Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
07.06.2005. Im Express erinnert Adam Michnik daran, dass Europa als Gegenmodell zum Totalitarismus entstand, nicht zum Liberalismus. In der Gazeta Wyborcza sieht Timothy Garton Ash die Rettung Europas durch Großbritannien voraus. Der Spectator sieht nur eine Rettung für Europa: seine Zerschlagung. Der Economist findet, das sei Großbritannien bereits gelungen. In Plus-Minus verlangt Ralf Dahrendorf einen Grundstandard für die Subklasse. Die New York Review of Books staunt über die beispiellose Korruption der Bush-Regierung. Andrzej Stasiuk beschreibt in Ozon die Roma-Siedlungen im slowakischen Rudnany. Im ES-Magazin feiert Otto Tolnai die Renaissance der ungarischen Literatur. Die Guardian Book Review stellt eine neue Mao-Biografie vor.
Gazeta Wyborcza (Polen), 04.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q83/A10882/gazeta.jpg)
Was kann Europa retten? Vielleicht Tony Blair und eine britische Vision von Europa, überlegt der englische Politologe Timothy Garton Ash. "Ich befürchte, es gibt viele regierungsnahe Anhänger der These, dass Blair während der britischen EU-Präsidentschaft ein neues europäisches Projekt forcieren wird - eine Sozial- und Wirtschaftsreform im britischen Stil. Nur so können wir den Drachen der Globalisierung besiegen. Vorwärts im Namen Gottes, Englands, Tonys und des Heiligen Georg!" Allerdings werde niemand laut ein angelsächsisch-liberales Europa unterstützen. Vielleicht sollte Blair daher einfach den Boden für eine neue Initiative vorbereiten, die dann nächstes Jahr von Sarkozy und Merkel verkündet werden könnte. Dann wird man diesen vorzüglichen deutsch-französischen Vorstoß sicher begrüßen, spottet Ash.
Weitere Artikel: der Schriftsteller und Reporter Ryszard Kapuscinski erklärt den Übersetzer zum Helden des 21. Jahrhunderts. Artur Domoslawski hat Benjamin R. Barbers "Imperium der Angst" gelesen und lässt sich von seiner Idee der "präventiven Demokratie" überzeugen. Allerdings stellt er fest: "Sie ist schön und rational. Leider wissen wir, dass die Geschichte von eher irrationalen als rationalen Ereignissen erzählt. Noch hat die Geschichte Oberhand."
Plus - Minus (Polen), 04.06.2005
Im Magazin der Rzeczpospolita stellt der Soziologe Ralf Dahrendorf fest, dass die materiellen Unterschiede zwischen den Ärmsten und den Reichsten in den letzten zwanzig Jahren enorm gewachsen sind, und der Reichtum der zehn reichsten Menschen der Welt das "harmlose" Niveau übersteigt. Das führt nicht zwangsläufig zu Revolutionen, konstatiert Dahrendorf, das Problem sei die Herausbildung einer "Subklasse" und der "Superreichen": "Die globale Ungleichheit, im ökonomischen, aber in Folge dessen auch politischen und sozialen Sinne, hat ein Niveau überschritten, das ich für akzeptabel halte. Die Existenz der Superreichen beunruhigt mich nicht so sehr, wie das Phänomen der sozialen Exklusion. Besonders, weil es nicht nur unsere Gesellschaften, sondern ganze Länder betrifft, die, wie es scheint, keine Chance haben, sich der globalen Gemeinschaft anzuschließen. Ungleichheit an sich finde ich nicht gut oder schlecht, es muss jedoch eine Bedingung erfüllt sein - es muss ein Grundstandard für alle gewährleistet sein."
