Vorgeblättert

Kiran Nagarkar: Krishnas Schatten, Teil 1

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Wir waren ein wahrlich seltsames Paar.
Noch nach jahrelanger Ehe waren wir bis über beide Ohren verliebt.
Ich in sie und sie in einen anderen.


Sollte er ihr die Zunge herausreißen, fragte er sich, oder ihr ein großes Seidentuch in den Mund stopfen? Tat sie es ganz bewusst, um ihn in den Wahnsinn zu treiben? Er hatte den Ektara entzweigebrochen. Das schien ihr kaum etwas auszumachen. Sie sang ohne Instrument weiter. Trotz seines Entschlusses, ihrer Singerei ein Ende zu machen, hörte er konzentriert zu. Würde sie ohne den Ektara den richtigen Ton treffen? Wenn er sie nur dabei erwischen könnte, wie sie für den Bruchteil eines Augenblicks zögerte, bevor sie sich in ein Glissando stürzte! Aber nein. Ihre Stimme war so sicher wie die Hand eines Chirurgen. Wenn sie irgendwelche Schlenker machte, dann absichtlich, weil sie eine Tonfolge erzeugen wollte, die sich blitzschnell wie eine Schlange über den Wüstensand vorwärts wand. Wo nahm sie diese Stimme nur her? 
Er zwang sie, sich hinzusetzen. Er zügelte seine Stimme. "Hör auf zu singen. Ich will nicht, dass du unter meinem Dach singst."
"Warum nicht?", fragte sie unschuldig - zumindest mit gekonnt imitierter Unschuld.
"Weil Prinzessinnen nicht vor Publikum singen, jedenfalls nicht in diesem Haus. Das tun nur Huren."
"Aber das war doch nur ein bhajan."
"Rasikabai schließt alle ihre Konzerte mit einem Bhajan ab. Wie du bringt auch sie an die hundert Leute dazu, unter ihren Fenstern und Balkonen stehen zu bleiben. Bald werden sie dir Geldstücke zuwerfen." Ich hatte mich fortreißen lassen. "Aber ich werde es zu verhindern wissen. Das war heute dein letztes Konzert, ist das klar?"
"Wenn es Euch so sehr stört, werde ich nicht mehr singen."
"Es stört nicht nur mich, es stört die ganze Familie. Meine Mutter, die anderen Königinnen, die Prinzen und es stört Vater."
"Vergebt mir, ich hatte wirklich nicht geahnt, dass es ein solches Ärgernis sein würde, über das sich die ganze Familie empört."
"Rani Karmavati hat mich gestern zu sich gerufen und mir mit ihrer gewohnt undurchdringlichen Miene eröffnet, der Rao von Chanderi habe gefragt, ob er die neue Sängerin, die wir uns aus Merta geholt hätten, wohl ausleihen dürfte. Er sagte, er würde gut bezahlen."
"Wollt Ihr, dass ich für ihn singe? Ich bin sehr schüchtern."
Er hätte schwören können, dass sie sich über ihn lustig machte. War sie übergeschnappt? War sie naiv und dumm oder hielt sie ihn für einen Vollidioten? Wie sollte man mit diesem Frauenzimmer reden? Er spürte, wie der Zorn in ihm aufstieg und das Blut in seinen Schläfen pochte. Ruhe, bleib ruhig, sagte er sich und stellte fest, dass er trotz des guten Ratschlags immer mehr in Wut geriet.
"Vergiss es. Ich will nicht mehr darüber reden, Hauptsache, du hast kapiert, dass du nie wieder, unter keinen Umständen, zu deinem eigenen oder zu wessen Vergnügen auch immer singen wirst."
Er hätte es sich denken können. Sie sang weiter, jeden Tag. Seine Frau war Stadtgespräch und er konnte nichts dagegen unternehmen. Nicht, dass ihm die Phantasie oder die Bereitschaft gefehlt hätte, sich extreme Maßnahmen zu überlegen. Aber sie hatte etwas gesagt, was ihm immer wieder in den Sinn kam: "Ich wusste nicht, dass ich singen würde. Ich setze mich zum Beten hin, und ich verliere jedes Bewusstsein. Wenn alles vorüber ist, stelle ich fest, dass ich wieder einmal Eure Befehle missachtet habe."
Er verabscheute Menschen, die nicht bereit waren, die Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen. Er glaubte fest daran, dass jeder wusste, was er tat, selbst wenn er sich einredete, er sei in eine Sache "hineingeschlittert".
"Ich wusste wirklich nicht, was ich tat, ich schwöre es. Irgendwie habe ich mich in seinem Bett wiedergefunden, und das Nächste, was ich mitbekam, war, dass ich mit ihm geschlafen hatte." Oder: "Ich wusste nicht, was passierte, aber eins führte zum anderen, und ehe ich mich versah, hatte ich ihn erstochen." Äußerst glaubwürdig. Und dennoch verzehrte er sich danach, ihr zu glauben.
Besessenheit war ja nichts Ungewöhnliches. Jedermann wusste, dass die Pocken nichts anderes als die Heimsuchung einer devi waren. Sie konnte einen töten, blind machen oder, da sie eine Göttin war, einen für immer mit kraterartigen Narben an Gesicht und Körper zeichnen. Sollte wirklich jemand anders für den Zustand seiner Frau verantwortlich sein, möglicherweise dieser Jemand, den sie mit allerlei Namen anrief, dann wäre es vielleicht auch möglich, ihn loszuwerden. Und dann könnten er und seine Frau vielleicht - vielleicht! - endlich anfangen, ein normales, Eheleben zu führen.

