Vorgeblättert

Leseprobe zu Chris Anderson: Makers. Teil 2

21.01.2013.
TEIL 2: DIE ZUKUNFT

Kapitel 6

Die Werkzeuge der Transformation

3-D-Drucker entwickeln sich zum Traum aller Alchemisten: Alles herstellen können.


»Tee. Earl Grey. Heiß.«
Wenn Captain Jean-Luc Picard in seinem Bereitschaftsraum an Bord des Raumschiffs Enterprise ein heißes Getränk haben will, dann spricht er diese Worte. Der »Replikator« des Schiff s fügt dann die notwendigen Atome zusammen - auch für die Tasse - und gibt das Getränk dann trinkfertig aus. Picard denkt sich nichts weiter dabei. Es ist für ihn so selbstverständlich wie für uns heute eine Mikrowelle . So wie wir heute in der Küche durch Mikrowellen Atome in Schwingungen versetzen und Wärme erzeugen (was in den 1050er-Jahren noch völlig undenkbar war), so bringt Picards Replikator durch eine raffinierte Energietechnik, die in Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert nie näher erläutert wird, die Atome dazu, sich zu Essen und Getränken zusammenzusetzen.

Das ist zwar Science-Fiction , aber nicht unmöglich. Wenn man einem 3-D-Industriedrucker heute bei der Arbeit zusieht, kann man mit ein wenig Fantasie die Anfänge von etwas sehr Ähnlichem erahnen. Eine Wanne mit Flüssigharz bildet die Ursuppe. Ein blitzartiger Laser zeichnet Muster hinein. Eine Gestalt nimmt Form an und erhebt sich aus dem nährenden Bad, wie durch Zauberei aus dem Nichts erschaffen.

Aber zurück zur Realität: Bis sich Moleküle von selbst anordnen, ist es noch ein weiter Weg, oder zumindest, bis sie es auf sinnvolle Weise tun. Ein 3-D-Drucker verarbeitet nur eine Materialsorte pro Druckvorgang, und wenn man Materialien kombinieren will, muss man mit mehreren Druckköpfen arbeiten oder zwischen den verschiedenen Materialien umschalten, ähnlich wie bei den unterschiedlichen Farbpatronen in einem Tintenstrahldrucker. Derzeit ist für uns nur eine maximale Auflösung von etwa 50 Mikrometern (die Dicke eines feinen Haares) möglich, während die Natur tausendmal feinere Details schafft, die nur wenige Zehntelnanometer groß sind. Bei einem 3-D-Druck setzt sich außerdem nichts von selbst zusammen: Der Drucker erledigt das. Durch die schiere Gewalt eines Lasers wird Staub oder Flüssigharz verfestigt oder Plastik geschmolzen und zu einer dünnen Schnur lang gezogen.

Aber das Prinzip wird deutlich: Wir können uns etwas ausdenken, es mit einem Computer zeichnen, und eine Maschine lässt es dann Wirklichkeit werden. Wir drücken auf einen Knopf, und es entsteht (nach einer gewissen Zeit) ein Objekt. Arthur C. Clarke schrieb: »Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.« Diese Technologie ist nahe dran.

