Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
30.01.2007. In Prospect fragt Francis Fukuyama die postmodernen europäischen Eliten, was sie muslimischen Einwanderern denn an Werten für eine Identität anzubieten hätten. In Al Hayat fragt Yassin Al-Haj Salih, warum die USA in Osteuropa die Dissidenten unterstützt haben, in der arabischen Welt dagegen die Despoten. In Le Monde erzählt ein Gynäkologe von seinen Erfahrungen bei der Entbindung muslimischer Frauen. Der Spectator blickt neidisch auf Tabu brechende linke Intellektuelle. Tygodnik Powszechny sieht Byzanz an Brüssel heranrücken. In der New York Review of Books bespricht J. M. Coetzee Norman Mailers Roman über Hitler. Im Espresso erinnert Andrzej Stasiuk an den polnischen Hochzeitstanz Oberek. Im Figaro kritisiert Paul Bocuse die Nouvelle Cuisine. Die New York Times fordert: Lebensmittel statt Nährstoffe, please.

Prospect (UK), 01.02.2007

Francis Fukuyama analysiert die Probleme der westlichen Demokratien im Umgang mit ihren muslimischen Minderheiten. Er ist mit Olivier Roy der Ansicht, dass die radikalislamische Ideologie weniger eine Erscheinungsform der traditionellen muslimischen Kultur als vielmehr der modernen Identitätspolitik ist. Was Identität angeht, hätten vor allem die europäischen Gesellschaften wenig zu bieten. "Die Verbreitung des Relativismus hat es dem postmodernen Menschen viel schwerer gemacht, positive Werte zu behaupten und die Art gemeinsamer Überzeugungen, die sie von Migranten als Voraussetzung für die Staatsbürgerschaft fordern. Die postmodernen Eliten, vor allem die in Europa, fühlen, dass sie Identitäten, die durch Religion und Nation definiert sind, hinter sich gelassen haben und dass sie an einem höheren Ort angekommen sind."

Timothy Garton Ash legt der EU nahe, an einem neuen, glaubwürdigen und tragfähigen Europa-Mythos zu arbeiten, sieht aber auch die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens: "Der Historiker Ernest Renan hat die Nation auf brillante Weise als eine Gemeinschaft des geteilten Gedenkens und des geteilten Vergessens beschrieben. Doch was die eine Nation vergessen will, will die andere in Erinnerung behalten. Je mehr Nationen also der EU angehören, desto bunter wird die Familie der nationalen Erinnerungen und desto schwieriger wird es, Mythen über eine gemeinsame Vergangenheit zu bilden, die von allen geteilt werden."

Prospect hat sein Internet-Angebot weiter eingeschränkt. Die folgenden Artikel sind daher nur ansatzweise zu lesen: Der Bibliotheken-Narr Jonathan Ree fragt sich, ob Googles digitalisierte Bibliothek ("Google Books") ein Segen ist oder ein Fluch. Und James Crabtree porträtiert den politischen Shootingstar Barack Obama.
Archiv: Prospect

Al Hayat (Libanon), 28.01.2007

Das Verhältnis der arabischen Welt zu den USA steht im Mittelpunkt der Sonntagsbeilage. Warum genießen die USA in Osteuropa breite Sympathien, während sie in den arabischen Ländern auf Ablehnung stoßen, fragt der von 1980 bis 1996 in Syrien inhaftierte Dissident Yassin al-Haj Salih: "Während die USA in Osteuropa die Liberalen gegen das sowjetische Lager förderten, unterstützten sie im Nahen Osten die konservativen und radikalen islamischen Regime und Strömungen. Damit halfen die USA erst jenen 'Terror' zu säen, für dessen Bekämpfung im nun schon fünf Jahre andauernden amerikanischen Krieg die arabische Welt mehr zahlt als alle anderen. Während der Kalte Krieg überall auf der Welt Ende der 1980er Jahre zu Ende ging, währten die sicherheitspolitischen, gedanklichen und politischen 'Regime' dieser Epoche in unserer Region noch bis zum September 2001 fort. Um dann von einer quasi-imperialistischen Politik abgelöst zu werden. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass sich die neue amerikanische Politik gegenüber dem Nahen Osten um den Kampf gegen den Terror dreht, mit allem, was dies an militärischen und sicherheitspolitischen Prioritäten mit sich bringt. Dagegen steht die Globalisierung im Mittelpunkt der amerikanischen Politik gegenüber Asien und Europa."

