Vorgeblättert

Leseprobe zu Ben Hecht: Von Chicago nach Hollywood. Teil 2

17.08.2009.
Die Produzenten

Als Hollywood-Autor habe ich an mindestens tausend Drehbuchkonferenzen teilgenommen. Andere Anwesende auf solchen Konferenzen waren der 'Produzent', der Regisseur, manchmal auch der Studioleiter und die kleine Gruppe seiner engsten Bewunderer.
     Welche Aufgabe der Produzent beim Filmemachen eigentlich hat, ist eine Frage, die bis heute noch niemand geklärt hat. Ich will versuchen, etwas Licht in die Sache zu bringen.
      Die große Fabrik, in der Filme gemacht werden, wird von einem Superproduzenten, Studioleiter genannt, geführt; er sitzt in einer Chefetage, wo er so schwer zugänglich ist wie der große Dalai Lama. Er ist der Boss, der von dem Studiobesitzer persönlich bestallt wurde. Trotz der Verehrung, die ihm Tausende von Untergebenen erweisen, ist er im Grunde nur ein Handlanger. Sein ganzer Verstand, seine ganze Persönlichkeit muss sich der Philosophie des Studiobesitzers beugen - und die heißt "Geld machen". Die Geldgier des Studiobesitzers muss er in ein Programm für seine Filme übersetzen. Das heißt, jede Idee, jede Handlung, jede Absicht, die ihm vorgelegt wird, hat er unter dem einzigen Gesichtspunkt zu prüfen, ob sie trivial genug ist, den Massen zu gefallen.
      Wenn er bei dieser Aufgabe versagt, wird er von seinem ewig wackelnden Thron nach New York ins Büro des Studiobesitzers zitiert. Dort lässt er sich eine Abreibung verpassen, die der niedrigste seiner Sklaven nicht hinnehmen würde. Man reibt ihm die Kartenverkaufslisten unter die Nase und führt ihm Reihen von Kinobesitzern vor, die, durch die leeren Sitze zur Verzweiflung getrieben, bereit zum Selbstmord sind. Man schleudert ihm Beweise an den Kopf, dass er das große Vertrauen, das in ihn gesetzt wurde, verraten hat, dass er dabei ist, die ganze Filmindustrie zu ruinieren, und dass er entweder ein Vollidiot oder ein Schurke sein muss.
      Erschüttert und traumatisiert kehrt er auf seinen Studiothron zurück. Hier hüllt er sich wieder in seinen Purpurmantel und bereitet sich darauf vor, mit den Augen zu blitzen und seine Kulis mit olympischen Launen zu terrorisieren.
     Seine unmittelbaren Untergebenen sind die Produzenten. Er hat sie angeheuert, damit sie die eigentliche Arbeit für ihn tun. Denn schließlich kann kein Mensch fünfzig Filmplots gleichzeitig abwägen, diskutieren und manipulieren. Er muss Gehilfen haben, Männer, die in der lärmenden Gegenwart von Autoren und Regisseuren kühlen Kopf bewahren und aufpassen, dass sich unter keiner noch so subversiven Verkleidung so etwas wie Kunst in einen Film einschleicht.
     Es gibt verschiedene Sorten von Produzenten in den Studios; die Skala reicht von völligen Analphabeten bis hin zu Philosophen und Ästheten. Aber sie alle haben dieselbe Funktion. Ihre Aufgabe besteht darin, vor allem Ungewöhnlichen auf der Hut zu sein. Sie sind die Gewährsmänner des Klischees. Autoren und Regisseure können sich von einer 'eigenwilligen' Charaktergestaltung oder einer neuen Sichtweise begeistern lassen, ein Produzent niemals. Der Produzent ist der Schatten des Studiobesitzers, und dieser Schatten fällt auf das gesamte Studioprodukt.