Slawomir Popowski prophezeit eine Zeitenwende in der Osteuropapolitik der EU: "Durch die Osterweiterung grenzt das vereinigte Europa an das postsowietische Gebiet. In Folge dessen - und vielleicht unabhängig vom Willen der EU - tauchte im Blickfeld der GUS ein alternatives Integrationskonzept auf: das europäische, anstelle des russischen. Und dieses Modell siegte in der Ukraine. Moldawien war ein weiteres Glied in der Kette; Weißrussland und sogar Armenien und Aserbaidschan können folgen. Das vereinigte Europa hat gar keine andere Wahl, als auf die europäischen Sehnsüchte der postsowjetischen Staaten positiv zu reagieren". Die einzige Alternative bestünde darin, eine neue Mauer im Osten zu errichten, und bewusst die neuen Demokratien der imperialen Ambitionen Moskaus auszuliefern, was zur Entstehung eines Brüssel-Europa und eines Moskau-Europa führen würde.
Außerdem: die einmal im Monat erscheinende Bücherbeilage bringt eine Rezension des neuen Buchs des Shooting-Stars der polnischen Literaturszene, Dorota Maslowska. Krzysztof Maslon persifliert den hip-hopesquen Stil der Autorin von "Schneeweiß und Russenrot" und rapt eine Buchbesprechung ihres neuen Werks "Paw krolowej".
Slawomir Popowski prophezeit eine Zeitenwende in der Osteuropapolitik der EU: "Durch die Osterweiterung grenzt das vereinigte Europa an das postsowietische Gebiet. In Folge dessen - und vielleicht unabhängig vom Willen der EU - tauchte im Blickfeld der GUS ein alternatives Integrationskonzept auf: das europäische, anstelle des russischen. Und dieses Modell siegte in der Ukraine. Moldawien war ein weiteres Glied in der Kette; Weißrussland und sogar Armenien und Aserbaidschan können folgen. Das vereinigte Europa hat gar keine andere Wahl, als auf die europäischen Sehnsüchte der postsowjetischen Staaten positiv zu reagieren". Die einzige Alternative bestünde darin, eine neue Mauer im Osten zu errichten, und bewusst die neuen Demokratien der imperialen Ambitionen Moskaus auszuliefern, was zur Entstehung eines Brüssel-Europa und eines Moskau-Europa führen würde.
Außerdem: die einmal im Monat erscheinende Bücherbeilage bringt eine Rezension des neuen Buchs des Shooting-Stars der polnischen Literaturszene, Dorota Maslowska. Krzysztof Maslon persifliert den hip-hopesquen Stil der Autorin von "Schneeweiß und Russenrot" und rapt eine Buchbesprechung ihres neuen Werks "Paw krolowej".
Magyar Narancs (Ungarn), 06.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q91/A10881/magyarnar.jpg)
Balint Szlanko berichtet aus Brüssel über die bevorstehende EU-Haushaltsdebatte: "Es ist eine recht merkwürdige Kalkulation, die den weniger entwickelten Osteuropäern, zum Beispiel den Litauern proportional weniger gibt, als den 'armen' Spaniern, Griechen und anderen Südländern, von dem hoffnungslos ins Elend gestürzten Südbelgien nicht zu sprechen. Sollte nicht in erster Linie unser Aufholprozess unterstützt werden? ... Dieser Haushalt wird wahrscheinlich schreckenerregende, steinzeitliche Elemente für weitere sieben Jahre betonieren, wie die jährlich 40 Milliarden Euro verschlingende gemeinsame Agrarpolitik, während andere, dringend notwendige Innovationen, etwa die Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung, oder die Reform der Regionalpolitik einfach unterbleiben, um die Vereinbarung zu erleichtern. Das ist das eigentliche Problem mit diesem Haushalt, nicht die Zehntelprozente, um die unter anderem Ungarn gerade erbittert kämpft."