Wahid 'Abd al-Majid sieht die gemäßigten Strömungen in der arabischen Welt in einer Zwickmühle zwischen zwei wenig attraktiven Alternativen: dem Projekt eines "neuen Nahen Ostens" der USA auf der einen Seite und dem "islamischen Nahen Osten" des Irans auf der anderen: "Es scheint, als seien die Staaten und Völker der Region der große Preis in diesem Ringen."

Weiteres: Muhammad al-Haddad fragt anlässlich des Besuches von Ahmadinedschad in Venezuela, Nicaragua und Ecuador nach dem Stand der revolutionären Bewegungen in Südamerika. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Libanon, Palästina und Irak sind für Muhammad Abu Rumman Anlass, an die Notwendigkeit einer Trennung von Religion und Politik zu erinnern.
Archiv: Al Hayat

Magyar Hirlap (Ungarn), 26.01.2007

Der Dichter Andras Duma-Istvan porträtiert die Csangos, eine ungarischsprachige, überwiegend katholisch geprägte Minderheit in Rumänien, die in erster Linie nicht dem Assimilationsdruck der rumänischen Mehrheit, sondern des Vatikans ausgesetzt ist: "Der Vatikan betrachtet die Csangos seit Jahrhunderten als Chance, den katholischen Glauben im slawisch-orthodoxen Rumänien zu verbreiten. Um 1800 erteilte er Vatikan die Order, dass alle Katholiken an der Moldau ihre Messen auf Rumänisch abhalten müssen... Heute noch, kurz nach dem EU-Beitritt Rumäniens, kämpfen die Csangos mit der katholischen Kirche um ihre Sprache. Trotzdem bleibt die Kirche ein wichtiger Ort zur Erhaltung ihrer Kultur. In Rumänien gibt es zwar noch Nationalisten, aber sie sind nicht mehr so radikal wie vor einigen Jahren. Die Csangos bekommen immer mehr Respekt."

Die Autorin Erzsebet Toth denkt über die Folgen des Klimawandels in Mitteleuropa nach: "Mir gefällt es eigentlich, dass das Karpatenbecken, und unser kleines Land mitten drin, allmählich mediterran wird. Ich sehe schon die Palmen am Budapester Donau-Ufer, die verzückten Gesichter unserer Nachfahren, die endlich an einem Meer leben dürfen, denn irgendeines der Meere wird ja schon in der Puszta beginnen. (...) Infolge von Klonen und Genmanipulationen entwickeln bestimmte Tierarten vielleicht ein Bewusstsein und können plötzlich nicht mehr akzeptieren, dass ausgerechnet der Mensch über sie herrscht. Die Tiere waren ja früher da als wir. Ein Stamm von Frettchen verguckt sich vielleicht in unser Dorf Nagykovacsi, vertreibt die Bewohner und besetzt unsere Wohnungen."
Archiv: Magyar Hirlap

