Vorgeblättert

Habib Tengour: Der Fisch des Moses. Teil 1

07.09.2004.
Auszüge aus den ersten vier Kapiteln, die in Afghanistan spielen: 

Seit ihrem Wiedersehen in Kabul sind die drei unzertrennlich. Die unglaublichen Wechselfälle ihrer Geschichte lassen die unsichtbare Hand des allerbarmenden Gottes erkennen. Das stimmt Hasni in seinen Unternehmungen zuversichtlich. Er schlägt Mourad gegenüber einen versöhnlichen, einfühlsamen Ton an:
"Cool, alter Junge! Laß mich dir erst mal meinen Plan erklären, dann kannst du in Ruhe drüber meditieren. Ich denke doch auch an die Zukunft! Auch wenn?s nicht so aussieht, aber meine Synapsen können ganz gut feuern. Und diesmal ist die Gelegenheit einfach ideal; die Chance dürfen wir uns nicht entgehen lassen! Ken hat mich beauftragt, eine Gruppe Männer als Geleitschutz für einen Waffen- und Sprengstofftransport zu den Mudschaheddin auf afghanischem Gebiet zusammenzuziehen. In der Gegend um Kandahar. Da drüben ist der Untergrund sehr aktiv. Ich war da noch nie. Gleichzeitig macht Ken einen kleinen Rauschgift- und Edelsteindeal mit ihnen. Bringt ihm ganz schön was ein. Stoff für mehr als eine Million Dollar! Mensch, das laß dir mal auf der Zunge zergehen! Mehr als eine Million Dollar!"
Hasni hat solchen Nachdruck auf die Höhe der Summe gelegt, als wolle er seinen Freund damit ködern. Doch er tut es vor allem für sich selbst, um das lustvolle Prickeln auszukosten, das der Klang des Wortes "Million" in ihm auslöst. Seine ganze Kindheit und Jugend hindurch hat er davon geträumt, Millionär zu sein, doch weder Pferdewette noch Lotto und nicht einmal der Rauschgifthandel haben ihn seinem Ziel näher gebracht. Aber dieses Mal ist er sich ganz sicher, endlich die Hand auf die Million Dollar zu legen und sich seinen Straßenkindertraum zu erfüllen.
Mourad fällt ihm wütend ins Wort. Hasnis sanftmütiges Getue bringt ihn auf. Für wen hält der ihn denn? Glaubt er wirklich, er könne ihn manipulieren wie irgendeinen Dummerjan? Er merkt doch schon die ganze Zeit, seit Hasni wie der Wirbelwind über ihn hereingebrochen ist, worauf der hinauswill. Er hat ihm zerstreut zugehört und nur der Form halber geantwortet, trotz seiner Empörung, und ihn vermutlich glauben lassen, daß er ihn schon noch herumbekommt. Aber jetzt treibt Hasni es wirklich zu bunt. Damit muß Schluß sein. Er brüllt ihn an:
"Immer langsam, von was für Mudschaheddin redest du? Der Krieg ist vorbei. Die Russen sind zu Hause, windelweich geschlagen. Die Afghanen sind jetzt frei. Sie haben eine unabhängige Regierung. Ich kann dir nicht ganz folgen. Wir selbst haben doch jetzt nichts mehr verloren hier. Das war es doch, wofür wir uns verpflichtet haben, oder? Also was soll das jetzt?"
Hasni wechselt den Ton: "Natürlich, Mourad, du hast recht, aber so einfach sind die Dinge nun mal nicht. Die Kandidaten für die Macht in diesem Land, die sind sehr zahlreich, das weißt du ja! Jeder will Kabul unter seine Kontrolle kriegen; jeder will das Land lenken, wie es ihm gefällt. Zwietracht unterwandert die Mudschaheddin. Momentan verhandeln sie noch und diskutieren, aber bald werden wieder die Waffen sprechen. Die haben Schießpulver im Blut, diese Afghanen! In Wahrheit steckt noch viel mehr dahinter; da steht Enormes auf dem Spiel, ungeheure Summen! Und jede Menge widernatürliche Allianzen! Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Gemauschel das ist. Ich fange selber gerade erst an, da so halbwegs durchzublicken und ansatzweise zu kapieren, wie ihr Saftladen läuft. Du kannst mir glauben, Mourad, früher oder später explodiert dieses Land. Das wird ein Blutbad, sag ich dir! Die sind noch barbarischer als unsere Bauern, das weißt du doch! Krieg ist ihr Lieblingssport!"