Magyar Hirlap (Ungarn), 02.06.2005
Für den Publizisten Andras Sztankoczy ist das Verfassungsdebakel in Frankreich und den Niederlanden ein dringender Anlass, das Demokratiedefizit der EU endlich ernst zu nehmen: "Die europäische Integration konnte nur bis zu diesem Punkt weiter schreiten, ohne die Menschen einzubeziehen. Nach langen Jahren wurde ihnen endlich eine Frage über die EU gestellt. Natürlich beantworteten sie auch alle bisherigen, nicht gestellten Fragen mit. Die sich aufgestauten Neins ergaben dann ein negatives Gesamtergebnis. ... Die Mehrheit der Europäer möchte ein graueres Europa mit weniger Vermögensunterschieden und Einwanderern, womit sie die These illustrieren, dass sich mit der Homogenität auch die Solidarität verringern kann. Vielleicht ist das nicht nett von ihnen, vielleicht könnte das alte Europa ohnehin nicht wiederhergestellt werden. Aber die Menschen haben ein Recht auf ihre Irrtümer und Vorurteile, sie haben Recht, das in den letzten Jahren diktierte Tempo als zu schnell zu empfinden."
Spectator (UK), 04.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q62/A10890/spectator.jpg)
Im Leitartikel schlägt Chefredakteur Boris Johnson in die gleiche Bresche. "Wenn Großbritannien die EU-Präsidentschaft übernimmt, sollten wir ein Reformprogramm vorschlagen: die gemeinsame Agrarpolitik zurückfahren, die beständegefährdende Fischereipolitik zerschlagen, jedem Land die Möglichkeit geben, aus der Sozialcharta auszuscheren und den Beitritt der Türkei vorantreiben." Irgendwann, "vielleicht in ein paar Jahrhunderten", werde der freie Markt dann eventuell eine gemeinsame Politik hervorbringen.
Economist (UK), 03.06.2005
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Und wem haben wir das zu verdanken, fragt der Economist verschmitzt. Dem perfiden Albion! Man könne nicht anders als feststellen, dass mit dem Scheitern der EU-Verfassung die strategischen Bemühungen Großbritanniens der letzten zwanzig Jahre in Erfüllung gegangen sind. Doch wie genau lautet diese Strategie? "Eine grundsätzliche Regel des europäischen Spiels besteht darin, dass jede Seite ihre jeweilige Politik immer mit Bezug auf hehre Ideale begründen muss. Daher wird man die reinste Form der britischen Europa-Strategie nicht in einem offiziellen Dokument formuliert finden (Pathos ziemt sich nicht), sondern in einer alten Fernsehserie, 'Yes, Minister', die Lieblingsserie der damals regierenden Margaret Thatcher. In einer Folge aus dem Jahr 1980, erklärt der katzenhafte Staatsbeamte Sir Humphrey seinem fassungslosen Minister: 'Seit mindestens 500 Jahren verfolgt Großbritannien dasselbe außenpolitische Ziel: ein gespaltenes Europa zu schaffen.' Und der Schlüssel dazu, fügt er hinzu, ist die Erweiterung des europäischen Clubs: 'Je mehr Mitglieder es gibt, desto mehr Streit wird dies schüren, und desto nutzloser und machtloser wird das Ganze.' Jede Ähnlichkeit zwischen einer 25 Jahre alten Comedy-Show und dem wirklichen Leben ist, natürlich, völlig zufällig."
Weiterhin tadelt der Economist die USA für ihr blindes Frohlocken über das Scheitern der EU-Verfassung. Darüber hinaus bewertet er das französische Nein in erster Linie als Absage an Chirac. Demnach hätte dieser, in gaullistischer Tradition, seinen Hut nehmen müssen.