Le Monde (Frankreich), 29.01.2007

In einer Reportage berichtet Annick Cojean über den Widerstreit von Laizismus und Fundamentalismus in französischen Krankenhäusern, das heißt die religiösen, kulturellen und ethischen Konflikte, die sich bei der Behandlung Angehöriger unterschiedlicher Religionen in Krankenhäusern ergeben und bis hin zu Handgreiflichkeiten führen können. Nach Auskünften betroffener Ärzte ist es demnach gelegentlich schwierig bis unmöglich, eine muslimische Frau überhaupt untersuchen zu können, andere Ärzte wiederum haben Probleme damit, zur Aufrechterhaltung der "Familienehre" vor einer Heirat die Jungfernhäutchen junger Frauen wiederherzustellen. Ein Gynäkologe berichtet: "Im Entbindungssaal hat mir einmal ein Mann gesagt: 'Rühren Sie meine Frau nicht an.' Und ich habe geantwortet: 'Halten Sie die Klappe! Hier bin ich der Chef! Ich werde ihre Frau respektieren, ihr nicht in die Augen sehen und Ihr Baby sicher auf die Welt bringen. Aber keine Diskussionen!' So. Anschließend habe ich den Vater, nachdem die Nabelschnur durchtrennt war, ein Gebet ins Ohr seines Kindes sprechen lassen."
Archiv: Le Monde

Spectator (UK), 27.01.2007

Schade, dass die britischen Konservativen so intellektuellenfeindlich sind. Etwas neidisch blickt Michael Grove auf eine Gruppe linker Intellektueller, die sich aus komfortabler Selbstzufriedenheit befreien und linke Gewissenheiten wie Relativismus und Multikulturalismus hinterfragen. Grove zählt ein paar auf: Nick Cohen ("What's Left"), David Aaronovitch, John Lloyd, Christopher Hitchens. "Ian McEwan, Martin Amis und natürlich Salman Rushdie haben alle - wenn auch unterschiedlich - argumentiert, dass der Islam, wie zuvor der Faschismus und der Kommunismus, eine totalitäre Ideologie ist, die die menschliche Freiheit leugnet. McEwan hat angeprangert, dass die Linke, 'moralisch selektiv" in ihrer Wut, Amerika mit größerem Furor verurteilt als Saddam oder die Taliban. Amis war typisch furchtlos in seiner Attacke auf diese 'Leute mit liberalen Sympathien, verdummt durch Relativismus, diese Apologeten einer religiösen Springflut, die rassistisch, frauenfeindlich, homophob, imperialistisch und mörderisch ist'."
Archiv: Spectator

Tygodnik Powszechny (Polen), 22.01.2007

Michal Klinger unterstreicht eine weitere Dimension der EU-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien: neben Griechenland sind zwei weitere orthodoxe Länder in die Gemeinschaft aufgenommen worden, Byzanz rückt etwas näher an Brüssel. "Zwar versucht die EU sich von religiösen Angelegenheiten fern zu halten, aber der stetige Integrationsprozess bedeutet auch, dass das gemeinsame Erbe mit immer mehr Strömungen und Kulturen angereichert wird. Johannes Paul II. hat von den zwei "Lungenflügeln" Europas gesprochen - den West- und Ostkirchen. Wenn wir also nach den Wurzeln Europas suchen, betrifft das nicht nur die westliche, sondern auch die byzantinische Kultur. Die gleichberechtigte Integration dieser Traditionen innerhalb der EU sollte dazu führen, dass neue Mechanismen zur Konfliktlösung im Spannungsverhältnis Ost-West entstehen, noch bevor die Kirchen das Schisma beenden." Nicht zuletzt könnte die Aufnahme weiterer orthodoxer Länder dazu führen, russische Vorbehalte gegenüber Europa als "westlichen Klub" abzubauen

Anlässlich einer Ausstellung im Krakauer "Internationalen Zentrum für Kultur" stellt Agnieszka Sabor den "slawischen Gaudi" vor: Joze Plecnik. Der slowenische Architekt war seinerzeit in vielen Städten der k.u.k.-Monarchie aktiv, und wurde vor gut zwanzig Jahren in Frankreich wiederentdeckt. "Der Vergleich trifft den Kern der Sache - beide, Gaudi und Plecnik, verbindet ein ähnlicher Individualismus, der es erlaubt, unorthodox, aber harmonisch Gegensätze zu verbinden: Tradition und Modernismus, Regionalismus und Internationalismus, Nord und Süd, Dekoration und Schlichtheit." Sabor unterstreicht, dass polnische Städte - dominiert von "primitiven" sakralen Neubauten - auch einen Plecnik gebrauchen könnten, der die Kirchenarchitektur erneuert.