     Schon zu Beginn meiner Arbeit für den Film wurde mir klar, dass ein Film nie besser ist als der Dümmste, der daran mitgearbeitet hat. Es gibt Fälle, in denen diese Auszeichnung dem Autor oder dem Regisseur zusteht. Meistens gebührt sie jedoch dem Produzenten. Gute Autoren in Filmschreiberlinge zu verwandeln ist die Hauptaufgabe des Produzenten. Alle meine Hollywood-Bosse waren solche finsteren Burschen. Obwohl ich für meine Arbeit oft fünf- oder zehnmal mehr als sie verdiente, waren sie immer meine Richter. Es war ihr Geist, ihr Geschmack, den ich zufriedenstellen musste.
     Ich kann mich an ein paar kluge Köpfe unter ihnen erinnern und an fünfzig Schwachköpfe. Ich lernte es nie, mich mit ihnen abzufinden. Auch lange Jahre der Erfahrung halfen da nichts, versöhnten mich nie damit, ihre literarischen Anweisungen entgegennehmen zu müssen. Und oft wappnete ich mich mit Schlaftabletten, ehe ich zu einer Sitzung mit einem Produzenten ging.
     Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich die Hälfte meiner immensen Drehbuchhonorare dafür bekam, dem Produzenten zuzuhören und ihm zu gehorchen. Ich versuche hier nicht, witzig zu sein. Für Gehorsam wird beim Film genauso viel bezahlt wie für kreative Arbeit. Ein fähiger Autor bekommt mehr Geld als einer mit geringerem Talent. Aber dieses zusätzliche Geld zahlt man ihm, damit er seine besseren Fähigkeiten nicht einsetzt.
     Oft habe ich meine Kämpfe mit den Produzenten gewonnen. Es gelang mir, sie davon zu überzeugen, dass ihre Vorschläge zu schal oder zu infantil waren. Aber mein Sieg währte nur so lange, wie ich vor Ort war. In dem Moment, wo ich das Studio verließ, zerrann er. Jede abgestandene, der Produzentenphantasie entsprungene Silbe wanderte wieder ins Drehbuch, und jeder lahmfüßige Einfall erschien auf der Leinwand.
     Wenn ich mir dann Monate später 'meinen' Film im Kino ansah, merkte ich, dass eigentlich nicht viel Schaden angerichtet worden war. Ein Film ist grundsätzlich so trivial und glatt, dass das Hinzufügen eines halben Dutzends erbarmungswürdiger Geistlosigkeiten ihn nicht verändert. Das Werk schmettert los, blökt seine unvermeidlichen Klischees in die Welt, und nur der Drehbuchschreiber weiß, dass das Ganze noch eine Spur schlechter ist, als es hätte sein müssen.


Geld ist die Wurzel

Als Autor in Hollywood verbrachte ich mehr Zeit mit Argumentieren als mit Schreiben. Wenn ich mich heute an meine Zeit in der Filmmetropole erinnere, dann sehe ich mich vor allem ins Büro irgendeines Produzenten stürmen und ihn fragen, warum ich das Drehbuch verändern solle, es ausweiden, verstümmeln und lähmen. Warum muss ich dem Helden seine wenigen halbintelligenten Bemerkungen wegnehmen, und warum muss ich einen schmalzigen Schluss anklatschen, der einem den Magen umdreht ? Die Hälfte aller Filmautoren führte ähnliche Auseinandersetzungen. Die andere Hälfte litt stumm vor sich hin. Die Psychoanalytiker-Couch und die Alkoholflasche forderten von beiden Gruppen ihren Tribut.
     Ehe jedoch der Eindruck entstehen könnte, ich schriebe hier über einen Stamm in Ketten gelegter Shelleys, möchte ich klarstellen, dass der größte Teil der Autoren, die durch Hollywood 'ruiniert' wurden, aus einem Haufen gieriger Schreiberlinge und inkompetenter Dummköpfe bestand. Unter den tausend Schreibern, die durchs Filmland geisterten, gab es kaum fünfzig Männer und Frauen von Geist und Talent. Der Rest des Clubs war totes Holz. Eigenartigerweise war jedoch kaum ein Unterschied zwischen dem Produkt eines guten Autors und dem eines schlechten zu erkennen. Denn beide waren in derselben Tretmühle gefangen.