Außerdem zu lesen: "Fantastic", Laurence Leamers Biografie von Arnold Schwarzenegger, hat dem Economist gut gefallen, doch vermisst er Hinweise darauf, wie der Gouverneur von Kalifornien politisch tickt. Im Nachruf würdigt der Economist den verstorbenen Filmproduzenten Ismail Merchant als einzigartige Mischung aus künstlerischem Geschmack, Disziplin und unternehmerischem Scharfsinn. Weiter berichtet der Economist, dass auch der notorisch gemäßigte Islam Malaysiens für Konflikte sorgt. Und schließlich Erstaunliches aus der Wissenschaft: Mag sein, so der Economist, dass Liebe durch den Magen geht, aber Vertrauen geht durch die Nase. Und es scheint einen evolutionsbedingten Zusammenhang zwischen der überdurchschnittlichen Intelligenz der aschkenasischen Juden und ihren typischen erblichen Krankheiten zu geben, so die provokante These des wissenschaftlichen Ikonoklasten Gregory Cochran.
Express (Frankreich), 02.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q16/A10892/express.jpg)
"Ausnahmslos alle Religionen sind frauenfeindlich" erklärt die Schriftstellerin Taslima Nasreen in einem Interview aus Anlass ihrer Teilnahme an der Semaine mondiale de l?education. "Sie widersetzen sich der Freiheit und den Rechten der Frauen, die sie mit dem gleichen Anspruch unterdrücken wie es auch die Kultur, die Sitten und das patriarchale System tun. Ich beziehe mich dabei besonders auf den Islam, weil er sich der Demokratie, den Menschenrechten und der Emanzipation der Frau entgegenstellt. In islamischen Ländern ist die Lage schlimmer als anderswo, weil die klare Trennung von Religion und Staat fehlt. Das Recht fußt auf der Religion und das ist die Quelle allen Übels für die Frauen."
Times Literary Supplement (UK), 03.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q23/A10898/tls.jpg)
New York Review of Books (USA), 23.06.2005
Elizabeth Drew nimmt die Affäre um den berüchtigten Lobbyisten Jack Abramoff zum Anlass, um einen näheren Blick auf das Washingtoner System des eigenen Ausverkaufs zu werfen. Das FBI und zwei Senatsausschüsse ermitteln gegen Abramoff, der unter anderem dem Republikaner-Chef im Repräsentantenhaus Tom DeLay teure Reisen finanzierte, für den Kleptokraten Mobutu Sese Seko arbeitete, seinen Think Tank in den Achtzigern vom südafrikanischen Geheimdienst finanzieren ließ und schließlich sechs Indianerstämme um 66 Millionen Dollar schröpfte: "Abramoffs Verhalten ist symptomatisch für die beispiellose Korruption - das Kaufen und Verkaufen von Einfluss auf Gesetzgebung und Bundespolitik - die in Washington unter einem Republikanischen Kongress und Weißen Haus endemisch geworden ist. Korruption gab es in Washington immer, doch in den vergangenen Jahren ist sie ausgeklügelter, umfassender und unverhohlener denn je geworden. Ein Freund von mir, der eng mit Lobbyisten zusammenarbeitet, sagt: 'Es gibt keine Beschränkungen mehr, Geschäftsleute und Lobbyisten schnappen total über - in jedem Raum auf dem Kapitol schreiben sie die Gesetze mit. Du kannst Dich dort gar nicht mehr bewegen, ohne Geld zu verteilen.' Dies dürfte nur wenig übertrieben sein."
Ian Buruma preist die Übersetzung von Yasunari Kawabata grandiosem Asakusa-Roman an, der nun als "The Scarlet Gang of Asakusa" erstmals auf Englisch vorliegt. Asakusa war das Montmartre von Tokio, sein Lebensmotto "ero, guro, nansensu" - Erotik, Groteske, Nonsense -, bis es durch das Erdbeben von 1923 zerstört wurde: "Im Roman geht es gar nicht so sehr um die Entwicklung von Charakteren als um den Ausdruck einer neuen Empfindung, einen neuen Weg, Atmosphäre zu betrachten und zu beschreiben: schnell, fragmentiert, von einer Szene zur nächsten geschnitten wie ein Film oder eine Collage, mit einem Mix aus Reportage, Werbeslogans, populären Liedzeilen, Fantasien und historischen Anekdoten. Und viel ero, guro, nansensu."