Mourad, schroff: "Ist das Problem der Afghanen, wenn sie sich gegenseitig umlegen wollen; das geht uns nichts an! Wir sind nicht hierhergekommen, um uns in ihren Zwist einzumischen. Sie sind Muslime, sie müssen weiter nichts als die Lehre aus der Geschichte der Großen Prüfung ziehen."
"Ja, ja, natürlich", stimmt Hasni mit Samtstimme zu und lächelt, dann festigt sich sein Ton unmerklich: "Das geht jetzt schon Jahrhunderte so, daß die Zwietracht die Muslime zerfrißt; jeder schwenkt das blutbefleckte Hemd, wenn es ihm paßt; es sind wirklich schlechte Schüler! Und außerdem habe ich den Verdacht, daß die Amerikaner etwas gegen Kommandant Massoud und Rabbani im Schilde führen. Ich habe die Offiziere in der Messe davon reden hören. Sie waren sich nicht einig. Sie sind dabei, neue Gruppen zu bewaffnen, um sie auf Kabul anzusetzen. Denen ist Massoud zu unabhängig. Ein Hauptmann hat bemerkt, daß Massoud in Gottes Gnade steht und so das Volk verführt hat. Sie mögen keine Leute, die über wahre Macht verfügen. Sie trauen auch Hekmatyar nicht über den Weg und?"
Mourad ist fassungslos. Er stellt fest, daß er Hasni gar nicht richtig kennt, oder genauer, er will sich einfach nicht eingestehen, daß sein Freund möglicherweise völlig skrupellos ist. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat und im Recht zu sein glaubt, dann schreckt Hasni vor gar nichts zurück. "Das weißt du alles und spielst ihre Spielchen mit!?" ruft er entrüstet. "Du hast wohl vergessen, daß wir als Mudschaheddin gekämpft haben. Wir haben das aus Überzeugung gemacht, als Muslime, die anderen Muslimen helfen, und jetzt willst du, daß wir uns wie gewöhnliche Söldner und Schieber für eine Handvoll Dollar verdingen!? Du hast ja wohl ?nen Schuß! Ich glaub, ich hab einen Alptraum!"
Hasni denkt sich, der Ton von Mourads Moralpredigt klingt so wenig echt, daß Mourad schon noch auf seine Linie einschwenken wird. Noch ein allerletztes Zögern, vielleicht? Er antwortet ganz ruhig: "Reg dich ab, alter Junge! Take it easy, wie Ken immer sagt! Ich häng doch nicht einfach so mein Mäntelchen nach dem Wind. Und außerdem bewundere ich Kommandant Massoud, das ist wenigstens mal ein echter Anführer! Was glaubst du denn? Darum geht es doch gar nicht! Hör gut zu, ich werde dir das alles erklären. Also: ich tue meinen Job als Chauffeur und fahre den Toyota von Ken. Dich brauchen wir als Feuerwerker, um die neuen Rekruten auszubilden. Mirsa wird uns als Führer dienen, Kadirou hilft uns ein bißchen und dann ist natürlich noch Sharif Shah dabei, der Intelligence Service von Pakistan. Am Anfang spielen wir ihr Spiel mit, aber?"
Da beginnt plötzlich das Licht zu flackern, geht aus. Eine Explosion draußen läßt sie auffahren. Hasni verstummt schlagartig. Es folgt ein Schußwechsel. Hasni stürzt hinaus, Mourad folgt ihm. 