     Es stimmt auch nicht, dass die schlechten Autoren weniger seelische Qualen erlitten. Ihr Weg war genauso dornig. Weder mit Talent noch mit Kompetenz begabt, zerwühlte ein närrisches Bedürfnis nach Selbstausdruck ihr Inneres, und in ihren Herzen stampfte die wilde Sehnsucht nach Ruhm. Die Knute Hollywoods, sie spürten sie nicht weniger als die literarische Elite. Jemand mag noch so zynisch, überbezahlt oder unfähig sein, auch er wird in Hollywood nichts schaffen können, ohne die eigene Kreativität zu verstümmeln. Und das Künstler-Ego, selbst das Ego des kleinsten Schreiberlings, wird sich unter der abverlangten Einschränkung krümmen.
     Die Studiobosse bringt solches Künstlerdilemma kaum aus der Ruhe. Die Erfahrung hat gelehrt, dass der revoltierende Hollywood- Künstler zumeist durch eine Gehaltserhöhung beruhigt werden kann. Meine eigene Unzufriedenheit mit dem, was man in Hollywood von mir verlangte, war so laut, dass ich schließlich hundertfünfundzwanzigtausend Dollar für vier Wochen Arbeit an einem Drehbuch erhielt.


Die Clowns: Die rosa Periode

Filmemachen ist ein Spiel, bei dem einige tausend Spielverrückte die Karten mischen. Die meisten sind Besessene, gehen bis zur Erschöpfung - und amüsieren sich dabei, so, wie es bei einem guten Spiel sein sollte. Gehört man zu den Besessenen, rückt einem der Rest der Welt sehr fern, auch das gehört zu einem guten Spiel. Viele Jahre lang war ich einer dieser besessenen, wenn auch nur zeitweiligen Mitspieler. Ich stattete Hollywood wohl an die zwanzig Besuche ab und blieb jedesmal nur so lange dort, bis ich genug Geld verdient hatte, um den Rest des Jahres davon zu leben. Manchmal bedeutete das zwei oder drei Wochen in der Filmmetropole, manchmal vier Monate. Sowie mein Bankkonto wieder aufgefüllt war, nahm ich meinen Hut und floh. Zeichnete sich die nächste Flaute ab, kehrte ich nach Hollywood zurück. Mit mir reisten meistens Rose, ein oder zwei Verwandte, ein oder zwei Dienstmädchen, viele Kisten und Koffer, all meine Ölgemälde und alle Tiere, die wir gerade hatten.
     Als ich nach Hollywood kam, war der Film noch jung. Flaschengeister und Menschenfresser, Haremssklavinnen und Weltenstürmer liefen haufenweise herum, vor allem aber Menschenfresser. Mankiewicz hatte in seinem Telegramm die Wahrheit gesagt: Wie das Wetter überall sonst auf der Welt auch sein mochte, in Hollywood regnete es nur Gold. Hungrige Schauspieler krochen aus ihren Nachtasylkojen und bezogen terrassenumsäumte Villen. Schreiber und Zeitungsleute, die ihren Weg gen Westen als Tippelbrüder angetreten hatten, legten sich Butler zu und Weinkeller an. Talent, Talent, wer hatte Talent, gleich für was ? Wer konnte eine Trommel schlagen, von einem Dach springen, einen Witz schreiben oder auf Händen laufen ? Wer konnte sich eine Geschichte ausdenken, gleich welche ? Und wer konnte sie niederschreiben ? Und wer hatte Ego ? Das war das am heißesten gefragte Talent - Ego und ein Paar hüpfende Titten unter schimmernden Morgentauaugen. Reichtum verfolgte sie alle. Jeden Tag schlüpften neue Stars aus ihrer Larve, jeden Tag stiegen neue weltberühmte Regisseure und Produzenten aus irgendwelchen Schuhkartons.
