Vorgeblättert

Leseprobe zu Götz Aly und Michael Sontheimer: Fromms: Teil 3

19.02.2007.
(Seite 81 ff)

Fromms Act für Görings Patentante

Viel zu sehr mit seiner Firma beschäftigt, interessierte sich Julius Fromm nie sonderlich für Politik. Gewöhnlich wählte er die Deutsche Volkspartei (DVP), deren rechtsliberaler, unternehmerfreundlicher Kurs seinen Interessen entsprach. Im Übrigen fand er es sympathisch, dass der DVP-Vorsitzende Gustav Stresemann mit der Tochter eines jüdischen Indu­striellen verheiratet war.

     Als Hitler 1933 Reichskanzler wurde, führten zwei Direktoren das Unternehmen, die Fromm unterstanden. Der eine, Berthold Viert, war bereits am 1. Oktober 1930 in die NSDAP eingetreten, hatte die Mitgliedsnummer 336158 und fungierte später als stellvertretender Ortsgruppenleiter im Berliner Vorort Hirschgarten. Der andere, Karl Lewis, wurde 1933 Parteigenosse.

     Es gibt Hinweise darauf, dass der Chef das politische Engagement seiner beiden Direktoren billigte oder gar wünschte und seine Firma so gegen Pressionen schützen wollte. Jedenfalls hingen in einem der beiden Kantinenräume bald eine rote Hakenkreuzfahne und ein Führerbild. Anfang Januar 1933, also noch in den letzten Wochen der Republik, bewarb Fromm seine Produkte plötzlich als "Rein deutsches Edel-Erzeugnis" und wenig später als "Die am meisten gekaufte deutsche Spezialmarke". Offensichtlich gab es sofort Versuche, die Firma als jüdisch zu boykottieren, sonst hätte Fromm nicht erklären müssen: "Der Verkauf unserer Spezialmarken Fromms Act ist nach wie vor uneingeschränkt gestattet!" Die Anzeige erschien am 25. Mai 1933 auf der Titelseite der Drogistenzeitschrift Der Drogenhändler in Sütterlinschrift. In der nächsten Annonce ließ Fromm den Zusatz "Act" im Firmennamen weg. Für einen Moment der Unsicherheit verzichtete er sogar auf die Kondom-Reklame. Stattdessen rückte er im Sinne der nazistischen Geburtenkampagne "Fromms Gummisauger" für Babys in den Vordergrund.(31)

     "Als mein Vater nach der Machtergreifung der Nazis vor der Frage stand, Deutschland zu verlassen", erinnerte sich Edgar Fromm, "hat er zunächst gesagt: 'Die Hitlers kommen und gehen ?'" Er habe es einfach nicht verstanden, wie blutig ernst es die Nationalsozialisten damit meinten, die Juden zu vertreiben und später zu vernichten. Er insistierte: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das geschehen kann. Wir sind doch Deutsche!" Auch versicherten ihm seine beiden zu Nazis gewordenen Direktoren wiederholt: "Aber Herr Fromm, Sie meinen wir doch nicht. Sie sind eine Ausnahme."

     Obwohl das Reichswirtschaftsministerium die Wünsche Fromms im Interesse der deutschen Außenhandelsbilanz generell wohlwollend behandelte, fehlte es nicht an Schikanen. Bereits im März und April 1933 erfolgte eine "eingehende" devisenrechtliche Sonderprüfung durch das Finanzamt. Allerdings konnten "Verstöße in keinem Falle" festgestellt werden. Auch versuchten die in Erfurt ansässigen "rein arischen" Konkurrenten der Firma Blausiegel die neue antisemitische Staatsdoktrin für sich zu nutzen. Gegen Fromms vom Reichswirtschaftsministerium längst genehmigte, dann aufgegebene Pläne, in England ein Zweigwerk zu errichten, intervenierten sie 1934 mit schäbigem Zweckrassismus und großgeschriebenem "Deutschen Wissen": "Die deutsche Präservativ- und Gummisaugerfabrikation ist in den meisten europäischen Staaten bisher ohne fühlbare Konkurrenz; ihr wird ein fühlbarer Schlag versetzt, wenn es artfremden Elementen gelingt, mit Deutschem Wissen im Ausland gleichartige Unternehmen aufzuziehen."(32)