Weiteres: Alan Ryan liefert eine ausführliche Nachlese zu den Wahlen in Großbritannien. Jonathan Raban beklagt die Vergessenheit, in die der Dichter Robert Lowell seit seinem Tod geraten ist, dabei rangierte er noch zu Lebzeiten in der Klasse von Yeats, Eliot und Auden. Diane Johnson bespricht einen ganzen Stapel neuer Jane-Austen-Biografien. Und David Hajdu stellt Nadine Cohodas Biografie der Blues-Sängerin Dinah Washington vor, die so wunderbar wie eine Alarmsirene heulen konnte.
Ian Buruma preist die Übersetzung von Yasunari Kawabata grandiosem Asakusa-Roman an, der nun als "The Scarlet Gang of Asakusa" erstmals auf Englisch vorliegt. Asakusa war das Montmartre von Tokio, sein Lebensmotto "ero, guro, nansensu" - Erotik, Groteske, Nonsense -, bis es durch das Erdbeben von 1923 zerstört wurde: "Im Roman geht es gar nicht so sehr um die Entwicklung von Charakteren als um den Ausdruck einer neuen Empfindung, einen neuen Weg, Atmosphäre zu betrachten und zu beschreiben: schnell, fragmentiert, von einer Szene zur nächsten geschnitten wie ein Film oder eine Collage, mit einem Mix aus Reportage, Werbeslogans, populären Liedzeilen, Fantasien und historischen Anekdoten. Und viel ero, guro, nansensu."
Weiteres: Alan Ryan liefert eine ausführliche Nachlese zu den Wahlen in Großbritannien. Jonathan Raban beklagt die Vergessenheit, in die der Dichter Robert Lowell seit seinem Tod geraten ist, dabei rangierte er noch zu Lebzeiten in der Klasse von Yeats, Eliot und Auden. Diane Johnson bespricht einen ganzen Stapel neuer Jane-Austen-Biografien. Und David Hajdu stellt Nadine Cohodas Biografie der Blues-Sängerin Dinah Washington vor, die so wunderbar wie eine Alarmsirene heulen konnte.
Outlook India (Indien), 13.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q15/A10888/outlook.jpg)
Der Zoroastrismus ist eine antike Religion, spielt aber außerhalb der Stadtgrenzen von Mumbai kaum eine Rolle, schreibt Saumya Roy. Zumindest war das lange Zeit so, denn seit einigen Jahren formieren sich in verschiedensten Ländern - Schweden, Russland, Brasilien, USA - Gemeinden von Zoroastristen oder Parsis, wie sie auch bezeichnet werden. Sehr zum Unmut vieler traditioneller Gemeinden - denn es geht auch um viel Geld.
Espresso (Italien), 09.06.2005
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Umberto Eco erinnert sich in seiner Bustina recht persönlich an den französischen Philosophen Paul Ricoeur. Wenn etwa die palästinensische Autonomiebehörde zwei Tage nach Ricoeurs Tod die antisemitischen Texte der Weisen von Zion von ihrer Website entfernt, verbucht Eco das als späten Erfolg des unermüdlichen Ethikers. Im Kulturteil freut sich Monica Maggi über die große Klimt-Ausstellung im Pariser Musee Maillol, natürlich vor allem wegen der mehr als 120 Akt- und Erotikzeichnungen.
New Yorker (USA), 13.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q19/A10895/ny.jpg)
Weiteres: Hendrik Hertz kommentiert den jüngsten Einsatz der Filibuster-Taktik im amerikanischen Senat. Seymour M. Hersh erinnert sich an die Tage der Aufdeckung des Watergate-Skandals 1973. David Sedaris erklärt, wie man mit unliebsamen Flugnachbarn fertig wird und wann es besser ist, den Platz zu wechseln. Zu lesen ist außerdem das Erzähldebüt "An Ex-Mas Feast" von Uwem Akpan.