New York Review of Books (USA), 15.02.2007

In einer gemeinsamen Erklärung "verurteilen" mehr als hundert iranische Autoren und Intellektuelle "aufs schärfste die von der Regierung der Islamischen Republik Iran in Teheran vom 11. bis 12. Dezember 2006 unterstützte Holocaust-Konferenz, und ihren Versuch, die Geschichte zu verfälschen. Wir ehren die Erinnerung an die Millionen jüdischer und nichtjüdischer Opfer des Holocaust und bekunden unser Mitgefühl für die Überlebenden dieser ungeheuren Tragödie ebenso wie für alle anderen Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der ganzen Welt."

Die poetische Wahrheit ist eine andere als die historische, dabei nicht weniger wertvoll, bestätigt J.M. Coetzee und heißt Norman Mailers Versuch, in seinem Roman "The Castle in the Forest" (Leseprobe) zu klären, wie Adolf Hitler böse wurde, durchaus gut. Mailers Antwort ist eindeutig. Das Böse war von Anfang an in ihm - seit seiner Empfängnis. "Er war ein böses Kind, bevor er ein böser Mann wurde, und er war ein böser Säugling, bevor er ein böses Kind wurde. Alois und Klara Hitler sind überzeugende Porträts von Menschen, die als Eltern ihr Bestes versuchen, sie sind schließlich nur Menschen und die menschliche Natur ist schwach. Und es haben sich übermenschliche Kräfte gegen sie gestellt. Adolf ist genauso überzeugend als gruseliges, widerwärtiges Kind. Doch trotz der übernatürlichen Interventionen, hat sich Mailer nicht dazu herabgelassen, eine Schauergeschichte zu erzählen. Dunkle Mächte mögen von seiner Seele Besitz ergriffen haben, doch Adolf bleibt unerschütterlich menschlich, einer von uns."

Weiteres: William Pfaff sucht nach einer neuen Rolle für Amerika in der Welt. Joseph Lelyveld fragt, wann eigentlich in einem endlosen Krieg wie dem im Irak die irregulären Kombattanten freigelassen werden. Paul Krugmann stellt die drei Milton Friedmans vor. Michael Chabon bespricht Cormac McCarthys Roman "The Road", und Ian Buruma bespricht Clint Eastwoods zwei Pazifikkriegsfilme "Flags of Our Fathers" und "Letters from Iwo Jima".

Spiegel (Deutschland), 29.01.2007

Im Interview mit Matthias Schepp und Martin Doerry spricht der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin über seinen neuen Roman "Der Tag des Opritschniks", die "finsteren Energien" in seinem Land und die Ohnmacht des russischen Volkes: "Ein Deutscher, ein Franzose und ein Engländer können von sich behaupten: 'Der Staat, das bin ich.' Das kann ich nicht sagen. Das können in Russland nur die Leute im Kreml. Alle anderen Bürger sind nicht mehr als Menschenmaterial, mit dem man alles Denkbare treiben darf... Der Westen soll noch stärker die Menschenrechte anmahnen. Bei allem Verständnis für Kompromisse frage ich, ob Russland auf eine Demokratie zusteuert. Ich denke nein! Russland fällt Schritt für Schritt in ein autoritäres Imperium zurück. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist die Gleichgültigkeit des Westens, wenn ihn außer Öl und Gas nichts interessieren würde. Ich wundere mich, wenn ich den Wetterbericht im deutschen Fernsehen sehe. Er zeigt die Karte von Europa und die Kamera geht nach rechts. Da kommt Kiew, dann Moskau und danach hört alles auf. So scheint der Westen unsere Land zu sehen - hinter Moskau beginnt das wilde Russland, und da sollte man lieber nicht hingucken. Das ist ein großer Fehler."
Archiv: Spiegel