     Julius Fromm wollte nicht auswandern, aber er traf Vorsichtsmaßnahmen. Zunächst wandelte er die Fromms Act in eine GmbH um, an der er 98 Prozent der Gesellschafteranteile hielt und sein Betriebsleiter Alfred Hausding die restlichen zwei. Der Firmengründer war fortan in seiner eigenen Firma formal nur noch als Berater mit einem Jahreshonorar von 200 000 Reichsmark tätig, zusätzlich bezog er aus dem Reingewinn des Unternehmens 300 000 Reichsmark. Doch behielt er die Gebäude und Maschinen in Privateigentum.

     Dann brachte er seine Söhne in Sicherheit. Max war im April 1933 nach Paris geflüchtet. Herbert, den designierten Nachfolger, entsandte er ein Jahr später nach London, wo dieser aus Berlin importierte Kondome vertrieb. Edgar meldete er im selben Jahr in einem Schweizer Internat an.


Am 20. Dezember 1933 stellte der Regierungspräsident in Potsdam beim Berliner Polizeipräsidenten den Antrag, die Einbürgerung Fromms zu überprüfen, die im Jahr 1920 vollzogen worden war. Die Grundlage bildete das Gesetz vom 14. Juli 1933, wonach den zwischen 1918 und 1933 eingebürgerten "Ostjuden", die Staatsbürgerschaft dann aberkannt werden sollte, wenn diese "nach völkisch-nationalen Grundsätzen" unerwünscht sei. Das Routineverfahren betraf etwa 15 000 während der Weimarer Zeit eingebürgerte Juden.

     In dem von Amts wegen ausgefüllten Fragebogen hieß Fromm nun wieder Israel. Anhand der Aktenlage stellte der Berliner Polizeipräsident am 13. Dezember 1933 in einer Randnotiz fest: "Es liegt keine Veranlassung vor, Fr. auch weiterhin die deutsche Staatsangehörigkeit zuzuerkennen. Ihm ist es in Deutschland gut gegangen, er hat [im Krieg] seine Geschäfte gemacht und gut verdient, während andere Deutsche ihre Pflicht getan und für das Vaterland ihr Leben eingesetzt haben. Wenn Fr. die deutsche Staatsangehörigkeit seinerzeit beantragt hatte, so hat er das nicht aus Liebe zum Deutschtum und Deutschen Reich getan, sondern lediglich um bequemer seinen Geschäften nachgehen zu können und allen Unbequemlichkeiten, die er als Ausländer in Deutschland und namentlich während des Krieges auf sich nehmen musste, aus dem Wege zu gehen. Es dürfte nicht im Interesse des deutschen Volkes liegen, dass derartige Persönlichkeiten weiterhin die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. [?] Im Hinblick darauf, dass das Einbürgerungsgesuch von Fr. im Jahre 1914 bereits schon einmal abgelehnt wurde und er dadurch als internationaler Jude anerkannt wurde, dürfte das Gesetz vom 14. Juli 1933 auch auf ihn zur Anwendung kommen." Allerdings hieß es im Gesamturteil: "Ein dem Wohle von Volk und Staat abträgliches Verhalten in staatsbürgerlicher, politischer, kultureller oder wirtschaftlicher Beziehung hat er nicht gezeigt."