In einer Höhle rund achtzig Kilometer vor Chittor lebte eine Frau namens Bhutani Mata. Sie wohnte allein und führte geheimnisvolle Opferhandlungen und Rituale durch. Manchmal ließ sie sich dazu herab, Bittstellern zu helfen. Doch zwingen ließ sie sich nicht, und niemals würde er sie dazu bringen, in den Palast zu kommen.
Bhutani Mata war genau die Sorte Mensch, an die er sich niemals gewandt hätte. Aber "niemals" ist ein dehnbarer Begriff. Und ob es ihm bewusst war oder nicht, er hatte die schwimmende Grenze, die den geistig Gesunden vom Gestörten trennt, längst überschritten. Er war bereit, alles zu tun, um seine Frau den Kräften, die ihr jeden eigenen Willen geraubt hatten, wieder zu entreißen. Er beschloss, seinem Freund Puraji Kika einen Besuch abzustatten, und brach mit Mangal und dem üblichen zehn-, zwölfköpfigen Gefolge auf. Unterwegs machten sie einen Abstecher. Er befahl Mangal und den Männern, am Fuße des Berges zu warten, und begann den Aufstieg zur Höhle. Oben angelangt, blieb er am Eingang stehen und flüsterte: "Mata, meine Frau will keinen Verkehr mit mir haben. Sie sagt, es gebe einen anderen Mann in ihrem Leben und sie gehöre ihm. Ich habe Angst, dass sie besessen ist, weil ich sie noch nie mit einem anderen Mann gesehen habe. Bitte helft mir." Es musste eine tiefe und gewundene Höhle sein, denn es dauerte eine ganze Weile, bis ihre Antwort ihn erreichte. Sie war kurz und bündig: eine Obszönität und die knappe Mitteilung, sie habe keine Zeit für ihn oder sein treuloses Weib. Er verlegte sich aufs Bitten. Sie warf ihm einen Stein an den Kopf und sagte, er solle verschwinden, da sie ihm andernfalls einen weiteren Stein gegen das Ding schmeißen würde, das ihm zwischen den Beinen baumelte. Dann würde es keine Rolle mehr spielen, selbst wenn seine Frau mit der ganzen Welt schlief, für ihn hätte sie keine Verwendung mehr. Er dachte daran, sich zurückzuziehen, entschied sich aber dagegen. Was hatte er schließlich zu verlieren?


Teil 2