     Ich erinnere mich an Studios, die vor Intrige und sorglosem Draufgängertum nur so vibrierten. Ich erinnere mich an schöne Villen mit gutaussehenden Butlern und Meisterwerken an den Wänden, an sprühende Menschen, lange und lärmende Essen, Nächte voller Ausgelassenheit und Spiele, Hotelsuiten und gemietete Paläste, die von Freunden, Partnern, Sekretärinnen und glücklichen Dienstmädchen bevölkert waren. Ich erinnere mich an Strand und Ozean an diamantglitzernden Tagen und an Regenstürme aus Joseph Conrads Romanen. Lieber noch als an all diese angenehmen Dinge erinnere ich mich an die Freundschaften, die aus meiner Arbeit in Hollywood entstanden.
     Obwohl ich die meisten meiner sechzig Filme allein schrieb, entstanden alle meine Drehbücher in der einen oder anderen Form der Zusammenarbeit. Am befriedigendsten war die eigentliche literarische Zusammenarbeit mit Mac Arthur, Lederer oder Fowler. Die Hollywoodaufenthalte wurden dann zu glücklichen Zeiten. Aber auch wenn ich mit niemandem zusammenarbeitete - die Einsamkeit, die literarische Arbeit ansonsten wohl immer begleitet, stellte sich beim Schreiben für den Film nicht ein. Man schrieb, während das Telefon nebenan wie ein Feueralarm schrillte und der Regisseur auf dem Stuhl gegenüber Grimassen schnitt und stöhnte. Konferenzen unterbrachen einen, Agenten bestürmten einen mit Traumjobs, und stündlich kamen Freunde mit ungelösten Plots herein und wollten Rat. Um den Bleistift eines Drehbuchschreibers lauerten ständig Katastrophen. Der Star, für den man gerade schrieb, wurde krank oder weigerte sich, aus Gründen, die einem die Haare zu Berge stehen ließen, die Rolle zu übernehmen. ("In diesem Film spiele ich nicht mit", sagte Ingrid Bergman bei Spellbound, "weil ich die Liebesgeschichte unglaubwürdig finde. Die Heldin ist eine Intellektuelle, und eine Intellektuelle kann sich nie so hoffnungslos verlieben." Sie spielte die Rolle sehr überzeugend.) Oder das Studio, für das man gerade arbeitete, wechselte den Besitzer und wurde neu organisiert. Das bedeutete gewöhnlich nichts weiter, als dass zehn oder fünfzehn Stenotypistinnen entlassen wurden, aber die Aufregung war entnervend. Es konnte auch passieren, dass der Studioleiter plötzlich der Ansicht war, es wäre besser, den Schauplatz eines Films zu verlegen und ihn in Peking spielen zu lassen statt in Brooklyn. Man hörte diesem Geplärr zu, debattierte dagegen wie ein Jongleur, dessen Füße sich in den Reifen verfangen haben, und schrieb weiter.
      Von den Studiobossen, mit denen ich zusammenarbeitete, waren Selznick, Zanuck und Goldwyn die aufgewecktesten. In den Tagen, als David Selznick das Filmemachen noch liebte, war er ein brillanter Geschichtenerzähler. Ohne einmal Luft zu holen, konnte er sich von jeder beliebigen Szene zwanzig verschiedene Versionen ausdenken und sie durchprobieren. Auch Darryl war schnell und scharf und fabulierte wie ein Mann, der um Hilfe schreit, mit einer schrillen Stimme drauflos. Goldwyn war dagegen jemand, der sich kaum artikulierte, aber sehr stimulierte. Er erfüllte den Raum mit einer wunderbaren Panik, die einem am Kopf rüttelte, als wäre man ein Spielautomat, dem jemand den Geldregen herausschüttelt.
     Von den Regisseuren, mit denen ich zusammenarbeitete, waren die meisten vernünftige und fähige Burschen. Ich erinnere mich gern an sie - den jungen, klavierspielenden Leo McCarey; den ehemaligen Holzschuhtänzer Ernst Lubitsch, der Rhythmus und Präzision in seinen Skripts liebte; den Modehelden Howard Hawks mit seiner schleppenden Stimme und seiner Vorliebe fürs Melodram; den melancholischen und eleganten Harry D?Arrast; den gentlemanhaften Alfred Hitchcock, aus dem die Einfälle schossen wie aus einem Leuchtkugelrohr; den witzigen, boccaccioesken Otto Preminger; den sprunghaften Jack Conway; den hysterischen Gregory Ratoff; den lachenden und wild-beherzten Willie Wellman; den sanftstimmigen, weltmännischen Henry Hathaway; den erhabenen und poetischen Victor Fleming. All diese Männer und viele andere hatten Talent und gesalzene Persönlichkeiten. Die Zusammenarbeit mit ihnen war immer ein Spiel - "Den Trick, den Trick. Wer hat den Trick ?"
