Vorgeblättert

Jorge Edwards: Der Ursprung der Welt. Teil 4

21.02.2005.
Sie war Philosophin, man höre!, sie hatte ihren Magister in Philosophie an so einem unwirklichen Ort wie der Universität von Tabasco oder Jalapa gemacht, in North Carolina promoviert und wollte Schriftstellerin werden; eine intelligente Frau, charmant, mit einer Wespentaille, olivenfarbener, makelloser Haut und den verführerischsten Augen und den vollkommensten Brüsten, die er je in seinem Leben gesehen hatte, und was Brüste und andere Dinge anging, hätte er nicht wenig gesehen, versicherte er (das hätte er sich sparen können).

"Wo liegt dann das Problem?" fragte ich ihn und lachte, denn Felipe Diaz war, das konnte ich nicht leugnen, ein sympathischer Schuft, ein Schelm der Gefühle, ein guter Freund aus Berufung, aber vielleicht auch ein instinktiver Verräter, und ich mußte über seine Abenteuer immer schallend lachen, bis zu dem Punkt, als Silvia, die aus ihrer Leseecke unter der Lampe gern ihre Schmirgelpapierzunge zeigt, sagte, wir wären im Grunde Schwuchteln, wir würden uns amüsieren, indem wir über Frauen sprechen, aber uns würde nur einer abgehen, wenn wir zusammen seien. Seltsame Theorie, die Silvia da aufstellte; sie brachte plötzlich, wenn man am wenigsten damit rechnete, ein hartes, scharfes Element in die Atmosphäre, einen destillierten Gifttropfen. Ich kenne Silvia so lange, aber manchmal habe ich das Gefühl, sie überhaupt nicht zu kennen, nahezu dreißig Jahre an der Seite einer Unbekannten gelebt zu haben.

Felipe Diaz? Problem, das durch den Besuch der mexikanisch-japanischen Philosophin hervortrat, die vielleicht besser daran getan hätte, bei ihrem jungen Semiotiker zu bleiben, war durchaus ernst. Die un-ternehmungslustige Akademikerin hatte sich in Pa-ris bei einer brasilianischen Freundin niedergelassen, einer mit einem Bildhauer verheirateten Malerin, an dem nahegelegenen Boulevard Edgar Quinet, gegenüber den Toren des Friedhofs von Montparnasse, und sie besuchte Felipe nur am Abend. Und das seit acht Tagen. Acht Tage zerstörter Illusionen, acht Tage echter Hölle! Warum? Aus einem transzendentalen Grund. Weil der Casanova, der Don Juan Tenorio der Pariser Chilenen und Lateinamerikaner, der unbändige Frauenheld, der unfehlbare Verführer, der in wenigen Stunden die überwältigendsten Eroberungen machen konnte, der eine Frau am Abend kennenlernte, während er ein Gläschen im Rosebud zu sich nahm, und fähig war, mit ihr in derselben Nacht in einem Sportwagen bei geschlossenem Verdeck nach Sevilla zu fahren, nach Sevilla, und das als Hommage an Georges Bataille und seine Geschichte des Auges, weil dieser Casanova an den acht aufeinanderfolgenden Abenden, Nächten oder Morgen nicht die Spur einer Erektion hatte.

Mit einer perversen Freude, die sich unbedingt in einem breiten, boshaften Lächeln äußern wollte, beschränkte ich mich darauf, mit dem Zeigefinger auf das Whiskyglas zu deuten, und ich dachte, daß ich meine Rolle, mit der das Wissen um die harten biologischen und psychologischen Tatsachen, um die dunklen Wahrheiten der Maschine Mensch verbunden war, mit der geheimen Wollust eines Inquisitors oder Kommissars ausübte.

"Du weißt!"

Natürlich wußte er! Und bis zum siebten Tag hatte er versucht, die giftige Flasche Ballantine?s gegen die verführerische Philosophin einzutauschen, überzeugt, daß er die Philosophin vorzöge, aber am achten Tag, also am Vorabend unseres Treffens, nachdem er im Schlaf und sogar im Wachzustand von Flaschen geträumt hatte, von bauchigen, geraden, runden, aus Ton, mit grünen Etiketten und goldenen Buchstaben, mit Umrissen von schottischen Schlössern, mit roten Bändern oder Miniaturbildern, hoch oben auf den Bars, Flaschen, die durch Sternenräume schwebten, reproduziert von den Spiegeln, zwischen Licht und Schatten, verhüllt vom Rauch, schweigend inmitten des Geschreis, des schrillen Gelächters, der Faustschläge auf die Tische, und dann neben der Wespentaille, der zarten Scham und den vollkommenen Brüsten aufgewacht war und zu seiner Verwunderung feststellte, daß er nackt in seinem wohlbekannten, so häufig besuchten Bett lag und über Platon sprach, aber nicht, nachdem sie sich geliebt hatten, sondern davor, und dieses davor war ihm unendlich erschienen, war er nach all dem plötzlich, in einem intuitiven Geistesblitz, zu dem Schluß gekommen, daß er in seinem Innern, in seinem authentischen Wesenskern, die Flasche vorzog. "Was soll ich machen, Patito, so ist das Leben, so laufen die Dinge!" Ihr könnte er vertrauen, sie leistete ihm Gesellschaft und forderte keine Rechenschaft von ihm.

Ich lachte, aber er schien bedrückt zu sein, als hätte die Schlußfolgerung gegen ihn Gestalt angenommen und als würde sie eine bittere Revision mit sich bringen. Denn er mußte in der Feierlichkeit dieses Tages, dieser Stunde, des dritten Ballantine?s on the rocks zugeben, daß die Flasche mit all ihren Dämonen, ihren eingeschlossenen Geistern in ihm weniger Angst und Unsicherheit erzeugte, daß ihr Schweigen, unterstützt von der runden Form, von der rätselhaften Reglosigkeit interessanter sein konnte als die Worte der Mexiko-Japanerin oder irgendeiner anderen Frau, und daß sie letztendlich für sein Seelenheil, für seine Distanz zur Welt, für seine Philosophie der Resignation vorteilhafter war als die Philosophin.