New Yorker (USA), 05.02.2007

Jeffrey Toobin berichtet über das Google-Projekt einer digitalen Universalbibliothek, die damit verbundenen Ängste der Verlagsbranche und Urheberrechtsfragen. Derzeit werde diskutiert, ob Google den Verlegern, etwa nach dem Vorbild der Gema, für deren aufgerufene Titel etwas zahlt. "Doch von einer Einigung im Sinne beider Parteien würde die Öffentlichkeit nicht unbedingt profitieren. 'Es liegt klar in beiderseitigem Interesse, sich zu einigen', erklärt Lawrence Lessig, Professor an der Stanford Law School. 'In Zeiten des Internet können Unternehmen nicht jahrelang auf eine gesetzliche Lösung warten. Google will das Projekt vorantreiben und die Erlaubnis bekommen, auch weiterhin urheberrechtlich geschütztes Material aus allen Bibliotheken der Welt scannen zu können. Falls Google den Verlegern dafür etwas zahlt, könnte das ein juristischer Präzedenzfall dafür werden, dass niemand das Recht hat, Buchmaterial ohne ihr Einverständnis zu scannen. Das wäre ein Sieg für sie. Das Problem besteht darin, dass jede Lösung, die gut für Google und gut für die Verleger ausfällt, schlecht für alle anderen ist.'"

Weiteres: Zu lesen ist der Bericht des kürzlich verstorbenen Journalisten und Autors Ryszard Kapuscinski über seine erste Westreise im Jahr 1956, die ihn nach Indien führte. Außerdem die Erzählung "Good People" von David Foster Wallace.

Peter Schjeldahl bespricht ein Buch über eine Reise Gaugins zu van Gogh in Arles "The Yellow House: Van Gogh, Gauguin, and Nine Turbulent Weeks in Arles" (Little, Brown). Die Kurzbesprechung handelt in erstaunlicher Beiläufigkeit Norman Mailers Hitlerroman "The Castle in the Forest" ab. Alex Ross porträtiert den japanischen Komponisten Toru Takemitsu. Paul Goldberger empfiehlt für gegenwärtige Diskussionen über die Gestaltung des öffentlichen Raums eine Neubewertung und Rückbesinnung auf den amerikanischen Stadtplaner Robert Moses. Und Anthony Lane sah im Kino "The Situation" von Philip Haas, ein weiterer Spielfilm über die amerikanische Präsenz im Irak.

Nur im Print: eine Reportage über die wirtschaftlich angespannte Lage von Wyoming, ein Porträt des irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani und Lyrik.
Archiv: New Yorker

Outlook India (Indien), 05.02.2007

Überraschung auf dem 2. Literaturfestival von Jaipur: Das Publikum sammelt die Autogramme seiner Lieblingsautoren nicht länger auf losen Zetteln, Widmungen kommen jetzt in die eigens dafür angeschafften Bücher! Sheela Reddy weiß noch mehr Staunenswertes zu berichten: "Salman Rushdie, mit der Presse noch immer auf Kriegsfuß, wirkt allmählich wie ein altersweiser Patriarch. Zu den Fans ist er fast freundlich. Bei den Jungen blüht er auf - ob Abiturienten ihn zum Thema Fundamentalismus befragen oder er Ratschläge an unerfahrene Leser erteilt. Noch bemerkenswerter die stille Geste, mit der er über Rangunterschiede hinwegsieht ... Manchmal verlässt er die ihn belagernde Menge, um ein paar Worte mit einem jungen Autor zu wechseln."