Vier Desktop-Fabriken

1. 3-D-Drucker: Ein 3-D-Drucker und der Papierdrucker, der wahrscheinlich schon auf Ihrem Schreibtisch steht, sind sich sehr ähnlich. Der traditionelle Laser- oder Tintenstrahldrucker ist ein 2-D-Drucker. Er wandelt Pixel auf einem Bildschirm in Punkte aus Tinte oder Toner auf einem 2-D-Medium um, in der Regel Papier. Ein 3-D-Drucker hingegen verwandelt »Geometrien« auf einem Bildschirm (3-D-Objekte, die mit denselben Anwendungen erstellt werden, die Hollywood für CGI-Filme verwendet) in Objekte, die man in die Hand nehmen und verwenden kann. Manche 3-D-Drucker pressen Stränge aus geschmolzenem Kunststoff heraus und bauen die Objekte so schichtweise auf. Andere härten mit einem Laser Flüssigkeiten oder Pulver aus, sodass das Produkt aus einem Rohmaterialbad emporsteigt. Wieder andere stellen Objekte aus jedem beliebigen Material her, von Glas, Stahl und Bronze bis Gold, Titan oder sogar Kuchenglasur. Man kann eine Flöte ausdrucken oder eine Mahlzeit. Man kann sogar menschliche Organe aus lebenden Zellen ausdrucken. Dabei wird eine Lösung mit Stammzellen auf einen Nährboden gespritzt, ähnlich wie ein Tintenstrahldrucker Tinte auf Papier spritzt.

2. CNC-Maschine: Während 3-D-Drucker ein »additives« Verfahren anwenden, um Dinge herzustellen (sie werden schichtweise aufgebaut), stellt eine CNC-Fräsmaschine mit denselben Daten ein ähnliches Produkt her, wendet aber ein »subtraktives« Verfahren an, das heißt, dass die Maschine mit einem Bohrkopf ein Produkt aus einem Kunststoff -, Holz- oder Metallblock schneidet. Es gibt zahllose CNC-Maschinen für Spezialanwendungen: CNCQuilt- und -Stickmaschinen, CNC-Blech- oder -Folienschneidemaschinen sowie CNC-Papier- und -Stoffschneidemaschinen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Manche CNC-Maschinen sind so groß wie Esstische und stellen Holzmöbel her. (CNC-Industriemaschinen können so groß wie eine Lagerhalle sein und Objekte von der Größe ganzer Flugzeugrümpfe herausfräsen.)

3. Lasercutter: Der Lasercutter, eigentlich ein 2-D-Gerät, ist eines der beliebtesten neuen Desktop-Werkzeuge. Ein Laser schneidet beliebig komplexe Muster präzise in eingeführte Platten aus jedwedem Material, von Kunststoff und Holz bis zu dünnem Metall. Viele CAD-Programme können ein 3-D-Objekt in 2-D-Bestandteile zerlegen, sodass sie mit dem Lasercutter hergestellt und dann zusammengefügt werden können wie die bekannten Bausätze für Dinosaurier aus Schichtholz.

4. 3-D-Scanner: Mit diesem Gerät, das nicht größer als ein Brotkasten sein muss, kann man »die Realität einfangen«. Statt ein Objekt komplett neu zu zeichnen, kann man ein existierendes Objekt in den Scanner legen. Mit Laser oder ein er anderen Lichtquelle und einer Kamera wird das Objekt von allen Seiten abgebildet und dann in ein 3-D-Bild umgewandelt, das aus Zehn- oder Hunderttausenden von Polygonen besteht, wie eine Figur in einem Videospiel oder einem CGI-Film. Per Software wird das Bild dann vereinfacht, damit man jeden beliebigen Teil verändern kann. Viele Anwender scannen mit dem Gerät als Erstes den eigenen Kopf ein, überzeichnen dann die Gesichtszüge und lassen den 3-D-Drucker eine Wackelfigur mit dem eigenen Kopf ausgeben.

Heute ist 3-D-Druck noch hochaktuelle Spitzentechnologie, die nur in gehobenen Designerwerkstätten und von Technikfreaks angewendet wird. Aber Sie sind vielleicht schon einmal mit einem 3-D-Drucker in Berührung gekommen, allerdings auf eine so prosaische Weise, dass Sie es nicht bemerkt haben.

In Form von zahnmedizinischen Passkörpern etwa, von der Art, die Zahnstellungen über Monate hinweg durch eine Reihe leicht unterschiedlicher Gebissschienen verändern, die das Gebiss jeweils fast unmerklich in eine neue Position schieben. Dafür scannt ein Zahntechniker die aktuelle Zahnstellung ein. Ein Programm errechnet dann die mathematischen Modelle für alle Zwischenstufen bis zum gewünschten Endpunkt. Am Schluss werden 3-D-Drucke aus Kunststoff von einer Reihe Gebissschienen ausgedruckt, die dann vom Patienten über jeweils zwei oder drei Wochen getragen werden, bis die Zähne die neue Position erreicht haben.