Adam Gopnik porträtiert in seiner Rezension einer Biografie den amerikanischen Schriftsteller William Dean Howell (1837 - 1920). John Updike bespricht Robert Littells neuen Thriller "Legends", und die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem einer Biografie des amerikanischen Lyrikers Ogden Nash, der auch an dem Libretto für die Weill-Oper "One Touch of Venus" mitarbeitete. Sasha Frere-Jones hörte das neue Album der Gruppe White Stripes. Nancy Franklin stellt die TV-Serien "The Inside" und "The Closer" vor. John Lahr bespricht die Theaterstücke "After the Night and the Music? und "BFE?. Und David Denby sah im Kino die beiden "Sommerhits" "Batman begins? von Christopher Nolan und "Mr. & Mrs. Smith? von Doug Liman.
Nur in der Printausgabe: ein Artikel über Gertrude Stein und ihr Hauptwerk "The Making of Americans" sowie Lyrik von Les Murray, Eavan Boland und Eamon Grennan.
Ozon (Polen), 02.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q106/A10886/ozon.jpg)
Die Schriftstellerin Herta Müller spricht im Interview über ihre literarische Abrechnung mit der Provinzialität ihrer siebenbürgisch-deutschen Heimat, die die nationalsozialistische Faszination nie aufgearbeitet hat, und über ihre Erfahrungen im Kommunismus, und wie diese Thematik bis heute ihr Anderssein im Land der Vorväter bestimmt: "Ich habe mein Thema, oder eher: das Thema hat mich, und wenn es so nicht wäre, würde ich gar nicht schreiben. Was habe ich davon, dass man mir andere Themen vorschlägt - Schreiben ist wie Schuhe kaufen. Ich kann die braunen anprobieren, aber letztendlich werde ich sowieso die schwarzen kaufen."
Folio (Schweiz), 06.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q8/A10894/folio.jpg)
Kein Dossier über Kalifornien ohne den Gouvernator alias Arnold Schwarzenegger, den Gundolf S. Freyermuth schon als Präsident der Vereinigten Staaten sieht, und den er als geschickten und willensstarken Strategen porträtiert, der genau weiß, was er will, und es sich nimmt: "Beim Besuch in der Höhle des republikanischen Löwen im Weißen Haus, fühlte er sich wenig beachtet. Nicht einmal mit einem Geschenk hatte man ihn bedacht! Auf dem Weg durch den Westflügel zum Ausgang richtete sich sein Blick auf eine Büste. Sie stellte Abraham Lincoln dar, den Präsidenten, der unsere Nation durch den Bürgerkrieg in die Moderne führte. 'Wenn man kein Geschenk kriegt', verkündete Arnold dem verblüfften Publikum, 'nimmt man sich eins.' Er griff den alten Abe kurzerhand vom Sockel und wandte sich zum Gehen. Die Secret-Service-Agenten wussten nicht, was tun. Das jedenfalls berichtete die Los Angeles Times: Wollte der 38. Gouverneur von Kalifornien sie zwingen, ihm die Büste des 16. US-Präsidenten gewaltsam zu entreißen? Arnolds kalifornische Entourage hingegen kannte seinen Humor. Stabschefin Patricia Clarey lachte, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen. Zufrieden mit dem Erfolg seiner respektlosen Einlage, drehte sich Arnold um und trug grinsend den Präsidenten zurück zum Podest."