Außerdem: Das Titeldossier (hier, hier und hier) befasst sich mit der zunehmenden Stigmatisierung von Rauchern in Indien. Meenakshi Reddy Madhavan berichtet über den florierenden Komparsentourismus mit "weißen" Urlaubern. Und im Interview spricht die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall über die "dunkle Seite" von Schimpansen.
Archiv: Outlook India

Foglio (Italien), 27.01.2007

Nach 64 Jahren dreht Carlo Lizzani nun einen Film über das Massaker von Meina, den Beginn des Holocaust in Italien, berichtet Paola Bacchiddu. SS-Einheiten töten am 22. September 1943 sechzehn Menschen am Lago Maggiore. "Während der gesamten Nacht, und während des darauf folgenden Tages, verschmolz das Dröhnen der Pritschenwagen der SS, die immer zwei Gefangene abholten, mit dem Lärm im Erdgeschoss. Die nationalsozialistischen Soldaten schrieen, sangen und betranken sich. Die anderen Gäste des Hotels saßen an ihren Tischen, wie jeden Tag. Als wäre nichts geschehen. Danach kam alles zur Ruhe: in der Herberge wurde es still, das Grammofon schwieg, das Radio verstummte, das Zimmer oben im vierten Stock leerte sich. Etwas tauchte aber auf, aus dem Wasser des Sees. Bei Pontecchio, vor dem Straßenwärterhäuschen trieben die weißen und aufgedunsenen Körper der vor ein Tagen mit Eisendraht Erdrosselten."
Archiv: Foglio

Merkur (Deutschland), 01.02.2007

In dieser Ausgabe begehrt der Merkur gegen die neuerdings wieder um sich greifende Frömmelei auf. Burkhard Müller wagt sich an den Beweis, dass das Konzept Gott untauglich ist, "die beiden Bedürfnisse nach dem Grund der Welt und nach dem Grund des Guten zu stillen. In beiden Fällen sind wir besser dran, wenn wir auf Gott verzichten".

Weiteres: Der Biologe und frühere Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Hubert Markl schreibt gegen einige seiner Kollegen an, die dem Menschen ein Gottesgen andichten wollen. Und der Philosoph Rudolf Burger widmet sich der nihilistischen Ethik. In seiner Politikkolumne warnt Christoph von Marschall, dass die Lage in Afghanistan genauso außer Kontrolle zu geraten droht wie im Irak. Außerdem zu lesen sind die sieben besten Beiträge zum Nachwuchs-Essaywettbewerb des Merkurs.
Archiv: Merkur

Figaro (Frankreich), 28.01.2007

In einem kurzen, aber sehr unterhaltsamen Interview kritisiert der Wegbereiter der "Nouvelle Cuisine" Paul Bocuse deren Auswüchse ("Nichts auf dem Teller, dafür alles auf der Rechnung") und zieht über moderne Kochtechniken her. Auf die Frage, was an der modernen Küche am stärksten ablehne, antwortet er: "Den Stickstoff. Der interessiert mich überhaupt nicht. Und übrigens auch diese Küche nicht, wo man erklären muss, was auf dem Teller liegt, und die einem vorschreibt, in welcher Reihenfolge man etwas zu probieren habe. Das ist überhaupt nicht mein Ding. Ein Thermometer für die richtige Fleischtemperatur? Ich ziehe jene Zeit vor, in der man die Garzeit noch gerochen und erspürt hat, und an der Ofenhitze merkte, ob man noch Kohle nachlegen musste oder nicht. Der Handgriff und der Instinkt, das sind doch die schönen Dimensionen unseres Berufs."

Und in einem weiteren Interview bekennt der österreichische Dirigent und Bachexperte Nikolaus Harnoncourt, dass er gerne einmal Gershwins "Porgy and Bess" dirigieren würde. "Aber Simon Rattle, mit dem ich darüber gesprochen habe, hat mir erklärt, dafür hätte ich nicht den richtigen Pass?"
Archiv: Figaro

Elet es Irodalom (Ungarn), 27.01.2007

Der Schriftsteller György Szerbhorvath betrachtet resigniert, wie sich die serbische Regierung sogar in die Qualifikationsspiele der Handball-WM einmischt, um die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo zu hintertreiben: "Im Wahlkampf beschloss die Regierung, dass die Frauenmannschaft von Kikinda nicht gegen die Kosovarinnen spielen darf. Das war der Regierung auch eine Strafe in Höhe von 7.500 Euro wert. (...) Der Internationale Handballbund betrachtet den Kosovo de facto als unabhängigen Staat, aber die serbische Regierung denkt rückwärtsgewandt und verwechselt Politik immer noch mit Sport."

