Vorgeblättert

Leseprobe zu Gottfried Wagner: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Teil 2

08.04.2013.
Die Briefe Minnas an ihn vernichtete Wagner, nur ein knappes Dutzend ist der Nachwelt erhalten geblieben. Auch seine Briefe an Minna forderte er unter Drohungen von deren Tochter zurück; sie behielt jedoch zahlreiche Schriftstücke bei sich.(207) In privaten Briefen an Dritte diffamierte er Minna ganz offen - wie in den folgenden Zeilen an Liszt vom 15. Januar 1854, die zugleich seinen destruktiven Charakter offenbaren: "Lieber Franz! Keines meiner letzten Lebensjahre ist an mir vorübergegangen, ohne daß ich nicht einmal darin am äußersten Ende des Entschlusses gestanden hätte, meinem Leben ein Ende zu machen. Es ist Alles darin so verfahren, so verloren! Durch eine vorschnelle Heirath im 23sten Jahre mit einer achtungswerthen, aber mir ganz unangehörigen Frau, bin ich ein fürs Leben Verfehmter geworden. Lange war der gemeine Druck meiner Lebenslage, bei ehrgeizigen Plänen und Wünschen, diesem Drucke durch Berühmtwerden mich zu entziehen, vermögend, die eigentliche Öde meines Herzens mir zu verdecken."208
Die meisten Biographen sind diesem Zerrbild, das Wagner und seine parteiisch-eifersüchtige Sekretärin Cosima über Minna verbreiteten, willig gefolgt. Noch heute erscheint sie überwiegend als kokettes, dümmliches, gefühlskaltes und gelegentlich hysterisches Heimchen, das ihrem Mann das Leben unnötig schwer machte. Erst die 2003 und 2004 erschienenen Biographien von Eva Rieger und Sibylle Zehle erweisen der Frau, mit der Wagner mehr als zwanzig Jahre zusammenlebte und dreißig Jahre verheiratet war, endlich Gerechtigkeit.(209)