     Immerhin verfügte ein leitender Beamter, "Fromm Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben". Die ließ nicht auf sich warten. Am 4. Januar 1934 schrieb Fromm an den Polizeipräsidenten und versicherte seine Staatsloyalität: "In Berlin habe ich mein Industrie-Unternehmen gegründet, das ich - zu Anfang als alleiniger Angestellter und Arbeiter zugleich - von den kleinsten Anfängen bis zu der heutigen Bedeutung gefördert habe. So konnte ich durch meine deutsche Artung und meinen deutschen Fleiß sauber und ehrlich einer der größten Steuerzahler meines Wohnbezirks Zehlendorf-Schlachtensee werden. [?] Ohne geringste Überheblichkeit darf ausgesprochen werden, dass das Unternehmen durch seine technische und architektonische Vollendung und durch seine bewusst höchsterreichbare Ausstattung mit sozialen und hygienischen Einrichtungen weit über den Rahmen Berlins bekannt ist; sehr oft ist es mir von Auslandskunden und Fachleuten als Sehenswürdigkeit Deutschlands, ja der Welt bezeichnet worden. Das ist meine deutsche Lebensarbeit!" Im Übrigen wies er auf eine Spende in Höhe von 10 000 Mark an die Winterhilfe hin und darauf, dass er schon in der Zeit der Republik für die Pflicht zum Arbeitsdienst anstelle "einer unbefriedigenden Freiwilligkeit" eingetreten sei.

     Dem Schreiben fügte Fromm eine Ehrenerklärung des bekennenden Rechtskonservativen und Alldeutschen Dr. Paul Stuermer an. Dieser verwies "auf die große Beliebtheit Fromms in Belegschaft und Fachkreisen", auf dessen Staatstreue und auf die wirtschaftlichen und die individuellen Folgen des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit: "Eine Ausbürgerung dürfte für Fromm bei seiner seelischen Verwurzelung in seiner völlig deutschen Familie nicht allein einer physischen und psychischen Vernichtung gleichkommen, sondern auch von erheblicher materieller Schädigung der deutschen Staatsinteressen begleitet sein."

     Am 19. und 20. Januar 1934 ergriff auch die Gau-Betriebszellen-Abteilung der Berliner NSDAP ohne Wenn und Aber für Fromm Partei, und zwar "bedingt durch unser Interesse an der Erhaltung bzw. Neuschaffung von Arbeitsplätzen". Die dort verantwortlichen Nazi-Funktionäre fürchteten um die Zukunft der Fabrik und berichteten ausführlich von dem Vorhaben Fromms, eine Schwergummifabrik für Reifen mit besonders rutschfesten Profilen zu gründen, in der für den Anfang 200 Arbeiter Beschäftigung finden sollten. In der Erklärung vom 19. Januar 1934 heißt es: "Der Betrieb ist als mustergültig sowohl in betriebstechnischer wie sozialer Beziehung zu bezeichnen. Direktor Fromm ist der leitende Kopf des ganzen Unternehmens. Er hat in einem Menschenalter aus den kleinsten Anfängen heraus dieses Werk geschaffen. Mehr oder weniger sind alle im Betrieb vorhandenen Maschinen und Betriebseinrichtungen nach seinen eigenen Angaben erbaut worden und zum größten Teil patentamtlich geschützt.[?] Für den Fall, dass dieser Mann ausgebürgert würde, bestände die Gefahr, dass das Werk langsam, aber sicher an Bedeutung einbüßen würde, und für den Fall, dass F. im Auslande Fabriken errichtete, das Absatzgebiet dem deutschen Export verloren ginge."

     Durchaus unfreundlich argumentierte die Industrie- und Handelskammer zu Berlin in ihrer Stellungnahme. Weniger von der Sorge um Arbeitsplätze als vom Sozialneid auf einen erfolgreichen jüdischen Unternehmer und womöglich schon vom Beutetrieb geleitet, ließen die Herren "streng vertraulich" wissen: "? insbesondere vermögen wir nicht zu erkennen, inwiefern durch die Ausbürgerung des Herrn Fromm sein Unternehmen aufs schwerste gefährdet, wenn nicht gar der Vernichtung preisgegeben wird."