      Es gab jedoch auch Regisseure, die eine Anzahl deprimierender Regeln in das Spiel einführten und aus der Zusammenarbeit eine un68 erfreuliche Sache machten. Das waren humorlose Leute, denen der Ruhm wie Faulschlammgas in den Kopf gestiegen war. Sie waren so gegen die Drehbuchschreiber eingenommen, als seien es ihre Feinde, die das Produzentenbüro angeheuert habe, um sie ihrer eigenen Größe zu berauben. Bei jedem Dialog machten sie ein finsteres Gesicht, zuckten bei jedem Witz zusammen und kämpften so lange mit dem Skript, bis sie allen Glanz herausgeschüttelt hatten. Auf diese Weise waren sie in der Lage, die Zeugnisse ihres eigenen 'Genies' auf die Leinwand zu bringen. Diese Genialität bestand darin, psychologische und dramatische Effekte nicht durch Sprache zu erzielen, sondern durch szenische Details - eine bestimmte Kulisse, ein Augenrollen in Nahaufnahme und ähnliches Theater. Da ich diese Angeber und ihre närrische Egomanie gut kannte, gelang es mir meistens, ihnen aus dem Weg zu gehen. Ein paar von ihnen fielen jedoch wie Regen in mein Leben und verdunkelten mir so manchen Tag.
      Solch kränkliche 'Größe' war jedoch selten in Hollywood. Bei Dinnerparties, wo alle Gäste berühmte Kinostars oder Regisseure waren, spielte niemand den Berühmten, fühlte sich noch nicht einmal so. Die weltberühmten Gesichter waren voller Schüchternheit oder Leutseligkeit. Die enorme Publizität, die Stars und Regisseure umflackerte, berührte selten deren innere Persönlichkeit, die so bescheiden und gutherzig war wie die von Fabrikarbeitern auf einem Picknick. Die einzige Ausnahme, an die ich mich erinnere, waren einige der großen Studiobosse. Sie kamen im gravitätischen Schritt der Mächtigen daher und hatten eine Vorliebe für gräfliche Auftritte.
     Mir der liebste unter meinen Hollywood-Kollegen war weder Autor noch Regisseur, noch Studioboss, sondern Kameramann Lee Garmes. Lee führte mich in die wahre Magie der Filmwelt und ihr technisches Potential ein. Er war nicht nur einer der besten Kamerakünstler Hollywoods, sondern wusste mehr übers Filmemachen Als manch ein anderer im Filmgeschäft. Für ihn war die Kamera ein Pinsel, er malte mit ihr; aber in seiner Malerei lag das Wissen um Hunderte von Fallgruben, die im Filmemachen verborgen sind.
     Beim Drehen einer Szene sah Lee tausend Dinge, für die meine Augen blind waren: Schatten um Münder und Augen, Lichtreflexe auf Schreibtischplatten, Tintenfässern und Hosenbeinen. Er sah jedes falsche Licht und jeden Fehler im Szenenaufbau - Schultern, die ein Gesicht im Hintergrund verdeckten; Hände, die entscheidende Objekte verbargen. Wenn Lee die Kamera schwenkte, kam ein ständiges Gemurmel von Instruktionen aus seinem Mund. Und während er die Szene von ihren falschen Nuancen von Licht und Schatten befreite oder Figurengruppierungen umarrangierte, hatte er den Filmschnitt bereits im Kopf. Wie ein Meister der Malerei wusste er um die Stimmungen, die ein Raum erzeugt, die Wirkung großer Weiten, die Dynamik von Symmetrien. Und all diese Weisheit übersetzte er in die Bewegungen seiner Kamera.

Teil 3