"Hast du es ihr gesagt?"

"Ja, habe ich. Ich habe gezögert, mir den Kopf zerbrochen, aber dann habe ich es ihr gesagt. Und weißt du, mit was sie dann ankam, sie, die bis zu diesem achten Tag so vorsichtig, zartfühlend und diskret war, die in mein Bett geschlüpft war und es ohne die geringste Klage wieder verlassen hatte, als wäre nichts oder besser gesagt, als wäre etwas geschehen?

Weil ihre Freundin vom Boulevard Edgar Quinet das ganze Wochenende weg war und weil der Literaturprofessor ein verlorener Fall war und sich bei der Wahl zwischen ihr und dem Computer für den Computer entschieden hatte, würde sie die ganze Nacht von Freitag auf Samstag morgen bei ihm, bei Felipe übernachten, und sie schlug vor, einen neuen Versuch zu wagen, wenn die Wirkung des Alkohols nachließe. "Wenn du willst" hatte sie hinzugefügt, und Felipe, der wirklich erschrocken war, hatte den Eindruck, daß sie das nicht im Scherz gesagt hatte, sondern mit einem helvetischen oder germanischen Ernst, mit dem der Professor sie womöglich angesteckt hatte, die germanisierte Japanerin, die Ernsthaftigkeit des Uhrmacher-Bankierherzens Europas möglicherweise vermischt mit dem Pragmatismus des zeitgenössischen Japan, "wenn du willst, kann ich erotische Dessous tragen, spezielles Zubehör, Leder mit Metallnieten, alles, was du willst, mein Liebling, wenn die Erektion, die für mich nur ein Detail ist, dir soviel bedeutet ?"

Ich mußte wieder schallend lachen. Felipes angsterfülltes Gesicht war eines der besten Spektakel, die ich in der letzten Zeit gesehen hatte: ein einziges humoristisches, pathetisches Gedicht.

"Nur Mut!" redete ich ihm zu und klopfte ihm dabei auf den Rücken, "und wie meine valencianischen Freunde sagen: força en el canut! Kraft in den Eiern! Morgen vormittag komme ich wieder her, und wenn du dazu aufgelegt bist, kommst du aus deiner Höhle und erzählst mir alles ?"

Ich war sicher, er würde mir die ganze Episode erzählen, ohne die Einzelheiten auszulassen, die für ihn demütigend sein könnten, mit einer Spur masochistischem Gefallen an der Selbsterniedrigung, denn er spürte tief in seinem Innern, daß seine Person, seine unvergleichliche Person, über seinen Schwächen und sogar über seinen Niederträchtigkeiten stand. Mehr noch, er sagte zu mir, er würde, während er mit der Philosophin zugange wäre, daran denken, was er mir erzählen würde, er würde vielleicht schon den ein oder anderen Satzanfang planen und sich insgeheim amüsieren. Denn er war ein selbstsicherer, vollendeter Schauspieler und seine Aufführungen verfehlten ihre Wirkung nie. Den Eindruck machte es zumindest auf mich, und ich muß gestehen, ich verspürte dabei so etwas wie Wut, denn diese Wirkung hatte, so empfand ich es, etwas, wie soll ich sagen, außergewöhnliches, mißbräuchliches, ungerechtes. Die ahnungslose Philosophin würde keinen Verdacht schöpfen, daß es bei der Szene, direkt am Bett, hinter einem Vorhang einen versteckten Beobachter gab, einen Dritten, der die Szene nicht nur wegen Felipe und wegen ihr betrachtete, sondern wegen seiner selbst und einer anderen. So ist es oder war es und so sind wir. Silvia, so wurde mir klar (jetzt erst recht), kannte uns beide besser als jeder andere.

"Stell dir vor, was mit unserem Freund Felipe los ist", sagte ich zu Silvia und versuchte vorsichtig das Terrain zu sondieren, als ich die Tür zum Appartement öffnete und ihre überkreuzten Beine, ihre jugendlichen Waden, die hübschen Schuhe sah.

"Was ist mit ihm?"

Sie war in ihrem Sessel versunken, erschöpft, mit einem Putzlappen in der Hand, in einem der Augenblicke des Tages, an denen sie sich, zu meiner Sorge, an die Annehmlichkeiten des Lebens in Iquique zurücksehnte. Silvia hatte diese Angewohnheit, über Felipe zu lachen, eher schlecht über ihn zu sprechen, aber wenn er irgendwo aufkreuzte, blühte sie auf, sie freute sich und war sichtlich eine andere. Die anderen sahen das vielleicht nicht, aber ich sah es sehr wohl, und ich hatte den Eindruck, die Veränderung war auffällig, skandalös. Silvia! rief ich im Innern aus und beobachtete aus den Augenwinkeln, wenig bemüht, es zu verbergen, die Begeisterung, mit der sie ihn zur Begrüßung auf die Wangen küßte, mehrfach, und jedermann mit ein bißchen Menschenkenntnis konnte meine Gefühle an meinem Gesicht ablesen, bis sie ihn am Ende nah am Mund küßte. Zu nah, zu begeistert, murmelte ich, aber ich sagte kein Wort, und dachte sofort an etwas anderes, denn ich bin, oder besser war damals ein Mensch von beneidenswerter Gesundheit (ich habe Angst, daß die Gesundheit sich jetzt in Krankheit verwandelt).

Mit freundlicher Genehmigung des Wagenbach- Verlages

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