2 

Es war in der Nähe von Peschawar, in einem steinigen Niemandsland, umzäunt von Stacheldraht. In aller Eile hatte man das Lager errichtet: ein paar Baracken und Schuppen in Fertigbauweise, in Reih und Glied aufgestellt; ein weites Rund, planiert und mit Leuchtmarken versehen, als Versammlungs- und Trainingsplatz, als Landeplatz für die Versorgungshubschrauber der pakistanischen Armee.
Farblos die Kulisse und banal, belanglos der ganze Schauplatz. Ein Eindruck von Trostlosigkeit, verstärkt durch den unsicheren Kurs, den die von alten Elektromasten gesäumte Straße nimmt, die einzige Verbindung zur Stadt, nicht mehr als ein holpriger, kaum befahrbarer Weg. Genau der Nicht-Ort, den Reiseberichte sorgfältig ausblenden, an dem man jeden Augenblick fürchten muß, auf den legendären "Verdorrten Baum" zu stoßen?

Es ist keine leichte Sache gewesen, all die Maghrebiner, die in Afghanistan gekämpft hatten, hierherzuholen. Manche haben sich bei den aufständischen Stämmen, die sie aufgenommen haben, schon häuslich niedergelassen und wollen um nichts auf der Welt von dort fort. Andere, voll Argwohn oder auch unzufrieden, weil ihnen die angebotene Bezahlung nicht genügt, ziehen es vor, zusammen mit den abtrünnigen Widerständlern im Untergrund zu bleiben.
Da sind mehrere rivalisierende Cliquen, deren jede ihr eigenes Netzwerk hat, ihre unterirdische Logistik, ihre Financiers, die im verborgenen bleiben, ihr teuer bezahltes Terrain. Nebulöse Splittergruppen, jederzeit auf dem Sprung. Noch immer strömen Neulinge herbei, und um die Disziplin aufrechtzuerhalten, werden sie weiterhin in den Trainingslagern an der Grenze ausgebildet. Dieses Lager hier dient dazu, alle Ausländer, die sich einmal freiwillig als Söldner verdingt hatten, zu registrieren, bevor man sie wieder nach Hause schickt oder mit neuen Aufgaben betraut, je nachdem.
Das Lagerleben ist eintönig und einem strengen Reglement unterworfen. Es unterscheidet sich in nichts vom normalen Kasernenleben, hat nichts Prickelndes für diesen zusammengewürfelten, demobilisierten Haufen junger Leute aus den Vororten der Großstädte. Viele von ihnen sind aus Abenteuerlust hierhergekommen, auch fasziniert von der Religion, die ihnen zumindest eine gewisse Würde schenkte. Die Anwerber hatten ihnen Paradiesgärten in Aussicht gestellt, von Strömen durchflossen, wie sie den Märtyrern verheißen sind, dazu einen stattlichen Sold am Ende der Dienstzeit und das aufregende Leben, von dem sie auf den Parkplätzen ihrer verwahrlosten Wohnsilos träumten, vor allem aber konnten sie ihnen jenen Respekt und jene Anerkennung bieten, nach denen sie sich im Innersten sehnten, sie, die an dem Gefühl erstickten, nicht gebraucht zu werden. So groß war ihre Verzweiflung, daß nichts half als gewalti-ger Haß, um vorübergehend ihren bitteren Geschmack zu überdecken. Der Dschihad, der "heilige Krieg", war der ideale Weg, sie aus diesem Leben, das sich zwischen frustriertem Herumhängen und kleinen Gaunereien abspielte, herauszuholen.

Unter den Ehemaligen sind die Algerier am zahlreichsten vertreten, und ihrem Ruf getreu veranstalten sie den größten Radau. Es wird gemunkelt, daß die Heimkehrer auf der Stelle verhaftet und ins Gefängnis geworfen oder aber in Konzentrationslager in die Sahara verfrachtet werden, wo man sie in der Hitze krepieren läßt. Ein Gerücht, das immer mehr anschwillt und eine dumpfe Spannung erzeugt. Und das macht die meisten von ihnen ängstlich, reizbar und aggressiv. Vieles hat man ihnen schon versprochen, so viel, daß sie sich verschaukelt fühlen. Manche werden mutlos und verzagt angesichts der Ungewißheit ihres Schicksals. Sie senden einen weinerlichen Bittbrief nach dem anderen los, direkt an den Präsidenten des Hohen Staatsrats, und flehen darum, die Eltern wiedersehen zu dürfen. Geloben hoch und heilig, sich zu bessern und zu einem normalen Leben zurückzukehren, wenn man sie nur ohne Scherereien nach Hause läßt. Aber bei weitem nicht alle tun ihr Engagement als bedauerliche Jugendsünde ab, sondern brennen darauf, sich neu zu engagieren, für Bosnien oder irgendeine andere gute Sache, wo sie ihre Kampferfahrung einbringen können.

Teil 2
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