Weitere Artikel: Im Gespräch mit Daniel Weber erläutert der Kalifornien-Historiker Kevin Starr, was Kalifornien so anders macht - gestern, heute und morgen. Jochen A. Siegle berichtet über die Wiege der innovativen Technologien: das immer wieder totgesagte und immer wiederauferstehende Silicon Valley. Peter Haffner stellt den Spurenleser und Grenzbeamten Miguel Hernandez vor, der mitten in der Wüste nach illegalen Einwanderern aus Mexiko Ausschau hält. Susanne Brunner berichtet über den kuriosen Umstand, dass Kalifornien trotz seiner unbändigen Freiheitsliebe Unmengen von Menschen hinter Gitter sperrt. Dafür hat Milena Moser in San Francisco tatsächlich die Freiheit entdeckt und zitiert Oscar Wilde: "Es ist seltsam - von jedem, der verschwindet, wird irgendwann behauptet, man habe ihn in San Francisco gesehen. Das muss schon eine wunderbare Stadt sein und außerdem eine mit allen Vorzügen der Nachwelt gesegnete!"
Zum krönenden Abschluss, die Duftnote. Luca Turin beschreibt mit lesbarem - und für den Leser genüsslichen - Ekel, welche Formen das Vulgäre beim Parfüm (und in der Musik) annehmen kann: das Medley oder das Duett.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 26.05.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q73/A10889/ahram.jpg)
Serene Assir porträtiert Siham Rifqi, die ihre Karriere als Sängerin 1942 begann - "Libanon musste war noch nicht unabhängig von französischer Kolonialherrschaft; Palästina war noch Palästina, wenn auch unter britischer Herrschaft" - und in ihrer großen Zeit "in der ganzen arabischen Welt bekannt war". "Die älteste islamische Universität ist im Cyberspace angekommen", meldet Sherine Bahaa: Al-Azhar will 42.000 rare und zum beträchtlichen Teil restaurationsbedürftige Bücher und Manuskripte im Netz zugänglich machen, um zur Verbreitung eines "aufgeklärten Bildes des moderaten Islam" beizutragen. Lubna Abdel-Aziz nimmt die neueste Dreamworks-Animations-Extravaganza "Madagascar" - vier New Yorker Zootiere landen im Dschungel von Madagaskar - zum Anlass, einen Blick auf die Geschichte von Afrika im amerikanischen Film zu werfen.
Elet es Irodalom (Ungarn), 02.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q88/A10896/es.jpg)
Die offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi konnten vielleicht deshalb zu emblematischen Figuren des Sozialismus werden, weil man sie am einfachsten verurteilen kann, meint der junge ungarische Schriftsteller Gabor Schein in seiner Buchkritik über "Balaton-Brigade", den neuen Roman von György Dalos. Der Roman erzählt die Geschichte eines ostdeutschen Stasispitzels, der in der Wendezeit deutsch-deutsche Begegnungen am beliebten ungarischen Urlaubsort Balaton überbewachen muss. "Hauptmann Klempner - Deckname Dr. Schwabe - stellt fest, dass er, wie die Deutschen im allgemeinen, Befehle auch dann präzise ausführt, wenn sie absolut keinen Sinn mehr haben. Sein Kollege von der ungarische Stasi ist dagegen genauso, wie man sich die typischen ungarischen Beamten vorstellt: ein zynischer Schlendrian." Der Verfasser liest den Roman "als Ironie der Ironie, die klischeehafte, moralische Urteile und Geschichtsbilder auslacht, durch die die Überlegenheit der Nachwelt gesichert werden sollen."
Weitere Artikel: Der junge Schriftsteller und Herausgeber Zsolt Lang rezensiert den großen Essay des Literaturhistorikers György Poszler über die multiethnische Stadt Klausenburg (bekannt auch als Kolozsvar oder Cluj Napoca, heute Rumänien). Die Literaturkritikerin und Herausgeberin Boglarka Nagy feiert "Splitter aus Licht", den Debütroman der jungen Autorin Aniko N. Toth, der laut Rezensentin besonders Leser erfreuen wird, "die als Kind ihre Großmutter zu den Gräbern unbekannter, lange verstorbener Verwandte auf einem Dorffriedhof begleitet haben, über die immer noch faszinierend geheimnisvolle Geschichten in der Familie erzählt werden." Weitere Buchkritiken unter anderem über "Die Musik der Sirenen" mit Essays des Altertumswissenschaftlers György Janos Szilagyi und eine Hegel-Monographie von Miklos Almasi.