Der Schriftsteller und Essayist Andras Cserna-Szabo findet, dass der liebe Gott den Gebeten der Ungarn zur Abwechslung mal zuhören könnte. Das bekannteste ist die ungarische Nationalhymne, deren Text Ferenc Kölcsey 1823 dichtete. Knapp zweihundert Jahre später zieht Cserna-Szabo eine negative Bilanz: "Wir baten den Herrn damals um gute Laune und Wohlstand. Damit hat es leider nicht geklappt. Wenn wir ehrlich sind: auch damals waren wir eine pessimistische, melancholische, zum Selbstmord neigende, heulend feiernde, neidische und selbstherrliche Nation und so sind wir geblieben. Das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts ausgenommen, haben wir auch vom Wohlstand nicht viel gesehen. Dann baten wir den lieben Gott, uns vor Feinden zu schützen. Davon haben wir nun reichlich bekommen, Feinde, meine ich."

Espresso (Italien), 01.02.2007

Andrzej Stasiuk erinnert sich an den Oberek, den im Verschwinden begriffenen Hochzeitstanz Zentralpolens. "Der Oberek ist ein obsessiver Tanz. Seine zirkulare und repetitive Struktur lässt die Gehirne der Sänger und Tänzer in eine Art Hypnose versinken. Um ein paar Stunden am Stück zu spielen, muss der Violinist die Grundmelodie immer wieder variieren, er muss ohne Pause improvisieren. Als ich die Filmausschnitte und Fotografien betrachtete und die Aufnahmen anhörte, schien es mir, dass diese Künstler sich von der irdischen Realität lösen. Auch wenn sie schon alt waren, auch wenn ihnen keiner mehr zuhören wollte und sie nur für das Mikrofon ihres Ethnografen und Sammlers Andrzej Biefkowski spielten, auch wenn ihre arthritischen Finger nicht mehr die Melodien formen konnten, die aus der Erinnerung emporstiegen, hatte ihre Musik etwas Schamanenhaftes. Sie fielen in Trance. Im buchstäblichen Sinn des Wortes."

Umberto Eco argumentiert in seiner Bustina di Minerva gegen die Todesstrafe. Der Staat "tötet, um die anderen zu erziehen, weil man lernen soll, dass man stirbt, wenn man tötet: das Töten ist somit eine Botschaft, das Mittel und nicht der Zweck. Deshalb ist die Todesstrafe selbst ein Delikt."
Archiv: Espresso

Groene Amsterdammer (Niederlande), 26.01.2007

Die niederländischen Truppen im afghanischen Uruzgan haben das Glück scheinbar gepachtet, meint Joeri Bloom (auch im Weblog). "Die Kanadier nennen die Holländer 'Lucky Dutch' und die Australier tauften sie 'Dutch Angels'. Die Niederlande haben seit Beginn der Uruzgan-Mission nur vier Tote zu beklagen. Einen durch Selbstmord, drei bei Flugunfällen." Die Kanadier dagegen verloren 45 und die Briten 46 Soldaten - allein seit März starben 18 Briten und 80 wurden verwundet nach Hause geflogen. Traumatische Situationen erleben aber auch die "lucky Dutch": "Der Soldat hob seinen linken Arm. 'Hier ging die Kugel rein' sagte er. Dann deutete er auf seine rechte Seite, 'und hier ging sie wieder raus.' Da war ein Riesenloch in seiner Seite. Er half britischen Kollegen beim Aufbau einer Blutbank in der afghanischen Provinz Helmand und beschrieb M.A.S.H.-artige Szenen mit Helikoptern, die die Verwundeten ausfliegen. 'Wir wurden zusammengetrommelt, als wieder einmal ein Selbstmordanschlag stattfand', erzählte er. 'Die britischen Ärzte kamen einfach nicht mehr nach.' Das war Ende Dezember - letzte Woche floss dann auch holländisches Blut."
Stichwörter: Australien