Ähnlich sieht es bei den Prototypen für fast alle Geräte aus, die man kaufen kann, sowie bei den Architekturmodellen für die neueren Gebäude in Ihrer Umgebung. Maßgefertigte Prothesen sind 3-D-Drucke: Wenn Sie zu den Glücklichen gehören, deren Zahnarzt eine Krone bei einer einzigen Sitzung ersetzen kann, wird sie als 3-D-Druck wahrscheinlich in der Praxis hergestellt (und dann eine Keramikschicht aufgetragen). Ärzte haben schon einen kompletten menschlichen Unterkiefer aus Titan gedruckt und eingesetzt.

Heute können Sie als Spezialanfertigung einen 3-D-Druck Ihres Charakters aus World of Warcraft oder Ihres Xbox-Live-Avatars kaufen. In Tokio können Sie Ihren Kopf einscannen lassen und dann eine fotorealistische Figur von sich selbst kaufen (wenn Sie das nicht zu gruselig finden).

Kommerzieller 3-D-Druck funktioniert nur mit ein paar Dutzend verschiedenen Materialien, vor allem verschiedenen Metallen und Kunststoffen, aber mehr sind in Vorbereitung. Forscher experimentieren mit exotischeren Materialien, von Zellstoff bis Kohlenstoffnanoröhrchen, die einem ein Gefühl für die Tragweite dieser Technologie geben. Manche 3-D-Drucker können Schaltplatinen drucken und so komplexe Elektronikteile aus dem Nichts erschaffen. Wieder andere drucken Glasur auf Kuchen und arbeiten mit anderen flüssigen Lebensmitteln, einschließlich geschmolzener Schokolade.

Im größeren Maßstab gibt es bereits 3-D-Drucker, die Beton »ausdrucken « und so ganze mehrstöckige Gebäude herstellen können. Derzeit muss ein solcher Drucker noch so groß sein wie das Gebäude selbst, aber eines Tages kann er vielleicht direkt in einen Betonmischer eingebaut und mit Beton bestückt werden, der über Orientierungssinn verfügt, die CAD-Pläne des Architekten direkt auswertet und entscheidet, wo Beton hingehört und wie viel.

Inzwischen arbeiten Forscher ebenso hart an Fortschritten in der anderen Richtung: 3-D-Druck auf molekularer Ebene. Heute gibt es »Biodrucker «, die Schichten aus körpereigenen Zellen eines Patienten auf ein 3-D-gedrucktes »Gerüst« aus inertem Material aufdrucken. Auf dieser Grundlage wachsen die Zellen zu einem Organ heran. Bei Blasen und Nieren wurde das im Labor bereits erfolgreich durch geführt. Wenn für den Druck Stammzellen verwendet werden, bildet das Gewebe eigene Blutgefäße und interne Strukturen aus.

Dem 3-D-Druck wird derzeit eine große Zukunft vorhergesagt. Carl Bass , der Chef von Autodesk, einem der führenden Hersteller von CAD-Autorensoftware, sieht den Aufstieg der computergesteuerten Fabrikation als eine umwälzende Veränderung, vergleichbar mit der ursprünglichen Einführung der Massenproduktion. Nicht nur der Herstellungsprozess traditioneller Konsumgüter könnte sich dadurch verändern, denn 3-D-Druck funktioniert auch in ganz unterschiedlichen Größenordnungen, von biologischen Strukturen bis zu Häusern und Brücken.