"In Liebe und Begeisterung leiden": Cosima von Bülow

Manchmal sagt ein Bild mehr als viele Worte. Wie die berühmte Photografie von Fritz Luckhardt, die Wagner und Cosima kurz nach ihrer Hochzeit zeigt (siehe Seite 76). Cosima, die einen Kopf größer war als ihr Gatte, sitzt auf einem Stuhl, dem vor ihr stehenden Wagner zugewandt. Ihre linke Hand umfasst die seine, die andere Hand ruht auf ihrem Schoß. Mit einer Mischung aus Ergeben- und Entschlossenheit schaut sie zu ihrem Gatten empor, der ihren Blick streng-vertrauensvoll erwidert. Es ist in ihrem Blick auch die Beharrlichkeit zu spüren, mit der sie später, nach dem Tod Wagners, gegen alle Widerstände ihre Machtansprüche in Bayreuth durchsetzte. Um die Rolle der bedingungslos ergebenen Ehefrau, die sie spielte, zu verstehen, muss man ein paar Dinge über ihre Kindheit wissen.(210)
Cosima wurde am 24. Dezember 1837 als uneheliches Kind von Franz Liszt und Marie d'Agoult geboren. Ihre beruflich ehrgeizigen Eltern bekamen sie und ihre beiden Geschwister nur selten zu Gesicht. Liszt reiste als erfolgreicher Pianist umher und führte das Leben eines Dandys in den führenden europäischen Salons. Marie, die der Bankiersfamilie Bethmann entstammte, war als politische Journalistin und Historikerin international anerkannt und legte Wert auf ein in jeder Hinsicht freies Leben. Die Beziehung der beiden endete 1844. Nach seinem Umzug nach Weimar lebte Liszt ab 1848 in "wilder Ehe" mit der vermögenden Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein. Cosima und ihre Schwester Blandine kamen zu der in Paris lebenden Mutter von Liszt, Anna, die sich liebevoll um sie kümmerte. Es folgte ein Aufenthalt im Mädchenpensionat der Gouvernante Madame Bernard, wo die Schwestern auf ihre künftige standesgemäße Rolle als Ehefrauen vorbereitet wurden.
Doch Carolyne zu Sayn-Wittgenstein, die ebenso katholisch
wie antirepublikanisch war, sorgte dafür, dass die Kinder eine neue Gouvernante erhielten: die 72-jährige Madame Louise Adélaide Patersi di Fossombrone, die ein strenges Regiment führte.(211) Ehrfurcht vor der katholischen Kirche war ihr oberstes Gesetz, und in ihren Augen bestand die Rolle einer Frau allein darin, Gott und dem Ehemann zu dienen und zu gefallen. Sie brachte ihren Zöglingen das berüchtigte Traktat des spätmittelalterlichen Mystikers Thomas von Kempen, Nachfolge Christi, nahe, das für Cosima später zu einer Art Bibel wurde. "Kannst du schweigsam sein und leiden", heißt es darin, "wirst du ohne Zweifel sehen, dass der Herr dir hilft."212 Für besondere Strafpredigten stand ihr der Abbé Gabriel zur Seite, der - so erinnerte sich Cosima später - sie darauf einschwörte, dass das ganze Leben einer Frau "ein Opfer und sie eine lebendige Hostie zu sein habe".(213) Die Briefe der Kinder wurden zensiert, und es herrschte eine Atmosphäre der Unterdrückung und Heuchelei. Cosimas spätere masochistische Freude an der Selbstaufopferung ist das Ergebnis dieser Gehirnwäsche in ihrer Jugend. Später empfahl sie Kempens Traktat an ihre Töchter weiter, und als ihre Lieblingsstelle nannte sie den Satz: "Wer am besten zu leiden versteht, wird den größten Frieden haben."(214)
1855 holte Liszt seine Kinder nach Weimar und beauftragte die Freifrau Franziska von Bülow mit der weiteren Erziehung - Cosima war damals siebzehn Jahre alt. Zwei Jahre später heiratete sie den Sohn des Hauses und Schüler von Liszt, Hans von Bülow, der sich nicht nur als Pianist, sondern auch als Dirigent bereits einen Namen gemacht hatte und Wagner kultisch verehrte. Die Hochzeitsreise führte das Ehepaar unter anderem nach Zürich ins Gartenhaus der Villa Wesendonck, wo sie mit Wagner zusammentrafen. Dieser hat in seinem Hang zu pathetischen Momenten in seiner Autobiographie eine gemeinsame Kutschfahrt durch den Berliner Tiergarten am Abend des 28. November 1863 als den Beginn der gegenseitigen Leidenschaft geschildert: "Wir blickten uns stumm in die Augen, und ein heftiges Verlangen nach eingestandener Wahrheit übermannte uns zu dem keiner Worte bedürfenden Bekenntnisse eines grenzenlosen Unglückes, das uns belastete. Unter Tränen und Schluchzen besiegelten wir das Bekenntnis, uns einzig gegenseitig anzugehören." Hans von Bülow probte derweil mit dem Orchester.
Auch wenn die Ehe Cosimas mit Hans von Bülow, der zwei Kinder - die Töchter Daniela und Blandine - entstammten, nicht unbedingt eine glückliche war, so muss man doch konstatieren, dass Wagner dem ihm treu ergebenen von Bülow die Ehefrau ausgespannt hat. Er spielte dabei, wie für ihn typisch, nicht mit offenen Karten, sondern täuschte und log. Schon bevor er - nun unter der Protektion Ludwigs II. - die Bülows 1865 nach München geholt hatte, wo er dem Dirigenten zur Stellung eines "Vorspielers des Königs" verhalf und Cosima zu Sekretariats- und anderen Diensten zu sich bestellte, war sich von Bülow im Klaren darüber, dass seine Frau mit Wagner ein Verhältnis hatte.
Als die Bülows im Juni 1864 Wagner in seinem ihm vom König zur Verfügung gestellten Haus am Starnberger See besuchten, spielten sich - wie sich Wagners Dienerehepaar Mrazek erinnerte - denkwürdige Sze nen ab. Sobald von Bülow mitbekommen habe, dass sich Wagner mit Cosima im Schlafzimmer eingeschlossen hatte, sei er "in sein Wohnzimmer gegangen, habe sich auf den Boden nieder geworfen, habe mit Händen und Füßen geschlagen wie ein Wahnsinniger und habe geschrieen, ja gebrüllt".(215) Doch von Bülow war seinem Meister derart ergeben, dass er weder ihn noch seine Frau zur Rede stellte. Aber der Treue- und Vertrauensbruch führte zum Ruin seiner Gesundheit. Es kam zu Nervenzusammenbrüchen und Lähmungserscheinungen, was ihn aber nicht davon abhielt, Wagner weiterhin als Dirigent treu ergeben zu dienen. Er verausgabte sich für den Tristan und die Meistersinger, deren Uraufführungen in München er leitete. Es liegt eine besondere Traurigkeit darin, dass von Bülow Wagners Verhalten sklavisch-ergeben hinnahm und unbeirrt an seiner Bewunderung für ihn festhielt.
Neun Monate nach dem Vorfall in Starnberg, am 10. April 1865, wurde das erste Kind Cosimas und Richards geboren: die Tochter Isolde. Bei der Taufe gab der leibliche Vater den Paten, und der gehörnte Ehemann machte gute Miene zum bösen Spiel. Die zweite gemeinsame Tochter, Eva, folgte am 17. Februar 1867. Inzwischen wusste alle Welt, dass Cosima und Wagner ein Verhältnis hatten; nur Ludwig II. glaubte noch, dass sie ihm lediglich als Sekretärin diente. Erst die Geburt des dritten außerehelichen Kindes, Siegfried, am 6. Juni 1869 veranlasste Wagner dazu, dem Spiel von Betrug und Täuschung ein Ende zu setzen. Cosima bat ihren Mann um die Scheidung. Er stimmte zu, obwohl er seine Frau immer noch von Herzen liebte, wie er ihr schrieb: "Aber leider - seitdem du mich verlassen hast - fehlt mir mein einziger Halt im Lebenskampfe […] Der Verlust dieses höchsten Gutes, dessen ganzen Wert ich erst nach dem Verlust erkannte, ließ mich zusammenbrechen, menschlich und künstlerisch - ich bin ein Schiffbrüchiger."(216) Im Juli 1870 wurde die Ehe der Bülows geschieden, und am 25. August fand in der protestantischen Hofkirche von Luzern die Hochzeit von Wagner und Cosima statt.

zu Teil 3