Economist (UK), 26.01.2007

Kaum ein amerikanischer Politiker hat sich bei seinen Rivalen so verhasst gemacht wie Hillary Clinton, weiß der Economist. Doch könnte ihr dieser "Hillary-Hass" bei ihren Ambitionen auf die Präsidentschaft womöglich Schützenhilfe leisten: "Der Hillary-Hass könnte für die Republikanern in zweierlei Hinsicht zum Problem werden. Zum einen macht er sie blind für Hillary Clintons Stärken: Viele Republikaner leben in solch einem konservativen Kokon, dass sie der Meinung sind, kein vernünftiger Amerikaner könnte jemals für diese weibliche Inkarnation des Teufels stimmen. Und zum anderen lässt er die giftigsten und frauenfeindlichsten Seiten der Rechten zutagetreten."

Weitere Artikel: Amüsiert berichtet der Economist über den jüngsten Coup in der deutschen Presselandschaft: Nach einer Straßenumbenennung residiert Axel Springers Bild-Zeitung nun wohl oder übel in der Rudi-Dutschke-Straße. Der Schadenfreude der benachbarten taz verpasst der Economist allerdings einen Dämpfer: Um langfristig zu überleben, braucht diese in die Jahre gekommene Institution etwas mehr als nur eine schmucke Adresse. Und schließlich: Den Vorschlag der deutschen Justizministerin Brigitte Zypries, die Leugnung des Holocaust EU-weit unter Strafe zu stellen, hält der Economist für falsch und gefährlich.
Archiv: Economist

Weltwoche (Schweiz), 25.01.2007

Christoph Neidhart porträtiert den zweitmächtigsten Mann Russland, Wladislaw Surkow. "Nominell ist Wladislaw Surkow der stellvertretende Chef der Präsidialverwaltung. Tatsächlich ist er der zweitmächtigste Mann des neuen Russland. Von der Innenpolitik über die Verbindung zur Duma - man munkelt, er greife per SMS in Parlamentsdebatten ein - bis zum Präsidentenpreis für Kultur umfasst die offizielle Liste seiner Aufgaben über zwanzig Jobs, für die man anderswo je einen Chef einstellen würde. Als enger Freund Putins spielt er die Rolle eines imperialen Einflüsterers, der unter anderem auch den Namen für das neorussische Staatsmodell erfunden hat: 'souveräne Demokratie'."

Außerdem online zu lesen: im Interview erklärt der Klimatologe Heinz Wanner, warum es immer wärmer wird, obwohl es eigentlich immer kälter werden müsste.
Archiv: Weltwoche

New York Times (USA), 28.01.2007

Reformkost, nein danke! Im Magazin der New York Times appelliert Michael Pollan ("The Omnivore's Dilemma") gegen Essen als medizinische Maßnahme und für eine Rückkehr zum, nun ja, Lebensmittel als solchem: "In den 80ern begannen die Nährstoffe die Lebensmittel zu ersetzen. Wo vormals 'Eier' oder 'Getreide' draufstand, hieß es plötzlich 'Ballaststoffe', 'Cholsterin' oder 'gesättigte Fettsäuren'. Der An- oder Abwesenheit dieser unsichtbaren Substanzen wurde heilende Wirkung zugesprochen. Lebensmittel waren altmodisch und undurchsichtig - wer konnte sagen, was sie wirklich enthielten. Nährstoffe aber versprachen wissenschaftliche Gewissheit - mehr von den richtigen, weniger von den falschen und du würdest länger leben ... Zeit für eine kulturell und ökologisch geprägte, weniger reduktionistische Vorstellung davon, was Essen ist. Essen als eine Art von Beziehung vielleicht."
Archiv: New York Times