In einem Essay in der Washington Post erklärte Bass , was diese Art der Herstellung von anderen unterscheidet:

»Die Möglichkeit, hochwertige Artikel in kleiner Zahl zu produzieren und sie zu vernünftigen Preisen zu verkaufen, bedeutet einen enormen Eingriff in die Wirtschaft. Darin liegt die Zukunft der amerikanischen Industrie. Bei einem rechnergestützten Herstellungsprozess wie dem 3-D-Druck kostet Komplexität und Qualität nicht extra. … Für einen traditionellen Papierdrucker macht es keinen Unterschied, ob er einen Kreis ausdruckt oder eine Kopie der Mona Lisa. Dasselbe Prinzip gilt auch für einen 3-D-Drucker.«

Aus konzeptioneller Sicht ist das revolutionär. Die Designer müssen sich nicht länger um den Herstellungsprozess kümmern. Er ist für sie nicht mehr relevant, weil die computergesteuerten Maschinen ihnen die Arbeit abnehmen. Mit demselben Design kann ein Produkt aus Metall, Kunststoff, Pappe oder Kuchenglasur hergestellt werden. (Bei manchen Materialien mag das nicht sinnvoll sein, aber es wäre möglich.) »Erstmals in der Geschichte ist der Entwurf eines Produkts unabhängig vom Herstellungsprozess, weil alle für den Druck des Objekts notwendigen Informationen im Entwurf enthalten sind«, erklärte Bass .

Darüber hinaus finden 3-D-Drucker immer mehr Verbreitung und werden für die Herstellung kleiner Stückzahlen von Maß- oder Spezialanfertigungen eingesetzt, und sie machen die Produktion nachhaltiger. Es fallen keine oder kaum Transportkosten an, weil die Produkte vor Ort gefertigt werden. Es gibt wenig bis gar keinen Abfall, weil nur so viel Rohmaterial eingesetzt wird, wie für das Produkt gebraucht wird. Und weil die Produkte nach Kundenwunsch angefertigt werden, werden sie mehr geschätzt und länger behalten. Personalisierte Produkte werden weniger weggeworfen. Man hängt einfach mehr an ihnen.

Rich Karlgaard , der Herausgeber der Zeitschrift Forbes, glaubt, 3-D-Druck könne »die umwälzende Technologie der Zeit zwischen 2015 und 2025« werden. Er schreibt:

»Dies hat das Potenzial, die Industriewirtschaft umzuformen, weg von der Massenproduktion zurück zum Handwerk bestehend aus kleinen Designerwerkstätten mit Zugang zu 3-D-Druckern. Anders ausgedrückt könnte die Herstellung von realen Gegenständen sich von einer kapitalintensiven Industrie zu etwas entwickeln, das mehr an Kunst und Software erinnert. Der typisch amerikanischen Kreativität käme das sehr entgegen.«

Man darf dabei aber nicht vergessen, was 3-D-Druck und alle anderen digitalen Produktionstechniken nicht können. Es gibt dabei keine Stückkostendegression: Es ist pro Produktionseinheit nicht günstiger, 1000 Stück herzustellen, als eines. Stattdessen bieten sie in genau gegensätzlicher Hinsicht einen Vorteil: Es entstehen keine Zusatzkosten, wenn jedes Stück anders ist oder jeweils nur kleine Stückzahlen hergestellt werden.

Es handelt sich dabei um das Gegenteil der Massenproduktion , die Wiederholungen und Standardisierung bevorzugt. Stattdessen bevorzugt der 3-D-Druck Individualisierung und Anpassung an Kundenwünsche. Der große Vorteil des digitalen Industriezeitalters ist die Wahlmöglichkeit zwischen diesen beiden Alternativen, ohne dabei auf teure Handarbeit zurückgreifen zu müssen. Sowohl für Massenproduktion als auch für Sonderanfertigungen stehen jetzt rentable automatisierte Produktionsmethoden zur Verfügung.

Informationen zu Buch und Autor hier.

Mit freundlicher Genehmigung des Hanser Verlags.