Guardian (UK), 04.06.2005
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q75/A10897/guardian.jpg)
Weiterhin in der Buchsektion des Guardian: ein Porträt des Literaturwissenschaftlers und Kritikers John Carey, der in seiner neuesten Polemik "What Good Are the Arts" den Sinn von Subventionen für Kultur in Zweifel zieht.
New York Times (USA), 05.06.2005
Deborah Friedell zweifelt an der Aussagekraft von Statistiken mit den häufigsten Wörtern eines Titels, deren neueste vollautomatische Version Amazon mittlerweile bereithält (hier ein Beispiel). "So ein Protokoll zu lesen heißt eine Welt zu betreten, in der alle aufgenommenen Wörter gleich gewichtet sind, jedes bekommt genau einen Eintrag. Während Amazons Übereinstimmungsliste uns die Häufigkeit der Wörter 'Tag' und 'soll' bei Whitman zeigt, schaffen es 'enthalten' und 'Mengen' nicht in die Top 100. Genausowenig wie 'sein' bei Hamlet oder 'verdammt' in 'Vom Winde verweht'. Die Kraft dieser Wörter bleibt selbst von den stärksten Computern unentdeckt."
Weitere Artikel: Barry Gewen beschreibt überzeugend, wie sich die historische Lesart des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs schon immer den aktuellen Bedürfnissen der Gesellschaft angepasst hat. Die aktuellen Veröffentlichungen betonen nun die globalen Dimensionen von 1776. Randy Kennedy macht auf die gern verschwiegene Praxis des Buchhandels aufmerksam, die prominente Platzierung eines Bandes nicht von dessen Qualität oder dem Geschmack des Händlers, sondern allein von den finanziellen Zuwendungen der Verlage abhängig zu machen.
Außerdem bespricht George Johnson zwei Bücher, die sich mit den höchst menschlichen Fehden der Astrophysiker über die Herkunft und Beschaffenheit des ewigen Alls beschäftigen. Und die Sommerbücher des Jahres werden vorgestellt, und zwar in den Bereichen Reise, Kochen, Garten und in Form einiger sommerspezifischer Romane. Schließlich ist mittlerweile die literarische Karte Manhattans abrufbar.
Im New York Times Magazine geht es ums Geld. Joseph Nocera versucht vom erfolgreichen Hedge-Fonds-Manager Cliff Asness zu erfahren, wie man Risiko und Ertrag am besten ausbalanciert. Stephen Metcalf stellt jene vor, die in diesen unsicheren Zeiten am meisten verdienen. Gary Rivlin wittert eine Neuauflage des Silicon-Valley-Booms. Außerdem gibt es einen Cartoon zum Rosenkrieg bei Morgan Stanley.
Weitere Artikel: Barry Gewen beschreibt überzeugend, wie sich die historische Lesart des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs schon immer den aktuellen Bedürfnissen der Gesellschaft angepasst hat. Die aktuellen Veröffentlichungen betonen nun die globalen Dimensionen von 1776. Randy Kennedy macht auf die gern verschwiegene Praxis des Buchhandels aufmerksam, die prominente Platzierung eines Bandes nicht von dessen Qualität oder dem Geschmack des Händlers, sondern allein von den finanziellen Zuwendungen der Verlage abhängig zu machen.
Außerdem bespricht George Johnson zwei Bücher, die sich mit den höchst menschlichen Fehden der Astrophysiker über die Herkunft und Beschaffenheit des ewigen Alls beschäftigen. Und die Sommerbücher des Jahres werden vorgestellt, und zwar in den Bereichen Reise, Kochen, Garten und in Form einiger sommerspezifischer Romane. Schließlich ist mittlerweile die literarische Karte Manhattans abrufbar.
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q12/A10874/nyt.jpg)