     Am Ende entschied sich der Regierungspräsident in Potsdam für Fromm. Er hob dessen "einwandfrei deutsche Gesinnung" hervor und votierte dafür, "im vorliegenden Falle die Einbürgerung ausnahmsweise aufrechtzuerhalten". Am 21. April 1934 verfügte der preußische Innenminister nach Rücksprache mit den Reichsbehörden, dass "vom Widerruf der Einbürgerung des Israel Fromm abgesehen wird". An sich war es rechtswidrig, Fromm wieder den Vornamen Israel zu verpassen, und die Berliner Polizeibehörden betrieben auch ein Verfahren, mit dem die "Vornamensänderung des Juden Julius Fromm" rückgängig gemacht werden sollte. Doch blieb die Angelegenheit bis zum Zeitpunkt der Emigration im Jahr 1939 in der Schwebe.(33)


Zunächst arbeitete Fromm unverdrossen weiter. Für seinen Zweckoptimismus sprechen die großen, immer wieder veränderten Anzeigen, die er 1933/34 regelmäßig in der Drogisten-Zeitung schaltete und sich zusammen mit den Leuten seiner so bezeichneten Propagandaabteilung ausdachte. "Heißvulkanisiert / 3 Jahre lagerfähig / Transparent", hieß es da in schwungvoll gerundeter Werbegraphik. Das eher konservative Publikum sprach die Firma mit in deutscher Schreibschrift gehaltenen Sprüchen an: "Fromms Gummiwaren sind begehrt, weil diese Marke altbewährt!" oder "beliebt, bewährt, begehrt!". 1934 warb man mit schlichtem Stolz: "Weltmarke: Fromms Gummiwaren".

     Im Jahr 1935 vermarktete Fromm seine feinen Gummis als "Die siegreiche Qualitätsmarke". Während der Olympischen Spiele 1936 brachte er sinnigerweise einen "Nahverkehrsplan" unter die ausländischen Gäste, versehen mit der "Genehmigung des Propaganda-Ausschusses für die Olympischen Spiele". In Anbetracht der beginnenden Rohstoffknappheit experimentierte Fromm - gemeinsam mit dem I.G.-Farben-Werk Leverkusen - in der Absicht, ein geeignetes, synthetisch hergestelltes Gummi zu finden. (34)

     Julius Fromm war nicht nur als Kaufmann, Boss und Werbeagent in eigener Sache unermüdlich tätig, sondern widmete sich auch der technischen Vervollkommnung seiner Kondome. Beispielsweise verbesserte er während der Dreißigerjahre die Gleitfähigkeit von "rektal und vaginal verwendbaren Gummiwaren". Mit dem Patent, das er am 24. Februar 1936 beim Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum in Bern einreichte, behob er einige bis dahin nicht seltene Unannehmlichkeiten. Üblicherweise bestanden die Gleitsubstanzen aus feinkörnigen Stoffen wie indischem Tragant oder Johannisbrotkernmehl. Zwar ließ sich damit "eine Glättung der Oberfläche der Gummiwaren herbeiführen und so die gewünschte Gleitfähigkeit", allerdings quollen die Gummis in feuchter Luft vorzeitig auf, wodurch ein "lästiges Kleben" entstand und das Abrollen der Präservative "sehr erschwert, unter Umständen sogar unmöglich gemacht" wurde. Fromm vermischte deshalb die Quellstoffe "mit durch Feuchtigkeit nicht veränderlichen, fein pulverförmigen Zusätzen wie Talkum, Glimmer, Puder und dergleichen" und stäubte die Gummiwaren damit ein. Das Patent kann als sein wichtigstes gelten. Es wurde in 30 Staaten eingetragen.(35)

Mit freundlicher Genehmigung des S.Fischer Verlages
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