Mit freundlicher Genehmigung des DuMont-Verlages

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